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Vorratshaltung

Unter Vorratshaltung versteht man das Anlegen von Lebensmittelreserven und die Lagerung von Produkten des täglichen Bedarfs durch eine Hausgemeinschaft oder eine Familie (Ernährung). Als Vorratshaltung im engeren Sinn lässt sich der Notvorrat bezeichnen, den die Bundesbehörden seit dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung anzulegen empfehlen. Damit soll verhindert werden, dass es bei Rationierungsmassnahmen (Rationierung) im Krisen- oder Konfliktfall zu Panik oder Hamsterkäufen kommt.

Bereits in prähistorischer Zeit legten die Menschen Nahrungsreserven für Zeiten der Knappheit an (Konservierung) und verwendeten dabei während Jahrhunderten die gleichen Verfahren und Lagerungsmethoden. Ab dem Mittelalter ergriff namentlich in den Städten die Obrigkeit Massnahmen, um die Versorgung der Bevölkerung, die keine Möglichkeit zur privaten Vorratshaltung hatte, sicherzustellen (Kornpolitik) und so Hungersnöte und soziale Unruhen zu verhindern. Auf dem Land gehörten Kornhäuser und Getreidespeicher zum Landschaftsbild.

Die ersten Schriften zur Vorratshaltung erschienen im 18. Jahrhundert und richteten sich an die Hausherrinnen des aufsteigenden Bürgertums. Ab der frühen Neuzeit verfügten die städtischen Wohnungen neben dem Keller immer häufiger über eine Speisekammer für die grossen Vorräte und einen Speiseschrank für den täglichen Gebrauch. In den einfacheren Haushaltungen des 19. Jahrhunderts gab es Vorratstruhen (sogenannte Schnitztröge), die aus einem grossen, in Fächer unterteilten Behältnis bestanden. Die aufkommende Nahrungs- und Genussmittelindustrie brachte dieselben Produkte auf den Markt, die sich in den Speisekammern des Bürgertums befanden, d.h. Fette, eingelegten oder konservierten Fisch, getrocknete oder geräucherte Produkte sowie Käse. Als die industriellen Produkte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Vorräte aus der Speisekammer zu verdrängen begannen, verschwand Letztere nach und nach.

Dieses Plakat, das die Bevölkerung zur Vorratshaltung auffordert, wurde 1934 von Jäggi & Wüthrich gestaltet und bei Paul Attinger in Neuenburg gedruckt (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Dieses Plakat, das die Bevölkerung zur Vorratshaltung auffordert, wurde 1934 von Jäggi & Wüthrich gestaltet und bei Paul Attinger in Neuenburg gedruckt (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Ende des 18. Jahrhunderts beschleunigten sich die Abläufe von der Produktion zur Konsumation, und fast alles war nun auf dem Markt erhältlich. Doch um die manchmal langsamen Lieferungen zu umgehen, Einkommensrückgänge aufzufangen oder durch Grosseinkäufe von Frischprodukten Geld zu sparen, hielten die Haushalte die Vorratshaltung bei, sofern sie die finanziellen Mittel dazu hatten, was nur bei einer Minderheit der Fall war. Am Ende des 19. Jahrhunderts war eine regelmässige Versorgung der Konsumenten mit Lebensmitteln sichergestellt. Die moderne Konserve, namentlich in Gläsern oder Metalldosen (Konservenindustrie), verdrängte allmählich die traditionellen hausgemachten Vorräte.

Die Hausfrauen übernahmen die neuen Konservierungsverfahren, doch das Sterilisieren zu Hause ging zurück, als sich die industrielle Lebensmittelverarbeitung zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchsetzte. Die Hausarbeit der Frauen wurde dadurch erleichtert (Hauswirtschaft), was zu gesellschaftlichen Veränderungen, vor allem zu einer Zunahme der weiblichen Lohnarbeit führen sollte. Es dauerte jedoch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, bis der regelmässige Einkauf von Grundnahrungsmitteln selbst im städtischen Milieu die Gewohnheit verdrängte, Konserven herzustellen und zu lagern.

Mit der Rationierung in den beiden Weltkriegen erwies die private Vorratshaltung erneut ihren Nutzen. Die mangelhafte Organisation der Lebensmittelversorgung im Ersten Weltkrieg führte zu ihrer Verbesserung im Zweiten Weltkrieg. Am 4. September 1939 war die Kriegswirtschaft startbereit. Allerdings waren die Haushalte bereits im April des gleichen Jahres aufgefordert worden, einen Vorrat an nicht verderblichen Lebensmitteln für zwei Monate anzulegen.

Bei der Verbreitung der Information und der Empfehlungen für die Hausfrauen spielten die Frauenverbände eine wichtige Rolle. Das eidgenössische Kriegsernährungsamt traf sich schon vor dem Krieg mit den Verbandsvertreterinnen, um über die geeigneten Massnahmen zu beraten. Eine erste, von den Frauenverbänden empfohlene Broschüre, "Die Schweizer Frau im Dienste der Landesversorgung", wurde 1939 gratis verteilt.

Während des Kalten Kriegs betraf die Landesverteidigung nicht mehr nur die Armee, sondern die gesamte Bevölkerung. 1954 wurde der Zivilschutz gegründet, der zur Überlebenssicherung in den Schutzräumen die Bildung von Notvorräten in Form von Fertignahrung empfahl (Fleisch- und Fischkonserven, Schachtelkäse, Biskuits, Zwieback und Schokolade). Gemäss dem Landesversorgungsgesetz von 1982 ist der Bund zuständig für die Information der Bevölkerung hinsichtlich freiwillig angelegter Haushaltsvorräte. 2001 bekräftigte der Bundesrat den Sinn der privaten Vorratshaltung vor allem im Katastrophenfall oder bei Problemen der Landesversorgung. Die empfohlenen Reserven von 2 kg Zucker und Fetten pro Person trugen zur Erhaltung von Ackerbaukulturen wie Zuckerrüben und Raps bei, die bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts vom Bund subventioniert wurden.

Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung informierte regelmässig über die Notwendigkeit, Haushaltsvorräte anzulegen. Bis in die 1980er Jahre wurde ungefähr jedes zweite Jahr eine nationale Kampagne durchgeführt, insbesondere 1983 mit der Verteilung von rund 1,5 Mio. Broschüren mit dem Titel "Kluger Rat – Notvorrat". Später wurden die Broschüren gezielter verteilt: Die Abgabe erfolgte hauptsächlich im Rahmen von Haushaltungskursen.

Quellen und Literatur

  • Die schweiz. Kriegswirtschaft 1939/1948, 1950
  • E. Stille, «In Keller und Kammer – Vorratswirtschaft früher», in Oikos: Von der Feuerstelle zur Mikrowelle, hg. von M. Andritzky, 1992, 215-226
Weblinks

Zitiervorschlag

Denis Rohrer: "Vorratshaltung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.04.2012, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016227/2012-04-12/, konsultiert am 28.03.2024.