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St. GallenFürstabtei

Als Fürstabtei wird das Gebiet bezeichnet, das der weltlichen Herrschaft des Abts des Klosters St. Gallen unterstand. Zentrum der fürstäbtischen Territorialherrschaft bildete die 1805 aufgehobene Benediktinerabtei in der Stadt St. Gallen. Das 719 am Ort des Gallus-Grabes gegründete Kloster, am Wasserfall der Steinach zwischen Bodensee und Alpstein gelegen, gehörte zur Diözese Konstanz; ab 1613 bestand das Offizialat, das die stift-sankt-gallischen Pfarreien von der bischöflichen Jurisdiktion befreite. Um 720 monasterium sancti Gallonis, 745 monasterium sancti Galli, 1290 gozhus zu sante Gallen, 1702 monasterium Principale S. Galli. Patron war Gallus zuerst allein (Fest 16. Oktober) und dann ab 883 zusammen mit Otmar (Fest 16. November).

Ansicht der Stiftskirche und des Klosterhofs. Kolorierte Radierung von Johann Conrad Mayr, nach einer Zeichnung von Johann Michael Beer von Bildstein, um 1790 (Kantonsbibliothek Vadiana St. Gallen, GS o 35/23a).
Ansicht der Stiftskirche und des Klosterhofs. Kolorierte Radierung von Johann Conrad Mayr, nach einer Zeichnung von Johann Michael Beer von Bildstein, um 1790 (Kantonsbibliothek Vadiana St. Gallen, GS o 35/23a). […]

In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts stieg das Kloster zur Reichsabtei auf, 1207 ist die Anrede Fürstabt zum ersten Mal bezeugt. Bis zu ihrem Untergang war die Fürstabtei formal ein Glied des Heiligen Römischen Reichs, wurde aber seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr in den Reichsmatrikeln aufgeführt. Ab 1451 war sie gleichzeitig auch ein zugewandter Ort der Eidgenossenschaft. Als mächtige Abtei besass das Kloster St. Gallen im Mittelalter eine bedeutende Grundherrschaft und übte seine Rechte über teilweise weit verstreuten Besitz bis nach Süddeutschland hinein aus. In der frühen Neuzeit umfasste die Fürstabtei das Fürstenland (Alte Landschaft) und die 1468 käuflich erworbene Grafschaft Toggenburg (Neue Landschaft). Weiter gehörten die Herrschaften Ebringen und Norsingen im Breisgau, Neuravensburg in Württemberg sowie zahlreiche Niedergerichte im St. Galler Rheintal und in der eidgenössischen Landvogtei Thurgau dazu. Die Abtei überdauerte die Reformation und konnte sich bis 1798 als Trägerin territorialer Staatlichkeit behaupten. Der Klosterbezirk befand sich innerhalb der ab 1528 reformierten Stadt St. Gallen, die wiederum vom Fürstenland umgeben war. Ende des 18. Jahrhunderts lebten rund 95'000 Einwohner im Gebiet der geistlichen Herrschaft. 1803 kam das fürstäbtische Territorium zum neu gegründeten Kanton St. Gallen. Die geistliche Verwaltung ging 1815 von Konstanz an den geistlichen Administrator Franz Bernhard Göldlin von Tiefenau, 1819 an das Bistum Chur, 1823 an das Doppelbistum Chur-St. Gallen und liegt seit 1847 beim Bistum St. Gallen.

Aufbau und innere Verfassung bis zum ausgehenden Mittelalter

Anfänge

Um 612 liess sich der irische oder irofränkische Mönch Gallus, ein Gefährte des irischen Wanderabts Kolumban des Jüngeren, mit Unterstützung des Arboner Klerus und von Herzog Gunzo als Einsiedler am Wasserfall der Steinach nieder. Sein Mönchtum war von einer Mischregel aus irisch-kolumbanischen und benediktinischen Elementen geprägt, die er an die sich einfindenden Jünger weitergab. Gallus starb hochbetagt am 16. Oktober um 640/650 in Arbon und wurde in seinem Bethaus an der Steinach bestattet. Gefährten des Heiligen und nach ihnen weitere Priester hüteten sein Grab und pflegten seinen Kult, die Bevölkerung suchte hier Schutz in Zeiten der Gefahr. Die Eremitenzelle vermochte die Jahrzehnte zu überdauern.

Der Mönch Hartker überreicht sein Werk dem heiligen Gallus. Federzeichnung aus dem Antiphonarium officii, um 990-1000 (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 390, S. 11; e-codices).
Der Mönch Hartker überreicht sein Werk dem heiligen Gallus. Federzeichnung aus dem Antiphonarium officii, um 990-1000 (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 390, S. 11; e-codices). […]

Ab 719 baute der am Bischofssitz in Chur zum Priester geweihte Otmar als erster Abt die Gemeinschaft zu einem Kloster aus. Die Klostergründung erfolgte auf Initiative des Grundherrn und Arboner Tribuns Waltram (Waltram-Sippe), unterstützt durch den fränkischen Hausmeier Karl Martell. Ausserhalb des Klosters errichtete Otmar eine Armenherberge und ein Leprosorium. Die ersten Mönche kamen mit Otmar aus Rätien, dann traten Alemannen aus einheimischen Adelsfamilien ins Kloster ein. Das Professbuch überliefert 53 Namen aus der Amtszeit von Abt Otmar. Aus dem Konvent gingen Magnus von Füssen und Theodor hervor, die das Allgäu missionierten und die Klöster Kempten und Füssen gründeten. Mit der Zunahme der Zahl der Mönche erstarkte die Abtei auch wirtschaftlich. Ihr wurde viel Grundbesitz im Thurgau, Zürichgau und im weiteren Alemannien bis zum Neckar übertragen. Unter den Donatoren ragt die Beata-Sippe am oberen Zürichsee hervor.

Durch Vermittlung von Pippins Bruder Karlmann, dem fränkischen Hausmeier, der 747 auf dem Weg nach Rom das Grab des heiligen Gallus besuchte, übernahm das Kloster die Regel Benedikts von Nursia. Als nach der Schlacht bei Cannstatt 746 Alemannien in den fränkischen Staat eingegliedert wurde, geriet Otmar in Konflikt mit der fränkischen Zentralmacht, vertreten durch die Grafen Warin und Ruthard, da den Karolingern durch die reichen Schenkungen an das alemannische Kloster Grundbesitz entzogen wurde. Als Otmar 759 gegen die Entfremdung von Klosterbesitz durch fränkische Grafen klagte, wurde er verhaftet und auf die Rheininsel Werd bei Eschenz verbannt, wo er am 16. November 759 starb. Zehn Jahre später wurde sein Leichnam nach St. Gallen überführt. Um 759/760 geriet die Abtei in eine vertraglich besiegelte Abhängigkeit vom Bischof von Konstanz, aus der sie sich im 9. Jahrhundert wieder schrittweise lösen konnte. Von Kaiser Ludwig dem Frommen erhielt sie 818 die Immunität, von Kaiser Ludwig dem Deutschen 833 die freie Abtwahl und 854 die Aufhebung der letzten Zinsverpflichtung an den Bischof von Konstanz. St. Gallen wurde damit zum Reichskloster. Trotz der Unselbstständigkeit in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts nahmen Grundbesitz und Anzahl der Mönche zu, das Kloster festigte sich. Ein leistungsfähiges Skriptorium bildete sich aus, als dessen erster Leiter Winithar bekannt ist. Gefördert wurden Skriptorium und Bibliothek auch von Waldo, der 782-784 Abt von St. Gallen, später von Reichenau und von Saint-Denis bei Paris war.

Frühmittelalterliche Blütezeiten und Gefährdungen

St. Galler Klosterplan. Tuschzeichnung auf Pergament, um 820 (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092; e-codices).
St. Galler Klosterplan. Tuschzeichnung auf Pergament, um 820 (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092; e-codices). […]

Mit Abt Gozbert, 816-837 im Amt, setzte der Aufstieg der Abtei zu ihrer ersten grossen Blütezeit ein. Gozbert erweiterte den Grundbesitz, vereinheitlichte die Verwaltung des Streubesitzes und führte eine Urkundenregistratur nach 36 territorialen Kapiteln ein. Ab 830 liess er die neue dreischiffige Gallusbasilika und wahrscheinlich auch eine neue Klosteranlage bauen. Der Neubau, unter anderen von den Mönchen Winihart, Isenrich und Ratger errichtet, hatte den Anforderungen der Mönchsreform unter Kaiser Ludwig dem Frommen und den vielfältigen Funktionen eines karolingischen Grossklosters zu entsprechen. Die Anregungen dazu dürfte Gozbert dem vermutlich ihm gewidmeten Klosterplan entnommen haben, den Reichenauer Mönche unter dem Bibliothekar Reginbert im Auftrag ihres Abts Haito 819 (oder um ca. 826 bis ca. 830) entworfen hatten. Dieser älteste Bauplan aus dem europäischen Mittelalter enthält den Grundriss einer idealen Klosteranlage aus karolingischer Zeit. Unter Gozbert erfuhr das Skriptorium mit dem Kalligrafen Wolfcoz I. einen weiteren Ausbau.

Nach Gozbert leitete Grimald, der als Erzkanzler Ludwigs des Deutschen zu den führenden Männern im ostfränkischen Reich gehörte, das Kloster 841-872. Weitere wichtige Äbte waren Hartmut 872-883 und Salomo 890-920, der als Salomo III. zugleich das Amt als Bischof von Konstanz innehatte. Die Verbindung des Abbatiats mit hohen Funktionen im Reich brachte der Abtei Vorteile. Kaiser und Könige weilten in der Reichsabtei.

Vorderdeckel des Elfenbeineinbands des Evangelium longum, beschnitzt vom Mönch Tuotilo, um 895 (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 53; e-codices).
Vorderdeckel des Elfenbeineinbands des Evangelium longum, beschnitzt vom Mönch Tuotilo, um 895 (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 53; e-codices). […]

In der Obhut des Klosters florierte die Schule, an der nicht nur Mönche, sondern auch Mitglieder der weltlichen und kirchlichen Führungsschicht aus der weiteren Umgebung ausgebildet wurden. Die Schule stellte eine Schnittstelle zwischen dem Innenleben des Klosters und seinem äusseren Einflussbereich dar. Wohl aus diesem Grund ist sie im Klosterplan aus dem frühen 9. Jahrhundert nicht innerhalb der Klausur eingezeichnet wie etwa die Gebäude des Noviziats, sondern zwischen dem Gästehaus und der Abtspfalz. Sie zählt damit zu den öffentlichen Gebäuden. An der Klosterschule wirkten der Alemanne Iso (871) und der Ire Moengal, der auch Marcellus genannt wurde. Die Dichter und Musiker Notker der Stammler (912), der Meister der Sequenz, und der Schulmeister Ratpert (um 911) sowie Tuotilo (nach 912) bereicherten die Liturgie mit ihren Schöpfungen. Letzterer schnitzte zudem die nach ihm benannten, aus dem Besitz Karls des Grossen stammenden elfenbeinernen Tafeln für den Einband des "Evangelium longum". Dessen Text und Initialen führte der Schreiber und Buchmaler Sintram aus. Besonders der Besuch Kaiser Karls III. 883 regte das künstlerische und literarische Leben in St. Gallen an (Geschichtsschreibung, Dichtung). Unter dem Kalligrafen Folchardus und dessen Nachfolgern schuf das Skriptorium Handschriften mit kunstvollem Initialschmuck. Damals umfasste die Bibliothek über 400 Bände mit gegen 600 Werken. Entsprechend wird die spätkarolingische Zeit auch als das "Goldene Zeitalter" der Abtei bezeichnet.

Der Ungarneinfall von 926, vor dem Bibliothek und Schatz durch Evakuation gerettet werden konnten, dem aber die Reklusin Wiborada zum Opfer fiel, und ein Klosterbrand 937 erschütterten die Abtei. Um die Mitte des 10. Jahrhunderts begann eine neue Blütezeit. Als äusserer Höhepunkt gilt der Kaiserbesuch Ottos I. mit seinem Hofstaat 972. Geprägt wird das sogenannte Silberne Zeitalter vor allem von Notker dem Arzt, Ekkehard I., dem Dekan, Ekkehard II., dem Reklusen Hartker und Notker dem Deutschen, der als Leiter der Klosterschule zu den bedeutendsten deutschen Sprachschöpfern des Mittelalters zählt, schliesslich Ekkehard IV., der in seiner Fortsetzung der "Casus sancti Galli" die Klostergeschichte von ca. 870 bis 972 beschrieb. Unter dem Einwirken Kaiser Ottos I. öffnete sich St. Gallen nach einer Visitation durch Bischöfe und Äbte um 966 der ottonischen Klosterreform, nahm die Statuten Kerbodos von Lorsch an, lehnte aber die weiter gehenden Reformen Sandrats von Trier 972-973 ab.

Äbte des Klosters St. Gallen

AmtsdatenAbt
719-759Otmar
759/60-782Johannes II.
782Ratpert
782-784Waldo
784-812Werdo
812-816Wolfleoz
816-837Gozbert
837-840/41Bernwig
840/41Engilbert
841-872Grimald
872-883Hartmut
883-890Bernhard
890-920Salomo III.
922-925Hartmann
925-933Engilbert
933-942Thieto
942-958Craloh
953-954Annoa
958-971Purchart
971-975Notker
976-984Ymmo
984-990Ulrich
990-1001Kerhart
1001-1022Purchart
1022-1034Thietpald
1034-1072Norbert
1072-1076Ulrich
1077-1121Ulrich von Eppenstein
1077-ca. 1083Lutpolda
1083-1086Werinhara
1121-1133Manegold von Mammern
1121-1122Heinrich von Twiela
1133-1167Werinher
1167-1199Ulrich von Tegerfelden
1199-1200Ulrich von Veringen
1200-1204Heinrich von Klingen
1204-1220Ulrich von Sax
1220-1226Rudolf von Güttingen
1226-1239Konrad von Bussnang
1239-1244Walter von Trauchburg
1244-1272Berchtold von Falkenstein
1272-1277Ulrich von Güttingen
1272-1274Heinrich von Wartenberga
1277-1281Rumo von Ramsteinb
1281-1301Wilhelm von Montfort
1288-1291Konrad von Gundelfingena
1301-1318Heinrich von Ramstein
1318-1329Hiltbold von Werstein
1330-1333Rudolf von Montfortc
1333-1360Hermann von Bonstetten
1360-1379Georg von Wildenstein
1379-1411Kuno von Stoffeln
1411-1418Heinrich von Gundelfingen
1418-1419Konrad von Pegau
1419-1426Heinrich von Mansdorf
1426-1442Eglolf Blarer von Girsberg
1442-1463Kaspar von Landenberg
1463-1491Ulrich Röschd
1491-1504Gotthard Giel von Glattburg
1504-1529Franz Gaisberg
1529-1530Kilian Germann
1530-1564Diethelm Blarer von Wartensee
1564-1577Otmar Kunz
1577-1594Joachim Opser
1594-1630Bernhard Müller
1630-1654Pius Reher
1654-1687Gallus Alt
1687-1696Cölestin Sfondrati
1696-1717Leodegar Bürgisser
1717-1740Joseph von Rudolphi
1740-1767Cölestin Gugger von Staudach
1767-1796Beda Angehrn
1796-1805Pankraz Vorster

a Gegenabt

b Gegenabt 1274-1277

c Pfleger

d Pfleger 1457-1463

Äbte des Klosters St. Gallen -  Helvetia Sacra, III/2

Rege Bautätigkeit war die Frucht der geistlichen Renaissance im 10. Jahrhundert. Während der Amtszeiten der Äbte Purchart (958-971), Notker (971-975) und Ymmo (976-984) wurden die Gallus- und die Johanneskapelle, die Heilig-Grab-Kapelle und die Laurenzenkirche errichtet, das Münster ausgeschmückt sowie die Ummauerung von Kloster und Siedlung vollendet. Schule, Kult und Kunst des Klosters St. Gallen besassen eine grosse Ausstrahlung nach Einsiedeln, Mainz, Augsburg, wo Bischof Ulrich, ein ehemaliger Klosterschüler und Schützling der Wiborada, wirkte, selbst nach Ungarn, durch die Missionstätigkeit des St. Galler Mönchs Prunward, der um 974 den Grossfürsten Geza taufte. Der herausragende Abt des 11. Jahrhunderts, Norbert von Stablo, führte während seiner Amtszeit 1034-1072 die lothringische Reform gegen den Widerstand des Konvents ein und erneuerte die Pflege des Gottesdienstes (Kirchenreform). Unter ihm wurden auch die inneren Täler des Appenzellerlands urbar gemacht und 1071 in Appenzell eine dem heiligen Mauritius geweihte Leutkirche errichtet.

Niedergang und Erneuerung im Spätmittelalter

Im ausgehenden 11. Jahrhundert wurde die Abtei St. Gallen als eine der wichtigsten Stützen des Heiligen Römischen Reichs in Alemannien in die Wirren des Investiturstreits zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. hineingezogen. Ulrich von Eppenstein, 1077-1121 Abt und ab 1086 auch Patriarch von Aquileja, hielt dem Kaiser die Treue. Er soll 1085 mit Reliquien der heiligen Fides, die er von seiner Pilgerfahrt nach Agen (Aquitanien) mitgebracht hatte, St. Fiden gegründet haben. Auf ihn geht auch die Gründung des Klosters San Gallo in Moggio (Friaul) zurück.

Mit Ulrich von Eppenstein begann die Reihe der adligen Äbte, die einem freiständischen Konvent von wenigen Mönchen vorstanden und sich vor allem auf politischem und kriegerischem Feld betätigten. In den Auseinandersetzungen zwischen Staufern und Papsttum stand das Kloster auf staufischer Seite. Ulrich von Sax, 1204-1220 Abt, unterlag im August 1208 in der Schlacht auf dem Breitfeld dem Bischof von Konstanz im Kampf um Rheineck. Abt Konrad von Bussnang, 1226-1239 im Amt, war ein wichtiger Ratgeber König Heinrichs (VII.) und eine Stütze Kaiser Friedrichs II., der ihn nach einem Konflikt innerhalb der Toggenburger Grafenfamilie, dem sogenannten Toggenburger Brudermord von 1226, beim Erwerb der Stadt Wil 1236 unterstützte. Ein weiterer Konflikt entbrannte 1287-1288 zwischen St. Gallen unter Abt Wilhelm von Montfort und König Rudolf I. von Habsburg, als dieser in der Nähe von Wil das auch Trutz-Wil genannte Städtchen Schwarzenbach gründete und 1288 Konrad von Gundelfingen als Gegenabt (bis 1291) einsetzte.

Konventsiegel, im Gebrauch von ca. 1293 bis 1798 (Stiftsarchiv St. Gallen).
Konventsiegel, im Gebrauch von ca. 1293 bis 1798 (Stiftsarchiv St. Gallen). […]

Trotz bedeutender politischer und administrativer Leistungen mehrerer Äbte im 11. und 12. Jahrhundert konnte der wirtschaftliche Niedergang der Abtei, verursacht durch Güterveräusserungen an den weltlichen Adel, Belehnungen der Ministerialität, eine kostspielige Hofhaltung und den aufwendigen Königsdienst, nicht verhindert werden. Unter solchen Voraussetzungen erlahmte der geistige Elan, das bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhundert dauernde sogenannte Eiserne Zeitalter der Abtei setzte ein. Das Skriptorium brachte im 12. Jahrhundert noch eine Reihe von Handschriften hervor, bevor es um 1200 versiegte. Die Klosterchronistik von Ratpert und Ekkehard IV. wurde von drei anonymen Mönchen sowie Conradus de Fabaria bis 1234 weitergeführt. Schliesslich setzte der St. Galler Stadtbürger und Chronist Christian Kuchimeister 1335 die Klostergeschichten (Nüwe Casus Monasterii) auf Deutsch fort.

Der Anstoss zur inneren Reform im 15. Jahrhundert ging vom Petershausener Kapitel am Rande des Konzils von Konstanz 1417 aus. Visitationen im Auftrag Papst Martins V. führten zur Absetzung des Abts Heinrich von Gundelfingen und zur Einsetzung auswärtiger Reformer wie Konrad von Pegau (Sachsen) und Heinrich von Mansdorf. Abt Eglolf Blarer von Girsberg versuchte 1429/1430 mit Hilfe von Mönchen aus Hersfeld in Hessen und Ende der 1430er Jahre aus dem bayerischen Kastl das zerfallene Gemeinschaftsleben wiederherzustellen. Der 1442-1463 amtierende Abt Kaspar von Landenberg berief nach 1442 und erneut 1454 Mönche aus dem Kloster Wiblingen bei Ulm, das von den Reformen der Benediktinerklöster Subiaco (Latium) und Melk (Niederösterreich) beeinflusst war. Seine Versuche zur inneren Reform scheiterten zunächst am Widerstand der Konventualen, die sich gegen Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheiten wehrten, dann aber wuchs der Konvent. Ein Hindernis auf dem Weg der Erneuerung war die prekäre finanzielle Lage. Kaspar von Landenberg erwog daher, die Abtei in ein Chorherrenstift umzuwandeln, das unter die Schirmherrschaft der Stadt St. Gallen gekommen wäre und damit seine Selbstständigkeit weitgehend verloren hätte, doch hinderten ihn der Konvent und die eidgenössischen Schirmorte daran.

Die Wende gelang dem tatkräftigen, 1463-1491 amtierenden Abt Ulrich Rösch. Ohne sich einer Reformkongregation anzuschliessen, erneuerte Rösch durch strenge Klausurvorschriften, eine Ordnung für die Laienbrüder des Otmarspitals, das vermutlich auf eine ausserhalb des Klosters gelegene Gründung des heiligen Otmar zurückging, sowie Visitationen 1469 und 1485 die mönchische Disziplin. Die Klosterschule wurde materiell gesichert und junge Mönche auf Universitäten geschickt, die Bibliothek geordnet und durch Erwerbungen vergrössert. Zur Erneuerung gehörte auch die Errichtung des neuen Klosters Mariaberg bei Rorschach sowie der 1483 vollendete Chorneubau des Münsters. Rösch förderte die Wallfahrt zu "Unserer Lieben Frau im Gatter" im Münster, die bis zur Reformation überregionale Ausstrahlung besass.

Äussere Entfaltung und territoriale Entwicklung bis zum ausgehenden Mittelalter

Von der Grundherrschaft zur Landeshoheit

Urkunde der Beata vom 29. November 741/745 (Stiftsarchiv St. Gallen).
Urkunde der Beata vom 29. November 741/745 (Stiftsarchiv St. Gallen). […]

Zahlreiche Übertragungen von Gütern und Rechten ermöglichten dem Kloster ab dem 8. Jahrhundert den Aufbau einer Grundherrschaft. Um 900 umfasste diese rund 4000 Huben mit 1897 abgaben- und frondienstpflichtigen Bauern beidseitig des Rheins, während der Konvent aus etwa 100 Mönchen bestand und der Klosterhaushalt mit den Wirtschafts- und Gewerbebetrieben im Stiftsbezirk insgesamt ca. 170 Personen zählte. Die ca. 800 überlieferten Urkunden aus der Zeit von ca. 750 bis 920, die einen der bedeutendsten Urkundenbestände des Frühmittelalters bilden (heute im Stiftsarchiv St. Gallen), zeugen von der wirtschaftlichen Blüte des Klosters. Im Hochmittelalter fand ein allmählicher Übergang von der Villikationsverfassung zur Rentengrundherrschaft statt. Die Abtei gab die Eigenwirtschaft weitgehend auf, die Fronhofgüter wurden reduziert, das Salland aufgeteilt und gegen einen festen Grundzins an die Bauern verliehen. Von den Aussenpröpsten, den Zwischengliedern zwischen dem Abt und den Meiern in der grundherrschaftlichen Verwaltung, sind im 13. Jahrhundert nur noch jene im Breisgau und in Burgund (Aargau) nachweisbar.

Ein Güter- und Abgabeverzeichnis des 13. Jahrhunderts nennt 36 Höfe des Klosters St. Gallen. Die Besitzungen lagen vor allem im Gebiet zwischen Rorschach und Wil, im Unterrheintal, im Untertoggenburg, im Appenzellerland und im östlichen Thurgau. Zusammen bildeten sie auch das Kerngebiet der Klosterherrschaft um 1300. In der Umgebung von St. Gallen und im Appenzellerland verfügte das Kloster zudem über herrschaftliche Rechte in hoher Dichte. Der Verlust drohte insbesondere dem entfernten Besitz im Oberaargau, Zürichgau, in Süddeutschland und Vorarlberg, wo das Kloster zahlreiche Güter besass. Die Durchsetzung der grundherrschaftlichen Ansprüche in weit entlegenen Gütern des Klosters war oft schwierig. Die Zuständigkeiten in der Güterverwaltung waren aufgeteilt zwischen dem Abt und Dekan sowie Kämmerer, Propst, Grosskeller, Pförtner, Custos und Hospitar.

Zur klösterlichen Grundherrschaft gehörte der Besitz von Eigenkirchen. Die Sorge um die Glaubensverkündigung ebenso wie die geistliche Betreuung der Bevölkerung wurde, obwohl nicht in der ursprünglichen Absicht des benediktinischen Mönchtums gelegen, zu einer wichtigen Aufgabe von St. Gallen. Das Eigenkirchenwesen entwickelte bis zum 13. Jahrhundert ein dichtes Netz. In der Zeit um 926 gehörten der Abtei 44 Eigenkirchen, bei denen sich häufig auch ein Fronhof als grundherrschaftliches Zentrum befand. Im Hochmittelalter gründete oder erwarb die Abtei 17 weitere Eigenkirchen. Ein unter Berchtold von Falkenstein um 1266 erstelltes Verzeichnis umfasst in den Bistümern Konstanz und Chur dann noch zwei Eigenkirchen mehr, nämlich insgesamt 63.

Vom 9. Jahrhundert an erlangte die Abtei neben grundherrlichen auch hoheitliche Befugnisse. Abt Ulrich von Sax wurde 1207 von König Philipp von Schwaben mit den Regalien belehnt und zum Reichsfürsten erhoben. 1217 verlieh ihm Papst Honorius III. die Pontifikalien. Im Lauf des Hochmittelalters vollzog St. Gallen den Wandel zur Territorialherrschaft. Die Abtei wurde zu einer regionalen Macht, gründete oder erweiterte Städte, unter anderem Wil, Altstätten und Wangen im Allgäu, und bildete eine Lehensherrschaft mit einer bedeutenden Ministerialität aus. Die zahlreichen adligen Dienstleute übten Verwaltungstätigkeiten aus, begleiteten die Äbte auf ihren Kriegszügen und beim Reichsdienst. Als Reichsfürsten pflegten diese eine Hofhaltung mit den vier erblichen Hofämtern Truchsess, Marschall, Schenk und Kämmerer. Als Truchsessen dienten im 13. Jahrhundert die Ritteradligen von Singenberg und nach ihnen die von Bichelsee, als Schenken die von Landegg, als Marschälle die von Falkenstein, als Kämmerer die Giel von Glattburg. Bei besonderen Anlässen amtierten die Herzöge von Schwaben als Truchsessen, die Herzöge von Teck (später die Grafen von Hohenberg) als Schenken, die Freiherren von Regensberg als Kämmerer sowie die Edlen von Hohenzollern als Marschälle. Unter Abt Berchtold von Falkenstein fand an Pfingsten 1270 in St. Gallen ein grosses Ritterfest statt, an dem rund 900 Adlige teilnahmen und 99 zu Rittern geschlagen wurden.

Der Wandel der hochmittelalterlichen Wirtschaftsentwicklung, der Übergang zur Rentengrundherrschaft und insbesondere die spätmittelalterliche Agrarkrise, innerklösterliche Missstände, die Verstrickung in Politik und Königsdienst, in Kriege und Fehden, schliesslich der Aufstieg der selbstständig werdenden Stadt St. Gallen führten die Abtei in eine schwere und lange Krise. Die Rettung und Umwandlung der Klosterherrschaft in ein frühneuzeitliches Staatsgebilde waren Ulrich Rösch, dem ersten Abt bürgerlicher Herkunft, zu verdanken. Er gilt als Neugründer der Abtei und schuf die Grundlagen des frühneuzeitlichen sankt-gallischen Territorialstaats. In der Alten Landschaft, dem Fürstenland, welches das Gebiet von Wil bis Rorschach umfasste, zog Rösch die vielfach zerstückelten Reichsvogteirechte wieder an das Kloster und begann die fürstäbtischen Herrschaftsrechte zu vereinheitlichen. Ab 1463 liess er in 23 Niedergerichten einheitliche Offnungen ausstellen. Den leibherrlich geprägten Begriff des Gotteshausmanns weitete er auf alle Bewohner des fürstäbtischen Territorialstaats aus. Zudem diente die Landsatzung, in einer ersten Fassung 1468 vorgelegt, der Durchsetzung von vereinheitlichtem Recht, Landeshoheit und Verwaltung. Die Alte Landschaft wurde unter Rösch oder seinen unmittelbaren Nachfolgern in die Ämter Landshofmeisteramt, Rorschacheramt und Oberbergeramt sowie Wiler und Romanshorner Amt mit den Hochgerichtsstätten in Rorschach, St. Fiden, Gossau und Wil unterteilt. An neuen Landesämtern schuf Rösch jenes des Kanzlers, des Hofmeisters und das Gremium des Pfalzrats, auch Pfalzgericht genannt, das wohl bereits als Appellationsinstanz fungierte.

Beziehungen zur Stadt St. Gallen und zu Appenzell

Das Verhältnis der Abtei zur Stadt St. Gallen, die ab dem 10. Jahrhundert vor den Toren des Klosters entstand, war von Symbiose und Gegensätzen geprägt. Seit den Anfängen unter Abt Otmar liessen sich Bedienstete, Handwerker und Kaufleute um die Abtei nieder. Zum Schutz vor Angriffen, etwa der Ungarn, liessen die Äbte Anno (953/954) und Notker (971-975) das Kloster mit der umliegenden Ansiedlung ummauern. Bis sich die wirtschaftlich aufstrebende Siedlung rechtlich vom Kloster zu lösen vermochte, dauerte es rund fünf Jahrhunderte. Der fortlaufende Emanzipationsprozess der Stadt im Spätmittelalter verlief unter teils schweren Spannungen und Auseinandersetzungen. Im Laufe des 13. Jahrhunderts wuchs die Stadt allmählich in ihre reichsunmittelbare Stellung hinein. Trotz königlicher Freiheiten und der Erhebung St. Gallens zur Reichsstadt zu Beginn des 15. Jahrhunderts blieben die Verflechtungen zwischen Stadt und Abtei eng. Noch bis ins 14. Jahrhundert amtierte der Stadtammann als Vertreter des Klosters, unterstützt von einem zwölfköpfigen, vom Abt eingesetzten Rat. In der Handfeste von 1291, die Abt Wilhelm von Montfort nach einer älteren von 1272/1273 des Abts Ulrich von Güttingen der Stadt St. Gallen ausstellte, ist deren Gerichtsbezirk innerhalb der vier Kreuze erstmals genau umschrieben. Im Stadtbann übten der Abt die niedere Gerichtsbarkeit und ein Reichsvogt aus der Bürgerschaft das Blutgericht aus. Die Einführung der Zunftverfassung in der Mitte des 14. Jahrhunderts minderte die Bedeutung der vom Abt ernannten Räte immer mehr.

Der Ablösungs- und Emanzipationsprozess im Appenzellerland konnte auch vom Abt Kuno von Stoffeln (1379-1411) nicht rückgängig gemacht werden. Die Appenzeller Kriege (1401-1429) brachten das faktische Ende der fürstäbtischen Landesherrschaft. Eidgenössische Schiedssprüche bestätigten die Selbstständigkeit der Appenzeller, verpflichtete diese aber weiterhin zur Zahlung gewisser Abgaben, was Appenzell 1429 vertraglich anerkannte.

Politische und verfassungsrechtliche Entwicklung im 15. Jahrhundert

Nach den Wirren der Appenzeller Kriege ging Abt Eglolf Blarer von Girsberg 1437 ein Landrecht mit Schwyz auf 20 Jahre ein, worin sich die politische Umorientierung hin zur Eidgenossenschaft erstmals manifestierte. 1451 schloss Abt Kaspar von Landenberg das ewige Burg- und Landrecht mit den eidgenössischen Schirmorten Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus ab. Damit wurde die Fürstabtei St. Gallen ein zugewandter Ort der Eidgenossenschaft. 1454 ging auch die Stadt St. Gallen ein Bündnis mit der Eidgenossenschaft ein; 1457 konnte sie durch Vermittlung Berns wichtige Rechte (z.B. Masse und Gewichte, Ernennung des fürstäbtischen Ammanns oder des Münzmeisters) vom Kloster abkaufen. Zudem entfiel der Huldigungseid.

Durch den Erwerb der Grafschaft Toggenburg unter Ulrich Rösch 1468 weitete die Fürstabtei ihre Herrschaft mit dem florierenden voralpinen Wirtschaftsgebiet aus. Dabei besass das Toggenburg im Vergleich zu dem nun als Alte Landschaft bezeichneten geschlossenen Territorium zwischen Wil und Rorschach gegenüber dem Abt als Grafen eine relative Autonomie, ein Landrecht verband es mit Schwyz und Glarus, und sein Landrat beschränkte die fürstlichen Rechte des Abts. Durch den Hauptmannschaftsvertrag von 1479 mit den vier eidgenössischen Schirmorten, denen eine vogtähnliche Stellung zugestanden wurde, verband sich Abt Rösch noch enger mit den Eidgenossen. Gleichwohl pflegte er die Stellung eines Reichsfürsten, suchte für seine Politik die Legitimation des Heiligen Römischen Reichs und schuf bedeutende Werke fürstlicher Repräsentation.

Um das Kloster aus der Umklammerung der Stadt St. Gallen zu lösen, plante Ulrich Rösch mit Zustimmung von Kaiser und Papst dessen Verlegung nach Rorschach. Das verhinderten die Stadt und die Appenzeller gewaltsam im Rorschacher Klosterbruch vom 28. Juli 1489, als sie die fast fertiggestellte Anlage zerstörten. In der Fortsetzung dieses auch St. Galler Krieg genannten Konflikts im Februar 1490 zwangen die Eidgenossen die Gegner der Abtei in die Knie und diktierten am 7. März 1490 den Frieden von Einsiedeln, mit dem sie sich endgültig als entscheidende Macht in der Nordostschweiz etablierten. Während des Schwabenkriegs wurden die Grenzen der Fürstabtei unter Abt Gotthard Giel von Glattburg endgültig festgelegt, jene zur Landvogtei Thurgau 1501 durch eine Grenzbereinigung mit den eidgenössischen Orten.

Von der frühen Neuzeit bis zum Untergang (1504-1805)

Das Kloster St. Gallen, zugleich Abtei und grosser Staat, wurde von 1504 bis 1805 von 14 Äbten geleitet und verwaltet. Diese hatten relativ lange Regierungszeiten von durchschnittlich 21,5 Jahren, wobei die kürzeste Amtszeit zwei, die längste 36 Jahre betrug. Die bedeutendsten unter diesen Fürstäbten waren Diethelm Blarer von Wartensee (1530-1564), Bernhard Müller (1594-1630) und Cölestin Gugger von Staudach (1740-1767). Der herausragende Theologe unter den Äbten war Cölestin Sfondrati (1687-1696).

Die weltliche Landesverwaltung

Der Hof in Wil (SG). Lavierte Federzeichnung von Johann Melchior Füssli, um 1713 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Der Hof in Wil (SG). Lavierte Federzeichnung von Johann Melchior Füssli, um 1713 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Die frühneuzeitliche Abtei St. Gallen verwaltete ein umfang- und bevölkerungsreiches Staatswesen. Das Kernland war die Alte Landschaft mit der Stadt Wil als zweiter Residenz der Äbte. Dieses Gebiet wird nach der fürstäbtischen Herrschaft auch Fürstenland genannt. Die Fürstäbte herrschten hier als absolute Herren, das Volk hatte kein Mitspracherecht.

Streitschrift gegen den Abt von St. Gallen, verfasst vom rechtlich geschulten Hans Conrad Escher vom Glas, herausgegeben von den Orten Zürich und Bern, 1713 (Staatsarchiv Zürich).
Streitschrift gegen den Abt von St. Gallen, verfasst vom rechtlich geschulten Hans Conrad Escher vom Glas, herausgegeben von den Orten Zürich und Bern, 1713 (Staatsarchiv Zürich). […]

Zur Fürstabtei gehörte ab 1468 auch die Grafschaft Toggenburg, aufgeteilt in ein Ober- und ein Unteramt. Im Toggenburg war die fürstäbtische Herrschaft im Gegensatz zum Fürstenland eingeschränkt, der Abt war ein konstitutioneller Monarch. Über den toggenburgischen Landrat, in dem gewählte Vertreter der Gemeinden sassen, konnten die Untertanen mitreden und sogar die Mandate des fürstlichen Landrats auf ihre Verträglichkeit mit den Freiheiten der Landschaft überprüfen. Im St. Galler Rheintal, ab 1490 eine gemeine Herrschaft verschiedener eidgenössischer Orte, war die Abtei St. Gallen eine reiche Grundherrin und Inhaberin vieler Niedergerichte, doch stand sie bezüglich ihres Anspruchs auf die Territorialhoheit in Konkurrenz zu den eidgenössischen Orten, deren Landvogt die Landeshoheit, vor allem das Blutgericht, ausübte. Die Fürstabtei besass über die Grenzen des heutigen Kantons hinaus Güter und Rechte in der Landvogtei Thurgau (z.B. das dem Amt Wil unterstellte Berggericht) sowie im Zürichbiet. Weiter verfügte sie im süddeutschen Raum über die Herrschaften Ebringen und Norsingen im Breisgau, die Herrschaft Neuravensburg nördlich von Lindau sowie die Pfarrei Wasserburg am Bodensee.

Politisches System der Fürstabtei St. Gallen im 18. Jahrhundert
Politisches System der Fürstabtei St. Gallen im 18. Jahrhundert […]

Die Landesverwaltung nahm das Kloster selbst wahr, zog dazu aber auch vom Fürstabt berufene Beamte weltlichen Standes bei. Die Verwaltung war im Wesentlichen in eine weltliche und eine geistliche Administration aufgeteilt. Die geistlichen Amtsinhaber hatten gegenüber den weltlichen Priorität. Unter den Funktionsträgern aus dem Kreis der Mönche sind vor allem die Statthalter zu nennen; die wichtigsten amtierten in St. Gallen selbst, in Wil, Rorschach, St. Johann im Toggenburg und Ebringen. Sie waren die höchsten Vertreter der Fürstabtei vor Ort und standen den dortigen Mönchen sowie der Ökonomie ihres Sprengels vor. Der Abt legte bei diesen viel beschäftigten Mönchen Wert darauf, dass sie ob ihren administrativen Aufgaben das geistliche Leben nach der Regel nicht vernachlässigten. Als Oberbeamte weltlichen Standes wirkten im St. Galler Stiftsbezirk an der Spitze der Landshofmeister, der Hofkanzler und der Lehenvogt. Verteilt über die Landschaft amtierten im Fürstenland die Obervögte in Rorschach und Gossau (Oberbergeramt), im Toggenburg der Landvogt in Lichtensteig sowie die Vögte auf Iberg und in Schwarzenbach, in der eidgenössischen Landvogtei Thurgau schliesslich der Vogt von Romanshorn. Die wichtigsten Vertreter der Abtei im Rheintal waren der Obervogt auf Blatten, der die dortige Rheinfähre zu beaufsichtigen hatte, der Gerichtsammann in Altstätten und der Obervogt auf Rosenberg in Berneck, der unter anderem die Ablieferung der Rheintaler Weinzinsen und den Transport des Weins nach Rorschach überwachte. In den beiden höchsten Gerichten der Fürstabtei, den Pfalzräten in St. Gallen und in Wil, sassen sowohl Mönche hohen Rangs als auch weltliche Oberbeamte. Der Vorsitz stand in St. Gallen dem Pater Dekan, in Wil dem Pater Statthalter zu. Die Blutgerichtsbarkeit wurde von Oberbeamten weltlichen Standes wahrgenommen, in St. Gallen vom Landshofmeister und in Wil vom Reichsvogt. Wie in den hohen Gerichten waren auch im engsten Beratergremium des Fürstabts, dem Geheimen Rat, geistliche wie weltliche Amtsinhaber vertreten.

Reformation und Gegenreformation

Nach Fürstabt Ulrich Rösch bemühten sich die Äbte mit Erfolg, das Werk ihres Vorgängers fortzusetzen. Franz Gaisberg war während seiner Amtszeit mit der Reformation konfrontiert, die 1528-1529 von Vadian in der Stadt St. Gallen eingeführt wurde. Ende Februar 1529 kam es zum Bildersturm in der Stiftskirche. Die Reformation breitete sich im Appenzellerland, im Rheintal, im Fürstenland und im Toggenburg aus. Abt Franz Gaisberg zog sich auf das St. Annaschloss in Rorschach zurück, wo er im März 1529 starb. Auf ihn folgte zunächst Abt Kilian Germann (1530), dann Abt Diethelm Blarer von Wartensee. Zwei der vier Schirmorte des Klosters, Zürich und Glarus, verkauften 1530 die Stiftsgebäude an die Stadt St. Gallen. Im Toggenburg breiteten sich die reformerischen Ideen unter dem Einfluss Huldrych Zwinglis aus. 1528 beschloss die Synode der Toggenburger Pfarrer eine reformatorische Kirchenordnung und stellte sich damit gegen die Fürstabtei. Zürich benutzte den Konfessionsstreit, um die Landeshoheit im Territorium der St. Galler Fürstabtei zu erlangen. Vorübergehend ging die Fürstabtei der Landesherrschaft in ihren Untertanengebieten verlustig. Doch Zürich verlor den Zweiten Kappelerkrieg 1531 zwischen den reformierten Orten und der katholischen Innerschweiz, in dem auch Zwingli fiel. Die Stadt St. Gallen, von den reformierten Orten bei der Beilegung des Kriegs übergangen, war die Verliererin. In einer im Anschluss an den Krieg im Februar 1532 vereinbarten Regelung zwischen Stadt und Abtei verlor die Stadt den Stiftsbezirk wieder und hatte das Kloster finanziell zu entschädigen. Umschlossen vom Klosterstaat hatte sie auch künftig keine Möglichkeit mehr zur territorialen Weiterentwicklung.

Am 1. März 1532 konnte Abt Diethelm Blarer von Wartensee wieder ins Kloster einziehen und die fürstäbtische Landesherrschaft rasch neu errichten. Mit Erfolg setzte er die Gegenreformation durch und förderte die katholische Reform zur Stärkung des alten Glaubens in der Alten Landschaft. Im staatlichen Bereich führte er die Politik Ulrich Röschs weiter. 1546 übernahm er die Verwaltung des Klosters St. Johann im Thurtal und inkorporierte es 1555 der Fürstabtei. Diese führte das Kloster als Priorat weiter, geleitet von einem Prior und Statthalter. Ihm zur Seite stand ein weltlicher Beamter, der Hofammann. In St. Johann lebten in der Regel etwa zwölf Mönche, welche eine Schule mit Zöglingen aus der ganzen Eidgenossenschaft führten und das geistliche Leben im Obertoggenburg prägten. In ihren Anfängen wurde auch die St. Galler Klosterdruckerei in St. Johann betrieben.

Diethelm Blarer von Wartensees Nachfolger führten im weltlichen wie im geistlichen Bereich seine Politik fort. Auf religiösem Gebiet bekämpften die St. Galler Äbte die Reformation. Sie förderten in den reformierten Teilen ihres Territoriums die Konversionen, überwachten die Prädikanten und siedelten in den reformierten Gebieten Katholiken an. Intensiv verstärkten sie die Seelsorge im ganzen fürstäbtischen Territorium. Die vollständige Rekatholisierung der Bevölkerung gelang ihnen indes nur im Fürstenland, das Untertoggenburg blieb teilweise, das Obertoggenburg mehrheitlich reformiert, das Rheintal konfessionell gemischt. Simultankirchen entstanden im Rheintal schon ab 1531, im Toggenburg im Laufe der folgenden hundert Jahre. 1559 regelte die Fürstabtei ihre leibherrlichen Rechte über die Untertanen im sogenannten Rapperswiler Urteil.

Die geistliche Landesverwaltung

Im kirchlichen Bereich hatte sich die Fürstabtei St. Gallen immer wieder mit den Bischöfen von Konstanz auseinanderzusetzen. Mit grossem Einsatz versuchten die Äbte, sich der bischöflichen Jurisdiktion zu entziehen. Einen ersten Erfolg erreichten sie 1613 mit dem Abschluss eines Konkordats mit dem Bischof von Konstanz, das die Einrichtung des Offizialats und eines eigenen Generalvikariats brachte. Die stift-sankt-gallischen Pfarreien waren damit von der bischöflichen Gerichtsbarkeit und Visitation befreit. Mit der "Concordia" mit Konstanz von 1748 konnte das Stift St. Gallen seine Kompetenzen gegenüber dem Bischof und seine Rechte in der geistlichen Landesverwaltung weiter ausbauen. Das fürstäbtische Offizialat handelte darin künftig weitgehend selbstständig. Der ihm vorstehende Pater Offizial residierte im Kloster, leitete die geistliche Kurie sowie das geistliche Gericht und führte die Aufsicht über die Priester, die Pfarreien, das Leben und die Sitten der Untertanen.

Ein wichtiges Element dieser geistlichen Landesverwaltung stellten die ab 1603 regelmässig durchgeführten Visitationen der Pfarreien dar. Der Abt selbst oder Mönche in hohen Positionen besuchten Pfarreien, Kaplaneien, Kirchen, Kapellen und Friedhöfe. Sie visitierten nicht nur die Kirchengebäude, sondern befragten auch die Pfarrer, Mesmer, Pfleger sowie Gemeindevorsteher - und verlangten in ihren Berichten Verbesserungen im Sinne der tridentinischen Reform. In manchen Gemeinden stellte das Kloster den Pfarrer aus dem Kreis der Mönche, so regelmässig im Obertoggenburg. In den sankt-gallischen Frauenklöstern nahmen St. Galler Mönche die Funktion des Beichtigers wahr.

Die Abtei erstrebte die Verbesserung der religiösen Betreuung der Bevölkerung in ihrem Territorium auch durch die Errichtung neuer Pfarreien und Gebäude. Den Höhepunkt erreichte diese Politik unter Iso Walser, der 1759-1785 Offizial war. Er schuf sieben neue Pfarreien sowie sechs neue Kaplaneien und veranlasste den Bau von 19 Kirchen und Kapellen. Die St. Galler Fürstäbte des 17. und 18. Jahrhunderts förderten auch die Errichtung von Schulen in möglichst allen Gemeinden. Sie bemühten sich um die Verbesserung der Qualität des Unterrichts und achteten auf den regelmässigen Schulbesuch der Jugend. Zunächst gehörten nur Lesen und Religionsunterricht zum Schulprogramm. Unter Fürstabt Beda Angehrn (1767-1796) wurde gegen Widerstände die sogenannte Normalschule eingeführt, die nun auch den Realien im Unterricht Raum gab. Im Gesundheitswesen achteten die Fürstäbte auf die Grundversorgung der Bevölkerung. Sie stellten durch die Examinierung der Chirurgen auf dem Land einen minimalen Qualitätsstandard der Heilpersonen sicher. Konsequent förderten sie das Hebammenwesen. Jede Gemeinde sollte eine oder mehrere Hebammen erhalten, die examiniert und vereidigt wurden. Wenn dem geistlichen Landesherrn auch primär die Nottaufe durch die Hebammen wichtig war, so stellte seine Politik doch einen markanten Fortschritt im ländlichen Gesundheitswesen dar.

Eine wichtige Rolle spielte die Fürstabtei im Rahmen der 1602 gegründeten Schweizerischen Benediktinerkongregation (Benediktiner), in der sie sehr aktiv war. Schwachen Klöstern, vor allem Disentis und Pfäfers, leistete sie wiederholt personelle Unterstützung. Manche Fürstäbte betrieben neben dem Landkirchenbau auch sonst eine aktive Baupolitik. Diethelm Blarer von Wartensee liess ein neues Bibliotheksgebäude errichten. Während der Abtszeit von Bernhard Müller brannte 1626 das Kloster St. Johann ab. Der Abt liess ca. 10 km weiter thurabwärts in Sidwald (Krummenau) eine neue Klosteranlage errichten, weshalb der Ort in Abgrenzung zum früheren Standort Neu St. Johann genannt wurde. Der Bau der Klosterkirche dauerte von 1641 bis zur Weihe 1680. Ebenfalls unter Bernhard Müller entstand in St. Gallen 1623-1628 die neue Otmarskirche. Er veranlasste auch die Renovation der Vogteischlösser Iberg, Schwarzenbach und Romanshorn und liess das abgebrannte Schloss Neuravensburg durch einen grösseren Neubau ersetzen. Gallus Alt (1654-1687) liess den sogenannten Hofflügel des St. Galler Stiftsbezirks errichten. Abt Cölestin Gugger gestaltete den Stiftsbezirk während seiner Amtszeit 1740-1767 tiefgreifend um. 1756-1766 liess er die Gallus- und Otmar-Stiftskirche im spätbarocken Stil neu bauen sowie 1758-1767 eine neue Stiftsbibliothek und daran anschliessend einen neuen Krankenhaustrakt. 1746-1749 entstand das Kornhaus in Rorschach. Beda Angehrn liess 1767-1769 in St. Gallen die Neue Pfalz mit Thronsaal errichten. Zudem förderte er den Ausbau von Strassen (1773-1778 Rorschach-Wil im Fürstenland, 1786-1790 Wil-Ricken) und kleinerer Wegstrecken (St. Gallen-Speicher, St. Gallen-Herisau, Gossau-Herisau). Die fürstäbtischen Strassen zählten dank seiner Bautätigkeit zu den besten Verbindungen in der Schweiz des 18. Jahrhunderts.

Die Fürstäbte betrieben eine aktive Wirtschaftspolitik. Im Zeichen der religiös-politischen Spannungen sollten die fürstäbtischen Untertanen mehr Unabhängigkeit von den stadt-sankt-gallischen Kaufleuten erlangen. Zugleich erhofften sie sich eine Hebung des allgemeinen Wohlstands und der Staatseinnahmen. Auf Initiative von Abt Bernhard Müller wurde 1610 das Leinwandgewerbe in Rorschach eingeführt.

Beziehungen zur Eidgenossenschaft, zum Heiligen Römischen Reich und zu benachbarten Gebieten

Kaiser Maximilian II. verleiht Abt Otmar Kunz die Reichsregalien. Glasgemälde, 1565 (Historisches und Völkerkundemuseum St. Gallen).
Kaiser Maximilian II. verleiht Abt Otmar Kunz die Reichsregalien. Glasgemälde, 1565 (Historisches und Völkerkundemuseum St. Gallen). […]

Unter den zugewandten Orten der Eidgenossenschaft nahm der St. Galler Klosterstaat den ersten Rang ein und war der territorial grösste sowie bedeutendste. Innerhalb der Eidgenossenschaft stand die Fürstabtei der katholischen Innerschweiz näher als den reformierten Orten, zumal sie insbesondere mit Zürich immer wieder Schwierigkeiten hatte. Aus der Innerschweiz rekrutierten die Fürstäbte hohe weltliche Beamte für den Staatsdienst. Formell auch Reichsfürsten, liessen sie sich bis Ende des 18. Jahrhunderts zum Amtsantritt beim Kaiser des Heiligen Römischen Reichs die Regalien, das Blutgericht und sonstige Privilegien bestätigen. Die Verbindung der Fürstabtei mit den Eidgenossen war wesentlich enger als jene zum Reich. Die Fürstäbte erhielten zwar noch bis 1663 die Einladung zum Reichstag, doch folgten sie ihr nicht mehr. Wenn es indes opportun war, betonten sie ihre Reichszugehörigkeit wie zum Beispiel während des Zweiten Villmergerkriegs oder der Koalitionskriege Ende des 18. Jahrhunderts. Als zugewandter Ort schloss die Fürstabtei zusammen mit den anderen eidgenössischen Orten Verträge mit europäischen Mächten und wurde verschiedentlich mit ihnen in europäische Friedensschlüsse miteinbezogen. Der Klosterstaat, dessen Aussenpolitik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vom bedeutenden Landshofmeister Fidel von Thurn geführt wurde, wandte sich in den 1670er Jahren von Frankreich ab und vermehrt Österreich zu. 1686 schloss die Fürstabtei ein Schutzbündnis mit Savoyen, das die St. Galler Fürstäbte fortan mit seinem Annuntiatenorden auszeichnete. Stift-sankt-gallische Söldner dienten Seite an Seite mit anderen Eidgenossen in Spanien, Frankreich, Österreich, Savoyen, Venedig, Neapel-Sizilien, den Niederlanden und Preussen.

In einem besonderen Verhältnis stand die Fürstabtei zur Stadt St. Gallen, die ebenfalls als zugewandter Ort mit der Eidgenossenschaft und als Reichsstadt bis ins 17. Jahrhundert mit dem Reich verbunden war. Einen Tiefpunkt in den Beziehungen stellten die Jahre der Reformation dar. Da der St. Galler Stiftsbezirk territorial vom Stadtstaat, dieser seinerseits vom ländlichen Hoheitsgebiet der Abtei umschlossen war, war ein für beide einigermassen befriedigendes Verhältnis zwingend. Die Beziehungen funktionierten denn in der frühen Neuzeit auch leidlich. Eine Belastung stellte 1697 der sogenannte Kreuzkrieg dar, der ausbrach, weil die Katholiken bei Prozessionen ihre Kreuze aufrecht, statt wie vereinbart horizontal durch die Stadt in den Stiftsbezirk trugen. Die Auseinandersetzung konnte indes ohne Blutvergiessen beigelegt werden.

In der Landvogtei Rheintal kam die Fürstabtei mit den Eidgenossen und den Untertanen einigermassen zurecht, wenn auch das Nebeneinander von eidgenössischem Landesherr und Fürstabtei als grösster Grundherrin immer wieder zu Konflikten führte. Das Kloster hatte zu akzeptieren, dass das St. Galler Rheintal konfessionell gemischt war. Mit dem sogenannten Rheintaler Kommunell von 1676, das die Fürstabtei unter dem aus dem Rheintal stammenden Abt Gallus Alt und seinem Landshofmeister Fidel von Thurn mit den eidgenössischen Orten vereinbarte, konnte sie ihre Position im Rheintal festigen.

Ohne grössere Differenzen und Konflikte gestaltete sich auch das Verhältnis der Fürstabtei zur eidgenössischen Landvogtei Thurgau, in der das Kloster beträchtlichen Besitz hatte. Ihre thurgauischen Gerichte kontrollierte sie von der fürstäbtischen Statthalterei Wil und durch ihren Obervogt von Romanshorn aus. 1501 und um 1730 regelten beide Seiten die gemeinsamen Grenzen, die derjenigen zwischen den späteren Kantonen St. Gallen und Thurgau weitgehend entsprechen.

Im Toggenburg kam es im 17. Jahrhundert immer wieder zu Konflikten zwischen den Untertanen und der fürstäbtischen Herrschaft. Die Lage wurde brisant, als Abt Leodegar Bürgisser nach 1700 mit dem Bau der Hummelwaldstrasse über den Ricken begann, um eine bessere Verbindung zur katholischen Innerschweiz zu schaffen. Die Wattwiler verweigerten ihm den Gehorsam, der Konflikt zwischen der Fürstabtei und den in verschiedenen Belangen unzufriedenen Toggenburgern weitete sich aus und führte schliesslich 1712 zu einem Kampf von eidgenössischer Dimension, zum Zweiten Villmergerkrieg, auch Toggenburger- oder Zwölferkrieg genannt. Ab 1710 besetzten die Toggenburger drei fürstäbtische Schlösser und die Klöster Neu St. Johann sowie Magdenau. 1712 griffen die Zürcher und die Berner ein und besetzten die Alte Landschaft, den sankt-gallischen Thurgau und das Kloster selbst, welches sie plünderten. Sie erbeuteten unter anderem Bestände aus dem Archiv und der Bibliothek, die Bern nach dem Friedensschluss von Baden 1718 zurückgab, während zwischen Zürich und St. Gallen erst 2007 ein Kompromiss zustande kam. Fürstabt, Dekan und mehrere Mönche flohen in die Herrschaft Neuravensburg, wo sie für sechs Jahre lebten, weitere Konventualen hielten sich in anderen Klöstern auf. Nachdem Fürstabt Leodegar Bürgisser 1717 im Exil verstorben war, wurde Joseph von Rudolphi zum Nachfolger gewählt. Leodegar Bürgisser hatte 1714 einen in Rorschach ausgehandelten Friedensvertrag mit Zürich und Bern abgelehnt. Erst Fürstabt Joseph von Rudolphi schloss mit den beiden Orten im Juni 1718 den Frieden von Baden. Im Oktober 1718 konnte er wieder in sein Kloster einziehen. Durch den Vertrag wurden das Kloster wiederhergestellt und seine Territorien zurückerstattet. Die Fürstabtei hatte jedoch den Toggenburgern beträchtliche Rechte einzuräumen. Die Grafschaft blieb auch im 18. Jahrhundert unruhig. Insbesondere das Recht, die Mannschaft auszuheben, blieb zwischen dem Fürstabt und den Toggenburgern umstritten.

Das 18. Jahrhundert - neue Blüte und Ende

Fürstabt Joseph von Rudolphi gelang es, den an einem Tiefpunkt angelangten Klosterstaat zu reorganisieren. Seine Leistung im Wiederaufbau der Verwaltung, in dessen Rahmen auch das Archiv neu geordnet wurde, sein kluger und sparsamer Umgang mit der klösterlichen Ökonomie und die von ihm auch in der geistlichen Betreuung des Landes erreichten Verbesserungen waren beträchtlich. Der Konvent wuchs zahlenmässig wieder stark an. Sein Nachfolger Cölestin Gugger (1740-1767), einer der hervorragendsten in der Reihe der St. Galler Äbte, tilgte trotz seiner aufwendigen Bautätigkeit die Schulden der Fürstabtei und hinterliess gesunde Finanzen.

Auch Fürstabt Beda Angehrn (1767-1796) entfaltete eine vielfältige und erfolgreiche Tätigkeit und sorgte – vor allem durch Kornkäufe in der Lombardei während der Hungersnot von 1770-1771 – gut für sein Volk. Anders als seine beiden Vorgänger haushaltete er jedoch schlecht, und die Fürstabtei verschuldete sich immer stärker. Das Schuldenproblem war einer der Gründe für die Bildung einer oppositionellen Gruppe innerhalb des Konvents, die allgemein mehr Mitspracherecht bei fürstäbtischen Entscheidungen forderte. Der Widerstand blieb auch nach der Versetzung der Anführer in die Breisgauer Aussenstation Ebringen aktiv. In den 1790er Jahren sah sich Beda Angehrn mit den Auswirkungen der Französischen Revolution konfrontiert. Im Fürstenland entstand, von Gossau ausgehend und vom ehemaligen fürstäbtischen Postboten Johannes Künzle angeführt, eine revolutionäre Bewegung. Im November 1795, ein halbes Jahr vor seinem Tod, sah sich der Fürstabt genötigt, seinen Gotteshausleuten im Gütlichen Vertrag entgegenzukommen, indem er die Leibeigenschaft und weitere Feudalrechte abschaffte. Mit diesem Schritt liess sich jedoch die revolutionäre Entwicklung nicht mehr aufhalten. Beda Angehrns Nachfolger Pankraz Vorster (1796-1805) konnte den Untergang der Klosterherrschaft nicht verhindern. Noch vor der Besetzung der Ostschweiz durch die französischen Truppen brach die fürstäbtische Herrschaft im Februar und März 1798 im Toggenburg, im Fürstenland und im Rheintal zusammen. Anfang April wurde der Hauptteil der Fürstabtei in den neu gebildeten Kanton Säntis der Helvetischen Republik eingegliedert. Am 10. Mai 1798 rückten die Franzosen in St. Gallen ein und errichteten im Stift ihr Hauptquartier. Der Fürstabt floh nach Wien, nur einige Mönche blieben zur Aufrechterhaltung des Gottesdienstes im Kloster.

Zu Beginn des Zweiten Koalitionskriegs im Mai 1799 besetzte die österreichische Armee die Ostschweiz. Abt Pankraz Vorster zog wieder ins Kloster ein und strebte danach, die alte Klosterherrschaft wieder einzurichten. Ende September 1799 war die Restauration der Fürstabtei aber bereits wieder am Ende. Der Fürstabt floh erneut ins Exil und sollte nie mehr zurückkehren.

Als Napoleon mit der Mediationsakte die Schweiz neu föderalistisch ordnete, entstand 1803 der Kanton St. Gallen; die Mediationsakte garantierte zwar den Fortbestand der Klöster, bewahrte aber die Erhebung der ehemaligen Untertanengebiete zu gleichberechtigten Bundesgliedern. Doch Pankraz Vorster, der die Aufhebung des Klosters nie anerkannte und im Exil den Kampf um die Wiederherstellung seines Klosterstaats unermüdlich fortführte, weigerte sich, auf die Landeshoheit zu verzichten. Sein Gegenspieler, Karl Müller-Friedberg, einst hoher Beamter der Fürstabtei und nun die zentrale Figur im jungen Kanton, betrieb zielstrebig die Säkularisation des Klosters. Am 8. Mai 1805 beschloss der Grosse Rat des Kantons, den Besitz des Klosters St. Gallen zu liquidieren, was das Ende der Fürstabtei und auch die Aufhebung des Klosters bedeutete. Abt Pankraz Vorster setzte den Kampf um seine Fürstabtei noch jahrelang fort, so 1814-1815 am Wiener Kongress. 1823 akzeptierte der Heilige Stuhl die Aufhebung des Klosters und errichtete an seiner Stelle das Doppelbistum Chur-St. Gallen (bis 1836). Die Stiftskirche wurde zur Kathedrale erhoben.

Quellen und Literatur

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  • Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen
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  • SSRQ SG, 1903-
  • Chartularium Sangallense, 1983-
  • R. Henggeler, Professbuch der fürstl. Benediktinerabtei der hl. Gallus und Otmar zu St. Gallen, 1929
  • J. Duft, Die Glaubenssorge der Fürstäbte von St. Gallen im 17. und 18. Jh., 1944
  • A. Meier, Abt Pankraz Vorster und die Aufhebung der Fürstabtei St. Gallen, 1954
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  • W. Müller, Landsatzung und Landmandat der Fürstabtei St. Gallen, 1970
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  • HS III/1, 1180-1369
  • Die Kultur der Abtei St. Gallen, hg. von W. Vogler, 1990 (31993)
  • J. Duft, Die Abtei St. Gallen, 3 Bde., 1990-94
  • P. Robinson, Die Fürstabtei St. Gallen und ihr Territorium 1463-1529, 1995
  • Das Kloster St. Gallen im MA, hg. von P. Ochsenbein, 1999
  • St. Gallen: Gesch. einer literar. Kultur, hg. von W. Wunderlich, 2 Bde., 1999
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  • SGGesch., 9 Bde., 2003
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  • Fürstabtei St. Gallen: Untergang und Erbe 1805/2005, 2005
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  • A. von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jh., 2008
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Wolfgang Göldi; Ernst Tremp; Lorenz Hollenstein: "St. Gallen (Fürstabtei)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.03.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008394/2017-03-16/, konsultiert am 18.04.2024.