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Mediation

Die Schweiz zur Mediationszeit
Die Schweiz zur Mediationszeit […]

Der Begriff Mediation bezeichnet die Periode, während der die von der Consulta und Napoleon Bonaparte ausgearbeitete Mediationsakte die verfassungsrechtliche Grundlage der Schweiz gebildet hat. Der Zeitabschnitt begann mit dem offiziellen Ende der zerfallenen Helvetischen Republik am 10. März 1803 – an diesem Tag ging die Amtsgewalt von den helvetischen Behörden auf den Landammann der Schweiz und die provisorischen kantonalen Regierungskommissionen über – und dauerte bis zur Ausserkraftsetzung des Verfassungswerks durch zehn alte Kantone am 29. Dezember 1813, was die Epoche der Restauration einleitete. Die Mediation war durch die Abhängigkeit von Frankreich und die teilweise Rückkehr zu vorrevolutionären Zuständen geprägt. Den Kantonen ermöglichte die "kleine Restauration", wie Ulrich Im Hof die Mediationszeit nannte, nach den wechselvollen Jahren der Helvetik die innere Konsolidierung.

Politische Entwicklung

Das Hoheitsgebiet der im Gegensatz zum Ancien Régime aus 19 gleichberechtigten Gliedstaaten bestehenden Schweizerischen Eidgenossenschaft umfasste einen grossen Teil der heutigen Schweiz. Das 1806 von Preussen an Frankreich abgetretene Fürstentum Neuenburg, die 1810 von Napoleon annektierte Republik Wallis, Genf und das vormalige Fürstbistum Basel gehörten noch nicht dazu. Graubünden (ohne das Veltlin, Bormio und Chiavenna) schloss sich 1803 definitiv der Eidgenossenschaft an. Aus der Stadt und der – 1805 endgültig aufgehobenen – Fürstabtei St. Gallen und den bis 1798 untertänigen Gebieten Rheintal, Sax, Gams, Werdenberg, Sargans, Gaster, Uznach und Rapperswil entstand der Kanton St. Gallen, aus dem ehemaligen bernischen Unteraargau, der Grafschaft Baden, den Freien Ämtern und dem vorher österreichischen Fricktal der Kanton Aargau. Die helvetischen Kantone Waadt und Thurgau blieben bestehen, während Bellinzona und Lugano zum Kanton Tessin vereinigt wurden. Mit der Erhebung der ehemaligen Untertanengebiete zu gleichberechtigten Bundesgliedern wurde eine der Errungenschaften der politischen Umwälzung von 1798 bewahrt. Dem Hauptort des Direktorialkantons kam die Funktion der Hauptstadt zu. Die Mehrsprachigkeit der Helvetik wurde ohne eigentliche Grundsatzerklärung weitergeführt.

Die Verfassung der Eidgenossenschaft bestand aus bundesstaatlichen und staatenbündischen Elementen. Ständige Bundesorgane stellten der Landammann der Schweiz, die diesem unterstellte eidgenössische Kanzlei sowie einige Diplomaten dar. Die Tagsatzung als oberste Bundesbehörde trat in der Regel einmal jährlich in der Hauptstadt des jeweiligen Vororts Freiburg, Bern, Solothurn, Basel, Zürich oder Luzern zusammen. Sie bestand aus 19 Abgeordneten, wobei die bevölkerungsreichsten Kantone Bern, Zürich, Waadt, St. Gallen, Aargau und – wegen eines Irrtums bei der Zählung – Graubünden doppelte Stimme besassen. Die Tagsatzungsgesandten waren an die Instruktionen ihrer Regierungen gebunden, was die Handlungsfähigkeit des Gremiums stark einschränkte. Die Versammlung, an der sich die sechs Land-, die sieben Stadt- und die sechs neuen Kantone in wechselnden Allianzen gegenüberstanden, entschied mit Dreiviertelsmehrheit über Bündnisse, Krieg und Frieden, bot in Krisensituationen die kantonalen Truppenkontingente auf und schloss Handelsverträge und Militärkapitulationen mit dem Ausland ab. Bei Streitigkeiten zwischen den Kantonen fungierte sie als oberstes Schiedsgericht. Weil die auf ihre Souveränität bedachten Bundesglieder den Beschlüssen oft nicht Folge leisteten und interkantonale Angelegenheiten lieber mittels Konkordaten regelten, blieb der Einfluss der Tagsatzung gering.

Karikatur von David Hess. Aquarell, 1813 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Karikatur von David Hess. Aquarell, 1813 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

In den früheren Länderorten Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Glarus, Zug sowie den beiden Appenzell wurde die Landsgemeinde wiederhergestellt. Die Stadtkantone Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Basel und Schaffhausen kehrten zum System des Obrigkeitsstaats mit Klein- und Grossräten zurück, in dem der Vorrang der Hauptstadt gegenüber der Landschaft durch Zensus, Wahlkreiseinteilung und indirekte Wahlen gewahrt blieb. Die neuen Kantone St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt funktionierten als zentralistische Repräsentativdemokratien mit Zensusbestimmungen. Graubünden erhielt einerseits gesamtstaatliche Behörden, andererseits wurden die bündische Struktur und das obligatorische Gemeindereferendum restauriert. Die Gewaltentrennung der Helvetik wurde praktisch überall beseitigt. Ausserhalb des alpinen Raums erfolgte eine administrativ-rechtliche Vereinheitlichung der Kantonsterritorien. Zahlreiche Kantone schufen Polizeikorps. Neu war die Institution des Friedensrichters auf kommunaler Ebene. In den ehemaligen 13 Orten mit Ausnahme Luzerns ging die Macht wieder an die alten Eliten über, in den Mediationskantonen gelangten gemässigte Helvetiker an die Staatsspitze. Der Glaubenszwang wurde wieder eingeführt, Staatskirchen kontrollierten das Schulwesen wie vor 1798, doch lebte in den meisten Kantonen der helvetische Erziehungsrat als Leitungsgremium fort. Auf dem Gebiet der Strafjustiz zeigten sich teilweise reaktionäre Tendenzen. Die Gleichberechtigung der Einzelpersonen blieb nur teilweise bestehen, die Niederlassungsfreiheit musste auf Druck Frankreichs beibehalten werden. Für die Zehntablösung verlangten einzelne Kantone eine hohe Kapitalisierung, was 1804 zu einem Aufstand der Zürcher Seegemeinden, dem sogenannten Bockenkrieg, führte.

Napoleon bemühte sich, die Schweiz als freies, neutrales Land erscheinen zu lassen. Nach dem Abschluss einer Defensivallianz am 27. September 1803 war deren Bindung an Frankreich nicht mehr so eng wie zur Zeit der Helvetischen Republik, doch kam der Zwangsbezug von jährlich 200'000 Zentnern Salz einer Tributleistung gleich. Im Februar 1804 verliessen die letzten französischen Einheiten die Eidgenossenschaft, die Frankreich aufgrund der Militärkapitulationen vom 27. September 1803 und vom 28. März 1812 16'000 bzw. 12'000 Soldaten und damit einen Grossteil der wehrfähigen Mannschaft zur Verfügung stellen musste. Im Russlandfeldzug Napoleons, in dessen Verlauf die schweizerischen Truppen am 27. und 28. November 1812 den Übergang der geschlagenen "Grande Armée" über die Beresina sicherten, verloren mehrere Tausend Schweizer ihr Leben. Das aus nur ungenügend bewaffneten kantonalen Kontingenten bestehende Bundesheer von rund 15'000 Mann reichte – dies zeigten die Grenzbesetzungen während des Dritten und des Fünften Koalitionskriegs 1805 und 1809 – für eine wirksame Landesverteidigung nicht aus. Die 1804 anvisierte Bildung eines ständigen Generalstabs scheiterte am Widerstand Napoleons, der kein Interesse an einer starken schweizerischen Militärmacht hatte. Mit dem allgemeinen Militärreglement vom 5. Juni 1807 wurde immerhin das Fundament für eine einheitliche Organisation und Ausbildung der Kontingente gelegt.

Diplomatische Beziehungen pflegte die Eidgenossenschaft mit den von Frankreich abhängigen oder mit ihm verbündeten Staaten. In Paris liess sie sich durch einen Gesandten vertreten, in Mailand und in Wien durch einen Geschäftsträger. 1803 wurden durch den Reichsdeputationshauptschluss mit französischer Unterstützung die letzten landesherrlichen und güterrechtlichen Bande zum Heiligen Römischen Reich gelöst. Während das Verhältnis zu Baden, Württemberg und Bayern problemlos war, wurde dasjenige zu Österreich bis 1808 durch die Inkamerationsangelegenheit belastet, weil der östliche Nachbar im Dezember 1803 unter Missachtung des Reichsdeputationshauptschlusses Landbesitz, Liegenschaften und Kapitalien schweizerischer Bistümer (Chur), Klöster, Gemeinden und Korporationen auf österreichischem Territorium beschlagnahmt hatte. Gespannt waren die Beziehungen zu Italien, das die Annexion der Südschweiz anstrebte und vom 31. Oktober 1810 bis zum 7. November 1813 den Kanton Tessin besetzt hielt. Keine offiziellen Kontakte bestanden zu Grossbritannien, obschon drei Schweizer Regimenter unter britischer Fahne kämpften. Trotz der unberechenbaren Politik Napoleons blieb die Eidgenossenschaft als einziges republikanisches Staatswesen in Europa bis zum Ende des Kaiserreichs bestehen. Am 18. November 1813 erklärte eine ausserordentliche Tagsatzung die Neutralität der Eidgenossenschaft und bot eidgenössische Kontingente zum Schutz der Rheingrenze auf. Diese Massnahmen konnten aber den Durchmarsch der Alliierten Ende Dezember, der zur Ausserkraftsetzung der Mediationsakte und zum Ende der Mediation führte, nicht verhindern.

Wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung

Die Kontinentalsperre hatte für die schweizerische Wirtschaft einerseits Versorgungsschwierigkeiten zur Folge, andererseits fiel im Bereich der Textilindustrie die britische Konkurrenz in Kontinentaleuropa weg, was zumindest phasenweise die Entwicklung der schweizerischen Baumwollspinnerei begünstigte. Die mehrheitlich reformierten Kantone des Mittellands stellten schon damals einen wirtschaftlichen Machtfaktor dar; sie leisteten denn auch höhere finanzielle Beiträge an die 1804 eingerichtete Zentralkasse, als es ihrer Einwohnerzahl entsprochen hätte. Zu den grössten Unternehmungen der Mediation zählte die 1807 begonnene Linthkorrektion. Die Pressefreiheit sowie die Vereins- und Versammlungsfreiheit waren nicht mehr garantiert, die Bildungselite fand sich in unpolitischen gesamtschweizerischen Vereinen wie der 1806 gegründeten Gesellschaft Schweizerischer Künstler und Kunstfreunde, der 1807 wiedererweckten Helvetischen Gesellschaft oder der 1811 ins Leben gerufenen Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz zusammen. Den Höhepunkt des nationalen Aufbruchs bildeten die Unspunnenfeste von 1805 und 1808, die später zur Verklärung der Mediation beitrugen.

Historiografie, Nachleben und Erinnerung

Während die Mediation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wegen der relativ ungestörten inneren Entwicklung inmitten des napoleonischen Europa günstiger beurteilt wurde als die Helvetik, kritisierten um 1900 nationalliberale Historiker wie Wilhelm Oechsli die durch die föderalistische Struktur bedingte Schwäche der Schweiz und deren Protektoratsstatus. Forscher des ausgehenden 20. Jahrhunderts würdigten die Mediation als Periode der politischen Konsolidierung und Stabilität an der Schwelle zur modernen Zeit. Das 200-Jahr-Jubiläum wurde – wie das Zentenarjubiläum 1903 – vor allem von den Mediationskantonen begangen. In Paris fand am 20. Februar 2003 eine vom Kanton St. Gallen angeregte schweizerisch-französische Gedenkveranstaltung statt, an welcher der Bundespräsident und der Nationalratspräsident teilnahmen.

Quellen und Literatur

  • EA Rep. 1803-1813
  • G. Hunziker, A. Fankhauser, Das Archiv der Mediationszeit 1803-1813, 1982 (mit Bibl.)
  • U. Im Hof, Gesch. der Schweiz, 21976, 97-101
  • HbSG 2, 841-869
  • A. Kölz, Neuere schweiz. Verfassungsgesch., 1992, 143-153
  • Vaud sous l'Acte de Médiation, 1803-1813, hg. von C. Chuard et al., 2002
  • Actum 1803: Geschichten aus dem Zürcher Regierungsprotokoll zum kant. Neubeginn vor 200 Jahren, 2003
  • Bonaparte, la Suisse et l'Europe, hg. von A. Dufour et al., 2003
  • C. Caldelari, Napoleone e il Ticino, 2003
  • Creare un nuovo cantone all'epoca delle rivoluzioni: Ticino e Vaud nell'Europa napoleonica, 1798-1815, 2004
  • Gesch. der Schweiz und der Schweizer, 32004, 447-526, v.a. 519-522
  • Krieg und Frieden in Europa, hg. von Hervé de Weck, 2004
  • Die Schweiz unter der Mediationsakte in Napoleons Europa (1803-1814), hg. von M. Turchetti, 2005
  • Staat und Gesellschaft in Freiburg zur Mediationszeit (1803-1814), hg. von F. Python, 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Fankhauser: "Mediation", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.10.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009798/2009-10-29/, konsultiert am 19.03.2024.