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Sarazenen

S. war im MA die gebräuchl. Bezeichnung für Muslime. Die Vorstösse der S. ins schweiz. Territorium beschränkten sich zeitlich auf das 10. Jh. und geografisch auf den Alpenraum; unternommen wurden sie von kleinen Gruppen mobiler, berggängiger Krieger, denen die Festung Fraxinetum (La Garde-Freinet bei Saint-Tropez) als Basis diente. Ab ca. 890 in der östl. Provence sowie den ligur. und piemontes. Alpen fassbar, tauchten die S. in den 920er Jahren bereits im Wallis und ein Jahrzehnt später in Churrätien auf. Chroniken und Annalen berichten von regelmässigen Überfällen auf Rompilger auf den zeitweise unter sarazen. Kontrolle stehenden Alpenübergängen. Höhepunkte ihrer Aktivitäten im schweiz. Raum waren 940 die Plünderung des Klosters Saint-Maurice und - möglicherweise im selben Jahr - der Überfall auf den Bischofssitz in Chur. Die Disentiser Mönche flohen nach Zürich; ihr Kloster wurde teilweise zerstört. Die Verwüstungen im Bistum Chur fielen noch 972 Ks. Otto I. ins Auge. Eine Inschrift bezeugt die Zerstörung der Kirche des Hospizes in Bourg-Saint-Pierre am Gr. St. Bernhard. Nach der Jahrhundertmitte werden die Nachrichten über Attacken der S. seltener; es scheint, dass S. jetzt vermehrt auf etwas weniger brachiale Formen der Tribut- und Lösegelderpressung zurückgriffen. Die Vertreibung der S. aus Fraxinetum (972/973) und aus ihren alpinen Rückzugsgebieten war durch die Gefangennahme des Abts von Cluny im Sommer 972 bei Orsières ausgelöst worden; Maiolus kam erst gegen die Zahlung von 1'000 Pfund Silber wieder frei. Die Darstellung dieses letzten datierbaren Übergriffs durch den Chronisten Radolfus Glaber - darin werden z.B. der Respekt der S. vor dem Entführten und dessen Reisebibel angeführt -  ist die früheste nicht polemisch verzerrte Schilderung von Muslimen in der abendländ. Literatur. Refugien oder Siedlungen der S. in den schweiz. Alpen sind bis heute nicht archäologisch nachgewiesen. Der immer wieder postulierten arab. Etymologie einiger Walliser Orts- und Bergnamen steht die linguist. Forschung ablehnend gegenüber.

Quellen und Literatur

  • R. Poupardin, Le Royaume de Bourgogne (888-1038), 1907, 86-112
  • K. Versteegh, «The Arab Presence in France and Switzerland in the 10th Century», in Arabica 37, 1990, 359-388
  • H. Steiner, «"... da sie behender als Gemsen über die Berge dahinliefen". S. im schweiz. Alpenraum», in BM, 2009, 471-498
Weblinks

Zitiervorschlag

Hannes Steiner: "Sarazenen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.01.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008723/2012-01-11/, konsultiert am 29.03.2024.