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Arbeitszeit

Unter Arbeitszeit wird hier nur die für Erwerbstätigkeit vorgesehene oder festgelegte Zeitspanne verstanden; ausgeklammert bleibt die mit anderen Formen wie Hausarbeit, freiwilliger gemeinnütziger Arbeit usw. verbrachte Zeit. Thema sind die Entwicklungen, Regelungen und Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit im 19. und 20. Jahrhundert.

Stechuhr in einer Textilfabrik, um 1915 (Ortsmuseum Hinwil; Fotografie Heinz Dieter Finck).
Stechuhr in einer Textilfabrik, um 1915 (Ortsmuseum Hinwil; Fotografie Heinz Dieter Finck). […]

Die Verkürzung der Arbeitszeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verlief nicht parallel zum Zuwachs der Produktivität, sondern diskontinuierlich, mit zum Teil kurzfristig erheblichen Reduktionen. Arbeitgeber leisteten sowohl gegen die Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit wie auch gegen die Einführung bzw. Ausdehnung bezahlter Ferien meist weit energischer Widerstand als gegen Lohnerhöhungen. Die Grenzen der Arbeitszeit blieben umstritten. Ältere Darstellungen gehen oft von der Spanne zwischen Arbeitsbeginn und -ende aus, ohne Berücksichtigung langer Unterbrüche für Mahlzeiten. Ob kürzere Pausen, die Reinigung von Maschinen und Räumlichkeiten, das Warten wegen durchfahrender Züge bei Eisenbahnarbeitern, die Pflege der Tiere bei Fuhrleuten, die persönliche Hygiene am Feierabend usw. zur Arbeitszeit gehörten, war wiederholt Gegenstand von Auseinandersetzungen.

Zu einem zentralen Aspekt der industriellen Beziehungen entwickelte sich die Arbeitszeit im 19. Jahrhundert. Zusammen mit der Mechanisierung und Arbeitsteilung erleichterte sie die Vergleichbarkeit der Arbeitskräfte und trug zur Vereinheitlichung des Arbeitsmarkts bei. Nicht zuletzt um Investitionen möglichst profitabel zu gestalten, dehnten Unternehmer Betriebszeiten in der Frühphase der Industrialisierung rücksichtslos aus. Die Zahl der kirchlichen und weltlichen Feiertage, aber auch der informell arbeitsfreien Tage, schmolz zusammen. So verlor zum Beispiel der blaue Montag, der sich allerdings gelegentlich noch im 20. Jahrhundert nachweisen lässt, seine Bedeutung. Parallel dazu erfolgte die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit klarer, wobei die Uhrzeit die Tageszeiten zunehmend verdrängte. Dieser Prozess stiess auf Widerstand der Betroffenen. Einer der ersten Streiks von Fabrikarbeitern richtete sich 1837 in Glarus gegen eine Glocke, die Beginn und Ende des Arbeitstags anzeigte. Bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert enthielten Fabrikordnungen bereits für geringfügige Verspätungen harte Bussen, selbst bei Akkordarbeit.

Über die nach Erwerbsgruppen und Regionen auffallend differenzierte Arbeitszeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiss man wenig. Generell dauerte sie in den noch seltenen Fabriken deutlich länger als in vielen Handwerken und Gewerben. In der Baumwollspinnerei sind in den 1820er und 1830er Jahren effektive Arbeitszeiten (nach Abzug der Pausen) von 14-15 Stunden belegt, vereinzelt auch wesentlich längere. In den wichtigsten Industrien des Kantons Zürich registrierte man 1855 einen 13-14-Stunden-Tag. Für Verkürzungen setzten sich zunächst weniger die Betroffenen selber als um den physischen und moralischen Zerfall der Arbeiterschaft besorgte Bürger ein. In den Kantonen Zürich und Thurgau beschränkten Verordnungen die tägliche Arbeitszeit für Fabrikkinder (Kinderarbeit) 1815 auf 12-14 Stunden, mit wenig Erfolg. Das Glarner Gesetz von 1848 liess für Erwachsene in Spinnereien maximal 15 Stunden (inklusive «Mittagsstunde») zu und galt als europäische Pionierleistung auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes.

Plakat gegen die sogenannte Lex Schulthess, die eine Anhebung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 54 Stunden vorsah. Die Vorlage wurde am 17. Februar 1924 verworfen. Lithografie von Florentin Moll (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat gegen die sogenannte Lex Schulthess, die eine Anhebung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 54 Stunden vorsah. Die Vorlage wurde am 17. Februar 1924 verworfen. Lithografie von Florentin Moll (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an verlangten zunehmend Arbeiter selbst einen einheitlichen Normalarbeitstag und dessen Verkürzung, anfänglich fast nur im Gewerbe. 1850-1870 forderten die am besten organisierten Handwerker zuerst 11, dann 10 Stunden, zum Teil verbunden mit Streiks. Den 10-Stunden-Tag erreichten um 1870 unter anderem Typografen, Uhrenarbeiter und (oft nur vorübergehend) Bauhandwerker. Die Maschinenindustrie ging 1871 auf 10,5 Stunden zurück. Auf Gesetzesebene blieb Glarus für Fabrikarbeiter führend, 1864 mit einer maximalen Arbeitszeit von 12 Stunden, 1872 reduziert auf 11 Stunden. Es folgten 1869 Basel-Stadt und 1873 das Tessin mit 12 Stunden. Einen entscheidenden Schritt machte 1877 das eidgenössische Fabrikgesetz mit dem 11-Stunden- bzw. am Samstag 10-Stunden-Tag. Vor allem seit Ende der 1880er Jahre gewann die Bewegung für eine Reduktion der Arbeitszeit neuen Schwung, unter anderem mit der 1889 beschlossenen Einführung des Ersten Mai als Kampftag für 8 Stunden. Konkret ging es allerdings vorerst um 10 Stunden, die zum Beispiel die Maschinenindustrie 1891 einführte. 1901 nutzte noch fast die Hälfte aller Fabriken die gesetzliche Höchstarbeitszeit. Diese wurde 1905 an Samstagen auf 9 Stunden verkürzt. Der Maschinensetzertarif von 1909 enthielt als erster den 8-Stunden-Tag. Die im Rahmen der Fabrikgesetz-Revision 1914 beschlossene 59-Stunden-Woche trat wegen des bundesrätlichen Vollmachtenregimes während des Ersten Weltkriegs erst 1917 in Kraft. Inzwischen gehörte die 48-Stunden-Woche zu den Hauptanliegen der Gewerkschaften, was sich unter anderem in den neun Forderungen zum Landesstreik 1918 niederschlug. 1919-1920 setzte sich die 48-Stunden-Woche in der Schweiz wie in vielen anderen Industriestaaten in einer kurzen Phase massivster Verkürzung als erste einheitliche Normalarbeitswoche im Prinzip durch, verankert in zahlreichen vertraglichen Regelungen, im 1919 revidierten Fabrikgesetz und 1920 in der Revision des Arbeitszeitgesetzes für Transportanstalten (Post, Bahn). Faktisch ermöglichten allerdings Ausnahmen auch nach Ablehnung der Lex Schulthess (ausnahmsweise 54-Stunden-Woche) im Jahr 1924 Verlängerungen, die breit genutzt wurden. Erst die Weltwirtschaftskrise verhalf der 48-Stunden-Woche zur allgemeinen Anerkennung.

Plakat für die Volksabstimmung vom 26. Oktober 1958 von René Gilsi (Privatsammlung).
Plakat für die Volksabstimmung vom 26. Oktober 1958 von René Gilsi (Privatsammlung).

Weil die Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg die Arbeitszeit zugunsten des Lohns vernachlässigt hatten, drang der Landesring der Unabhängigen (LdU) 1954 mit seiner Initiative für die 44-Stunden-Woche in ihr Tätigkeitsgebiet ein. Um den Aussenseiter abzuwehren, forderten die Gewerkschaften vertragliche Verkürzungen. 1956 vereinbarten der Schweizerische Typographenbund (STB) 44 Stunden ab 1959, der Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiter-Verband in der Chemischen Industrie 43-45 Stunden, 1957 der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeiterverband (Smuv) 46 Stunden ab 1958; andere Gewerkschaften erzielten ebenfalls Teilerfolge. Auf dieser Basis bekämpften fast alle Gewerkschaften zusammen mit den Arbeitgebern die Initiative des LdU, die 1958 klar scheiterte. Im folgenden Jahr verlangte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) die 44-Stunden-Woche mit einer eigenen Initiative, zog diese jedoch 1964 zugunsten des Arbeitsgesetzes zurück. Dieses setzte die Grenze in zentralen Bereichen bei 46, ansonsten bei 50 Stunden. Der Bundesrat erhielt die Kompetenz zur Verkürzung um eine weitere Stunde, nutzte diese aber erst 1975. Immerhin verbreitete sich die 44-Stunden-Woche in Gesamtarbeitsverträgen, so ab 1963 in der Maschinenindustrie. 1971 arbeiteten in der Industrie zwei Fünftel der Erwerbstätigen 44 Stunden, ein Achtel weniger, der Rest (z.T. erheblich) mehr. Mit Bezug auf den hohen Fremdarbeiter-Bestand verlangten Arbeitgeber 1964-1974 mehrmals Verlängerungen. 1971 lancierte die Poch eine Initiative für die 40-Stunden-Woche. Auch dieser versagten die Gewerkschaften die Unterstützung, sodass sie 1976 klar scheiterte. Der SGB vermochte für seine im folgenden Jahr zum gleichen Thema vorgestellte Initiative nicht genügend Unterschriften zu sammeln. Erst eine zweite Fassung von 1983 konnte eingereicht werden, unterlag aber 1988 in der Abstimmung. Auf vertraglicher Ebene erreichten die Typografen 1979, die Arbeiter der Maschinenindustrie 1988 die 40-Stunden-Woche. Insgesamt kam die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit schleppend voran. 1970-2010 reduzierte sie sich in der Industrie von 44,7 auf 41,2 Stunden, im Baugewerbe von 47,4 auf 41,6 Stunden; über alle Wirtschaftszweige lag das Mittel 2010 bei 41,6. Es besteht auch die Möglichkeit, die Normalarbeitszeit durch Überstunden zu verlängern, für welche gesetzliche und vertragliche Verfahrens- und Entschädigungsvorschriften geschaffen wurden.

Mit den Bestrebungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit gegen Ende des 20. Jahrhunderts, denen das 2000 in Kraft gesetzte Arbeitsgesetz Rechnung trägt, gewann die Jahresarbeitszeit als Bezugsgrösse an Bedeutung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte sie in der Baumwollindustrie rund 4500 Stunden betragen. 1900 lag sie gesamtschweizerisch über 2700, 2010 bei ca. 1931 Stunden. Sie ermöglichte die ungleichmässige Verteilung der vertraglichen Arbeitszeit im Jahresablauf, zum Beispiel bei saisonal schwankendem Arbeitsanfall. Bereits in vorindustrieller Zeit hatte sie, zum Beispiel im Baugewerbe, zur Kompensation langer Sommer-Arbeitstage im Winter gedient. Das Konzept der Lebensarbeitszeit wurde mit der Alters- und Hinterlassenenversicherung und den Pensionskassen und den sich daraus ergebenden Diskussionen um das Rentenalter sowie infolge längerer Ausbildungszeiten aktuell. Grössere freiwillige Unterbrüche des Erwerbslebens beschränkten sich weitgehend auf Frauen.

Frauen demonstrieren am 1. Mai 1930 in Zürich für den 7-Stunden-Tag (Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Zürich).
Frauen demonstrieren am 1. Mai 1930 in Zürich für den 7-Stunden-Tag (Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Zürich).

Die Verteilung der Arbeitszeit unterlag ebenfalls Veränderungen. Lange waren in der Schweiz zwei Stunden Mittagspause für eine Mahlzeit zu Hause üblich. Erst Anfang der 1960er Jahre gewann die durchgehende Arbeitszeit mit kurzer Essenspause, oft englische Arbeitszeit genannt, an Bedeutung. Bestrebungen, die Sonntagsruhe zu unterlaufen, riefen von den 1860er Jahren an eine Gegenbewegung hervor. Während das eidgenössische Fabrikgesetz 1877 Sonntagsarbeit in den Fabriken verbot, fielen die übrigen Betriebe in die Kompetenz der Kantone, in denen sich um 1900 entsprechende Vorschriften häuften. Der freie Samstag, d.h. die 5-Tage-Woche, fand im Zweiten Weltkrieg als Energiesparmassnahme Verbreitung. Teilweise wurde sie danach beibehalten; der eigentliche Durchbruch erfolgte aber erst um 1960. Schichtarbeit war zum Teil durch den Arbeitsablauf bedingt (Post, Eisenbahn, Spitäler usw.), zum Teil erlaubte sie, Verkürzungen der Arbeitszeit durch längere Betriebszeiten auszugleichen (z.B. in der Textil- und Maschinenindustrie). Vor allem Nachtarbeit unterlag weitgehenden Regelungen (nur ausnahmsweise zulässig im Fabrikgesetz von 1877, Zuschläge in Gesamtarbeitsverträgen, Sonderschutz für Frauen). Zur Kategorie Teilzeitarbeit zählten 1960 erst 4% der Erwerbstätigen; 1970 waren es 12%, 1990 19%, 2000 29,3% und 2010 33,9%. Stets lag der Schwerpunkt bei weniger qualifizierten Tätigkeiten und vor allem bei Frauen (2010 78% der Teilzeitarbeitenden). Gleitende Arbeitszeit registrierte man erstmals 1969-1970. In der Folge dehnte sie sich rasch aus, wobei die Initiative zunächst beim Management, nach 1975 vermehrt bei den Beschäftigten lag.

Quellen und Literatur

  • V. Schiwoff, Die Beschränkung der Arbeitszeit durch kant. Gesetzgebung und durch das erste eidg. Fabrikgesetz von 1877, 1952
  • P. Kaufmann, Vierzigstundenwoche in der Schweiz?, 1960
  • Gruner, Arbeiter
  • Gruner, Arbeiterschaft
  • W. Wüthrich, Ökonom., rechtl. und verbandspolit. Fragen in der Auseinandersetzung um die Arbeitszeit während der Hochkonjunktur (1946-1975) in der Schweiz und in Österreich, 1987
  • Handbuch Arbeitszeit, 1989
  • B. Degen, Abschied vom Klassenkampf, 1991
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Arbeitszeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013910/2015-01-21/, konsultiert am 28.03.2024.