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Landesverteidigung

Die schweizerische Landesverteidigung umfasst die Gesamtheit der zivilen, militärischen und politischen Massnahmen zur Sicherung der staatlichen Unabhängigkeit und Abwehr äusserer Bedrohung. Sie reicht in ihren Anfängen ins Spätmittelalter zurück und hat wie kaum ein anderer Bereich staatlichen Handelns die Geschichte der Schweiz bestimmt. Der Begriff taucht im 16. und 17. Jahrhundert im Rahmen der europäischen Landesdefensionskonzepte auf.

Alte Eidgenossenschaft (1300-1798)

Der Wille zur gemeinsamen militärischen Anstrengung war im 13. Jahrhundert ein konstitutives Element bei der Entstehung der Eidgenossenschaft, das sich in mehreren Bündnissen niederschlug, so im westlichen Mittelland in den Städtebünden zwischen Bern, Freiburg und Murten (Burgundische Eidgenossenschaft), im Nordosten in den Städtebünden von Zürich und Konstanz und im zentralen Alpenraum im Bündnis der reichsfreien Talschaften von Uri, Schwyz und Unterwalden. Diese Selbsthilfeorganisationen im Dienste der gemeinsamen Sicherheit erstrebten anfänglich vor allem die Durchsetzung einer Landfriedensordnung gegenüber sippschaftlichen Rechtsansprüchen von Blutrache und Fehde, aber auch schon früh die Abwehr aller Feinde "innerhalb der Täler und ausserhalb" (Bundesbrief 1291). Der Morgartenkrieg (1315) stärkte die gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen der drei Waldstätten. Der Bund von Brunnen (1315) umschrieb die Beistandsverpflichtungen bei kriegerischen Verwicklungen konkreter als der Zusammenschluss von 1291; er sah auch aussenpolitische Massnahmen vor. Der Wille, fremde, vor allem habsburgische Einflüsse abzuwehren, führte zur Ausweitung des Urschweizer Bundes zur achtörtigen (1353), zehnörtigen (1481) und schliesslich dreizehnörtigen (1513) Eidgenossenschaft.

Kern des eidgenössischen Kriegswesens bildete das Recht der Orte, die Verbündeten zur Hilfe zu rufen, zu "mahnen", und die Pflicht der "Gemahnten", Hilfe zu leisten. Kamen diese rechtzeitig, wurde etwa ein Entsatz möglich wie jener von Laupen (Laupenkrieg, 1339-1340) oder von Murten (1476); verzögerte sich aber der Auszug, kam die Rettung für die Belagerten wie bei der Schlacht von Grandson (1476) zu spät. Das System der Mahnungen und Zuzüge setzte einen gemeinsamen politischen Willen und eine zweckmässige Mobilmachungsorganisation voraus. Es schränkte damit die militärische und aussenpolitische Handlungsfreiheit der eidgenössischen Orte ein und brachte eine Übertragung von hoheitlichen Rechten an das gemeinsame Bündnis mit sich.

In den verschiedenen Bundesbriefen, Landrechten und Stadtrechten waren das Mahnrecht, die Kosten des Zuzuges und die geografische Ausdehnung der Hilfsverpflichtung (Hilfskreis) unterschiedlich festgelegt. Die Beschaffung von Waffen und Rüstung war in der Regel die Pflicht des einzelnen Wehrmanns. Erst ab dem Spätmittelalter wurden Zeughäuser eingerichtet. Die zusammengeführten Wehraufgebote der einzelnen Orte unterstellte man einem gemeinsamen Kommando, dem Kriegsrat. Die Kriegführung suchte die Entscheidung in der Schlacht und praktizierte den Kleinkrieg; weniger häufig wurde die Belagerungstechnik angewendet. Zu den militärischen Vorbereitungen gehörten Befestigungen zur Verteidigung von Städten und Talschaften. Im Sempacherbrief und im Stanser Verkommnis legten die Eidgenossen die wichtigsten Regeln für den Krieg fest. Die Expansionspolitik des 15. und noch des 16. Jahrhunderts hatte die Eidgenossen zum Rhein, in die Täler südlich des Gotthards und zum Genfersee geführt. Ziel war die Festlegung der Grenzen an topografisch günstigen Linien und die Verteidigung wirtschaftlicher Interessen.

Mit der verlorenen Schlacht von Marignano (1515) nahm die expansive Phase der eidgenössischen Politik ihr Ende. Seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschränkten sich die eidgenössischen Orte auf die Defensive. Ab dem 16. Jahrhundert gewann die Aussenpolitik auch für die Landesverteidigung an Bedeutung. Die grossen Staatsverträge, etwa 1511 die Erbeinigung (Ewige Richtung) mit Österreich oder 1521 der Vertrag mit Frankreich (Allianzen), enthielten wichtige Grundsätze der Landesverteidigung: sich gegenseitig nicht anzugreifen, keinen Dritten zu unterstützen sowie sich im Kriegsfall militärisch und finanziell zu helfen. Zudem verankerten die meisten Verträge mit ausländischen Mächten das eidgenössische Gebiet im Völkerrecht.

Ein im Luzerner Kontingent dienender Entlebucher Soldat während des Ersten Koalitionskriegs (1792-1797) in Basel. Kolorierte Radierung von Friedrich Christian Reinermann, veröffentlicht von Christian von Mechel um 1795 (Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Falk. A 513).
Ein im Luzerner Kontingent dienender Entlebucher Soldat während des Ersten Koalitionskriegs (1792-1797) in Basel. Kolorierte Radierung von Friedrich Christian Reinermann, veröffentlicht von Christian von Mechel um 1795 (Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Falk. A 513). […]

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts reorganisierten als Erste die Städteorte Bern und Zürich ihr Wehrwesen nach dem Modell der oranischen Reformen und der sogenannten Landesdefension. 1638 beschloss die Tagsatzung, dass die Eidgenossenschaft sich im Dreissigjährigen Krieg neutral zu verhalten habe. 1647 einigten sich die Stände auf das Defensionale von Wil (Defensionalordnungen), das eine eidgenössische Armee von 40'200 Mann in drei Auszügen vorsah. Die militärischen Vorbereitungen, deren Qualität unterschiedlich war, oblagen den einzelnen Orten. Während die wohlhabenden Städte mit der neuzeitlichen Rüstungsentwicklung Schritt halten konnten und mächtige Befestigungsschanzen erbauten, blieben die Verteidigungsanstrengungen der Länderorte bescheiden. Im Gegensatz zum Ausland, wo stehende Heere aufgebaut wurden, bewahrten die eidgenössischen Orte das Milizsystem. Bedeutsam war das von Soldaten und Offizieren in fremden Diensten erworbene militärische Können. Sie trugen zur Sicherheit der Schweiz bei, weil die europäischen Monarchen, allen voran der französische König, die Rekrutierung von schweizerischen Söldnern für ihre Heere nicht gefährden wollten.

Obwohl sich die Defensionalordnungen in den verschiedenen Grenzbesetzungen des 17. und 18. Jahrhunderts bewährt hatten (so nach Ausbruch des Ersten Koalitionskriegs), versagte die auf den spätmittelalterlichen Bünden und den Defensionalen des 17. Jahrhunderts beruhende Eidgenossenschaft 1798 beim Angriff der modernen französischen Revolutionsarmee (Franzoseneinfall). Primär Berner und Schwyzer Truppen leisteten den französischen Invasoren zwar punktuell Widerstand, doch das Fehlen einer zentral geleiteten, modern gerüsteten und gesamteidgenössisch konzipierten Landesverteidigung führte zum militärischen Debakel und trug zum Untergang der alten Eidgenossenschaft und zur einzigen Phase der Fremdherrschaft in der Schweizer Geschichte bei.

Helvetik und Mediation (1798-1815)

Die Helvetische Republik entzog das Wehrwesen der Zuständigkeit der Kantone. Damit wurde die Landesverteidigung erstmals zentralisiert. Die Militärorganisation beruhte auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht und sah ein Milizheer für die Landesverteidigung und ein kleines stehendes Heer, die sogenannte Helvetische Legion, für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung vor. Nach dem Ende der Helvetik wurde das Konzept eines nationalen stehenden Heers aufgegeben. Mit der Mediationsverfassung von 1803 verfügte die Tagsatzung über das Bundesheer (rund 15'000 Mann), das von einem General kommandiert wurde. Ausbildung und Ausrüstung der Truppen waren wieder Sache der Kantone. 1804 wurde mit dem militärischen Reglement die erste Militärorganisation geschaffen. 1805, 1809 und 1813-1815 fanden Grenzbesetzungen statt. Für Napoleon mussten vier Regimenter (16'000 Mann) ausgehoben und bewaffnet werden. Mit der von ihm verfügten Kontinentalsperre von 1806 war die Schweiz erstmals in erheblichem Ausmass in einen Wirtschaftskrieg einbezogen und sah sich gezwungen, Massnahmen zur wirtschaftlichen Landesverteidigung zu treffen (Wirtschaftliche Landesversorgung).

Das 19. Jahrhundert (1815-1914)

Nach Napoleons Scheitern konnte die Schweiz die Landesverteidigung wieder selbst gestalten. Strategisches Ziel war neben der Sicherstellung von Ruhe und Ordnung im Innern die Verteidigung des Territoriums der 22 Kantone. Die Defensivstrategie wurde durch die auf dem Wiener Kongress (1815) von den europäischen Mächten anerkannte, wiederhergestellte Neutralität vorgegeben, welche sich im 19. und 20. Jahrhundert zur zentralen aussenpolitischen Maxime entwickelte. Der Bundesvertrag von 1815 bzw. das Militärreglement von 1817 erhöhte den Bestand der aus kantonalen Kontingenten zusammengesetzten Bundesarmee auf 35'000 Mann. Die Tagsatzung bestimmte über die Armee (und verfügte mit der Kriegskasse über eigene finanzielle Mittel), wählte den General, den Generalstab sowie die eidgenössischen Obersten und entschied über Krieg und Frieden sowie über Bündnisse mit dem Ausland. Damit gingen zentrale Kompetenzen der Landesverteidigung und wichtige Souveränitätsrechte von den Kantonen an die Tagsatzung über.

Die Bundesverfassung von 1848 nannte als ersten Zweck des Bundes die Behauptung der Unabhängigkeit nach aussen und die Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern. Die Landesverteidigung wurde eine zentrale Aufgabe des jungen Bundesstaates. Das Bundesheer wurde auf 100'000 Mann in Auszug und Reserve erhöht. Der Bund übernahm die Ausbildung von Spezialtruppen und des höheren Kaders und hatte die militärischen Leistungen der Kantone zu beaufsichtigen.

Bereits in den verschiedenen Aktivdiensten, vor allem aber im Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871) stellte sich heraus, dass das System der kantonalen Kontingente nicht mehr genügte. Auf der Basis des Reformprojekts von Bundesrat Emil Welti von 1868 übertrug die Bundesverfassung von 1874 das Wehrwesen mit wenigen Ausnahmen dem Bund: Militärgesetzgebung, Bewaffnung und Ausbildung wurden ausschliesslich Bundessache; die Bestände der Armee setzten sich nicht länger aus kantonalen Kontingenten zusammen. In der folgenden vierzigjährigen Friedenszeit wurde die militärische Landesverteidigung systematisch aufgebaut (Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht, Erhöhung der Bestände, moderne Rüstung, Bau von Befestigungen), nicht zuletzt weil sich die strategische Lage des schweizerischen Kleinstaats aufgrund der nationalen Einigung Italiens und Deutschlands, dem Bau der grossen Eisenbahntunnels durch die Alpen und der wachsenden Kriegsbereitschaft der Nachbarländer immer schwieriger gestaltete. Die militärische Landesverteidigung wurde nun unterstützt durch eine aktive Aussenpolitik (z.B. beim Aufbau der ersten, teilweise in der Schweiz domizilierten internationalen Organisationen), die Entwicklung einer professionellen Diplomatie und Massnahmen zur wirtschaftlichen Landesversorgung.

Die Weltkriege (1914-1945)

Die Vorbereitungen für die militärische Landesverteidigung bewährten sich im Ersten Weltkrieg. Nicht zuletzt der systematische Festungsbau am Gotthard und bei Saint-Maurice und die in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. durchgeführten Manöver in der Ostschweiz schufen Vertrauen in die bewaffnete Neutralität; die Schweiz blieb in den Operationsplänen Deutschlands und Italiens weitgehend ausgeklammert. Während des Kriegs wurde die Schlagkraft der Armee unter General Ulrich Wille weiter ausgebaut. Im Aktivdienst standen zwischen 30'000 und 100'000 Mann unter den Fahnen. Durch Truppenkonzentrationen im Pruntruter Zipfel, wo die deutsch-französische Front, und im Unterengadin, wo die italienisch-österreichische Front an die Schweizer Grenze stiessen, versuchte die Armeeleitung, ein Übergreifen des Kriegs auf die Schweiz zu verhindern. Trotzdem kam es zu über 1000 Grenzverletzungen (inklusive Luftraumverletzungen).

Das militärisch gut gerüstete Land war jedoch auf die neue, totale Kriegführung, die sämtliche Lebensbereiche, vor allem die Wirtschaft, umfasste, nicht vorbereitet. Der Wirtschaftskrieg der streitenden Mächte bedrängte die Schweiz und erzwang die konsequente Ausweitung der Landesverteidigung auf die Wirtschaft. Die sozialen Spannungen entluden sich 1918 im Landesstreik, der zur Einsicht führte, dass auch die Sozialpolitik Bestandteil einer modernen Landesverteidigung ist.

Ausstellungsplakat von Otto Baumberger, 1934 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Ausstellungsplakat von Otto Baumberger, 1934 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Nach den vier Kriegsjahren, in denen das gesamte Leben von der Landesverteidigung dominiert war, machte sich Kriegsmüdigkeit breit ("Nie wieder Krieg"). Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland liess die Landesverteidigung wieder zum zentralen Politikbereich aufrücken. Aufgrund der im Ersten Weltkrieg gemachten Erfahrungen gewannen neben der nach wie vor zentralen militärischen Landesverteidigung die wirtschaftliche Landesverteidigung (Kriegswirtschaft), die Geistige Landesverteidigung zur Abwehr totalitärer Ideologien und die soziale Landesverteidigung (Einführung der Erwerbsersatzordnung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit) als teilweise neue Elemente der staatlichen Selbstbehauptung weiter an Bedeutung. Das Schweizer Volk unterstützte trotz der hohen finanziellen und personellen Opfer den Ausbau der nun "totalen Landesverteidigung"

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs steckte der Aufbau der Landesverteidigung erst in den Anfängen. Trotz der noch nicht behobenen Lücken in der militärischen Landesverteidigung zog es das nationalsozialistische Deutschland vor, den für die Schweiz gefährlichen Westfeldzug 1940 – wie schon 1914 – nicht über schweizerisches Territorium zu führen. Nach der Einschliessung der Schweiz durch die Achsenmächte basierte der Kampf um die Unabhängigkeit einerseits auf der militärischen, politisch-rechtsstaatlichen und Geistigen Landesverteidigung, andererseits auf Kooperation im wirtschaftlichen Bereich mit den Beherrschern Europas. Wie im Ersten Weltkrieg hielt die Schweiz während fast sechs Jahren dauernd mehrere 10'000, in kritischen Perioden mehrere 100'000 Mann unter der Fahne. Privates und öffentliches Leben hatten sich der Landesverteidigung unterzuordnen.

Eine Patrouille des Frauenhilfsdienstes während des Zweiten Weltkriegs, aufgenommen zwischen 1940 und 1941 (Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, E5792#1988/204#989*, Bild 25491).
Eine Patrouille des Frauenhilfsdienstes während des Zweiten Weltkriegs, aufgenommen zwischen 1940 und 1941 (Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, E5792#1988/204#989*, Bild 25491). […]

Beide Weltkriege verlangten individuelle Dienstleistungen und Entbehrungen (Aktivdienst, Mangelwirtschaft und Rationierungen). Daneben hatte der Bund für die Landesverteidigung enorme Summen aufzuwenden, die trotz der verschiedenen Kriegssteuern die Schuldenlast massiv steigerten. Im Ersten Weltkrieg beliefen sich die kriegsbedingten Ausgaben 1914-1920 auf ca. 2,35 Mrd. Franken, die Schulden stiegen bis 1920 auf 1,4 Mrd. Franken. Im Zweiten Weltkrieg schnellten die Ausgaben für die Landesverteidigung von 212 Mio. Franken (1938) auf 1,13 Mrd. Franken (1940), die Schulden von 2,6 Mrd. Franken (1939) auf 8,8 Mrd. Franken (1945) hoch.

Kalter Krieg (1945-1989)

Der Kalte Krieg war gekennzeichnet durch Konzeptionsstreitigkeiten in der militärischen Landesverteidigung, den weiteren Ausbau der totalen Landesverteidigung, die sich zur Gesamtverteidigung wandelte, Pläne zum Einbezug der Frauen in die Landesverteidigung, eine politische Isolation, die sich im Fernbleiben von Organisationen wie der Nato, der UNO und der Europäischen Gemeinschaft äusserte, den Verzicht auf Atomwaffen (Unterzeichnung des Atomsperrvertrages 1969) sowie eine einseitige Neutralitätspolitik, der eine vorsichtige aussenpolitische Öffnung folgte. Die Konzeption der militärischen Landesverteidigung von 1966 bestimmte die Abwehr als Hauptkampfform und verband damit mobile und statische Elemente. Die Armee sollte einen Angriff auf die Schweiz als nicht lohnend erscheinen lassen (Konzept des "hohen Eintrittspreises") und eine Verletzung der Neutralität verhindern. Die Herausforderung der totalen Kriegführung und der Massenvernichtungswaffen schlug sich 1969 im Bericht der Studienkommission für strategische Fragen unter Karl Schmid nieder, welche erstmals eine gesamtheitliche strategische Konzeption vorschlug. Die Landesverteidigung begegnete den verschiedenen Bedrohungen mit der Armee, den Luftschutztruppen, dem Anfang der 1960er Jahre geschaffenen Zivilschutz, dem Staatsschutz und der wirtschaftlichen Landesversorgung. Die Landesverteidigung wurde damit in einen militärischen und einen zivilen Bereich aufgeteilt. Die Koordination der verschiedenen Mittel wurde 1970 der Leitungsorganisation (Stab und Zentralstelle für Gesamtverteidigung) und dem Rat für Gesamtverteidigung übertragen.

Karikatur zur Mirage-Affäre, erschienen im Nebelspalter, 1964, Nr. 24 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica).
Karikatur zur Mirage-Affäre, erschienen im Nebelspalter, 1964, Nr. 24 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica). […]

Im Hinblick auf einen konzertierten Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln wurden 1973 die Koordinierten Dienste geschaffen. Im gleichen Jahr stimmte das Parlament dem Bericht zur Sicherheitspolitik zu. Dieser neue Begriff umfasste von der Aussenpolitik gestaltete, friedenserhaltende Bemühungen und die zivil-militärische Abwehrbereitschaft. Als Ziele wurden die Wahrung des Friedens in Unabhängigkeit und der Handlungsfreiheit, der Schutz der Bevölkerung und die Behauptung des Staatsgebietes definiert. Mit der dissuasiven Zielsetzung wurde die Aufrechterhaltung einer 625'000 Mann umfassenden Armee legitimiert, die durch ihre Stärke und Bereitschaft vor Kriegshandlungen abschrecken sollte. Die Dissuasionsstrategie verzichtete auf ein über die Landesgrenzen ausgreifendes operatives Konzept.

Infolge der Erfahrungen in den beiden Weltkriegen und der Angst, der Kalte Krieg könnte in einen heissen übergehen, genoss die Landesverteidigung bis in die 1960er Jahre uneingeschränkte Akzeptanz. Mit der Entspannung des Ost-West-Konflikts, der offenkundigen Schwäche des sowjetischen Ostblocks und der militärtechnischen Entwicklung wurde die Landesverteidigung ab den frühen 1980er Jahren vor allem von der Friedensbewegung zunehmend in Frage gestellt. 1989 befürworteten 35.6% des Stimmvolkes eine Volksinitiative zur Abschaffung der Armee.

Vom 20. ins 21. Jahrhundert

Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Kriegs veränderte sich die internationale politische Lage. 1990 folgte auf den Neutralitätsbericht der bundesrätliche Bericht "Schweizerische Sicherheitspolitik im Wandel", dessen Umsetzung sich jedoch verzögerte. Neu war die Absicht, die internationale Stabilität vor allem in Europa zu stärken und die Sicherheitspolitik auf Bedrohungen unterhalb der Kriegsschwelle (Terrorismus, Umwelt- und Zivilisationskatastrophen) auszurichten. Die Armee erhielt mit dem Armeeleitbild 95 und dem Militärgesetz 95 über die militärische Landesverteidigung hinaus die Aufgabe, einen Beitrag zur Friedenssicherung und zur allgemeinen Existenzsicherung zu leisten. Als neue Einsatzdoktrin wurde die "dynamische Raumverteidigung" festgelegt. Volk und Stände lehnten 1994 den Einsatz von Schweizer Soldaten als UNO-Blauhelme ab, stimmten aber 2001 der Bewaffnung von Blaumützen zu.

1996 beschloss der Bundesrat die Teilnahme am Nato-Programm Partnerschaft für den Frieden, um am Erfahrungsaustausch mit der Nato und den ost- und mitteleuropäischen Staaten zu partizipieren und durch Militärbeobachter am Aufbau einer künftigen europäischen Sicherheitsordnung mitzuwirken. 1998 gingen neue Impulse vom Militärdepartement (VBS) und dem Strategiebericht der Kommission Brunner aus, die in eine Reihe von Reformprojekten im Bereich der Landesverteidigung (z.B. Armee XXI, Zivilschutz XXI) mündeten, wobei der Begriff Landesverteidigung zugunsten des Begriffs Verteidigung aufgegeben wurde. In der Bundesverfassung von 1999 wird die Landesverteidigung im gleichen Abschnitt wie der Zivilschutz und die Sicherheit behandelt (Artikel 57-61). 2002 trat die Schweiz der UNO bei, womit die internationale Öffnung der Landesverteidigung einen Schritt weiter getrieben wurde. Die Armee XXI, in der Volksabstimmung 2003 angenommen und auf Anfang 2004 in Kraft gesetzt, wurde mittels Bestandesreduktion, verkürzten Dienstzeiten, der Einführung von Zeitsoldaten sowie Durchdienern und einer abgestuften Bereitschaft auf die veränderte sicherheitspolitische Lage ausgerichtet. 2005 schlug der Bundesrat vor, neue Prioriäten zu setzen sowie zwischen 2008 und 2011 die Mittel für die klassische Landesverteidigung zu verringern und diejenige für Sicherungseinsätze auszubauen. Das Vorhaben, vor allem die Reduktion der Panzerverbände, stiess im Parlament und in der Öffentlichkeit auf Widerstand. Das Geschäft – vom Nationalrat zurückgewiesen, vom Ständerat aber akzeptiert – gelangte 2007 ins Differenzbereinigungsverfahren.

Quellen und Literatur

  • Bonjour, Neutralität
  • A. Ernst, Die Konzeption der schweiz. Landesverteidigung 1815-1966, 1971
  • A. Aebi, Der Beitrag neutraler Staaten zur Friedenssicherung untersucht am Beispiel Österreichs und der Schweiz, 1976
  • Peyer, Verfassung
  • H.R. Kurz, Die Gesch. der Schweizer Armee, 1985
  • Texte zur Schweizer Sicherheitspolitik 1960-1990, hg. von Pierre Baur et al., 1991
  • Neues Hb. der schweiz. Aussenpolitik, hg. von A. Riklin et al., 1992
  • K.R. Spillmann et al., Schweizer Sicherheitspolitik seit 1945, 2001
Weblinks

Zitiervorschlag

Marco Jorio; Hans Stadler: "Landesverteidigung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.11.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008602/2008-11-11/, konsultiert am 29.03.2024.