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Armee

Vor 1798 gab es keine fest organisierte Gesamtstreitmacht der Eidgenossenschaft. Das Militärwesen oblag den einzelnen Orten. Der Wille zur gemeinsamen Landesverteidigung und die Abwehr innerer und äusserer Gefahren war aber seit Beginn des 13. Jahrhunderts eines der Hauptmotive für die Ausbildung der eidgenössischen Bünde. Darin wurde festgelegt, dass der bedrohte eidgenössische Ort die Verbündeten zur Hilfe mahnen konnte und die gemahnten Orte militärische Unterstützung leisten mussten. Mit diesem System von Mahnungen und Zuzügen gelang es vor allem im Spätmittelalter, die eidgenössische Wehrkraft kurzfristig im Feld zu konzentrieren. Zur Ausbildung einer eidgenössischen Armee kam es aber trotz Reformvorhaben vom 17. und 18. Jahrhundert (Defensionalordnungen) nicht. Die Niederlage gegen die Armee der französischen Republik 1798 (Franzoseneinfall) besiegelte das Ende der alteidgenössischen Wehrorganisation. Der Aufbau einer eidgenössischen Armee war in den folgenden 75 Jahren eine der zentralen politischen Fragen. Erst die Bundesverfassung von 1874 übertrug dem Bund in Artikel 19 die Verfügung über das Bundesheer (in Art. 58 BV von 1999 überführt), den Kantonen verblieben nur noch wenige Kompetenzen.

Helvetik und Mediation

Die Militärorganisation der Helvetischen Republik (1798) verkündete den Grundsatz der allgemeinen Dienstpflicht. Ein stehendes Heer, die Helvetische Legion, sollte die innere Ordnung schützen. Zur Verteidigung gegen aussen war ein Milizheer vorgesehen, das in acht Militärkreisen zu je acht Quartieren ausgehoben und nach einheitlichen Vorschriften ausgerüstet und ausgebildet werden sollte. Die Militärorganisation der Mediationszeit (1804, 1807) kehrte zum Kontingentssystem der Defensionale von Wil (SG) und Baden zurück. Die Kantone stellten ihre Bataillone und Kompanien zu gemeinsamen Auszügen. Der erstmals eingesetzte Generalstab amtete als Vermittler zwischen dem Landammann der Schweiz und den kantonalen Regierungen. Das erste eidgenössische Dienstreglement (DR) von 1805 beschwor den patriotischen Geist des Bürgersoldaten und enthielt Richtlinien für einen gleichförmigen Dienstbetrieb.

Bundesvertrag 1815 und Militärreglement 1817

Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft schlossen sich die Kantone im Bundesvertrag von 1815 zusammen. Der zweite Pariser Frieden vom gleichen Jahr garantierte die Unabhängigkeit des schweizerischen Staatenbundes in den neuen Grenzen und anerkannte, dass seine Neutralität im Interesse Europas liege. Statt sich auf fremde Garantien zu verlassen, schickte sich die Tagsatzung an, mit dem Militärreglement von 1817 (Militärorganisationen, MO) ein Bundesheer aus kantonalen Kontingenten zu schaffen.

Eidgenössisches Übungslager bei Wohlen (AG) im August 1820. Aquatinta von Johann Jakob Sperli (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/00348-3).
Eidgenössisches Übungslager bei Wohlen (AG) im August 1820. Aquatinta von Johann Jakob Sperli (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/00348-3).

Es handelte sich um eine Milizarmee, in der nur das Instruktionskorps vollberuflich tätig war. Manche Wehrmänner brachten allerdings Erfahrungen aus fremden Diensten mit. Auf Grund der Stellungspflicht von zwei Mann auf hundert Einwohner (Rekrutierung) ergab sich ein Bestand von je 33'000 Mann für den Auszug und die Reserve. Der bei Mobilmachung von der Tagsatzung ernannte General bildete aus den kantonalen Truppenkörpern Divisionen und Brigaden. Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung wurden durch einheitliche Vorschriften geregelt (Rüstung, Waffen, Uniformen).

Manche, vor allem ländliche Kantone taten sich schwer mit der Anpassung an die neuen Vorschriften. Andere, namentlich städtische Kantone gingen mit grossem Eifer an die Umgestaltung. Im eidgenössischen Dienst trugen alle Wehrmänner eine Armbinde mit dem Schweizerkreuz. Der 1824 gegründete Schweizerische Schützenverein (Schützenwesen), der 1832 gegründete Eidgenössische Turnverein, die 1833 gegründete Schweizerische Offiziersgesellschaft und der 1864 gegründete Schweizerische Unteroffiziersverein förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl und die eidgenössische Gesinnung. 1840 ersetzte die Schweizerfahne die kantonalen Feldzeichen. Die Kontrollbefugnis der Tagsatzung über Bestände, Ausrüstung und Ausbildung wurde vom Generalstab als Militäraufsichtsbehörde wahrgenommen. Als erste Kantone bestanden 1818 Zürich und der Aargau die eidgenössische Musterung ehrenhaft. Vier Jahre später zeigte sich das Militärwesen des Tessins immer noch in einer schlechten Verfassung. Schwyz verstand es, die Inspektion bis 1825 hinauszuzögern. Die 1819 gegründete Militärschule von Thun (Militärische Schulen) bot den Kadern eine einheitliche militärische Ausbildung. Für Artillerie und Genietruppen war sie obligatorisch, für die übrigen Truppengattungen fakultativ. Gemeinsame Übungslager dienten der Schulung der Kommandanten. Um die anfallenden Kosten zu decken, wurde die der Eidgenossenschaft im Pariser Frieden zuerkannte Kriegsentschädigung teils auf die Kantone verteilt, teils zur Äufnung einer eidgenössischen Kriegskasse verwendet. Eine weitere Geldquelle bildeten die Einfuhrzölle («Bundesbatzen»).

Bundesverfassung 1848 und Militärorganisation 1850

Die Bundesverfassung von 1848 proklamierte die allgemeine Wehrpflicht. Dieser Grundsatz wurde indessen nicht konsequent angewendet. Man blieb beim System der Stellungsquote, erhöhte diese aber von zwei auf drei Mann pro hundert Einwohner. Das ergab einen Bestand von etwas über 100'000 Mann, in Auszug und Reserve unterteilt. Die Aufgaben der bisherigen Militäraufsichtsbehörde wurden dem Militärdepartement übertragen. Die Bundesverfassung und das Bundesgesetz über die Militärorganisation von 1850 begnügten sich mit Teilschritten in Richtung Zentralisation des Militärwesens. Der Bund übernahm den gesamten höheren Militärunterricht sowie die Ausbildung an allen Spezialwaffen. Die Schulung der Infanterie blieb den Kantonen überlassen, die weiterhin die persönliche Ausrüstung der Wehrmänner beschafften. Um die neuen Bundesausgaben zu finanzieren, mussten die Kantone 1848-1849 Geldkontingente zur Bildung eines Startkapitals abliefern. In den folgenden Jahren genügten die Einnahmen aus Post und Zöllen sowie die Zinsen des bisherigen Kriegsfonds. 1862 wurde die Eidgenössische Schiessschule gegründet, die 1875 in Walenstadt einen festen Standort bezog. 1865 übernahm das Eidgenössische Stabsbüro einen Teil der generalstäblichen Tätigkeiten.

Bundesverfassung und Militärorganisation 1874

In seinen Berichten über die Grenzbesetzung von 1870-1871 (Deutsch-Französischer Krieg) geisselte General Hans Herzog in harten Worten das militärische Scheinwesen und das fehlende Kriegsgenügen mancher kantonaler Kontingente. Seine Verbesserungsvorschläge flossen in Bundesrat Emil Weltis ersten Entwurf einer neuen Bundesverfassung ein. Dieser sah vor, das Wehrwesen gänzlich zu zentralisieren, scheiterte aber 1872 in der Volksabstimmung.

Die Bundesverfassung und die MO von 1874 beschritten einen Mittelweg. Die Gesetzgebung über das Heerwesen wurde dem Bund übertragen, der den Vollzug durch die Kantone überwachte. Das Kontingentssystem wurde abgeschafft. Noch immer bildeten aber Infanterie und Kavallerie kantonale Truppenkörper. Entgegen der Meinung General Herzogs, dass ein kleineres, dafür qualitativ höher stehendes Heer der Verteidigung des Landes besser diene, wurde die allgemeine Wehrpflicht in die Tat umgesetzt. Nicht mehr Skalen der Stellungspflicht, sondern die Tauglichkeit entschied fortan, ob ein junger Mann eingezogen wurde oder nicht. Die Armee gliederte sich schon in Friedenszeiten in acht Divisionen, die aus zwei Brigaden zu je zwei Regimentern zusammengesetzt waren. Die Rekrutierung erfolgte in regionalen Divisionskreisen. Der Militärunterricht wurde zentralisiert. Die Bewaffnung und Ausrüstung der Armee war Sache des Bundes. Bekleidung und persönliche Ausrüstung lieferten die Kantone, die auch das Korpsmaterial verwahrten und den turnerischen Vorunterricht übernahmen. Die Rekrutenschulen wurden verlängert, Wiederholungskurse fanden alle zwei Jahre statt. Für die Verbesserung des Schulwesens lieferten ab 1875 pädagogische Rekrutenprüfungen die statistischen Unterlagen.

Militärausgaben der Eidgenossenschaft 1850-1995
Militärausgaben der Eidgenossenschaft 1850-1995 […]

Die neuen Militäraufgaben des Bundes liessen dessen Militärbudget stark ansteigen. Sparmassnahmen mussten ergriffen und neue Einnahmequellen erschlossen werden. Nach mehreren Anläufen gelang es 1878, die Militärpflichtersatzsteuer einzuführen. 1886 wurde das Territorial- und Etappenwesen geordnet und ein Gesetz über den Landsturm erlassen. 1891 erfolgten die Einteilung der Armee in vier Armeekorps und die Schaffung der Landesverteidigungskommission als beratendes Organ des EMD-Vorstehers. Der spätere General Ulrich Wille setzte den Kampf Herzogs um ein kriegstüchtiges Wehrwesen fort. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger glaubte er fest daran, dass auch unter Milizverhältnissen militärische Zucht und Ordnung zu erreichen seien.

Armee- und Mannschaftsbestand (gerundete Zahlen) 1817-2004

Jahr181718501874191419391962199019952004
Armeeangehörige66 000104 000215 000250 000630 000880 000625 000400 000220 000
Pferde3 7009 00030 00050 00060 00017 0006 0004 000700
Motorfahrzeuge   35020 00062 00077 00065 00022 000
Artilleriea1703003304008008201 180770350
Kampfpanzer    24650820740250
Schützenpanzer     300510810760
Flugzeuge   2260530240150140

a ohne Festungsgeschütze

Armee- und Mannschaftsbestand (gerundete Zahlen) 1817-2004 -  Autor

Militärorganisation 1907 und Truppenordnung 1911

Ein zweiter Versuch, das Militärwesen gänzlich zu zentralisieren, scheiterte in der Volksabstimmung von 1895. Wiederum musste ein Kompromiss gefunden werden. Die MO von 1907 wies die oberste Leitung des Militärwesens dem Bund zu. Dieser hatte auch die Oberaufsicht über die kantonalen Militärverwaltungen inne. Die Kantone stellten die Kompanien und Bataillone der Infanterie, die Dragonerschwadronen sowie die Einheiten und Bataillone des Landsturms und die Hilfsdienste (HD). Sie ernannten deren Offiziere und beschafften die persönliche Ausrüstung sowohl der kantonalen als auch der eidgenössischen Truppen. Der Bund bildete alle nicht von den Kantonen gestellten Truppenverbände. Er beschaffte die Bewaffnung, die Korpsausrüstung und das übrige Kriegsmaterial für die ganze Armee. Die Rekruten- und die Kaderschulen wurden verlängert, ebenso die Wiederholungskurse von Auszug und Landwehr.

Die Truppenordnung (TO) von 1911 wurde in ein eigenes Gesetz gekleidet, das 1912 in Kraft trat. Die Zahl der Armeekorps wurde von vier auf drei, die Zahl der Divisionen von acht auf sechs herabgesetzt. Die Divisionen bestanden aus drei Brigaden zu zwei Regimentern. Die Armeekorpskommandanten walteten als Inspektoren. Sie waren für die einheitliche Ausbildung und die Kriegsbereitschaft ihrer Verbände verantwortlich. Im Krieg konnten sie als Kommandanten einer Front verwendet werden. Die operative Führung oblag aber in der Regel den Divisionskommandanten, die ab 1913 hauptamtlich tätig waren. Die Zahl der operativen Führer war indes zu gross, und sie kamen sich gegenseitig in die Quere. Die Kommandanten der Brigaden waren als Milizoffiziere mit der Führung ihres schwerfälligen taktischen Verbandes oft überfordert. 1912 fand das bereits 1898 den Festungstruppen und der Kavallerie zugeteilte Maschinengewehr «Maxim» als in Lizenz fabriziertes Mg 11 auch Eingang bei der Infanterie. 1914 sammelte die Schweizerische Offiziersgesellschaft 1,75 Mio. Franken für den Aufbau einer schweizerischen Flugwaffe (Luftwaffe). Auch der Motorwagendienst musste improvisiert werden.

Zwischen den beiden Weltkriegen

Kriegsmüdigkeit, Friedenssehnsucht und der Glaube an die Regelung künftiger Konflikte durch den Völkerbund und internationale Schiedsgerichte prägten die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Tief gehaltene Militärkredite erlaubten in den 1920er Jahren nur knapp die Aufrechterhaltung der bisherigen Armee, und selbst dies gelang Bundesrat Karl Scheurer nicht ohne Konzessionen. Er musste die Tauglichkeitsquote herabsetzen, die Rekrutenschulen ins 21. Lebensjahr verschieben, auf die Wiederholungskurse der Landwehr verzichten und die Kriegsreserven an Material und Munition angreifen. Die TO von 1925 stellte eine Minireform dar. Sie änderte nichts an der schwerfälligen Gliederung des Heeres. Statt den Bedarf an schweren Waffen zu decken, begnügte man sich mit der Einführung leichter Maschinengewehre.

Als 1933 Hitler an die Macht kam, setzte sich Bundesrat Rudolf Minger in zahlreichen Vorträgen für einen Wandel in der Einstellung zur Armee ein. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft unterstützte ihn dabei wirksam. Um einen Beitrag an die Kosten der Aufrüstung zu leisten, zeichnete das Schweizervolk 1936 eine Wehranleihe in der Höhe von 235 Mio. Franken (Kriegsanleihen). 1937 bekannte sich auch die Sozialdemokratie vorbehaltlos zur Wehrbereitschaft. Die «Landi» von 1939 brachte zum Ausdruck, was die überwiegende Mehrheit empfand. Damit die lange vernachlässigte Armee den Anforderungen der Zeit genügen konnte, leitete Bundesrat Minger auf allen Gebieten Reformen ein. Die Infanterie erhielt noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine erste Lieferung der benötigten Unterstützungswaffen (Minenwerfer, Infanteriekanonen). Für die Leichten Truppen wurden Aufklärungspanzer beschafft. Die von Pferden gezogene Artillerie wurde zum Teil durch motorisierte Geschütze ersetzt. Leistungsfähige Messerschmitt-Flugzeuge verstärkten die Flugwaffe. Noch in den Anfängen stand die Fliegerabwehr. Die Verordnung des Bundesrats von 1939 über den Hilfsdienst erlaubte auch Frauen den Zutritt mit gewissen Einschränkungen (Frauenhilfsdienst, seit 1986 Militärischer Frauendienst, MFD).

«Die Losung derer von 1914: JA!» Plakat zur Abstimmung vom 24. Februar 1935 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die Militärorganisation (Privatsammlung).
«Die Losung derer von 1914: JA!» Plakat zur Abstimmung vom 24. Februar 1935 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die Militärorganisation (Privatsammlung). […]
Plakat zur Abstimmung vom 24. Februar 1935 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die Militärorganisation von Jules-Ami Courvoisier (Privatsammlung).
Plakat zur Abstimmung vom 24. Februar 1935 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die Militärorganisation von Jules-Ami Courvoisier (Privatsammlung).

Alle Ausbildungszeiten wurden verlängert. Die Massnahmen hoben indes den Ausbildungsstand der Armee vor Beginn des Aktivdienstes nur wenig. Die schwerfällige Heeresstruktur wich einem geschmeidigeren Instrument. Gemäss der TO von 1938 übernahmen die drei Armeekorps operative Aufgaben, d.h. sie bestimmten die in ihren Kampfräumen zu erreichenden Ziele und teilten den taktischen Kommandanten die Mittel zu. Den neun Divisionen zu drei Regimentern und den drei selbstständigen Gebirgsbrigaden (Gebirgstruppen) oblag die Kampfführung mit verbundenen Waffen. Ihr Motorisierungsgrad war bescheiden. Sie verschoben sich weitgehend im Fussmarsch und mit Pferdezug. Acht Grenzbrigaden sowie die Grenztruppen der Gottharddivision und der Gebirgsbrigaden sollten bei einem strategischen Überfall den ersten Schock aushalten und die Mobilmachung der Feldarmee sichern. Permanente Befestigungen boten ihnen Rückhalt. Drei aus Kavallerie, Radfahrern und motorisierten Truppen zusammengesetzte Leichte Brigaden waren in erster Linie für den Kampf um Zeitgewinn vorgesehen.

Gegen Ende der Zwischenkriegszeit wurde die Leitung des Wehrwesens gestrafft. Durch Aufteilung in die drei Gruppen Generalstab, Ausbildung und Militärverwaltung konnte die Zahl der dem EMD-Chef direkt Unterstellten stark reduziert werden. Auf einen «Friedensgeneral» wurde verzichtet, doch hätte ein Armeeinspektor die Erfolgskontrolle vornehmen sollen. Da inzwischen der Zweite Weltkrieg und der Aktivdienst begonnen hatten, trat das entsprechende Gesetz nicht in Kraft, und nach dem Krieg wurde auf die Einführung des Armeeinspektors verzichtet.

Die Zeit des Kalten Krieges

Ein Streit über die Einsatzkonzeption der Armee im Atomzeitalter erhitzte die Gemüter in den 1950er Jahren (Kalter Krieg). Vertreter einer hauptsächlich durch infanteristische Kräfte aus festen Stellungen geführten Raumverteidigung kreuzten die Klingen mit Befürwortern einer beweglichen Kampfführung. Diese sollte auf mechanisierte Verbände und eine starke, mit Atomwaffen ausgerüstete Luftwaffe abgestützt werden. Bundesrat Paul Chaudet und Generalstabschef Jakob Annasohn neigten letzterer Auffassung zu, mussten aber wegen der knappen Mittel einen Kompromiss eingehen. Für diesen standen inzwischen genügend Panzer, Panzerabwehrwaffen, Kampfflugzeuge und Fliegerabwehrwaffen zur Verfügung. Als Abfangjäger und Atomwaffenträger waren 100 Mirage-Flugzeuge vorgesehen. Deren Zahl wurde aber infolge massiver Kostenüberschreitungen (Mirage-Affäre) auf 57 reduziert. Durch diese Erfahrung wuchs die Erkenntnis, dass die Einführung teurer Atomwaffen auf Kosten der konventionellen Ausrüstung gehen würde. Mit der Unterzeichnung des Atomsperrvertrags durch die Schweiz 1969 war die Diskussion um eine atomare Bewaffnung der Armee im Wesentlichen abgeschlossen.

Die TO von 1961 schuf den Einsatzräumen angepasste Heereseinheiten. Drei Grenzdivisionen sollten zusammen mit den acht Grenzbrigaden den Grenzraum verteidigen. Je drei Feld- und drei Mechanisierte Divisionen hatten den Kampf um die Gewässerlinien des Mittellandes zu führen. Drei Gebirgsdivisionen waren zusammen mit je drei Grenz-, Festungs- und Reduitbrigaden zur Behauptung des Alpenraums vorgesehen. Je drei Divisionen wurden in einem Feld- bzw. Gebirgsarmeekorps zusammengefasst. Die Feldarmee basierte auf sechs Territorialzonen, welche Verbände für Logistik, Sanität und Katastrophenhilfe enthielten. Die «Konzeption der militärischen Landesverteidigung vom 6. Juni 1966» erwies sich als solider Brückenschlag zwischen Raumverteidigung und beweglicher Kampfführung. Die Felddivisionen eigneten sich für den Kampf um Schlüsselräume. Die Panzerregimenter der Mechanisierten Divisionen waren, geschützt von Raumschutzjägern, in der Lage, Gegenschläge zu führen. Diese Kombination von Verteidigung und Gegenangriff wurde als «Abwehr» bezeichnet. Die «Truppenführung 1969» verankerte die neue Doktrin. Im Rahmen von Armeeleitbildern wurde die Ausrüstung der Armee entsprechend verbessert: Die Infanterie erhielt Panzerabwehrwaffen mittlerer und grosser Reichweite. Die Gegenschlagsverbände wurden in den 1980er Jahren mit dem Kampfpanzer «Leopard» ausgestattet, und das im selben Zeitraum eingeführte mobile Fliegerabwehr-Lenkwaffensystem «Rapier» gewährte ihnen Raumschutz. Selbstfahrende Geschütze ersetzten weitgehend die gezogene Artillerie.

Das moderne Gefechtsfeld verlangte vom einzelnen Wehrmann eine viel grössere Eigenständigkeit, als das bis in die 1950er Jahre massgebende DR von 1933 zuliess. Unter dem Schlagwort «Demokratisierung der Armee» forderten Reformer deshalb eine sachbezogenere Erlernung des militärischen Handwerks und die Abkehr von Dressurmethoden und Formalismus. 1946 wurde der Taktschritt abgeschafft, mit der Einführung des neuen Sturmgewehres 1958 der Gewehrgriff. Das DR 54 schloss Mitdenken und selbstständiges Handeln in den Begriff der Disziplin ein. Die Einheitskommandanten sollten in Aussprachen mit der Truppe Verständnis für die militärischen Massnahmen und Erfordernisse wecken. Sie wurden dabei vom 1961 reaktivierten Dienstzweig Heer und Haus unterstützt. Um das als überholt empfundene Gedankengut der Geistigen Landesverteidigung zu überwinden, wurde dieser 1977 in den Truppeninformationsdienst umgewandelt. Die Auftragstaktik, die den Untergebenen Ziele setzt, ihnen aber die Ausführung überlässt, wurde noch konsequenter angewendet.

Die Auswirkungen der Jugendunruhen von 1968 machten sich bald auch in der Armee bemerkbar. Vermehrt stellte sich das Problem der Dienstverweigerung, das bereits in der Zwischenkriegszeit eine Rolle gespielt hatte. Eine «Kommission für Fragen der militärischen Erziehung und Ausbildung der Armee» unter dem Vorsitz von Oberst Heinrich Oswald sollte den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen. Ihr 1970 eingereichter Bericht postulierte den Übergang von der personen- zur sachbezogenen Disziplin, Motivation durch Überzeugung und verstärktes Mitdenken und Mitwirken der Wehrmänner. Vereinfachte Umgangsformen sollten das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen natürlicher gestalten.

Die Massenvernichtungsmittel, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs eingesetzt wurden, hatten die Vernichtung ganzer Nationen in den Bereich des Möglichen gerückt und die Unterscheidung von Front und Hinterland verwischt. Fortan konnten die staatlichen Ziele der Selbstbehauptung und des Überlebens in Konkurrenz zueinander treten. Die vom Generalstabschef eingesetzte «Studienkommission für strategische Fragen» unter Professor Karl Schmid kam zum Schluss, dass existentielle Bedrohungen nur durch eine ganzheitliche Führung abgewendet werden könnten. So wurde 1970 die «Leitungsorganisation für Gesamtverteidigung» geschaffen, und 1973 stimmte das Parlament dem «Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz» zu (Sicherheitspolitik).

Armee 95 und Armee XXI

Plakat des Schweizerischen Aktionskomitees gegen die Armeeabschaffungsinitiative, 1989 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat des Schweizerischen Aktionskomitees gegen die Armeeabschaffungsinitiative, 1989 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Der Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 symbolisierte den Zerfall des Kommunismus und des Sowjetimperiums. Eine Zeit des unberechenbaren Wandels begann. Die während des Kalten Krieges knappe Warnzeit vor Ausbruch eines grossen Krieges verlängerte sich. Andere Gefahren wie Katastrophen, Terrorismus, Flüchtlingsströme oder das organisierte Verbrechen traten in den Vordergrund. Dass eine Anpassung der Armee an die veränderte Lage gefordert war, drückten nicht zuletzt die 35,6% Ja-Stimmenanteil aus, welche die am 26. November 1989 abgelehnte Armeeabschaffungs-Initiative der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) erhielt. Der «Sicherheitsbericht» von 1990 trug den neuen Gegebenheiten Rechnung: Die Armee blieb weiterhin hauptsächlich Mittel zur Kriegsverhinderung durch Verteidigungsfähigkeit und schlimmstenfalls Instrument des Verteidigungskampfs (Landesverteidigungsdienst). Beibehalten wurde auch der Ordnungsdienst. Unterhalb der Kriegsschwelle sollte die Armee aber in Zukunft vermehrt Beiträge zur Friedensförderung (Friedensförderungsdienst) und allgemeinen Existenzsicherung (Assistenzdienst) leisten, zum Beispiel durch Unterstützung ziviler Stellen in Katastrophenfällen.

Ein Hauptmann des Militärischen Frauendienstes während der Ausbildung zur UNO-Beobachterin auf dem Waffenplatz Bière in den 1990er Jahren (Fotografie Heinz Dieter Finck).
Ein Hauptmann des Militärischen Frauendienstes während der Ausbildung zur UNO-Beobachterin auf dem Waffenplatz Bière in den 1990er Jahren (Fotografie Heinz Dieter Finck). […]

Die Armee 95 begrenzte die Wehrpflicht auf das 42. Altersjahr und reduzierte den Sollbestand der Armee auf 400'000 Mann. Die Heeresklassen wurden aufgehoben, die Dienstdauer herabgesetzt, Wiederholungskurse nur noch alle zwei Jahre geleistet. Die Grenz- und Reduitbrigaden wurden aufgelöst: Die Armee verfügte über vier Alarmregimenter zur Sicherung der internationalen Flughäfen Zürichs und Genfs, der Bundesstadt Bern und zum Soforteinsatz in Katastrophenfällen. Zwei Panzerbrigaden und ein Artillerieregiment wurden als Armeereserve ausgeschieden. Die drei Feldarmeekorps setzen sich seither aus je zwei Felddivisionen, einer Panzerbrigade und einer Territorialdivision zusammen. Das Gebirgsarmeekorps verfügt über drei Gebirgsdivisionen, drei Festungsbrigaden, eine Territorialdivision und zwei Territorialbrigaden. Dem Flieger- und Fliegerabwehrkorps unterstehen die Flugwaffen-, die Flugplatz-, die Fliegerabwehr- und die Informatik-Brigade. Von den fünf Panzerbrigaden und einer Teilmechanisierung der Infanterie erhoffte sich die Armeeführung eine verbesserte Reaktionsfähigkeit. Die flächendeckende Rundumverteidigung der Armee 61 wich, gemäss der als «Dynamische Raumverteidigung» bezeichneten Einsatzdoktrin, einer bedrohungsgerechten Schwergewichtsbildung.

Demografische Faktoren, Beschränkung der Kredite, Mängel der Armee 95 (Zweijahresrhythmus, Kaderausbildung) und Schwierigkeiten bei der Kaderrekrutierung zeigten bald, dass es sich bei der Armee 95 nur um eine Übergangslösung handelte. Gegen Ende der 1990er Jahre setzten die Planungen für eine neue Armee, die Armee XXI ein. Die Planer rechnen mit einem Bestand von 120'000 aktiven Soldaten und 80'000 Reservisten. Bataillone und Abteilungen stellen die Module dar, die auftragsspezifisch von Territorialdivisions- oder Brigadestäben im Einsatz geführt werden. In normalen Lagen sollen sie Lehrbrigaden unterstellt sein, die für die Ausbildung verantwortlich sind. Im August 2001 wies der Bundesrat einen ersten Planungsentwurf an das VBS zur Überarbeitung zurück.

Quellen und Literatur

  • Schweizer Armee, hg. von P. Marti, 1980-
  • Generalstab
  • H.R. Kurz, Gesch. der Schweizer Armee, 1985
  • Schweiz. Militärpolitik der Zukunft, hg. von H. Eberhart, A.A. Stahel, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans Senn: "Armee", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.06.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008683/2008-06-05/, konsultiert am 19.03.2024.