de fr it

Dienstverweigerung

Dienstverweigerung ist die Verweigerung der Leistung der persönlichen Militärdienstpflicht (Wehrpflicht). Diese bestand in der Eidgenossenschaft seit dem Spätmittelalter; 1874 wurde sie in der Bundesverfassung verankert (Artikel 18). Bis 1927 wurde die Dienstverweigerung dem Ausreissen (Fahnenflucht) gleichgesetzt und streng bestraft.

Militärdienstverweigerungen aus religiösen Gründen traten in der Eidgenossenschaft erstmals im 16. Jahrhundert mit den Täufern auf, die den Dienst mit der Waffe ablehnten. Ende des 19. Jahrhunderts nahmen sie beträchtlich zu, und Stimmen wurden laut, die sich für die Entkriminalisierung der Dienstverweigerung aus Gewissensgründen einsetzten (Antimilitarismus, Pazifismus). 1903 begannen mit einer vom Bundesrat abgelehnten Petition die politischen Auseinandersetzungen um die Einführung eines Zivildienstes.

Das Militärstrafgesetz von 1927 (Artikel 81) unterschied erstmals zwischen den Tatbeständen des Ausreissens und der Dienstverweigerung, ohne jedoch Letztere aus Gewissensgründen zu entkriminalisieren. Erleichterungen für solche Dienstverweigerer brachte die Revision des Militärstrafgesetzes im Jahr 1950, die bei religiös begründeter Verweigerung und schwerer Seelennot den Vollzug der Gefängnisstrafe in Form der Haft und den Verzicht auf Ehrenfolgen vorsah.

Dienstverweigerung, waffenloser Dienst und Zivildienst 1950-2015
Dienstverweigerung, waffenloser Dienst und Zivildienst 1950-2015 […]

Wesentliche Vorstösse für die Einführung eines Zivildienstes gab es während des Zweiten Weltkrieges und bis Ende der 1950er Jahre nicht mehr. In dieser Zeit kam es pro Jahr durchschnittlich zu zehn Verurteilungen für aus Gewissensgründen verweigertem Dienst. Seit den frühen 1960er Jahren nahmen Dienstverweigerungen zunächst allmählich, seit den 1970er Jahren dann aber erheblich zu. 1984 wurde die Höchstzahl von insgesamt 788 Verweigerungen erreicht, wovon 360 aus Gewissensgründen erfolgten. Die Öffentlichkeit begann sich vermehrt mit dieser Problematik  auseinanderzusetzen.

In der Folge wurden Massnahmen getroffen, die den Dienstverweigerern entgegenkommen sollten. Einerseits wurden 1967 mit der Revision des Militärstrafgesetzes die Voraussetzungen für Dienstverweigerung aus Gewissensgründen erweitert. Die Sonderstellung der Verweigerer aus religiösen Gründen sollte nun auch für solche aus ethischen Motiven gelten. Zudem wurde für Verweigerer aus Gewissensgründen das Strafmass reduziert und die Zulassung zum waffenlosen Dienst erleichtert. Andererseits wiederholten sich die Vorstösse zur Einführung eines zivilen Ersatzdienstes durch Verfassungsänderung. Zwei Initiativen für einen Zivildienst lehnten die Stimmenden 1977 und 1984 ab. 1990 verabschiedeten die Räte eine auf die parlamentarische Beratung der letzten Zivildienstinitiative zurückgehende Revision des Militärstrafgesetzes, die sogenannte Barras-Reform. Diese sah eine Entkriminalisierung der Dienstverweigerer aus Gewissensgründen und deren Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung vor, tastete aber die allgemeine Wehrpflicht nicht an. Da weiterhin die Militärgerichte für Dienstverweigerung aus Gewissensgründen zuständig sein sollten, wurde gegen das revidierte Militärstrafgesetz das Referendum ergriffen. 1991 nahm die Stimmbevölkerung die Barras-Reform mit knapp 56% Jastimmen an. Das damalige Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit übernahm die Organisation des Arbeitsdienstes.

Schon 1989 hatte der sozialdemokratische Nationalrat Helmut Hubacher mit einer Eingabe die Einführung eines Zivildienstes durch Verfassungsänderung gefordert. Diese wurde 1992 mit 82,5% Jastimmen vom Volk angenommen. Nach der Verfassung ist weiterhin jeder Schweizer wehrdienstpflichtig. Das Gesetz sah jedoch einen zivilen Ersatzdienst vor für Dienstpflichtige, die im Rahmen der sogenannten Gewissensprüfung glaubhaft darlegen, dass sie den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können (Artikel 18 alte Bundesverfassung, Artikel 59 Bundesverfassung). Das Zivildienstgesetz und die Zivildienstverordnung, auf denen die Einrichtung der Vollzugsstelle für den Zivildienst im Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung gründete, traten 1996 in Kraft.

In den Jahren zwischen 2000 und 2008 verweigerten jährlich zwischen ca. 1200 und 2000 Männer den Militärdienst. 2009 wurde die aufwendige Gewissensprüfung abgeschafft und die sogenannte Tatbeweislösung eingeführt. Diese verlangt von Militärdienstverweigerern aus Gewissensgründen einen zivilen Ersatzdienst, der eineinhalbmal länger dauert als der gesamte Militärdienst. Von 2011 bis 2017 stieg die Zahl der zugelassenen Zivildienstleistenden trotzdem von ca. 4700 auf rund 6800 Personen an; auffallend war, dass nicht nur Auszuhebende, sondern auch zahlreiche Soldaten nach bestandener Rekrutenschule sowie Offiziere und Fachspezialisten (z.B. Ärzte) zum Zivildienst wechselten. Die gestiegene gesellschaftliche Akzeptanz der Dienstverweigerung aus Gewissensgründen schlug sich nicht nur in den Zahlen der Zivildienstzulassungen, sondern auch in der 2019 erfolgten Ablösung der Vollzugsstelle durch das neu geschaffene Bundesamt für Zivildienst (Zivi) nieder.

Um der Beliebtheit des Zivildienstes entgegenzuwirken, strebten die bürgerlichen Parteien ab 2017 eine Änderung des Zivildienstgesetzes an. Dem Grundsatz, dass keine freie Wahl zwischen Militär- und zivilem Ersatzdienst besteht, sollte gemäss der Botschaft des Bundesrats vom 20. Februar 2019 durch noch höhere Anforderungen an den von den Militärdienstverweigerern aus Gewissensgründen zu leistenden Tatbeweis zu mehr Nachdruck verholfen und der Zivildienst weniger attraktiv gemacht werden. Die Vorlage scheiterte aber überraschend am 19. Juni 2020 in der Schlussabstimmung im Nationalrat.

Eine Motion des Nationalrats Peter Vollmer (Sozialdemokratische Partei) und eine parlamentarische Initiative der Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne Partei) zielten 1998 bzw. 2018 auf eine Rehabilitation von früher verurteilten Dienstverweigerern aus Gewissensgründen ab. Die beiden Vorstösse fanden 2000 bzw. 2019 im Parlament jedoch keine Mehrheit.

Quellen und Literatur

  • Botschaft zur Änderung des Zivildienstgesetzes, 20. Februar 2019.
  • Wyder, Theodor: Wehrpflicht und Militärdienstverweigerung. Entstehung, Gesetz, Arten und Sanktionen in der Schweizer Armee, 19882.
  • Léonardis, Marie-Thérèse de: L'objection de conscience en droit public suisse. Contribution à l'étude du droit constitutionnel et du droit pénal militaire, 1990.
Weblinks

Zitiervorschlag

Benoît de Montmollin, Philipp von Cranach: "Dienstverweigerung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.06.2020. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008678/2020-06-12/, konsultiert am 16.04.2024.