de fr it

Lehen

Ende des 9. Jahrhunderts erscheint im Burgund das Lehen als ein Gut, das ein Mächtiger (Lehnsherr) einem seiner Männer (Lehnsmann oder Lehnsträger) als Gegenleistung für einen Dienst – meist militärische Unterstützung – verlieh. In diesem Verständnis verbreitete sich der Begriff vom 11. Jahrhundert an, wobei er honor und das im kirchlichen Kontext verwendete beneficium verdrängte. Nach dem Wormser Konkordat (1122) galten die wichtigsten kirchlichen Würden (Bistümer, grosse Abteien) als Reichslehen. Das deutsche Wort Lehen bezieht sich auf etwas Geliehenes. Die französische und italienische Entsprechungen von Lehen, fief bzw. feudo, leiten sich vom mittellateinischen feudum ab, das wiederum auf das 792 in einer St. Galler Urkunde belegte althochdeutsche fihu (wertvolles bewegliches Gut wie z.B. Vieh) zurückgeht; etymologische Herleitungen von foedus (Vertrag, Bündnis) oder fiscus (öffentlicher Boden, Gutseinkommen) gelten als widerlegt.

In den Schweizer Quellen ist das Institut des Lehens, abgesehen von einer Erwähnung in Nyon 1008, vor dem 12. Jahrhundert kaum anzutreffen. Mit der Verdichtung der Quellenlage tritt dann der lehnsrechtliche Charakter der beschriebenen Güter deutlicher hervor. Das Lehen stand dem Allod gegenüber, das im 13. Jahrhundert immer seltener wurde oder ganz verschwand (Neuenburg). Entsprechend seinem militärischen und aristokratischen Ursprung war das Lehen die materielle Komponente eines Macht- und Dienstverhältnisses innerhalb des Adels. Für das Lehen, manchmal auch adliges Lehen, Frei- oder Ehrenlehen genannt, musste eigentlich keine Abgabe geleistet werden, womit es sich von der bäuerlichen Leihe (Zinsgut) unterschied. Allerdings wird Letztere zuweilen auch als bäuerliches Lehen bezeichnet. Darin zeigt sich die vom 13. Jahrhundert an fassbare allgemeine Verbreitung des Lehens auf allen gesellschaftlichen Ebenen, eine Erscheinung, welche die Geschichtsschreibung mit den Konzepten des Lehnswesens und der Feudalgesellschaft zu fassen versuchte.

Während ursprünglich meist der Lehnsherr das Lehen seinem Vasallen (Vasallität) verlieh, kam es im Verlauf des Hochmittelalters zu einer Umkehrung. Der Besitzer eines Allods schenkte dieses einem mächtigeren Herrn, der es ihm als Lehen zurückgab. Bei dieser sogenannten Lehnsauftragung (vergleichbar mit der frühmittelalterlichen precaria oblata) leistete der Vasall dem Lehnsherrn einen Treueeid, manchmal begleitet von der vasallitischen Huldigung. Oft wurde diese als sogenannte ligische Huldigung, die eine vorrangige oder gar ausschliessliche Treuebindung mit sich brachte, bezeichnet. Die Lehnsauftragung diente den Territorialherren in der Schweiz (Habsburg, Savoyen, Bischöfe) wie auch im übrigen Reich als Mittel, die lokalen Eliten an sich zu binden. Im Zuge dieser Politik entstanden schriftliche Aufzeichnungen, in denen die Lehen immer genauer angegeben wurden. Die Savoyer verfassten ab Mitte des 13. Jahrhunderts Chartulare der Lehen ihrer Waadtländer Vasallen, wogegen das erste habsburgische Lehensbuch erst in den 1370er Jahren entstand.

Die Rechte am Lehen, das rasch erblich wurde, verteilten sich auf die beiden Parteien. Der Lehnsmann war Nutzniesser und durfte die Einkünfte behalten (dominium utile); der Lehnsherr kontrollierte als Obereigentümer die Übertragung oder Veräusserung des Lehens, indem er hierzu seine Zustimmung geben musste und Abgaben erhob (dominium directum). In den Gebieten entlang der Sprachgrenze (Freiburg, Bern, Waadt, Neuenburg) wurde vom 14. Jahrhundert an manchmal angegeben, ob sich der Besitz des Lehens nach West- oder Deutschschweizer Sitte richtete. Diese Präzisierung verweist auf unterschiedliche lehnsrechtliche Normen. Beispielsweise war die Übertragung über die weibliche Linie in den Deutschschweizer Gebieten wahrscheinlich stärker eingeschränkt. Allerdings lässt sich die tatsächliche Anwendung dieser Normen (z.B. die commissio genannte Einziehung des Lehens durch den Herrn) nur selten feststellen. In den Quellen sind eher Abweichungen von diesen Regeln erwähnt, die jeweils Anlass zu Kompromissen oder finanziellen Entschädigungen gaben. In der frühen Neuzeit verlor das Lehen seine politische und militärische Bedeutung und bestand nur noch als eine Art von Grundbesitz weiter. Dieser Befund muss allerdings differenziert betrachtet werden, nicht zuletzt angesichts der Fülle von lehnsrechtlichen Zeugnissen, die gerade in dieser Zeit entstanden sind. Ausserdem hatten etwa die waadtländischen Vasallen im Ancien Régime der Berner Herrschaft bei obrigkeitlichem Aufgebot Reiter zu stellen, eine Verpflichtung, die an die militärische Bestimmung des Lehens erinnert.

Quellen und Literatur

  • Idiotikon 3, 1236-1241
  • H. Rennefahrt, Grundzüge der bern. Rechtsgesch., 4 Bde., 1928-36
  • HRG 2, 1686
  • F.L. Ganshof, Was ist das Lehnswesen, 1961 (71989, franz. 1944)
  • B. Diestelkamp, «Lehnrecht und spätma. Territorien», in Der dt. Territorialstaat im 14. Jh., hg. von H. Patze, 1, 1970, 65-96
  • G.P. Marchal, Sempach 1386, 1986, 29-57
  • LexMA 5, 1807-1825
  • P.-R. Monbaron, «La conquête bernoise des redevances vaudoises», in De l'Ours à la Cocarde, 1998, 117-130
  • B. Andenmatten, La maison de Savoie et la noblesse vaudoise, (XIIIe-XIVe s.), 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Andenmatten: "Lehen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.01.2008, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008972/2008-01-21/, konsultiert am 28.03.2024.