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HelvetiaAllegorie

Personifizierte weibliche Repräsentationsfigur der Schweiz, die auch in der bloss begrifflich-verbalen Variante – zum Beispiel als Landesbezeichnung auf den Briefmarken – bekannt ist. Für die bildliche Darstellung lassen sich zwei Typen festmachen. Die symbolisch weniger aufgeladene, allegorische Variante, die sich nur auf den geografischen Raum der Schweiz bezieht, unterscheidet sich bis zu einem gewissen Grad von der politischen, welche die Nation und den Staat repräsentiert. In beiden Fällen werden bestimmte semantische Inhalte durch zusätzliche Bezeichnungen, bildliche Attribute, Kontextfiguren usw. zum Ausdruck gebracht. Paradoxerweise besteht zwischen den einzelnen europäischen Länderpersonifikationen eine auffallende Ähnlichkeit, so dass die nationalen Allegorien nur durch ihre Attribute als solche erkennbar sind.

Frontispiz der von Johann Jacob Leu 1721 in Zürich veröffentlichten Ausgabe von Josias Simlers Werk Von dem Regiment der Lobl. Eÿdgenoßschafft (Zentralbibliothek Zürich).
Frontispiz der von Johann Jacob Leu 1721 in Zürich veröffentlichten Ausgabe von Josias Simlers Werk Von dem Regiment der Lobl. Eÿdgenoßschafft (Zentralbibliothek Zürich). […]

In der geografischen Variante werden mit Hilfe der Darstellung von Landesprodukten wie Früchten und Käse mehrheitlich die Produktivität und der Reichtum (etwa den klassischen utilitas und abundantia entsprechend) veranschaulicht. In der politischen Variante sind es Waffen aller Art, aber auch der Lorbeerkranz und weiterer Schmuck, die Tugenden wie Wachsamkeit, Unerschrockenheit, Freiheits- und Friedensliebe sowie Eintracht (vigilantia, fortitudo, libertas, pacificatio, concordia) in Erinnerung rufen. Als Gegenbild werden zuweilen, vor allem vor dem Hintergrund des Söldnerwesens, die Gefahren der Laster, insbesondere der Gier (aviditas) und der Wollust (voluptas), gezeigt. Die Kategorie der Helvetia verwendend, finden sich barocke Gegenüberstellungen von positiven und negativen Zuständen helvetischen Seins, so auf Albrecht Kauws Ölgemälde von 1672 mit der Darstellung der kritisch gesehenen Helvetia moderna – im Gegensatz zur vorbildlichen, im Bild jedoch nicht gezeigten Helvetia antiqua. Johann Caspar Weissenbach stellte die «auff- und abnemmenden Jungfrawn Helvetiae» in seinem 1672 entstandenen, die Dekadenz beklagenden und die Gesundung fordernden Drama «Eydgnosssisches Contrafeth» einander gegenüber. Dieses Muster lebte in den Festspielen des 19. Jahrhunderts fort, etwa im Stück «Helvetia» (1895) von Pfarrer Heinrich Weber. Den politischen Gehalt der frühen Helvetia-Darstellungen sollte man nicht unterschätzen. Da im Gegensatz zu den intensiv gepflegten Repräsentationsformen der einzelnen eidgenössischen Stände jene der Gesamteidgenossenschaft noch schwach entwickelt war, wurde die Helvetia schon im 17. Jahrhundert als allegorische Figur schweizerischer Staatlichkeit verwendet.

Im 18. Jahrhundert erfuhr die Helvetia eine weitere Aufwertung. Sie musste ihre Position und Funktion nun nicht mehr mit männlichen Figuren – dem nicht weiter individualisierten Krieger oder Tell – teilen, sondern nahm jetzt als thronende Einzelfigur den Platz im Bildzentrum ein. Das Veranschaulichungsbedürfnis des aufklärerischen Republikanismus räumte der Frauenfigur breiten Raum ein. Nicht jede antike Frauengestalt ist jedoch eine Helvetia. In vielen Fällen sollte einzig die allenfalls um andere Ideale angereicherte libertas dargestellt werden, häufig mit antiken Attributen wie dem Stab (pilum), der Phrygenmütze (pileus) und dem republikanischen Symbol des Liktorenbündels. Die offizielle Repräsentationsfigur der Helvetik war aber nicht sie, sondern der Tell mit seinem Büblein.

Sitzende Helvetia, gezähnt. Briefmarke der Schweizer Post, herausgegeben 1862-1883 (Museum für Kommunikation, Bern) © Die Schweizerische Post.
Sitzende Helvetia, gezähnt. Briefmarke der Schweizer Post, herausgegeben 1862-1883 (Museum für Kommunikation, Bern) © Die Schweizerische Post.

Während die frühen Darstellungen vor allem der Verständigung unter der Elite dienten, hatten diejenigen nach 1800 die zuvor nicht benötigte staatspolitische Funktion, in den breiten Schichten der Bevölkerung die Identifikation mit der Nation zu stiften. In der Phase des nation building erlangte die Helvetia wachsende Bedeutung und wurde von den Architekten des jungen Bundesstaats auf Marken und Münzen eingesetzt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie zu einem beliebten Denkmal- und Postkartenmotiv.

Die Helvetia diente aber nicht nur der Bekräftigung oder Einforderung des nationalen Konsenses. Nicht weniger oft wurde sie – und wird noch immer – von dissidenten Kräften für die Kritik am Status quo umgedeutet. Da sie semantisch beinahe leer ist, lässt sie sich polyvalent vereinnahmen. Insofern gibt es keine Biografie der Gestalt, sondern einzig eine Geschichte ihrer vielfältigen Verwendung.

Quellen und Literatur

  • Zeichen der Freiheit, Ausstellungskat. Bern, 1991
  • G. Kreis, Helvetia – im Wandel der Zeiten, 1991
  • Y. Boerlin-Brodbeck, «Alpenlandschaft als polit. Metapher», in ZAK 55, 1998, 1-10
  • G. Kreis, «Umworben und ausgelacht», in 1848: Drehscheibe Schweiz, hg. von P. Kaenel, 1998, 153-163
  • A. Stercken, Enthüllung der Helvetia, 1998
  • T. Maissen, Die Geburt der Republic: Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitl. Eidgenossenschaft, 2006, 253-277
Weblinks

Zitiervorschlag

Georg Kreis: "Helvetia (Allegorie)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016440/2014-10-13/, konsultiert am 28.03.2024.