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Untertanengebiete

Untertanengebiete der eidgenössischen und zugewandten Orte 1536-1797
Untertanengebiete der eidgenössischen und zugewandten Orte 1536-1797 […]

Untertanengebiete oder Untertanenlande waren die von einem (eidgenössischen oder zugewandten) Ort allein oder von mehreren Orten gemeinsam (Gemeine Herrschaften) regierten und verwalteten Herrschaftsgebiete. Die Untertanengebiete entstanden im Zuge der Territorialpolitik der Orte im 14.-16. Jahrhundert. Allgemein waren die Untertanengebiete der Städteorte grösser als jene der Länderorte: Bern bildete bis 1798 mit seinen Untertanengebieten den grössten Stadtstaat nördlich der Alpen, Appenzell dagegen partizipierte lediglich an einem einzigen Untertanengebiet, der gemeinen Herrschaft Rheintal. Unter den Länderorten besass Uri mit der Leventina sowie der Beteiligung an den meisten gemeinen Herrschaften das grösste Untertanengebiet. Unter den zugewandten Orten beherrschten die sieben Oberwalliser Zenden mit dem Unterwallis, der Freistaat der Drei Bünde mit Bormio, Chiavenna, Maienfeld und dem Veltlin sowie die Fürstabtei St. Gallen (Geistliche Territorialherrschaften) mit der Alten Landschaft und dem Toggenburg besonders grosse Untertanengebiete

Der Begriff Untertanengebiete verschleiert die Uneinheitlichkeit und Vielfältigkeit der jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Verhältnisse. Die Untertanengebiete umfassten sowohl überwiegend ländliche, agrarisch oder heimindustriell orientierte Gebiete als auch handwerklich und gewerblich geprägte Städte. Da die Orte beim Antritt ihrer Herrschaft über die erworbenen oder eroberten Untertanengebiete die lokalen Gewohnheiten garantierten, koexistierten in den Untertanengebieten unterschiedliche Rechtsverhältnisse: Die wichtigeren Landstädte wie Burgdorf, Thun, Aarau, Zofingen, Brugg, Lenzburg, Liestal, Sursee, Willisau, Lausanne, Moudon, Yverdon, Morges, Nyon, Winterthur, Stein am Rhein, Frauenfeld oder Diessenhofen besassen weitgehende Selbstverwaltung (Ratsverfassung) und eigene (Blut-)Gerichtsbarkeit; in Ausnahmefällen verwalteten sie eigene Herrschaftsgebiete (z.B. Burgdorf, Thun, Bremgarten AG). Die kleineren Städte im Untertanengebiet waren vielfach Sitz des Landvogts aus dem regierenden Ort (z.B. Büren an der Aare, Eglisau, Kyburg, Nidau). Im ländlichen Raum blieben unter der Oberherrschaft der eidgenössischen Orte die Grund- und gerichtsherrlichen Rechte in adliger, patrizisch-bürgerlicher, städtischer, kirchlicher und klösterlicher Hand bestehen (Agrarverfassung). In den ländlichen Untertanengebieten existierten zudem unter derselben Obrigkeit Gemeinden und Landschaften mit hoher Autonomie in Verwaltungs- und Gerichtsfragen (z.B. Oberhasli, Frutigen, Saanen; Entlebuch; die Landschaft March; Toggenburg) neben solchen, die lediglich die kommunale Nutzungsordnung selbst regelten.

Die regierenden Orte setzten ab dem 15. Jahrhundert ihre Landesherrschaft und Landeshoheit (Territorialherrschaft) vermehrt durch (Mannschaftsrecht, Steuer, Huldigung, Untertaneneid, obrigkeitliche Mandate) und erreichten so eine gewisse staatliche Geschlossenheit ihres Untertanengebiets. Verstärkt wurde diese durch die Reformation und Konfessionalisierung in kirchlicher und kultureller Hinsicht. Die Untertanengebiete waren für die staatliche Macht besonders der Städteorte bedeutsam: Sie sicherten das demografische Überleben der Städte durch Zuwanderung, versorgten diese mit Nahrung und Rohstoffen, bildeten für sie ein Steuerreservoir und stellten mit der wehrfähigen Mannschaft das Gros des militärischen Aufgebots, ohne das die relativ kleinen eidgenössischen Städte ihre Kriege vom 14. bis 16. Jahrhundert nicht hätten führen können.

Die Abhängigkeit der Untertanengebiete von ihren Obrigkeiten äusserte sich in mehreren Belangen. Sie waren politisch rechtlos, von jeglicher Teilhabe an den höchsten politisch-staatlichen und militärischen Ämtern und Entscheidungen ausgeschlossen. Söhne von Bürgern aus den vornehmsten Landstädten des Untertanengebiets konnten allenfalls zu Pfarrerstellen zugelassen werden. Die Ergebnisse der Ämteranfragen, mit denen Städteorte (Bern, Zürich, Luzern, Solothurn) im 15. und 16. Jahrhundert in politisch sensiblen Fragen die Meinung ihrer Untertanengebiete einholten, blieben für die Obrigkeiten unverbindlich. Administrativ waren die Untertanengebiete in Ämter bzw. Vogteien eingeteilt, denen für eine bestimmte Amtszeit Ober- oder Landvögte vorstanden. Die Vögte wurden stets aus einem begrenzten Kreis von Familien des regierenden Orts gewählt. Sie repräsentierten die Obrigkeit und vertraten deren Interessen. Ihnen schworen die mündigen Männer Treue und Gehorsam bei der periodischen Huldigung. In den Vogteien war der staatliche Verwaltungsapparat personell kaum ausgebaut, so dass für zahlreiche Aufgaben in der lokalen Verwaltung und Gerichtsbarkeit Ortsansässige zuständig waren. So gelangten Vertreter der dörflich-bäuerlichen Oberschicht in das Amt eines Untervogts. In ökonomischer Hinsicht erfuhren besonders die städtischen Untertanengebiete ihre Abhängigkeit in vielen Einschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit. Die städtischen Obrigkeiten (Zünfte) bezweckten mit der Auferlegung des Marktzwangs für Agrarprodukte, mit der Verhängung von Preis-, Produktions- und Absatzvorschriften für die Erzeugnisse aus den Untertanengebieten und mit dem Verbot von handwerklich-gewerblicher und kaufmännischer Aktivitäten auf dem Land sowohl eine sichere Versorgung mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Rohstoffen als auch die Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz für das zünftige Handwerk.

In den vielfältigen Interessengegensätzen zwischen Obrigkeiten und Untertanengebieten wurzelte strukturell die hohe Konfliktanfälligkeit der Alten Eidgenossenschaft. Besonders in den städtischen Untertanengebieten traten Protest und Widerstand der Untertanen häufiger auf. Sie richteten sich in der Phase der Territorialbildung und der ersten staatlich-administrativen Straffung der Untertanengebiete im 14. und 15. Jahrhundert gegen Massnahmen zur Vereinheitlichung und Intensivierung der Territorial- und Landeshoheit. Die Kriegsdienstverpflichtungen und die Besteuerung der Untertanen sowie die Einschränkung der kommunalen Rechte waren vom 15. bis ins 18. Jahrhundert Hauptursachen für die ländlichen Unruhen in den Untertanengebieten von Bern, Basel, Freiburg, Luzern, Schaffhausen und Zürich. 1481 sicherten sich die Orte im Stanser Verkommnis gegenseitig Bundeshilfe für die Bewältigung von innerörtlichen Untertanenkonflikten zu. In der frühen Neuzeit erregte auch die Herrschaft von Landsgemeindeorten den Widerstand der Untertanengebiete, so zum Beispiel 1719-1721 im Werdenberger Landhandel gegen Glarus und 1755 im Livineraufstand gegen Uri. Der überörtliche Bundesschluss mehrerer Untertanengebiete gegen ihre Obrigkeiten im Bauernkrieg 1653 blieb die Ausnahme. Am Ende des Ancien Régime manifestierte sich das erwachende Selbstbewusstsein, die wirtschaftliche Stärkung und Verselbstständigung der ländlichen Untertanengebiete etwa im Stäfner Memorial und Stäfnerhandel (1794-1795), als die ländlichen Untertanen die Zusicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte für die gesamte Landschaft Zürichs forderten. Damit erteilten sie dem im Ancien Régime vorherrschenden paternalistischen Regierungsstil der regierenden Orte eine Absage und unterstrichen ihren Emanzipationsanspruch gegenüber der städtischen Herrschaft. 1798 hob die Verfassung der Helvetischen Republik alle Untertanenverhältnisse auf. Bonaparte bestätigte dies in der Mediationsakte 1803 und ebnete damit verfassungsrechtlich den Weg der Kantone Aargau, St. Gallen, Tessin, Thurgau und Waadt zur staatlichen Selbstständigkeit (Stadt-Land-Beziehungen). Die Restauration der politischen Ungleichheit zwischen Stadt und Land in einzelnen Kantonen 1815 wurde erst mit den liberalen Revolutionen 1830-1831 vollends überwunden.

Quellen und Literatur

  • Peyer, Verfassung, 44-74, 107-141
  • Braun, Ancien Régime
  • A. Holenstein, Die Huldigung der Untertanen, 1991
  • Stadt und Land, hg. von U. Pfister, 1998
  • Collenberg, Amtsleute
  • HbGR 2, 141-171
  • A. Holenstein, «Polit. Partizipation und Repräsentation von Untertanen in der alten Eidgenossenschaft», in Landschaften und Landstände in Oberschwaben, hg. von P. Blickle, 2000, 223-249
  • B. Stettler, Die Eidgenossenschaft im 15. Jh., 2004
Weblinks

Zitiervorschlag

André Holenstein: "Untertanengebiete", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.03.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009816/2013-03-05/, konsultiert am 12.04.2024.