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Studentenverbindungen

Burschenschaften

Studentenverbindungen (oder Korporationen) sind Organisationen, denen sowohl Studenten als auch ehemalige Studenten (sogenannte Alte Herren) angehören. Sie bilden die Aktivitas (Aktive) bzw. die Altherrenverbände. Wer in eine Studentenverbindung aufgenommen wird, gehört ihr für die Dauer seines Lebens an (Lebensbundprinzip bzw. «Lebensverbindung»). Die Mitglieder einer Studentenverbindung tragen ein Band und eine Mütze in den Farben (sogenannte Couleur) ihrer Verbindung (Farbenprinzip). Jedes Mitglied kann in der Regel nur die Farben seiner Korporation bzw. einer Korporation seines Verbands tragen (Ausschliesslichkeitsprinzip). Sogenannte Chargen als Aktive können nur nach Wahlen ausgeübt werden (Conventsprinzip). Das Nationalitätsprinzip wird unterschiedlich gehandhabt. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein gab es Studentenverbindungen, die nur Schweizer Studenten aufnahmen. Gewisse Studentenverbindungen fordern bei einer Ehrverletzung unbedingte Genugtuung (Satisfaktionsprinzip), einige nehmen nur Studenten einer gewissen Konfession auf (Konfessionsprinzip). Alle Studentenverbindungen führen als symbolisches Zeichen den Zirkel, eine monogrammartige Verschlingung des Anfangsbuchstabens bzw. der ersten Buchstaben ihres Namens.

Unübersehbar ist in den schweizerischen Studentenverbindungen – auch in der Westschweiz, trotz ihres demokratisch-republikanischen Wertesystems –, der Einfluss aus Deutschland, wo die Studentenverbindungen entstanden sind. Ab 1830 bürgerte sich das Tragen des meist dreifarbigen Bandes sowie der festlichen Bekleidung ein (sogenannter Vollwix). Im Comment wurden Normen der Studentenverbindungen festgehalten, etwa betreffend der hierarchischen Struktur, der Aufnahmerituale, der Rituale für den Übertritt vom Status des Fuchses (erste Semester) in jenen des Burschen (höhere Semester) oder in jenen des Alten Herrn, betreffend des Farbentragens oder des sogenannten Kneipens (feiern). Die Zofingia Basel führte 1845 den ersten Comment ein. Aus Deutschland wurden zahlreiche Studentenlieder importiert, daneben entstand auch eigenes Liedgut. Zum Brauchtum der Studentenverbindungen gehört ferner die Festkultur (u.a. Stiftungs- und Centralfeste, patriotische Feiern, Bälle). In sogenannten schlagenden Verbindungen wurden verschiedene Formen der Mensur praktiziert (Duell). Üblich war ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Bestimmungsmensur, ein ritterliches Kampfspiel ohne vorgängige Beleidigung. Daneben gibt es auch einige frei oder fakultativ schlagende Studentenverbindungen, deren Mitgliedern die Mensur freigestellt ist. In den meisten nicht konfessionellen Hochschul-Korporationen führte die Mensurfrage wiederholt zu Diskussionen, Abspaltungen und Misshelligkeiten. 1928 gründeten die schlagenden Studentenverbindungen in Olten den Schweizerischen Waffenring, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch Bestand hatte.

Insgesamt dürfte es in der Schweiz seit 1819 rund 950 Studentenverbindungen gegeben haben, davon rund 150 in der Westschweiz. Rund 350 Korporationen gab es an Hoch- und 320 an Mittelschulen (sogenannte Pennalien), 90 an Technika bzw. Fachhochschulen. Hinzu kamen etwa 70 schweizerische Studentenverbindungen an ausländischen Schulen. Bei rund 120 Studentenverbindungen ist nicht eruierbar, wo und wann sie ins Leben gerufen wurden. In der Westschweiz gründeten die grossen Verbände eigene Sektionen; umgekehrt expandierten auch die französisch dominierten Verbände, so die Société académique de Belles-Lettres, die eine Vorläuferin der schweizerischen Studentenverbindungen ist, später auch der Verband Stella Helvetica. Von den 1890er Jahren an wurden ferner etwa 60 Verbindungen für Frauen ins Leben gerufen, 2010 existierten noch zehn. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es in der Schweiz über 200 Studentenverbindungen, davon ein Teil ohne Aktivitas (95 Hochschul-, 70 Mittelschul- und 40 Fachhochschulverbindungen). Sie zählten insgesamt etwa 3600 Aktive und etwa 26'000 Alte Herren. In der französischen Schweiz bestanden rund 20 Korporationen, in der italienischen und der rätoromanischen Schweiz je eine (Lepontia bzw. Desertina).

Der erste gesamtschweizerische Studentenverband war der 1819 gestiftete liberale Schweizerische Zofingerverein, der eine einheitliche Studentenschaft zur Erreichung der Werte Freiheit und Vaterland anstrebte. Diese Idee wurde aber infolge des liberal-konservativen Gegensatzes in der Regeneration schon 1832 mit der Abspaltung der liberal-radikalen Helvetia durchbrochen. 1841 entstand der katholisch-konservative Schweizerische Studentenverein (StV). Viele ehemalige Mitglieder dieser Studentenverbindungen spielten in der Regeneration und bei den Umwälzungen 1847-1848 eine wichtige Rolle; aus ihren Reihen rekrutierten sich die Führungseliten des neuen Bundesstaats. So waren von den zwischen 1848 und 1920 insgesamt 1467 eidgenössischen Parlamentariern 249 Alte Herren der Zofingia (16,9%), 1881 trugen von 145 Nationalräten 27 das Band der Helvetia (18,6%), 24 das Band des StV. In der Legislatur 2011-2015 waren noch 14 Nationalräte und 4 Ständeräte Mitglied einer Studentenverbindung.

Die Blütezeit der Studentenverbindungen in der Schweiz dauerte von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1914. In dieser Zeit bildeten sie die vorherrschende Form der studentischen Organisation. Neben den drei grossen Verbänden entstanden zahlreiche kleinere, etwa deutsche Korporationen und Ableger von deutschen Verbänden. Einen prägenden Einfluss übte der 1884 gegründete Aarburger Seniorenconvent aus. Schon an den Akademien hatten Turnergemeinden existiert, aus denen sich die Turnerschaften entwickelten, die sich 1885 in der Schweizerischen Akademischen Turnerschaft vereinigten und sich dem Schweizerischen Waffenring anschlossen (drei Studentenverbindungen). Aus den akademischen Sängerschaften entstanden Studentengesangsvereine, so in Zürich 1849 und 1869 sowie in Bern 1898. Im Sinn der akademischen Freicorps wurde 1861 der Schützenverein Schweizerischer Studierender Zürich ins Leben gerufen. Die pietistisch ausgerichteten Studenten vereinigten sich 1888 im Falkensteinerbund, der 2010 vier Studentenverbindungen zählte. Wissenschaftliche Vereine und Fachschaftsvereine, etwa an der ETH Zürich, wandelten sich im letzten Fünftel des 19. Jahrhunderts oft in Studentenverbindungen um. Nicht zuletzt aufgrund des Religionsprinzips entstanden in der Schweiz auch meist von Ausländern gegründete jüdische Studentenverbindungen. Ausserdem wurden an den älteren Gymnasien (z.B. in Aarau, Biel, Frauenfeld, Luzern, Solothurn, St. Gallen, Winterthur), Kollegien (z.B. Altdorf, Einsiedeln, Engelberg, Sarnen, Stans) und Technika (u.a in Biel, Burgdorf, Brugg-Windisch, Winterthur) Studentenverbindungen ins Leben gerufen.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg kamen in den schweizerischen Studentenverbindungen Strömungen auf, welche ein verstärktes sozialpolitisches Engagement und eine Abkehr vom Nationalitäts- und Satisfaktionsprinzip sowie vom Comment mit seinen zum Teil negativen Begleiterscheinungen forderten. Zur Bekämpfung von Trinkunsitten gründeten abstinente Studenten bzw. Mittelschüler eigene Studentenverbindungen und Verbände, die zum Teil auch Frauen aufnahmen, so 1893 den Schweizerischen Akademischen Abstinentenverein Libertas und 1910 die Abstinente Schweizerische Burschenschaft. Gegenüber der nationalsozialistischen Gefahr zeigten sich die schweizerischen Studentenverbindungen resistent. 1938 wurde auf Initiative von Studentenverbindungen zur Abwehr nationalsozialistischer Einflüsse der Schweizerische Hochschul-Convent gebildet, der bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Bestand hatte. Sowohl während als auch nach dem Krieg erlebten die Studentenverbindungen einen Aufschwung, der bis 1968 andauerte. Danach kam es einerseits zum Niedergang zahlreicher Studentenverbindungen, vor allem in der Westschweiz, andererseits zu einer Homogenisierung. Im StV und im Falkensteinerbund, aber auch in anderen Studentenverbindungen fiel das aus der Entstehungszeit der Studentenverbindungen stammende Männerbundprinzip. 1977 gab der StV das Konfessionsprinzip auf. Auch das Farben- und das Nationalitätsprinzip wurden durchbrochen. 1984 wurde die Schweizerische Vereinigung für Studentengeschichte gegründet, die sich einerseits mit der Geschichte und den Strukturen der Studentenverbindungen befasst, andererseits allen Studentenverbindungen in der Schweiz ein Forum bietet. Ende des 20. Jahrhunderts entstanden zudem die aus dem angelsächsischen Raum übernommenen sogenannten Alumni-Netzwerke, welche die Studentenverbindungen teilweise konkurrenzierten.

Quellen und Literatur

  • H. Erb, Gesch. der Studentenschaft an der Univ. Zürich, 1833-1936, 1937
  • M. Richter, Auf die Mensur!, 31978
  • T. Gantner et al., Couleurstudenten in der Schweiz, Ausstellungskat. Basel, 1979
  • P. Platzer, Jüd. Verbindungen in der Schweiz, 1983 (21988)
  • Studentica Helvetica: Zs. der Schweiz. Vereinigung für Studentengesch. 1-, 1985-
  • Studentica Helvetica. Documenta et commentarii, 1986-, Nr. 1-
  • O. Meuwly, Histoire des sociétés d'étudiants à Lausanne, 1987
  • U. Im Hof, Der Student im Verlaufe der Jahrhunderte, 1990
  • Schweizer Commersbuch, 1991 (21998)
  • R. Develey, Gesch. der schweiz. corporierten Studentenschaft im 19. Jh., 2 Bde., 1995
  • P. Ehinger, «Sonderfall Schweiz», in Korporierte im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, 1997
  • L. Blattmann, "Formen sind kein leerer Wahn": schweiz. Studentenverbindungen vor 1914, 1999
  • P. Platzer, Helveticus: Verz. schweiz. Verbindungen, 2000
  • H. Polivka, Wider den Strom ... abstinente Verbindungen in der Schweiz, 2000
  • T. Mayer, Kath. Farbstudenten im Kulturkampf, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Paul Ehinger: "Studentenverbindungen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016424/2013-12-03/, konsultiert am 28.03.2024.