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Rationierung

Lebensmittelmarke für eine Zusatzration der Lebensmittelfürsorge Basel-Stadt, 1919 (Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 3-88-4).
Lebensmittelmarke für eine Zusatzration der Lebensmittelfürsorge Basel-Stadt, 1919 (Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 3-88-4).

Unter Rationierung versteht man die Zuteilung von beschränkt vorhandenen Gütern und Dienstleistungen in Notzeiten. Sie soll unter Ausschaltung des Markts das Verhältnis von Angebot und Nachfrage regeln und den vordringlichen Bedarf sichern, ohne eine sozial unerwünschte Preissteigerung zu bewirken. Bekannteste Form ist die gleichmässige Verteilung von Lebensmitteln in Kriegszeiten mittels Bezugsscheinen (Lebensmittelkarten bzw. -marken). In der Regel handelt es sich nicht um eine kostenlose Abgabe, sondern um die Berechtigung zum Kauf: Um die Bezugsscheine einlösen zu können, müssen die nötigen Geldmittel vorhanden sein. Mit anderen Methoden – in der Schweiz vor allem unter Beteiligung von Unternehmen und ihren Verbänden – werden für die nationale Wirtschaft wichtige Rohstoffe und Investitionsgüter rationiert. Schliesslich können in Krisenzeiten knappe Devisen der Rationierung unterstehen (Clearing).

Warteschlange vor der Markenausgabe der staatlichen Lebensmittelfürsorge in Basel. Fotografie von Bernhard Wolf-Grumbach, 1917 (Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 23152).
Warteschlange vor der Markenausgabe der staatlichen Lebensmittelfürsorge in Basel. Fotografie von Bernhard Wolf-Grumbach, 1917 (Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 23152). […]

Die erste lange landesweite Versorgungskrise entstand im Ersten Weltkrieg, nicht zuletzt infolge der mangelhaft vorbereiteten wirtschaftlichen Landesversorgung und Kriegswirtschaft. Erst ab März 1917 begann die kantonale Rationierung zuerst für Reis und Zucker, später für Mais, Teigwaren, Hafer und Gerste. Im Oktober folgte die schweizerische Rationierung für Brot und Mehl, im März 1918 die für Butter, Fett und Öl, im Juni die für Käse und im Juli die für Milch. Beim Fleisch versuchte man es mit zwei fleischlosen Tagen pro Woche vom März bis Juni 1917. Der Entscheid zur Schaffung eines Ernährungsamtes fiel erst im September 1918. Die Massnahmen wurden zwischen September 1919 und April 1920 aufgehoben. Die zögerlichen Schritte konnten einen Ernährungsnotstand in der Bevölkerung 1918 nicht verhindern. Lücken in der Versorgung mit Rohstoffen versuchte man ab Herbst 1916 mit Zentralstellen (Baumwoll-, Eisen-, Kohlenzentrale) zu überbrücken. Eine bescheidene Abteilung für industrielle Kriegswirtschaft nahm ihre Tätigkeit im Juli 1917 auf. Ihre Sektionen überwachten, ergänzten oder ersetzten die Zentralen.

Rationierungsmarken des Kantons Obwalden, 1919 (Staatsarchiv Obwalden, Sarnen).
Rationierungsmarken des Kantons Obwalden, 1919 (Staatsarchiv Obwalden, Sarnen). […]

Für den Zweiten Weltkrieg war der kriegswirtschaftliche Apparat ab 1938 betriebsbereit. Zur Versorgung der Bevölkerung intervenierte er auf mehreren Ebenen, so mit der Förderung der landwirtschaftlichen Produktion (Anbauschlacht), der Rationierung, der Preisüberwachung, der Kontrolle bei Grossisten und Detaillisten sowie der Bestrafung von Verstössen. Die Rationierung begann am 29. August 1939 mit einer Bezugssperre für wichtige Lebensmittel (Zucker, Hülsenfrüchte, mehrere Getreideprodukte, Fette und Öle), der am 30. Oktober die ordentliche Rationierung dieser Produkte folgte. Weitere wichtige Schritte waren die Einführung von zwei fleischlosen Tagen pro Woche ab Mai 1941 sowie die Fleischrationierung ab März 1942, die Milchkontingentierung ab Juli 1941, die Milchrationierung ab November 1942 und die Eierrationierung ab Dezember 1941. Ab Juli 1942 begann die abgestufte Rationierung mit grösseren Portionen für Schwerarbeiter. Ausreichende Verfügbarkeit eines Produktes erlaubte vorübergehend die Lockerung oder Aufhebung seiner Rationierung. Das differenzierte Vorgehen zeigte sich etwa beim Brot, das ab Juli 1940 nicht mehr frisch verkauft, ab Oktober 1942 rationiert und ab Mai 1943 bei Engpässen mit Kartoffeln gestreckt wurde. Von Frühling 1945 bis Juli 1948 erfolgte die gestaffelte Aufhebung von Rationierung und Reservelagern. Bei den Rohstoffen stand die Produktionslenkung im Vordergrund, die ebenso wie die Rationierung mittels parastaatlicher kriegswirtschaftlicher Syndikate unter Aufsicht des Kriegs-Industrie- und Kriegs-Arbeits-Amts durchgeführt wurde.

Nach dem Krieg wurden Strukturen zur Rationierung beibehalten und laufend für Notlagen (z.B. Suez- und Ölkrise) angepasst, zunächst unter Leitung des Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge, seit dem Landesversorgungsgesetz von 1982 unter der des Bundesamts für Wirtschaftliche Landesversorgung. Seit der Krise der 1970er Jahre, insbesondere aber seit den 1990er Jahren findet der Begriff Rationierung zunehmend Anwendung in der Debatte um die Beschränkung staatlicher Leistungen vor allem im Gesundheitswesen.

Quellen und Literatur

  • J. Ruchti, Gesch. der Schweiz während des Weltkrieges 1914-1919, 2, 1930, 172-276
  • Die schweiz. Kriegswirtschaft 1939/1948, 1950
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Rationierung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 02.08.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013782/2010-08-02/, konsultiert am 28.03.2024.