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Simplonpass

Die Route über den Simplonpass führt von Brig nach Domodossola und überwindet im Norden die Saltinaschlucht und im Süden die Gondoschlucht, die den Zugang zum ansonsten gut begehbaren Gelände lange erschwerten. 1235 hospitalis de Semplon, 1246 Colles de Semplon, italienisch passo del Sempione, französisch col du Simplon. Die Passhöhe auf 2005 m befindet sich in der Schweiz; Gondo (Zollstation) und Simplon sind die einzigen Walliser Dörfer auf der Alpensüdseite. Der Name Simplon bezeichnet neben dem Pass die gesamte Talschaft und die Gemeinde mit der Hauptsiedlung Simplon Dorf. Die Geschichte des Simplonpasses ist geprägt von einem steten Wechsel zwischen Blütezeit und Niedergang und lässt sich anhand der Entwicklung und des Ausbaus des Übergangs seit dem Hochmittelalter gut nachzeichnen.

Von der Urgeschichte bis ins Frühmittelalter

Die ältesten archäologischen Funde auf dem Simplonpass stammen aus der Jungsteinzeit, vereinzelt aus der Mittelsteinzeit. Eine Brandrodung im Passgebiet aus der Zeit um 2100 v.Chr. kann als Ausweitung der Alpweiden gedeutet werden. Die 2003 gefundenen Bergkristallsplitter lassen auf Hirten und Jäger schliessen und ein Bruchstück eines Armreifs datiert auf 700 v.Chr. Ausgrabungen bei Gamsen im Rhonetal, die Spuren von Siedlungen bis zurück in die Bronzezeit zutage förderten (1400-1100 v.Chr.), erbrachten Beweise für Handelsbeziehungen über den Simplonpass zwischen dem Oberwallis und dem angrenzenden Val d'Ossola sowie dem Tessin. Münzfunde beidseits des Passes belegen seine Begehung zur Zeit der Römer. Zuverlässige Aussagen zur Intensität des Handels über den Simplonpass sind bis weit ins Hochmittelalter nicht möglich.

Der hochmittelalterliche Saumweg und das Johanniterhospiz

Aufzeichnungen der Warenzölle unter Bischof Landrich von Mont in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts belegen eine rege Nutzung des Simplonpasses mindestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts. Diese erste Blütezeit fiel zeitlich mit der Besiedlung der Simplonsüdseite durch alemannischstämmige Einwanderer aus dem Talkessel von Brig zusammen. Der Aufschwung hing aber weniger mit dieser Walserkolonisation, als vielmehr mit den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen im Alpenraum, in den angrenzenden Gebieten und entlang der Zubringerachsen zusammen: Im 11. Jahrhundert strebten die norditalienischen Städte auf, das 12. Jahrhundert war geprägt von den lombardischen Städtebünden unter Mailänder Führung und im 12. und 13. Jahrhundert erblühten die grossen Warenmessen in der Champagne. Als kürzeste und einfachste Verbindung zwischen diesen bedeutenden Wirtschaftsräumen entwickelte sich der Simplonpass zu einer wichtigen Transitachse und stellte den Grossen St. Bernhard, der in römischer Zeit im Vordergrund gestanden hatte, in den Schatten. Darüber hinaus spielte der Simplonpass im Spannungsfeld zwischen Savoyen und Frankreich im Westen, Mailand im Süden und dem Heiligen Römischen Reich im Norden und im Osten nun neben dem Gotthardpass eine wichtige Rolle. Beide Pässe entwickelten sich im 12. und 13. Jahrhundert parallel und standen unter dem Einfluss der Savoyer bzw. der Habsburger in einer gewissen Konkurrenz zueinander. Auf den Zusammenhang zwischen Gotthard und Simplon weist auch das 1359 erstmals erwähnte Gotthardpatrozinium der Pfarrkirche Simplon hin. Die wachsende Bedeutung des Simplonpasses spiegelt sich in den Handelsverträgen wider, die ab dem 13. Jahrhundert zwischen dem Wallis und dem Val d'Ossola geschlossen und mehrfach erneuert wurden, um den Warentransport über den Pass zu regeln und sicherzustellen, aber auch im 1235 erstmals erwähnten Johanniterhospiz und in der Entstehung der communitas de Simplono 1307. Die Ursprünge dieses Hospizes in Gampisch unterhalb der Passhöhe (Niederlassung der Johanniter von Salgesch), das Händler, Pilger, Arme und Kranke aufnehmen sollte, liegen im Dunkeln.

Nach 1320 verloren die Messen in der Champagne an Bedeutung. Die Konflikte zwischen dem Bischof von Sitten und den Walliser Zenden im Inneren – mit zunehmend negativen Auswirkungen auf den Unterhalt der Verkehrswege – sowie mit Savoyen behinderten den Verkehr. Die Warenströme von Süden nach Norden und umgekehrt verlagerten sich auf weiter östlich gelegene Routen, vor allem auf den Gotthardpass und die Bündner Pässe. Am Simplonpass sank der Transitverkehr fast zur Bedeutungslosigkeit ab. Zudem wurden die Beziehungen zwischen dem Wallis und Mailand durch regionale machtpolitische Auseinandersetzungen und durch die erfolglosen Kämpfe der Walliser im Val d'Ossola 1484-1494 stark beeinträchtigt. Dieser Eschentaler Krieg, die Burgunderkriege 1474-1477 sowie die gescheiterte Grossmachtpolitik Kardinal Matthäus Schiners und der Eidgenossenschaft, die 1515 mit der Niederlage bei Marignano endete, liessen den Passverkehr über den Simplonpass vollends versiegen. Auf einigen Karten des 16. und 17. Jahrhunderts wird der Simplonpass nicht einmal mehr vermerkt. Dieser Niedergang zeigte sich auch am Hospiz, das allmählich verfiel, von den Johannitern 1590 verkauft wurde und 1655 an Kaspar Stockalper vom Thurm überging.

Die frühneuzeitliche Handelsroute und das Stockalperhospiz

Als während des Dreissigjährigen Kriegs (1618-1648) der Verkehr über die Bündner Pässe und den Gotthard einbrach, gelang es Kaspar Stockalper vom Thurm, bedeutende Verkehrs- und Warenströme auf die relativ sichere Simplonroute umzuleiten. Er baute die Landstrasse durch das Wallis und den mittelalterlichen Saumweg über den Simplonpass aus und machte sie zur Hauptschlagader seines Handelsunternehmens. 1640 richtete er einen wöchentlichen Kurierdienst zwischen Genf und Mailand über den Simplonpass ein. Auch das Wallis und das Simplongebiet profitierten von diesem Aufschwung, der bis zu 200 Säumern ein Auskommen bot. Mit Stockalpers Sturz 1678 verlor der Simplonpass schlagartig an Bedeutung und die Talbewohner bestritten ihren Lebensunterhalt wieder mehrheitlich aus der Berglandwirtschaft.

Einer der vielen Zeugen des wirtschaftlichen Aufschwungs ist der 1666 von Stockalper vollendete sogenannte Alte Spittel. Das auf der Simplonsüdseite etwas unterhalb der Passhöhe, nahe des abgegangenen Johanniterhospizes gelegene Gebäude befindet sich seit 1980 im Besitz der Eidgenossenschaft und wurde umfassend renoviert. Ein weiteres markantes Sustgebäude, das Stockalper 1666-1680 in Gondo errichtet hatte, wurde 2000 durch ein Unwetter teilweise zerstört und später wieder aufgebaut.

Die napoleonische Militärstrasse und das Hospiz der Augustiner

1800 erteilte Napoleon den Befehl zum Bau einer befestigten und befahrbaren Strasse über den Simplonpass, da dieser in seinen strategischen Überlegungen eine zentrale Rolle spielte. Der Simplonpass sollte «praticable pour les canons» werden, war also als Militär- oder Heerstrasse für die direkte Verbindung zwischen Frankreich und Italien gedacht. Da die Arbeiten unter militärischer Führung nicht vorankamen, übertrug Napoleon die Oberbauleitung im Frühjahr 1801 dem Strassenbauingenieur Nicolas Céard, der bereits im Herbst 1800 als Inspektor beigezogen worden war. Das nötige Geld mussten die Cisalpinische Republik und Frankreich aufbringen. Napoleons Plan, nach seiner Krönung zum König von Italien im Mai 1805 über den Simplonpass nach Paris zurückzukehren, ging nicht auf, da die Strasse mit einigen Monaten Verspätung erst im Herbst 1805 eröffnet werden konnte; Napoleon selbst überquerte den Simplon nie. Mit der ersten modernen Kunststrasse der Alpen verfügte er über einen starken Trumpf zur Verwirklichung seiner Expansionspläne. Der nun ausgebaute Simplonpass war nicht mehr nur die kürzeste, sondern klar auch die schnellste Verbindung zwischen Paris und Mailand und erlebte seine dritte Blütezeit. Kurz nach der Eröffnung wurde eine Kutschenpost eingerichtet, deren Winterbetrieb mit Pferdeschlitten bis 1953-1954 bestand. Im Juni 1815 überquerten beim Durchzug von 80'000 österreichischen und russischen Soldaten unter General Ferdinand von Bubna in Richtung Frankreich die letzten fremden Truppen den Simplonpass.

Im Rahmen des napoleonischen Strassenbaus entstanden am Simplonpass neben acht grösseren Brücken und sieben Galerien auch mehrere Schutzhäuser, das Hotel Post in Simplon Dorf und das Hospiz auf der Passhöhe. 1801 ordnete Napoleon den Bau dieses dritten Hospizes an, das dereinst von Augustiner Chorherren des Grossen St. Bernhard betrieben werden sollte. Provisorisch bewohnten diese 1809-1831 den Alten Spittel von Stockalper. Durch Napoleons Sturz gerieten die 1811 begonnenen Bauarbeiten bereits 1813 ins Stocken. Erst 1825 nahmen die Chorherren, die das Hospiz noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts führten, diese wieder auf, bezogen das Gebäude 1831 und vollendeten es 1835.

Der Simplonpass im 19. und 20. Jahrhundert

Ein Zug mit Arbeitern beim Tunnelausgang während der Bauarbeiten, um 1900. Fotografie von G. Macchelli von Naters aus dem Sammelband Souvenir des travaux du tunnel du Simplon 1898-1904, 1905 (Privatsammlung).
Ein Zug mit Arbeitern beim Tunnelausgang während der Bauarbeiten, um 1900. Fotografie von G. Macchelli von Naters aus dem Sammelband Souvenir des travaux du tunnel du Simplon 1898-1904, 1905 (Privatsammlung). […]

Militärisch kam dem Simplonpass auch nach der napoleonischen Zeit im Rahmen der Spannungen zwischen Frankreich und Österreich bzw. Italien eine gewisse Bedeutung zu. In den 1830er Jahren entstanden unter anderem in der Gondoschlucht Festungsanlagen, die 1859 erneuert wurden. Im Zweiten Weltkrieg war der Simplonpass ein Element des Réduitkonzepts (1940-1944). Der über 9 m hohe Steinadler auf der Passhöhe erinnert an die damalige Grenzbesetzung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde das Simplongebiet noch für die militärische Ausbildung genutzt (Artillerie, Infanterie).

Die von Christian Menn konstruierte Ganterbrücke an der Passstrasse. Fotografie von Olivier Maire, 2005 © KEYSTONE.
Die von Christian Menn konstruierte Ganterbrücke an der Passstrasse. Fotografie von Olivier Maire, 2005 © KEYSTONE. […]

Als ingenieurtechnisches Wunderwerk weckte die Strasse über den Simplonpass im 19. Jahrhundert breites Interesse und lockte im Postkutschenzeitalter zahlreiche Alpentouristen an. Doch der Aufschwung war von kurzer Dauer. Zunächst machten andere Alpenpassstrassen dem Simplonpass Konkurrenz. Dann führte die Eröffnung der Bahnlinien über den Brenner (1867), durch den Mont Cenis (1871) und durch den Gotthard (1882) am Simplonpass zu einem merklichen Rückgang des Güter- und des Personenverkehrs (1870 23'679 Reisende, 1880 12'752, 1890 8184). Der stärkste Einbruch erfolgte 1906 mit der Eröffnung des Simplontunnels, des damals längsten Eisenbahntunnels der Welt: Von 13'258 Reisenden 1905 sank die Zahl auf 845 1907. Die Folge war eine vorübergehende Isolierung der Siedlungen entlang der Passstrasse, die sich mit der zunehmenden Motorisierung des Individualverkehrs bald wieder entschärfte (1906 444 Automobile, 1910 826). 1919 fuhr das erste Postauto über den Pass. Am 23. September 1910 wagte der Flugpionier Geo Chavez den ersten Alpenflug von Ried-Brig über den Simplonpass nach Domodossola, starb vier Tage später aber an den Folgen seines Absturzes bei der Landung. Ab 1957 erfolgte der Ausbau der Strasse, wobei die neue Routenführung weitgehend der napoleonischen Strasse folgte und diese dadurch grösstenteils zerstörte. Seit 1960 ist sie als N9 bzw. A9 Teil des Nationalstrassennetzes und wurde wintersicher ausgebaut (seit 1968 ganzjähriger Postautobetrieb, 1980 Eröffnung der Ganterbrücke). Der Ausbau der Passstrasse ging mit einer markanten Zunahme des Schwerverkehrs einher: Die Zahl von jährlich maximal 30'000 Lastwagen hat sich nach dem Unfall im Gotthardtunnel 2001 mehr als verdoppelt und belief sich 2010 auf ca. 80'000. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war der Simplonpass ein beliebtes Ausflugs- und Wanderziel. Der 1994 eröffnete, durchgehend restaurierte Stockalperweg zwischen Brig und Gondo folgt weitgehend dem mittelalterlichen Saumpfad, führt aber unter anderem auch durch das ehemals geheime Fort Gondo und ist das zentrale Element des Ecomuseums Simplon (Kulturweg).

Quellen und Literatur

  • F. Barbey, La route du Simplon, 1906
  • P. Arnold, Der Simplon, 1947 (21984)
  • P. Bumann, Der Verkehr am Simplon, 1974
  • P. Arnold, Simplon, 1975
  • H. P. Nething, Der Simplon, 1977
  • K. Anderegg, Simplon, 1986
  • IVS Dok. VS 1
  • P. von Deschwanden, «Der Simplon in der napoleon. Strategie», in BWG 29, 1997, 9-51
  • R. Flückiger-Seiler, «Nicolas Céard: Die Entstehung der ersten Kunststrasse über die Hochalpen», in BWG 29, 1997, 53-90
  • C. Thévenaz Modestin, J.-D. Morerod, «Gotthard- und Simplonachse um 1291», in Gfr. 155, 2002, 181-207
  • P. Crotti et al., «La Région du Simplon (Valais), du Mésolithique à l'époque moderne», in JbSGUF 87, 2004, 271-278
  • Simplon: histoire, géologie, minéralogie, hg. von M. Delaloye, 2005
  • R. Arnold, 700 Jahre Gem. Simplon, 2008

Zitiervorschlag

Renato Arnold: "Simplonpass", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.12.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008806/2012-12-19/, konsultiert am 28.03.2024.