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Reichskreise

Die im Zuge der Reichsreform unter Kaiser Maximilian I. auf dem Augsburger Reichstag von 1500 gebildeten sechs Reichskreise Bayern, Schwaben, Oberrhein, Franken, Westfalen und Niedersachsen wurden auf den Reichstagen von Trier und Köln 1512 um Österreich, Burgund, Kurrhein und Obersachsen erweitert und bestanden bis 1806. Die Reichskreise waren eine Institution der Reichsverfassung und Selbstverwaltungskörper mit Satzungsrecht. Die Kreisversammlungen (Kreistage) wurden von den sogenannten kreisausschreibenden Fürsten einberufen und waren nach Bänken oder Kurien organisiert. Die stärksten Aktivitäten entfalteten gerade wegen ihrer ausgeprägten territorialen und herrschaftlichen Zersplitterung die sogenannten Vorderen Reichskreise Schwaben, Oberrhein und Franken mit jeweils über 100, 50 und 30 kreissässigen Herrschaften, während andere Reichskreise, zum Beispiel der burgundische und der österreichische, kaum ein Eigenleben entwickelten. Den Reichskreisen oblagen der Schutz des Landfriedens, die Exekution der Urteile des Reichskammergerichts und die Reichsverteidigung (u.a. die Bildung der Kreistruppen), vor allem in den Vorderen Reichskreisen zusätzlich reichspolizeiliche Angelegenheiten wie Strassenbau, Gewerbe- und Handelspolitik, Seuchenvorsorge, Bekämpfung der vagierenden Kriminalität und Massnahmen zur Stabilisierung des Münzwesens.

Die eidgenössischen Orte wehrten sich Ende des 15. Jahrhunderts gegen die Reichsreform, da sie keine Stärkung des Reichs wollten. Ihre Opposition gegen die Beschlüsse des Wormser Reichstags von 1495 und den Schwäbischen Bund mündeten 1499 in den Schwabenkrieg, welcher im Frieden von Basel der Eidgenossenschaft schliesslich die weitgehende Unabhängigkeit vom Reich brachte. Daher wurde sie 1500 bzw. 1512, gleich wie zum Beispiel Böhmen, die italienischen Reichsgebiete und die Gebiete der Reichsritterschaft, keinem Reichskreis zugeordnet. Verschiedene heute schweizerische Gebiete gehörten aber einem der benachbarten Reichskreise an.

Dem oberrheinischen Reichskreis wurden im 16. Jahrhundert die Fürstbistümer Basel, Genf, Lausanne und Sitten, die Stadt Mülhausen sowie als südwestlichster Kreisstand das Herzogtum Savoyen zugewiesen. Genf und Lausanne sandten nie Vertreter an Kreistage, Sitten nur 1544 und Savoyen 1592, um Hilfe gegen die Stadt Genf anzufordern. Bis Ende des 18. Jahrhunderts verblieben beim oberrheinischen Reichskreis nur Mülhausen sowie das Fürstbistum Basel, das noch in den 1790er Jahren eine Vertretung in Frankfurt am Main unterhielt und sich um militärische Hilfe gegen die französische Besetzung bemühte.

Der österreichische Reichskreis umfasste vor allem die habsburgischen Besitzungen am Oberrhein, in Schwaben und östlich der heutigen Schweizer Grenze (Vorarlberg, Brixen, Trient) und entfaltete kein eigenständiges Kreisleben. Zu ihm gehörten bis 1798 das vorderösterreichische Fricktal und die Herrschaft Tarasp. 1720 erschien der (früher zum schwäbischen Reichskreis gehörende) Fürstbischof von Chur wegen der Herrschaften Fürstenberg und Wiesberg bei Landeck als Kreisstand des österreichischen Reichskreises.

Für die Schweiz am wichtigsten war der schwäbische Reichskreis mit dem Fürstbischof von Konstanz und dem Herzog von Württemberg als kreisausschreibende Direktoren. In der Reichsmatrikel von 1521 erschienen unter den 101 Kreisständen der Fürstbischof von Chur, die Äbte von St. Gallen, Allerheiligen (Schaffhausen), Einsiedeln, Disentis, Stein am Rhein, Kreuzlingen, Pfäfers, St. Johann im Thurtal, die Grafen von Werdenberg-Sulz, Montfort, Brandis-Sulz, die Reichsstädte Schaffhausen, Rottweil und St. Gallen. 1541 wurden die eidgenössischen Kreisstände zwar noch zum Kreistag eingeladen, doch nahmen sie offensichtlich nicht mehr daran teil. Im 18. Jahrhundert erschienen aus dem eidgenössischen Raum als Kreisstände neben dem Fürstbischof von Konstanz nur noch die zugewandten Orte Rottweil und die Fürstabtei St. Gallen (wegen der Herrschaft Neu-Ravensburg, aber die Mitgliedschaft war umstritten) sowie ab 1707 das Fürstentum Liechtenstein. Einzelne eidgenössische Orte und die Tagsatzung pflegten zum benachbarten schwäbischen Reichskreis während drei Jahrhunderten enge Beziehungen. Dabei ging es insbesondere um die Kornversorgung aus Schwaben (z.B. die Kornsperre gegen die Schweiz in den Hungerjahren 1770/1771), den Strassenbau, die Bekämpfung des Bettler- und Vagantentums (z.B. 1777) und grenzpolizeiliche Massnahmen. Forschungen zur Bedeutung der Reichskreise für die Schweiz fehlen.

Quellen und Literatur

  • A. Laufs, Der Schwäb. Kreis, 1971
  • W. Dotzauer, Die dt. Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches und ihr Eigenleben, 1989
  • HRG 4, 681-687
  • Reichskreise und Territorium, hg. von W. Wüst, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Marco Jorio: "Reichskreise", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.08.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009834/2010-08-20/, konsultiert am 29.03.2024.