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Fleurier

Ehemalige politische Gemeinde des Kantons Neuenburg, Bezirk Val-de-Travers, bildet seit 2009 mit Les Bayards, Boveresse, Buttes, Couvet, Môtiers (NE), Noiraigue, Saint-Sulpice (NE) und Travers die neue Gemeinde Val-de-Travers. Grosses Dorf am Zusammenfluss von Areuse, Buttes und Fleurier und an der Kreuzung der drei Strassen Buttes-Sainte-Croix, Les Bayards-Les Verrières-Pontarlier (Verbindung mit Frankreich) und Couvet-Travers-Neuenburg. 1284 Flurye. 1340 54 Feuerstellen (ca. 270 Einwohner); 1750 460 Einwohner; 1800 840; 1850 1770; 1900 3746; 1950 3413; 1970 4124; 2000 3761.

Postkarte, gezeichnet von J.H. Guinchard und herausgegeben vom Office de photographie Attinger, 1899 (Musée d'art et d'histoire Neuchâtel).
Postkarte, gezeichnet von J.H. Guinchard und herausgegeben vom Office de photographie Attinger, 1899 (Musée d'art et d'histoire Neuchâtel). […]

Fleurier war vom 14. Jahrhundert bis 1848 Teil der Kastlanei Vautravers und gehörte zur Korporation der Six Communes des Val-de-Travers, die wirtschaftliche Interessen wahrnahm. Die Gemeinde organisierte sich ab dem 16. Jahrhundert: 1517 erhielt sie die Mühle von Le Pont de la Roche verliehen, 1584 wurde die Schützengesellschaft gegründet. 1813-1814 zogen die alliierten Truppen durch Fleurier und im Februar 1871 die internierten Soldaten der Bourbakiarmee. Mehrere Gemeindemitglieder nahmen an den Unruhen von 1831, an der Revolution von 1848 und an der Unterdrückung des Staatsstreichs der Neuenburger Royalisten von 1856 teil.

Vom Mittelalter an gehörte Fleurier zur Pfarrei von Vautravers, bis 1710 eine eigene Kirchgemeinde geschaffen wurde. 1621 wurde ein kleines Gebäude für den Gottesdienst, die Schule und den Gemeindebackofen gebaut, 1675 eine Kapelle, die 1703 neu errichtet wurde. Die heutige Kirche stammt aus dem Jahr 1827; 1900 erhielt sie einen neuen Kirchturm mit Spitzhelm. Die 1858 gebaute und 1972 erneuerte katholische Kirche wurde zum Zentrum der 1865 gegründeten katholischen Pfarrei Val-de-Travers. 1873-1943 war Fleurier auch Kirchgemeinde der Eglise indépendante (evangelische Freikirche), die 1886 eine Kapelle errichtete.

Im 19. Jahrhundert wurden Strassenverbindungen zu den umliegenden Gemeinden und Gebieten geschaffen: 1812 zu Môtiers, 1838 zu Les Bayards und Les Verrières, 1843 zu Sainte-Croix, 1857 zu Buttes und 1877 zum Bahnhof von Boveresse und La Brévine. Von 1860 bis 1883 diente der Bahnhof von Boveresse an der Franco-Suisse-Linie auch Fleurier, das seit 1883 eine Haltestelle der Regionalbahn des Val-de-Travers (RVT) zwischen Travers und Saint-Sulpice und seit 1886 Ausgangsort der Verzweigung nach Buttes sowie Verwaltungs- und Wartungssitz des RVT ist. Fleurier ist das Schulzentrum des Val-de-Travers mit einer ab 1862 kommunalen und seit 1958 regionalen Sekundarschule, einem 1895-1949 bestehenden Lehrerseminar und seit 1949 einem Gymnasium (seit 1999 Untergymnasium), einer 1851-1985 existierenden Uhrmacher- und Mechanikerschule und einer 1930-1994 bestehenden Gewerbeschule. 1859-1971 spielte die Museumsgesellschaft von Fleurier die Rolle des Verkehrsvereins; danach wurde sie regionalisiert und nach Môtiers verlegt. Die Gesellschaft baute eine der ersten Badeanstalten der Schweiz (1866-1959) und erschloss ab 1871 die Schlucht von Poëta-Raisse. Fleurier hat ein Heim mit ärztlicher Betreuung (1989 umgebautes Spital und Pflegeheim aus dem Jahr 1868) und seit 1967 ein Altersheim. 1967-1980 wurde eine Gesamtmelioration durchgeführt und 1974 die Kläranlage eingeweiht.

Bis Mitte des 18. Jahrhunderts war Fleurier abgesehen von einer kleinen Eisenmine (1682-1692) ein bescheidenes Bauerndorf. Eine Getreidegenossenschaft (Aktiengesellschaft) sicherte 1792-1831 die Versorgung mit Brotgetreide und liess einen Kornspeicher bauen (1795-1842). Der Aufschwung von Fleurier begann mit der Einführung von zwei nach dem Verlagssystem organisierten Gewerbezweigen: der bereits Ende des 17. Jahrhunderts erwähnten Spitzenklöpplerei (1794 etwa 300 Klöpplerinnen, 1813 315, 1823 291) und der Uhrmacherei, die um 1730 von David-Jean-Jacques-Henri Vaucher eingeführt wurde. Darauf verdoppelte sich die Bevölkerung bis Anfang des 20. Jahrhunderts alle fünfzig Jahre. Als die Mechanisierung der Spitzenherstellung zu einer Krise führte, entstand 1827 eine erste Manufaktur, die bis 1839 Lederhandschuhe herstellte. Neben vielen kleinen Werkstätten wurden mehrere Dutzend Manufakturen und Fabriken eröffnet, unter anderem eine Ziegelfabrik (1840-1870), eine Druckerei, die den "Courrier du Val-de-Travers" (1854) herausgab, ein Labor zur Herstellung pflanzlicher Heilmittel (1858-1896), acht Absinth-Brennereien (1870-1910), ein Gaswerk (1874-1964), eine Tabakmanufaktur (1878), eine Streichholzfabrik (1890-1937), eine Uhrenglasfabrik (1906-1931), eine Konfektionsfabrik (1907-1954), eine Fahrradfabrik, in der ab 1914 die Marke Allegro produziert wurde, eine Wirk- und Strickwarenfabrik (1931-1977), eine Fabrik für Batteriebehälter aus Ebonit (1938) und ein Labor für kosmetische Produkte (1979). Der weitaus wichtigste Zweig aber war trotz aller Diversität von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1970er Jahre die Uhrenindustrie und die mit ihr verbundenen Gewerbe (Herstellung von Rohfassungen, Trieb- und Unruhfedern, Zeigern, Gehäusen, Zifferblättern, Fräsen, Uhrbändern, ferner Vergoldung, Versilberung, Vernickelung). 1750 arbeiteten in Fleurier 16 Uhrmacher, 1794 88, 1850 340, 1866 634, 1900 629 (in 142 Werkstätten, Manufakturen und Fabriken), 1910 695, 1927 559, 1935 367, 1948 272, 1970 560 und 1990 etwa 100. Fleurier war von 1822 bis 1910 eines der wichtigsten Produktionszentren der sogenannten chinesischen Uhr, die von den Unternehmen Bovet, Vaucher, Dimier und Juvet in den Fernen Osten exportiert wurde. Der aus Fleurier stammende Charles-Edouard Guillaume, 1920 Nobelpreisträger für Physik, war der Erfinder von zwei Legierungen, dank denen die von der Ausdehnung des Pendels verursachten Störungen der Ganggenauigkeit von Pendeluhren und Pendelchronometern behoben werden konnten. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war Fleurier ein beliebter Erholungsort und zählte etwa zehn Hotels und Pensionen. 2000 bot der Dienstleistungssektor fast zwei Drittel der Arbeitsplätze in Fleurier

Quellen und Literatur

  • H. Jéquier, Le Val-de-Travers, comté de Neuchâtel, des origines au XIVe siècle, 1962
  • Kdm NE 3, 1968, 94-105
  • F. Jequier, Une entreprise horlogère du Val-de-Travers, 1972
  • E.-A. Klauser, Fleurier, 1284-1984, 1984
  • B. Sorgesa Miéville, De la société traditionnelle à l'ère industrielle, 1992
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Eric-André Klauser: "Fleurier", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.10.2016, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002877/2016-10-25/, konsultiert am 11.04.2024.