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Mobilmachung

Unter Mobilmachung wird das Aufgebot einzelner Truppen (Teilmobilmachung) oder der gesamten Armee (allgemeine Mobilmachung) im Kriegsfall bezeichnet (Aktivdienst). Für die Schweizer Milizarmee bedeutet die Mobilmachung die erste Operation im Rahmen der militärischen Verteidigung ihres Hoheitsgebiets. In der alten Eidgenossenschaft, in der jeder taugliche Mann zum Dienst verpflichtet war und seine Waffen und Ausrüstung zuhause aufbewahrte, konnten die Kantone in kürzester Zeit die gesamte verfügbare Streitmacht mobilisieren. So bot Bern zwischen dem 16. und 22. Januar 1536 6000 Mann auf. Die Art und Weise der Mobilmachung entwickelte sich parallel zu den die kantonalen Kontingente betreffenden Reformen. Die durch Marschbefehle oder optische Signale (Hochwachten) aufgebotenen Verbände rückten auf einem Sammelplatz ein, bevor sie in ihre Einsatzgebiete gelangten. Für die gesamte Eidgenossenschaft legte die Tagsatzung die Versorgungsmassnahmen und den Bereitschaftsgrad für die Mobilmachung fest. Die Defensionalordnungen bestimmten die kantonalen Kontingente, die der Eidgenossenschaft abzustellen waren, und sahen ein dreiteiliges Aufgebot der Truppen vor, das insgesamt rund 40'000 Infanteristen, 1200 Kavalleristen und 48 Geschütze umfasste. Die Verfahren für die Mobilmachung waren sowohl im eidgenössischen wie im kantonalen Dienst gleich. 1798 rief die in sich gespaltene Tagsatzung keine allgemeine Mobilmachung aus, 1805 und 1809 wurde eine Teilmobilmachung angeordnet, und im November 1813 verfügte die Tagsatzung den Truppenaufmarsch an den Grenzen.

Die Schaffung des Bundesstaats 1848 zog eine Zentralisierung nach sich; die Armee wurde 1849, 1856, 1859 und 1866 aufgeboten. Bei der Grenzbesetzung von 1870-1871 traten schwere Mängel bei der Mobilmachung, Ausbildung und Bewaffnung der dem Bund zur Verfügung gestellten kantonalen Truppen zutage. Zudem waren sich General Hans Herzog und der Bundesrat über die zu mobilisierenden Truppen uneinig. Die Bundesverfassung von 1874 und das ergänzende Bundesgesetz über die Militärorganisation übertrugen dann die Verantwortung für die Landesverteidigung dem Bund. 1876-1877 erarbeitete der Genieoffizier und Kartograf Hermann Siegfried die ersten eidgenössischen Weisungen zur Mobilmachung

Im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts erforderten die internationale Lage, die Verteidigungspläne und die Strukturen der eidgenössischen Armee zahlreiche Anpassungen der Pikettstellung – so durften die betroffenen Soldaten ohne Bewilligung nicht ausreisen – sowie der Teil- oder allgemeinen Mobilmachung, die im Gegensatz zum Ausbildungsdienst einen Aktivdienst mit Vereidigung nach sich zogen. Die Verordnung von 1884 verlangte eine Formalisierung der Mobilmachung, die der Bundesrat guthiess und der Generalstab (1939-2003 dessen Sektion Mobilmachung), die Kantone und die Gemeinden vorbereiteten und durchführten. Von nun an musste der Mobilmachungsbefehl telegrafisch von Bern den Kantonen, Gemeinden und Bahnhöfen mitgeteilt werden. Plakate und öffentliche Anzeigen in den wichtigsten Zeitungen des In- und Auslands informierten mittels Kennziffern über die aufgebotenen Einheiten. Kostenlos fuhren die Soldaten mit dem Zug zu ihrem Bestimmungsort, an dem jede Einheit rasch das Material, die Waffen und die leichte Munition fasste. Die Mobilmachung der Einheiten, Bataillone und Regimenter wurde vom Platzkommandant geleitet und musste am Morgen des zweiten Tages vor der Fahnenübernahme und Vereidigung abgeschlossen sein. Die Generalstabschefs der Divisionen kontrollierten die Vorbereitungen der Kantone. Am 31. Juli 1914 beschloss der Bundesrat die Pikettstellung der Armee, für den 3. August die allgemeine Mobilmachung sowie die Einberufung der im Ausland lebenden Angehörigen des Auszugs und der Landwehr, wobei deren Mobilmachungstelegramm am 1. August abgeschickt wurde. Erstmals erhielten die Einheiten des Landsturms den Auftrag, die Mobilmachung und den Truppenaufmarsch zu decken.

Abreise der Soldaten im Bahnhof Bulle am Morgen des 2. September 1939. Fotografie von Simon Glasson (Musée gruérien, Bulle).
Abreise der Soldaten im Bahnhof Bulle am Morgen des 2. September 1939. Fotografie von Simon Glasson (Musée gruérien, Bulle).

Das Reglement über den Felddienst von 1927 betonte die Wichtigkeit einer raschen Mobilmachung. Aufgrund der neuen Bedrohung durch die Flugwaffe musste das Material und die Munition der Einheiten neu dezentral und ausserhalb von Zeughäusern, Parks und Depots gelagert werden. Zudem rückten die Stäbe und Soldaten zeitlich gestaffelt auf einer grösseren Anzahl von Sammelplätzen ein. Die allgemeine Mobilmachung der Armee sollte höchstens fünf Tage dauern. 1937 wurden Mobilmachungsplätze geschaffen, die neben Angehörigen der Landwehr und des Landsturms Zeughäuser, Motorfahrzeugparks und Eisenbahndienste umfassten. Am 28. August 1939 ordnete der Bundesrat mittels Plakaten die Mobilmachung des Grenzschutzes (80'000 Mann), am 1. September die allgemeine Mobilmachung für den jeweils nächsten Tag an. Die Materialfassungsdetachemente rückten sofort ein, ihnen folgten am Tag darauf 430'000 Mann Kampftruppen und 200'000 Hilfsdienstpflichtige. Eine zweite allgemeine Mobilmachung fand am 10. Mai 1940 statt. Ab 1941 konnte mit Hilfe individuell verschickter Marschbefehle ein "stilles Aufgebot" ausgelöst werden. Während des Aktivdienstes von 1939-1945 kam es zu 80 Teilmobilmachungen, die der Ablösung, aber auch der Übung, Vereinfachung oder Beschleunigung von Truppenaufmärschen dienten. Allerdings bewilligte der Bundesrat nicht alle Mobilmachungen, die General Henri Guisan verlangte. So verweigerte er ein Aufgebot im Juni 1944 anlässlich der Landung der Alliierten in der Normandie.

Während des Kalten Kriegs gewannen die Mobilmachungsplätze, deren Zahl zwischen 67 und 54 schwankte, an Bedeutung. Es galt, den Ablauf der Mobilmachung zu beschleunigen, die Sofortausbildung der Truppe sicherzustellen und den Sammelplatz so rasch als möglich zugunsten des Grundkampfdispositivs zu verlassen, weil die Vorwarnzeit bei einem möglichen Angriff des Warschauer Pakts immer kürzer wurde. Die Planung des Generalstabs legte fest, welche Stäbe und Truppen in den verschiedenen Fällen von Teilmobilmachungen einzubeziehen waren. Meist begann der Wiederholungskurs eines Truppenkörpers mit dem Üben der Kriegsmobilmachung.

Mit der Armee 95 verschwand das System der vorgegebenen Teilmobilmachungen. Zunächst hatten die gerade dienstleistenden Einheiten, danach die Alarmformationen und schliesslich, je nach innerer und äusserer Lage, weitere Truppen, die durch Plakate und Marschbefehle, über die Presse oder die elektronischen Medien aufgeboten wurden, einzurücken. An ihren Sammelplätzen fügten sie sich sogleich in ein Grundkampfdispositiv auf der Grundlage verschiedener Waffengattungen ein und konnten entweder in ihrem Mobilmachungsabschnitt den Kampf aufnehmen oder sich in ihr Einsatzgebiet verschieben. Mit der allgemeinen Mobilmachung wurde hingegen kaum mehr gerechnet.

Da sich die Bedrohungslage nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion veränderte, wich 2003 mit der Armee XXI (220'000 Mann) die rasche Mobilmachung dem flexiblen System der abgestuften Bereitschaft, das keine Mobilmachungsplätze mehr benötigt. Durchdiener, Berufs- und Zeitmilitärs stehen aus dem Stand für subsidiäre Einsätze im Katastrophenfall oder zur Unterstützung der Zivilbehörden bereit, wobei auch Truppen im Ausbildungsdienst (letzte Phase der Rekrutenschulen oder Wiederholungskurse) für solche Aufträge herangezogen werden können. Nach mittlerer Vorbereitungszeit lassen sich weitere Verbände für die Raumsicherung (Verstärkung des Grenzwachtkorps, Schutz sensibler Objekte) aufbieten. Der Einsatz der Reservetruppen (80'000 Mann) erfordert eine längere Vorbereitungszeit von einigen Monaten.

Quellen und Literatur

  • Schweizer Kriegsgesch., 1915, H. 3, 24-28
  • Generalstab
  • A. Linder, C. Aversano, Die M. der Schweizer Armee in den letzten 100 Jahren, 1985
  • E. Buxcel, L'armée suisse mobilise, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Hervé de Weck: "Mobilmachung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.01.2010, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008601/2010-01-19/, konsultiert am 16.04.2024.