Altdorf (UR)

Altdorf aus der Vogelperspektive. Stich von L. Wagner, 1884 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Altdorf aus der Vogelperspektive. Stich von L. Wagner, 1884 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Politische Gemeinde des Kantons Uri. Das Dorf Altdorf liegt südlich des Urnersees (Vierwaldstättersee) und am östlichen Rand der Reussebene an der Transitachse über den Gotthardpass. Über dem steil ansteigenden Bannwald befindet sich auf einer Höhenterrasse die Streusiedlung Eggberge. Als Hauptort des Kantons Uri ist Altdorf Sitz der kantonalen Behörden und Verwaltung. Der alte Marktflecken entwickelte sich im 20. Jahrhundert zum Mittelpunkt der Industrie, die sich in der Reussebene ansiedelte. 1223 Alttorf, bei Topografen und Reiseschriftstellern des 16.-19. Jahrhunderts bisweilen Uri.

Altdorf (UR): Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.
Altdorf (UR): Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Altdorf

Jahr160016291650174317991837
Einwohnerca. 3 100ca. 1 500ca. 3 0003 025ca. 2 0001 903
       
Jahr 18501880a191019301950197019902000
Einwohner 2 1122 9063 8544 2406 5768 6478 2828 541
SpracheDeutsch 2 8443 6314 0176 2147 7577 2907 539
 Italienisch    41 161 177 252 659 315212
 Andere    21   62   46 110 231 677790
KonfessionProtestantisch  103 241 335 732 884 643614
 Katholisch 2 7913 6073 8995 8337 7306 9826 701
 Andere und konfessionslos   12     6     6   11   33 6571 226
 davon konfessionslos      182253
NationalitätSchweizer2 0882 7343 5153 9846 2367 6597 1587 145
 Ausländer   24 172 339 256 340 9881 1241 396

a Einwohner, Nationalität: Wohnbevölkerung; Sprache, Konfession: ortsanwesende Bevölkerung

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Altdorf -  Staatsarchiv Uri; Bundesamt für Statistik

Von der Ur- und Frühgeschichte zum Frühmittelalter

Auenwälder und Sumpfgebiete schränkten den fruchtbaren Boden ein. Verkehrsmässig hatte Altdorf vor der Entwicklung des Verkehrs über den Gotthardpass im Spätmittelalter nur eine Binnenstellung. Aus der Bronzezeit und sehr wahrscheinlich aus der späten Latènezeit stammen eine Bronzenadel und Eisengeräte aus dem Bannwald über dem Kapuzinerkloster. Mit der gallorömischen Bevölkerung vermischten sich ab dem 7. Jahrhundert zugewanderte Alemannen, deren ältestes Zeugnis ein in die Zeit um 670/680 datiertes Grab eines bewaffneten Reiters in der Pfarrkirche St. Martin ist. Damit begann ein langer Urbarisierungsprozess, in welchem sich die zuvor inselartigen Kulturflächen sowohl in unmittelbarer Siedlungsnähe wie auch in der Reussebene allmählich verdichteten.

Vom Hochmittelalter bis zur Helvetik

Siedlung und Wirtschaft

Spätestens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatte der Landesausbau in der Ebene das Reussufer erreicht. Neben der Hauptsiedlung Altdorf sind 1277 Utzingen, 1284 Hartolfingen, Magigen und Untereien als Weiler erwähnt. Die Eggberge dürften schon im 14. Jahrhundert besiedelt gewesen sein. Intensiv genutzt wurden damals vor allem die guten Böden im Matt-Gebiet westlich und südlich des Dorfes, während die Gegend entlang der Reuss grossenteils Allmend blieb. Bis ins 17. Jahrhundert bestand eine rege Zuwanderung, unter anderem von Walsern aus Bosco/Gurin.

In der Landwirtschaft herrschte Feldgraswirtschaft vor. Die Rinderhaltung war im Spätmittelalter vorrangig vor Kleinvieh und Getreidebau. Daneben wurden Reben, Obst- und Nussbäume, Hanf und Gemüse kultiviert und Fischerei betrieben. Wahrscheinlich um 1522 konnte Altdorf die ausschliessliche Nutzung eines grossen Teils der nahe gelegenen Allmend erwerben. Der Bannwald wurde von den Dorfleuten für den Eigenbedarf gemeinschaftlich genutzt. Der schon im 14. und dann im 17. Jahrhundert streng durchgesetzte Bann gewisser Waldpartien diente dem Schutz vor Steinschlag und Lawinen.

Das Dorf entwickelte sich aus zwei Mittelpunkten heraus: Um die frühmittelalterliche Kirche St. Martin entstanden die Pfrundhäuser, und in nächster Nähe befanden sich der Saal und der Turm im Winterberg, wahrscheinlich das ursprüngliche Verwaltungszentrum des Fraumünsters. Etwas weiter östlich lag die Gebreite mit der 1257 erstmals erwähnten Gerichtslinde, dem 1407 bezeugten Rathaus und dem Türmli, wo sich vermutlich auch der ursprüngliche Marktplatz entfaltete. Durch den vom Hafen in Flüelen herführenden Weg, der sich beim Rathaus in die Schmiedgasse (1437 erwähnt) und die Hellgasse (1508 erwähnt) verzweigte, erhielt das Dorf seine dreistrahlige Grundform. Vom 16. bis ins 18. Jahrhundert siedelten sich Magistraten- und Solddienstfamilien ausserhalb des Dorfkerns an den Strassen nach Flüelen, Bürglen und Schattdorf an. Dreimal (1400, 1693, 1799) wurde Altdorf durch grosse Brände zerstört. Nach 1693 liess die Gemeinde die Strassen verbreitern und begradigen; der Wiederaufbau erfolgte jedoch grösstenteils in Holzbauweise mit zum Teil steinbeschwerten Schindeldächern. Erst nach dem Brand von 1799 verlangte die Gemeinde den Wiederaufbau in Stein und Ziegeldächer.

Der Flecken vor dem Brand von 1799, Zierbild auf einem Gesellenbrief von 1785. Radierung von Karl Alois Triner (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Der Flecken vor dem Brand von 1799, Zierbild auf einem Gesellenbrief von 1785. Radierung von Karl Alois Triner (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).

Vom 13. Jahrhundert an ist in Altdorf eine Vielzahl von Handwerken und Gewerben nachgewiesen; die Gewerbeordnung von 1553 nennt 32 Berufe. Zünfte nach städtischem Vorbild waren unbekannt. Der sogenannte Dorfbach, ein spätestens im frühen 14. Jahrhundert erstellter Kanal, lieferte Brauchwasser für die Einwohner und das Gewerbe, trieb die Räderwerke der Mühlen, Sägereien usw. an und diente als Vorfluter für die Abwässer.

Altdorf war von unbekannter Zeit her ein offener Marktflecken ohne besondere Vorrechte gegenüber den anderen Urner Dörfern. Im 15. Jahrhundert sind regelmässige Wochen- und Jahrmärkte belegt, welche der regionalen Versorgung mit einheimischen und eingeführten Produkten dienten. Der Markt von Altdorf war auch als Zwischenhandelsstation für Wein, Vieh, Käse, Korn und Salz auf dem Gotthardweg bedeutsam. Daneben spielten vom Spätmittelalter an im Rahmen des Gotthardverkehrs die Säumerei und die Schifffahrt, für einzelne Soldunternehmerfamilien (Militärunternehmer) die fremden Dienste eine wachsende Rolle.

Die kommunale Gesellschaft, kirchliches und kulturelles Leben

Mit der Schenkung des Pagellus Uroniae durch König Ludwig den Deutschen waren die Altdorfer 853 zehntpflichtige Gotteshausleute des Zürcher Fraumünsters geworden. Sie besassen teils eigene Güter, teils sassen sie auf abgabepflichtigen Kloster- oder Widemgütern. Im 13. Jahrhundert sind auch Adelsfamilien überliefert, welche selber in Altdorf wohnten oder durch Gefolgsleute und Grundbesitz vertreten waren, so die von Rapperswil, von Utzi(n)gen, von Hasenburg, Schauensee, vom Turn und von Attinghausen. Die meisten dieser Geschlechter verschwanden im 13. und 14. Jahrhundert aus Uri. Verschiedene grundherrliche Rechte gingen noch im 13. Jahrhundert von Adligen auf Klöster über, z.B. an Wettingen. Die Meier und Ammänner der geistlichen Grundherrschaften hatten eine hervorragende soziale und wirtschaftliche Stellung inne. Der Auskauf der geistlichen grundherrlichen Rechte 1359 durch das Land Uri und der Übergang der Zehntrechte des Fraumünsters an Altdorf 1428 förderten den ständischen Ausgleich unter den Kirchgenossen. Rechtlich hoben diese sich im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit von den benachteiligten Hintersassen ab. Sozial entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert eine sich zusehends abschliessende Gruppe von Urner Solddienst- und Magistratenfamilien, die vom 17. Jahrhundert an mit wenigen Ausnahmen in Altdorf wohnhaft waren und in Politik, Wirtschaft und Kultur eine dominierende Stellung einnahmen.

Erstes Zeugnis christlichen Glaubens ist der aus der Zeit um 670/680 stammende älteste Bau der Pfarrkirche St. Martin. Zur Landespfarrei gehörten neben Altdorf auch Erstfeld, Attinghausen sowie sämtliche Ortschaften am Urnersee. Durch die Schenkung von 853 kam zweifellos auch St. Martin mit Widem und Zehntrechten an das Fraumünster. Das Patronatsrecht wurde von der Äbtissin ausgeübt, welche 1244 vom Bischof von Konstanz die volle Inkorporation erlangte. Neben dem Kirchherrn bzw. Leutpriester ― die Namen sind ab 1225 bekannt ― sind schon im 13. Jahrhundert Vikare nachgewiesen. 1317 wurde die Liebfrauen- oder Frühmesserpfründe gestiftet. 1428 ging die Pfarrwahl vom Fraumünster an die Kirchgenossen über. Mit dem freiwilligen Verzicht des Zürcher Rats auf das der Abtei verbliebene Kollaturrecht wurden die Altdorfer Kirchgenossen 1525 faktisch zu Patronatsherren. Durch weitere Stiftungen entstanden 1548-1785 neun Familienpfründen. Von der Pfarrei Altdorf lösten sich seit 1387 neun Tochterpfarreien.

Die katholische Reform hatte infolge des Einflusses von Kardinal Karl Borromäus in Altdorf einen Stützpunkt. 1581 wurde das Kapuzinerkloster (Kapuziner), 1677 das Franziskanerinnenkloster zum Oberen Heiligen Kreuz gegründet (Franziskusorden). Zur Zeit der barocken Frömmigkeit entstanden mehrere religiöse Bruderschaften. Neuartig war im 17. Jahrhundert die Vita devota Altorfensis oder Devotio Michelina, eine mystische Frömmigkeitsbewegung. Zwischen 1542 und 1731 residierten acht päpstliche Nuntien und zwei spanische Gesandte in Altdorf. Dem Klerus gegenüber zeigten die Kirchgenossen eine betont staatskirchliche Haltung.

Dem ersten Saalbau (?) von St. Martin folgte im 9./10. Jahrhundert eine zweite, dreischiffige Kirche, welche wahrscheinlich noch im 14. Jahrhundert durch einen grossen und repräsentativen gotischen Bau abgelöst wurde. Anfang des 17. Jahrhunderts erfolgte ein Umbau im Stil der Renaissance und des Frühbarock. Nach dem Dorfbrand 1799 wurde das Gotteshaus im klassizistischen Stil wieder aufgebaut. Die Sakrallandschaft bereichern die 1570 erbaute St. Jakobskapelle, das 1596 errichtete Beinhaus, die Zwyerkapelle von 1599, die um 1615 geweihte Kapelle St. Karl zum Oberen Heiligen Kreuz, gefolgt nach der Pest von 1629 von derjenigen vom Unteren Heiligen Kreuz und 1657 von der Ölbergkapelle.

Krönung der Jungfrau. Ausschnitt aus dem 1629 von Gedion Gesner gemalten Altarbild (St. Karl, Altdorf) © Photohaus Casagrande, Binningen.
Krönung der Jungfrau. Ausschnitt aus dem 1629 von Gedion Gesner gemalten Altarbild (St. Karl, Altdorf) © Photohaus Casagrande, Binningen. […]

Schon im 15. Jahrhundert entstanden Gesellschaften und Bruderschaften, welche teils überdörflich organisiert und von zunftähnlichem Charakter waren und vereinzelt bis heute bestehen. Ein Schulmeister ist erstmals 1472 mit Johannes Bürgler erwähnt. Die älteste Schulordnung datiert von 1579. Danach war die Schule von Altdorf eine Landesschule, an der auch Latein unterrichtet wurde. Sie führte unter anderem Theater auf, welche spätestens seit 1512 mit dem Urner Spiel vom Tell Tradition haben. Ab 1697/1704 konnten die Mädchen die Klosterschule der Franziskanerinnen besuchen. Die gehobene Kultur der Magistratenfamilien ab dem 16. Jahrhundert zeigt sich beispielhaft im spätgotischen Familiensitz Jauch mit Treppengiebel (um 1550) und im reich ausgestatteten Haus im Eselmätteli (17./18. Jahrhundert). Die kirchliche Kultur präsentiert sich am eindrücklichsten im Kirchenschatz von St. Martin, zu dem verschiedene Goldschmiede von Altdorf ihre Werke beigesteuert haben.

Verfassung, dörfliche Einrichtungen und politisches Leben

Erstmals 1366 tritt die Gemeinde der dorfflütt von Altdorf bei der Durchsetzung alter Nutzungs- und Bannrechte im Bannwald in Erscheinung. Die 1428 vom Zürcher Fraumünster erhaltenen Rechte stärkten die Gemeinde wesentlich. Seit 1522 sind Protokolle und Satzungen überliefert. Aus ihnen stellte Dorfschreiber Johann Jakob Püntener 1684 das sogenannte Dorfbüchlein zusammen, aus welchem die Ordnung von Altdorf hervorgeht: Oberste Instanz war die Dorfgemeinde, das heisst die Versammlung der Dorfgenossen unter Ausschluss der Hintersassen. Das Dorfgericht (später der Gemeinderat) bestand aus dem Dorfvogt, dem Seckelmeister, sechs weiteren Mitgliedern, Schreiber und Weibel. Verschiedene dörfliche Beamte, unter denen der Kirchenvogt der wichtigste war, stellten das Funktionieren des Gemeinwesens sicher.

Das Fremdenspital, aus einer Stiftung von 1437 hervorgegangen, wurde um 1551 von der Gemeinde neu erbaut und 1584 mit einer ewigen Mussspende für Arme dotiert. Es diente einheimischen Kranken und vor allem armen und kranken Durchreisenden als Herberge und Pflegestätte. 1636 erstellte Altdorf wohl bei der St. Jakobskapelle ein Siechenhaus. Die Dorfleute hatten spätestens im 16. Jahrhundert das Recht, im Heilbad Moosbad zu kuren. Das Trinkwasser wurde von den meisten Liegenschaften aus den fünf, überwiegend in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erstellten öffentlichen Brunnen geschöpft. Daneben gab es verschiedene private Wasserleitungen. An den Gemeingütern des Landes Uri (Gärten, eingeschlossene Allmend, Scheit- und Bannwälder) hatte Altdorf verschiedene Sondernutzungsrechte. Altdorf oblag mit den Gemeinden Attinghausen und Erstfeld die Verwaltung der sogenannten Rinderhirte (Rinderalp) Surenen. Gegen die Hochwasser von Reuss und Schächen wurden Wuhrgenossenschaften geschaffen, für welche die Gemeinde die Wuhrmeister bezeichnete und Beiträge zahlte. Zur Vorbeugung vor Feuersbrünsten patrouillierte nachts eine Föhnwache. Die Föhnwachtordnung wurde 1631 erneuert. Nach dem Dorfbrand von 1693 erstellte die Gemeinde ein besonderes Wachthaus beim Kapuzinerkloster.

Innerhalb des Landes Uri bildete Altdorf eineinhalb Genosssamen und stellte deshalb neun Vertreter im Landrat (Sechziger). Ausgeprägter war das Übergewicht des Hauptorts in der Exekutive: Die wichtigsten Landesämter wurden zwischen 1650 und 1847 fast ausnahmslos von den Altdorfer Magistratenfamilien beansprucht. Damit bestand zwischen dem Hauptort und den ländlichen Gebieten ein Spannungsfeld, das vor und während der Helvetik eine merkliche Aufladung erfuhr. In dieser Zeit begannen verschiedene Mitglieder der alten Solddienstaristokratie und der vermögenden Kaufmannschaft das aufklärerische Gedankengut zu rezipieren und sympathisierten offen mit der Helvetischen Republik.

Das 19. und 20. Jahrhundert

Wirtschaft und Verkehr

Die Verbesserung der Transportwege (fahrbare Gotthardstrasse 1830, Gotthardbahn 1882, A2 Flüelen-Erstfeld 1973) minderte die Bedeutung Altdorfs als Markt- und Etappenort im Gotthardverkehr. Dagegen stiegen die Möglichkeiten der Industrie.

Die Fabrik der Schweizerischen Draht- und Gummiwerke AG. Fotografie von Michael Aschwanden, um 1915 © Foto Aschwanden AG, Altdorf.
Die Fabrik der Schweizerischen Draht- und Gummiwerke AG. Fotografie von Michael Aschwanden, um 1915 © Foto Aschwanden AG, Altdorf. […]

Die landwirtschaftliche Nutzfläche wurde durch die Reussverbauung (1850-1863) und die Melioration der Reussebene (1919-1924) ausgeweitet. Schwergewichtig wurde Feldgraswirtschaft betrieben: 1906 entstand die Viehzucht-, 1919 die Milchverwertungsgenossenschaft, 1910 die Viehversicherung. Vor der Eröffnung der Gotthardbahn deckten mehrere kleinere Gewerbebetriebe entlang des Dorfbachs den regionalen Bedarf. Eine grössere Zahl von Heimarbeiterinnen betrieb Seidenkämmelei und Baumwollspinnerei für auswärtige, unter anderem in Gersau sesshafte Textilunternehmer. Nach der Inbetriebnahme der Gotthardbahn (1882) und des Elektrizitätswerks Altdorf (1895) wurden verschiedene Industriebetriebe gegründet, vorwiegend solche der Textil- und der Holzverarbeitungsbranche. Die meisten überdauerten nur kurze Zeit. Länger Bestand hatten die Eidgenössische Munitionsfabrik (1895, Schweizerische Munitionsunternehmung, bis 2007) und die Dätwyler AG (1915, v.a. Kabel, Gummiprodukte, Bodenbeläge). Weitere wichtige Firmen sind die Bandweberei Streiff (1945) sowie die Merck & Cie. KG (1969, Chemie, Pharma). Die Hotellerie wurde durch bequeme Fahrstrassen (Axen 1864, Klausen 1900) gefördert. Nach dem Bau einer Luftseilbahn (1955) entwickelten sich die Eggberge zum Ferien- und Wintersportgebiet. Die Konzentration von Detailhandel, Banken, Versicherungen und der Kantonsverwaltung in Altdorf widerspiegelt, ebenso wie die Pendlerstatistik (1990 54% Zu-, 35% Wegpendler), dessen Bedeutung als regionales Dienstleistungszentrum.

In der Erwerbsstatistik kommen die wirtschaftlichen Strukturveränderungen im 20. Jahrhundert zum Ausdruck: 1930 zählten 17% der Arbeitsplätze zum 1., 53% zum 2., 30% zum 3. Sektor. Das Wachstum des Dienstleistungssektors und die Schrumpfung zunächst des Agrar-, dann des Industriesektors schlagen sich in den Zahlen von 1980 (3% im 1., 52% im 2., 45% im 3. Sektor) und 1990 (2% im 1., 39% im 2., 59% im 3. Sektor) nieder.

Siedlung, Gesellschaft, Kultur und Bildung

Von der Franzosenzeit erholte sich die Bevölkerung nur zögernd; ihre Zahl erreichte erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts wieder den Stand vor 1799. Danach wuchs sie dank dem gefestigten Gewerbe rasch an. Arbeitskräfte wanderten vor allem aus den anderen Gemeinden des Kantons zu. Der Bau der Gotthardbahn (1872-1882) brachte eine zusätzliche Zuwanderung, insbesondere aus Innerschweizer Kantonen und aus Italien. Nach Abschluss des Bahnbaus hielt mit der fortschreitenden Industrialisierung die Zuwanderung an, die Zahl der Eingesessenen hingegen stagnierte.

Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts präsentierte sich Altdorf als weitgehend geschlossener Flecken. 1834 umfasste die Gemeinde 153 meist steinerne Gebäude, 1900 351 Häuser mit 665 Haushaltungen und ca. 250 landwirtschaftliche Gebäude. Die um 1880 erbaute Bahnhofstrasse und die 1906 eröffnete Strassenbahn Altdorf-Flüelen verbanden den Dorfkern mit den Bahnstationen. Nach 1900 weitete sich die Bautätigkeit den Strassenzügen entlang über die Kernzone aus. In neuerer Zeit entstanden verschiedene Wohnquartiere, Industrie- und Lagerzonen (Eidgenössisches Getreidemagazin). Noch um 1900 besassen die meisten Altdorfer ein eigenes Haus mit Garten. Im 20. Jahrhundert nahm die Zahl der Mietwohnungen stark zu. 1950 standen in Altdorf 701 Häuser mit 1471 Wohnungen bzw. 1498 Haushaltungen. Eine grossräumige Scheidung von Wohn-, Gewerbe- und Industriezone kennt Altdorf nicht. Ende des 20. Jahrhunderts herrschte im Dorfkern der Trend vor, Geschäfts- und Büroräume zu Lasten der Wohnungen auszuweiten. Eine moderne Bauordnung besteht seit 1942, ein Zonenplan seit 1975.

Bezüglich der Vermögensverhältnisse wird 1834 berichtet, dass 20'000-30'000 Gulden ein grosses Vermögen, 100'000 Gulden eine Seltenheit darstellten. Die Einkommens- und Vermögenssteuer-Statistiken von 1922 und 1957 geben Einblick in die finanziellen Verhältnisse der Haushalte: Sie weisen auf eine leichte Verringerung des wirtschaftlichen Gefälles und ein relatives Wachstum der Mittelschicht hin. Um 1990 betrug das durchschnittliche Einkommen der steuerpflichtigen Altdorfer 122%, das durchschnittliche Vermögen 154% des kantonalen Mittels.

Fasnachtsumzug in Altdorf, 27. Februar 1927. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 34a; Konsultativkopie Memobase ID CS-14_1_1).
Fasnachtsumzug in Altdorf, 27. Februar 1927. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 34a; Konsultativkopie Memobase ID CS-14_1_1). […]

Die soziale Schichtung der Bevölkerung kannte nach 1800 keine scharfen Trennlinien. Nur für Hintersassen ohne Landrecht, zu denen vor allem die Knechte und Mägde, oft auch gewisse Handwerker und Gesellen gehörten, war ein sozialer Aufstieg bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts kaum möglich. Die Oberschicht bestand auch nach der Helvetik fast ausschliesslich aus Vertretern der Solddienstaristokratie des Ancien Régime, die als kapitalkräftige Kreditgeber beim Volk weiterhin grossen Einfluss ausübten. Unternehmerischer Geist war ihnen hingegen weitgehend fremd. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie ergänzt und allmählich abgelöst von erfolgreichen Spediteuren, Händlern und Wirten. Auch akademisch Gebildete (Juristen, Ingenieure, Ärzte) stiegen in führende Stellungen auf. Im 20. Jahrhundert kamen Vertreter von Industrie und Gewerbe sowie kantonale Chefbeamte hinzu. Die Mittelschicht setzte sich aus Beamten, gut situierten Handwerkern, Säumern (bis 1882) und Bauern zusammen, zu denen sich im 20. Jahrhundert Detaillisten und Angestellte gesellten. Die Unterschicht, zahlenmässig die grösste Gruppe, war schon im 18. Jahrhundert vor allem von Subsistenzkrisen existentiell bedroht gewesen. Zu ihr gehörten Kleinbauern, Taglöhner und Gesellen. Die Helvetik mit den umfangreichen und aufwendigen Einquartierungen und dem verheerenden Dorfbrand von 1799 stürzte Viele ins Elend. Anfang des 19. Jahrhunderts war jeder sechste Urner, darunter mancher Altdorfer, unterstützungsbedürftig. Der Rückgang der Heimarbeit, die gehäuften Überschwemmungen und die Modernisierung im Transportwesen (zu Lasten der Säumer und Kleinkarrer) nach Eröffnung der Fahrstrasse über den Gotthard (1830) hemmten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Verbesserung der Zustände. 1843 waren 292 Einwohner (15,3%) unterstützungsbedürftig, 1890 noch deren 220 (7,5%). Erst die Industrialisierung bot nach 1900 der Unterschicht eine sicherere Existenzgrundlage.

Soziale und wirtschaftliche Ziele wurden öfters auf Vereins- und Genossenschaftsbasis angestrebt. So entstanden 1880 der Krankenunterstützungsverein und die Suppenanstalt für Kinder, 1906 der Konsumverein Altdorf und Umgebung, 1908 die Pro Altdorf, welche das Kleingewerbe gegen Grossverteiler zu schützen versuchte, 1913 die katholische Krankenpflegestation, 1945 die Wohnbaugenossenschaft Pro Familia und 1958 die protestantische Krankenpflegestation. Quartiervereine bildeten sich auf dem Lehn (1783, 1888 neu organisiert) und in der Hellgasse (1856).

Schulhäuser entstanden 1811 auf dem Josefsplatz, 1915 an der Bahnhofstrasse, nach dem Zweiten Weltkrieg im Hagenbezirk und beim Frauenkloster. Die Knabenschule wurde 1846-1974 von Marianisten geführt. Seit 1862 unterrichten die Lehrschwestern von Menzingen in Altdorf. Im gleichen Jahr wurde die Sekundarschule eingeführt. Von Gewerbe- und Handelskreisen wurde 1883 eine gewerbliche Fortbildungs- und 1911 eine kaufmännische Berufsschule gegründet. Das Mittelschulwesen wurde 1906 vollständig in das neu gegründete kantonale Kollegium Karl Borromäus verlegt.

Auch der Klerus engagierte sich neben der Seelsorge stark in schulischen und sozialen Belangen. 1968 entstand die Kapelle auf den Eggbergen, 1969 folgte die Kirche Bruder Klaus. Die Reformierten hielten seit 1911 regelmässig Gottesdienst in Altdorf und errichteten 1924 eine Kirche samt Pfarrhaus. Sie gehören seit 1885 zur neu gegründeten reformierten Kirchgemeinde Uri und besitzen eine eigene Kirchenpflege. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind zahlreiche kirchliche Standesvereine entstanden.

Ausdruck des kulturellen Schaffens im späten 19. Jahrhundert sind das 1895 enthüllte Telldenkmal von Richard Kissling und die 1898 gegründete Tellspielgesellschaft. Einen bedeutsamen Akzent setzte ab 1925 das Kino Leuzinger. Sakral-, Blasmusik und Gesang (Gesangsvereine) werden in Altdorf seit dem frühen 19. Jahrhundert aktiv gepflegt.

Das 1895 eingeweihte Bronzedenkmal von Wilhelm Tell. Fotografie, 1995 (Heinz Dieter Finck)
Das 1895 eingeweihte Bronzedenkmal von Wilhelm Tell. Fotografie, 1995 (Heinz Dieter Finck) […]

Entwicklungen im politisch-administrativen Bereich

1913 schieden sich die Einwohner-, Kirch- und Bürgergemeinde von Altdorf aus. Da Altdorf in der kantonalen Regierung oft übervertreten war, beschränkte die Kantonsverfassung von 1888 die Zahl der Regierungsräte pro Gemeinde auf maximal drei. Organisierte politische Gruppen und Parteien entstanden mit dem Grütliverein (1881), der fortschrittlichen-demokratischen Gruppe (1892, Vorgängerin der Freisinnig-Demokratischen Partei, FDP), den Sektionen Altdorf der Konservativen Partei (1900/1901, heute Christlichdemokratische Volkspartei, CVP) und der Sozialdemokratischen Partei (SP, 1908). An Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften entstanden unter anderen 1886 der Handwerker- und Gewerbeverein Altdorf und Umgebung, Sektionen des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbands (Smuv, 1916), des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbands (1927), des Christlichen Metallarbeiter-Verbands (1932) sowie 1941 die Gewerkschaft christliches Verkehrspersonal Altdorf/Flüelen. Eine bleibende Druckerei erhielt Altdorf erst 1826. Wichtige Zeitungen wurden 1838-1848 das Wochenblatt von Uri, 1849 das Amtsblatt des Kantons Uri, 1875 das Urner Wochenblatt, 1892 die Gotthard-Post und 1973 die Alternative. Das Gemeindehaus stand 1867-1915 in der Schützengasse (heute Tellspielhaus), seither am Gemeindehausplatz. Das Fremdenspital verlor nach Eröffnung des Kantonsspitals 1872 an Bedeutung und wurde 1878 mit dem Armengut zusammengelegt. 1805 entstand auf privater Basis eine Armenpflege. Sie erbaute 1848 ein grosses Bürgerheim, welches 1853 kommunalisiert wurde und 1982 im regionalen Alters- und Pflegeheim Rosenberg aufging. 1888 wurde eine leistungsfähige Wasserversorgung aufgebaut. Die Wuhrpflicht an Reuss und Schächen ging schrittweise an den Kanton über. Den Steinschlagverbauungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Bannwald folgten in jüngster Zeit mit Schutzverbauungen kombinierte Walderschliessungsstrassen. 1902-1904 baute der Bund auf der Landleutematte ein neues Postgebäude, nachdem schon 1853 der Telegraf und 1884 ein erstes Telefonnetz eingerichtet worden waren. 1964 bzw. 1969 wurden die Abwasserreinigungsanlagen Altdorf (mit regionalem Einzugsgebiet) und Eggberge erstellt. 1978 nahm das von der Gemeinde mitgetragene regionale Schwimmbad Moosbad den Betrieb auf.

Quellen und Literatur

  • Gemeindearchiv Altdorf, Altdorf.
  • Pfarrarchiv Altdorf, Altdorf.
  • Staatsarchiv Uri, Altdorf, Archiv der Armenpflege.
  • Müller, Carl Franz (Hg.): Das Dorfbüchlein des Fleckens Altdorf. Gesetze und Ordnungen für Altdorf. Durch Johann Jakob Büntiner, 1954.
Von der Redaktion ergänzt
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
1223: Alttorf

Zitiervorschlag

Hans Stadler: "Altdorf (UR)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000690/2021-01-15/, konsultiert am 29.03.2024.