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AltstättenGemeinde

Politische Gemeinde des Kantons St. Gallen, Hauptort des Bezirks Oberrheintal. Das traditionsreiche Landstädtchen liegt am westlichen Rand der Rheinebene, eingebettet zwischen Ausläufern des Appenzeller Hügellandes. Das Gemeindegebiet umfasst neben Altstätten auch die Dörfer, Weiler und Gebiete Lüchingen, Hueb und Unter-Kobelwies, Kornberg, Gätziberg, Warmesberg, teilweise Hinterforst sowie die zwischen Rüthi (SG) und Sennwald gelegene und bis zum Hohen Kasten reichende Exklave Lienz mit dem Weiler Plona. Als regionales Zentrum liegt Altstätten am alten Verkehrsweg durch das Rheintal und ist auch Ausgangspunkt der Verbindungen über Stoss und Ruppen ins Appenzellerland. 853 Altsteti. 1800 ca. 4900 Einwohner; 1850 6492; 1900 8724; 1950 8603; 2000 10'381.

Wichtigster Grundherr und damit auch Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit war vom frühen Mittelalter bis 1798 das Kloster St. Gallen. Dessen Besitz und Rechte verwalteten vom späteren 13. bis ins 15. Jahrhundert die klösterlichen Dienstadligen von Altstätten. Die Appenzellerkriege überstand einzig ihre um 1375 erbaute Burg Neu-Altstätten oberhalb von Lüchingen. Von den drei anderen Burgen Alt- und Nieder-Altstätten am Saumweg zum Stoss sowie Hoch-Altstätten (1420 belegt) unterhalb des St. Anton sind nur noch Trümmerreste zu sehen. Kunigunde von Altstätten, Letzte ihres Geschlechts, liess um 1450 in der Stadt den nach ihr benannten Frauenhof erbauen. Die hohe Gerichtsbarkeit war dem Inhaber der Reichsvogtei Rheintal vorbehalten, die bis zum Ende des 15. Jahrhunderts häufig den Besitz wechselte (u.a. Montforter, Werdenberger, Habsburger, Toggenburger) und 1490 an die Eidgenossen kam. Bis zur Helvetik wurde die gemeine Landvogtei Rheintal von Rheineck aus verwaltet.

Eine dem heiligen Nikolaus geweihte Kirche in Altstätten ist 1275 als Filiale von Marbach (SG) belegt. Selbstständige Pfarrei wurde die Kirche St. Nikolaus vielleicht um 1359, als Marbach und Altstätten dem Kloster St. Gallen inkorporiert wurden. 1391 ist erstmals ein Leutpriester bezeugt. Die Pfarrei umfasste in der Gründungszeit das Gebiet der Gemeinde Altstätten (ohne Lüchingen und Lienz), Eichberg sowie einige Höfe der heutigen Pfarreien Kobelwald, Gais und Trogen. Letztere machten sich bereits in den 1460er Jahren selbstständig, während Eichberg bis 1951 bei der katholischen Pfarrei Altstätten blieb. Das reformierte Eichberg trennte sich bereits 1713 von Altstätten. Nachdem zur Zeit der Reformation 1528 grosse Teile der Bürgerschaft der Aufforderung des Stadtammanns Hans Vogler Folge leisteten, sich dem St. Galler Fürstabt zu widersetzen und den neuen Glauben anzunehmen (Bildersturm 30. November 1528), kehrte nach dem Landfrieden von 1531 etwa die Hälfte der Einwohner zum alten Glauben zurück. Die Kirche wurde fortan paritätisch genutzt. Die Zeit bis zum Landfrieden von 1712, der die Gleichstellung beider Konfessionen verbürgte, war konfliktreich. Vor allem im 17. Jahrhundert häuften sich handfeste Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Reformierten. Oft waren diese im Recht des St. Galler Fürstabts begründet, auch den reformierten Pfarrer einzusetzen. Das Arbeitsverbot für Neugläubige an katholischen Feiertagen führte im Sommer 1658 fast zu Bürgerkämpfen. Nachdem die Kirche St. Nikolaus erstmals 1567-1568 nach dem grossen Stadtbrand und nochmals 1763 renoviert worden war, beschlossen die beiden Konfessionen 1792 einen Neubau. Die bekannten einheimischen Baumeister Johann Jakob Haltiner und sein Sohn Johann Ulrich realisierten 1794-1798 das neue Gotteshaus, das 1804 geweiht wurde. Eine Innenrenovation erfolgte 1884, Aussenrenovationen im neubarocken Stil 1909-1910 und 1920-1921. Mit dem Bau der neugotischen reformierten Kirche 1904-1906 durch den Basler Paul Reber ging die paritätische Nutzung von St. Nikolaus zu Ende.

Die Stadtmauer von Altstätten datiert in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der St. Galler Fürstabt Berchtold von Falkenstein machte Altstätten damit zum befestigten Ort im Südosten seines Einflussgebiets. 1298 ist Altstätten urkundlich erstmals als oppidum bezeichnet. Das Marktrecht des aufstrebenden Städtchens wurde 1425 von Kaiser Sigismund bestätigt. Neben dem Wochenmarkt etablierten sich auch drei Jahrmärkte, die bis heute im Mai, August und Dezember abgehalten werden. Organe einer städtischen Selbstverwaltung treten erstmals 1415 mit einem Ammann und einem Stadtrat in Erscheinung; beide wurden von der Bürgerschaft gewählt und vom Abt bestätigt. Später diente eine Vielzahl städtischer Beamter dem Gemeinwesen. 1410, zur Zeit der Appenzeller Kriege, und nochmals 1567, als eine Feuersbrunst 175 Häuser in Asche legte, wurde Altstätten vollständig zerstört.

Die Marktgasse in Altstätten, um 1910 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Wehrli).
Die Marktgasse in Altstätten, um 1910 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Wehrli). […]

Neben dem städtischen Markt, der dem lokalen Gewerbe zu Wohlstand verhalf, war der Handel mit Leinwand, später auch Seide und Baumwolle, für die vorindustrielle Wirtschaft Altstättens von grosser Bedeutung. Niederlassungen von Altstätter Handelshäusern in verschiedenen mitteleuropäischen Ländern brachten einer kleinen Oberschicht grossen Reichtum. Neben den Kaufmannsfamilien Näf und Stadler sind vor allem die Custer zu nennen. Zeugnis des "goldenen" 18. Jahrhunderts legen das repräsentative Rathaus (1959 abgebrochen) sowie die stattlichen Bürgerhäuser an der Herrengasse (spätere Marktgasse) mit ihren Bogengängen ab. Beeindruckend das Haus Reburg, Geburtshaus des Jacob Laurenz Custer und 1772 neu erbaut durch Johann Jakob Custer, sowie das 1763 für die Kaufherren Joseph und Ulrich Stadler errichtete Handelshaus zum Raben. Die sogenannte Prestegg, 1488 als Herrensitz der Mötteli erbaut, beherbergt heute eines der bedeutendsten ortsgeschichtlichen Museen des Kantons St. Gallen. In der Landwirtschaft war der Weinbau in vorindustrieller Zeit der wichtigste Zweig, der sogar den Getreidebau bedrängte. Dies hatte zur Folge, dass der Stadtrat in Lindau Korn zukaufen musste.

Das 19. Jahrhundert brachte dem Handelsstädtchen einen tiefgreifenden Strukturwandel. In der Landwirtschaft verlor der Weinbau gegen Ende des Jahrhunderts seine Vorzugsstellung. Die in dieser Zeit häufigen Rebkrankheiten, aber auch die Aussicht auf rasches Geld in der Stickereiindustrie liessen den Weinbau verkümmern. Obwohl 1771 das grosse Isenriet aufgeteilt worden war, blieben die Riedflächen bis ins 20. Jahrhundert extensiv genutzt. Erst die Melioration und Güterzusammenlegung von 1942-1960 schuf die Voraussetzung für eine produktivere mechanisierte Landwirtschaft. Im Verkehrswesen stand vorerst der Strassenbau im Vordergrund. Die auf Geheiss der französischen Besatzer 1799 erbaute Strasse über den Stoss wurde 1859 erneuert. 1838 entstand die Ruppenstrasse, 1883 die Strasse nach Heiden. 1897 wurde die Rheintalische Strassenbahn eröffnet (heute Busbetrieb), 1911 die St. Gallen-Gais-Appenzell-Altstätten-Bahn.

Für die industrielle Entwicklung Altstättens, welche fortan die Wirtschaft bestimmen sollte, gab der Bahnbau entscheidende Impulse. 1858 wurde der vom Zentrum relativ weit entfernte Bahnhof an der Rheintallinie eingeweiht. Der erste grosse Fabrikbau Altstättens, 1858 im Wiesental von den einheimischen Industriellen Grämiger und Hilber realisiert, wurde in den 1860er Jahren unter den Gebrüdern Koellreuther mit 120 Webstühlen zu einer der grössten mechanischen Webereien im Kanton St. Gallen. Die Jahre nach der grossen Depression von 1876-1877 bedeuteten das Ende der Weberei; die Fabrik wurde schliesslich 1898 dem Eichberger Papierfabrikanten Nydegger verkauft. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts dominierte wie im übrigen Rheintal die Stickerei, die in Fabrik- und Heimarbeit einem grossen Teil der Bevölkerung ein Auskommen erlaubte. Die Fabrik im Wiesental machte der Winterthurer Fidel Eugster unter straffer Führung zum grössten Stickereiunternehmen der Region, das zeitweise bis zu 400 Angestellte hatte. Der erste Handwerker- und Gewerbeverein wurde 1885 gegründet. Der rasche Zusammenbruch der Stickerei nach dem Ersten Weltkrieg zeigte, dass die Konzentration auf einen Wirtschaftszweig grosse Nachteile mit sich brachte: Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Stagnation und ein Bevölkerungsrückgang waren die Folgen, die das Altstätter Wirtschaftsleben bis um 1950 belasteten. Erst in den 1960er Jahren stieg die Konjunktur markant an: Der Ausbau bestehender Betriebe, die Ansiedlung neuer Industrien sowie eine ausgesprochene Branchenvielfalt (Ende der 1980er Jahre 600 Selbständigerwerbende) waren verantwortlich dafür, dass der Industrie- und Gewerbesektor rasch erstarkte und 1990 mit 43% der Arbeitsplätze die Erwerbsstruktur stark prägte (6% im 1., 51% im 3. Sektor).

Auch nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht (1803) war der schulische Unterricht noch lange nach Konfessionen getrennt und den beiden Kirchgemeinden unterstellt. Dies führte dazu, dass im 19. Jahrhundert in der Stadt sowie in den Aussenbezirken (Rhoden) in über einem Dutzend Schulstuben unterrichtet wurde. Nach der Übernahme der Mädchenschule durch das Kloster Maria Hilf 1838 wurde der Unterricht zudem geschlechtergetrennt geführt. Erst 1971 wurden die konfessionellen Schulen zur paritätischen Primar- und Sekundarschulgemeinde Altstätten vereinigt.

Die Entfestigung der Stadt, der Bahnbau und die Ansiedlung von Industrien in der Talebene veränderten im 19. Jahrhundert auch das Siedlungsbild. Der zur Zeit der Heimindustrie stark bewohnte Altstätterberg entvölkerte sich zusehends (heute noch eine Bergschule), kleinbäuerliche Betriebe wurden aufgegeben. Das Gebiet zwischen Altstadt und Bahnhof verdichtete sich im Gegenzug zur geschlossenen Siedlung mit Dorfcharakter.

An Institutionen mit Zentrumsfunktion verfügt Altstätten unter anderem über das 1868 von der Gemeinde gegründete und 1991 dem Kanton übergebene Spital sowie eine kommunale Sport- und Erholungsanlage. In der 1868 zur Aufnahme verwahrloster und später auch alkoholkranker Frauen gegründeten und 1989 aufgehobenen Anstalt zum Guten Hirten befinden sich ein kantonales Durchgangsheim für Asylsuchende und die kantonale Jugendstätte Bellevue. Bei der Kantonsgründung von 1803 wurde Altstätten Hauptort des Distrikts Rheintal, 1831 Hauptort des Bezirks Oberrheintal.

Quellen und Literatur

  • N. Rüegger et al., Pfarrkirche St. Nikolaus, 1976
  • H. Müller, B. Anderes, Altstätten, 1985
  • W. Kuster et al., Aus der Gesch. von Stadt und Gem. Altstätten, 1998
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Johannes Vogel: "Altstätten (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.10.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001340/2010-10-07/, konsultiert am 29.03.2024.