de fr it

SittenFürstbistum

Als Fürstbistum Sitten wird das Gebiet bezeichnet, das ab 999 faktisch bis Anfang des 17. Jahrhunderts und juristisch bis 1798 unter der weltlichen Herrschaft des Bischofs von Sitten stand. Das Fürstbistum erstreckte sich zunächst über das Gebiet von den Rhonequellen bis zum Trient bei Martigny und deckte sich erst nach der Eroberung des savoyischen Unterwallis (1475 und 1536) in etwa mit dem Gebiet der Diözese Sitten.

Die Schenkung von 999

999 schenkte König Rudolf III. von Burgund Hugo, Bischof von Sitten, und dessen Nachfolgern die Grafschaft Wallis mit allen Rechten. Die Schenkung, deren Echtheit heute unbestritten ist, war Teil des herrschaftspolitischen Programms des letzten Rudolfingers. Um sein schwaches Königtum gegenüber den erstarkenden regionalen Feudalgewalten zu festigen, zog er die Bistümer stärker zum Königsdienst heran. Er stattete 996 die Tarentaise, 999 Basel und Sitten, 1011 Lausanne sowie 1023 Vienne mit Grafschaftsrechten aus und begründete so nach ottonischem Vorbild eine "burgundische Reichskirche". Die Schenkung verschaffte den Bischöfen von Sitten, die vermutlich schon vorher in Sitten Markt- und Zollrecht geltend machten und in der Diözese Lausanne bedeutende Grundherren waren, kein geschlossenes Territorium. Sie brachte aber einen erheblichen Zuwachs an nicht näher umschriebenen, vormals von königlichen Beamten ausgeübten weltlichen Rechten und war Ausgangspunkt für die Landesherrschaft der Bischöfe. Spätestens mit der Angliederung Burgunds an das Heilige Römische Reich nach dem Tod von Rudolf III. 1032 vereinigten die Bischöfe von Sitten als Reichsfürsten die geistliche und weltliche Gewalt in der Diözese in sich. Mit dem Titel Präfekt und Graf (praefectus et comes), der ab dem 14. Jahrhundert in relativer Ferne zum Reich die Unteilbarkeit der reichsfürstlich-gräflichen Prärogative betonen sollte, nahmen die Fürstbischöfe von Sitten die einst dem König vorbehaltenen Regalien wahr, darunter alle öffentlichen Rechte, namentlich die hohe und niedere Gerichtsbarkeit, Kanzlei-, Strassen-, Zoll-, Steuer-, Münz- und Marktrecht, Jagd-, Fischerei- und Bergregal. Mit Ausnahme des Steuer- und Münzregals (1479/1480 erste Münzprägungen durch Bischof Walter Supersaxo, 1776-1778 letzte durch Bischof Franz-Friedrich Ambühl) wurden die Regalien weiterverliehen. So gelangte das bedeutende, im unteren Teil des Bistums zudem in Konkurrenz zum Kanzellariat der Abtei Saint-Maurice ausgeübte Kanzleirecht (Notariatsaufsicht) schon im 12. Jahrhundert als bischöfliches Lehen an das Domkapitel Sitten.

Landesherrschaft und Territorium

Die weltliche Gewalt der Fürstbischöfe endete im Westen am 1217 erwähnten Kreuz von Ottan zwischen Martigny und dem Trient. Bereits Ende des 10. Jahrhunderts waren die Besitzungen der im Chablais reich begüterten Abtei Saint-Maurice ausgeklammert, wo seit dem 11. Jahrhundert die Grafen von Maurienne-Savoyen die Kastvögte stellten. Mitglieder der gräflichen Familie nahmen auf Abtei und Bistum Einfluss, etwa mit Aimo, der 1034-1053 Bischof von Sitten und ab 1046 auch Propst bzw. Abt von Saint-Maurice war. Ab dem 12. Jahrhundert expandierte Savoyen in bischöfliche Territorien, was zu ineinandergreifenden Besitzlagen im westlichen Teil des Fürstbistums und zu andauerndem Zwist führte. Der Friedensvertrag von 1179 zwischen Graf Humbert III. von Savoyen und Bischof Kuno zeigt die weit ausgreifenden gräflichen Lehensbeziehungen zu den Herren von Aigle, Bex, Saillon, Etiez, Conthey und Granges im Fürstbistum Sitten und damit die Komplexität der Gemengelage. Eine territoriale Abgrenzung zeichnete sich erst im 13. Jahrhundert deutlich ab: 1222 und 1232 kaufte Graf Thomas I. von Savoyen die Herrschaft Saillon, 1263 und 1277 Graf Peter II. bzw. Graf Philipp I. Burg und Kastlanei Saxon. Während des Interregnums eroberte Peter II. von Savoyen 1260 die bischöfliche Burg Martigny am Zugang zum Grossen St. Bernhard und nötigte Bischof Heinrich von Raron in einem Tauschvertrag, die Schlösser Crest, Chamoson und Martigny sowie Besitz in Montreux gegen savoyische Güter geringeren Umfangs östlich der Morge bei Conthey abzugeben. Die Morge wurde damit zur Grenze zwischen Savoyen und dem bischöflichen Wallis. Graf Philipp I. von Savoyen widerrief den Vertrag aber 1268.

Fürstbistum und Diözese Sitten um 1350
Fürstbistum und Diözese Sitten um 1350 […]

Die Anerkennung der fürstbischöflichen Regalienrechte 1293 und die Unterwerfung des Lokaladels um Peter IV. vom Turn 1294-1299 stärkten die Stellung des Fürstbischofs. Nach einer friedlichen Zeit wirtschaftlicher Blüte kam es mit Bischof Witschard Tavel, Anhänger Savoyens, zu einem Krieg mit den sieben Zenden: 1352 intervenierte Graf Amadeus VI. von Savoyen zugunsten Tavels und plünderte die Stadt Sitten. 1375 wurde Tavel ermordet und 1384 sein Nachfolger Bischof Eduard von Savoyen-Achaia vorübergehend vertrieben. Der Aufstand wurde jedoch von Graf Amadeus VII. von Savoyen niedergeschlagen und die unterlegenen Zenden traten die bischöflichen Territorien Martigny, Ardon und Chamoson an Savoyen ab. Der Friedensvertrag von 1392 beendete die Wirren, bestätigte die Grenze von 1384 und beschränkte die Landesherrschaft des Fürstbischofs auf das Gebiet östlich der Morge (ob der Mors), verfügte jedoch die Rückgabe der verpfändeten bischöflichen Burgen (Tourbillon, Majoria, Montorge) und den Verzicht Savoyens auf seinen Besitz im oberen Rhonetal. Gewinner war letztlich nicht der Bischof als Landesherr, sondern die Zenden, die sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Wallis neben dem Fürstbischof und dem Adel als politische Kraft etabliert hatten.

Die Schlacht auf der Planta vom 13. November 1475 bei Sitten. Darstellung des Zürcher Chronisten Gerold Edlibach aus seiner Chronik, an der er ab 1485/1486 arbeitete (Zentralbibliothek Zürich, Ms. A 75, S. 312).
Die Schlacht auf der Planta vom 13. November 1475 bei Sitten. Darstellung des Zürcher Chronisten Gerold Edlibach aus seiner Chronik, an der er ab 1485/1486 arbeitete (Zentralbibliothek Zürich, Ms. A 75, S. 312). […]

Als Bischof Wilhelm II. von Raron dynastische Eigeninteressen in den Vordergrund rückte, stürzten die politischen Wirren das Bistum 1415-1420 in einen Bürgerkrieg, den Raronhandel. Sein italienischer Nachfolger Andreas dei Benzi von Gualdo besass die Gunst König Sigismunds, dem an einem stabilen Passstaat gelegen war. Die Befriedung der Landschaft gelang den Bischöfen dei Benzi und Wilhelm III. von Raron nur unter gesetzgeberischen Zugeständnissen an die Zenden (Landes- und Gerichtsverfassungen von 1435 und 1446), die 1454 gegen den Willen Roms Heinrich Asperlin als Bischof durchsetzten. Mit der Hilfe der Zenden eroberte Bischof Walter Supersaxo während der Burgunderkriege 1475 das savoyische Unterwallis bis Saint-Maurice, das diese später als Landvogtei nid der Mors selbstständig verwalteten, und festigte so seine Stellung auch im Innern. Bis zur Eroberung von Monthey und Evian 1536 und bis zur definitiven Festlegung der Westgrenze bei Saint-Gingolph im Vertrag von Thonon 1569 war dies der bedeutendste Territorialgewinn des Fürstbistums Sitten, denn trotz eidgenössischer Unterstützung war die von Bischof Jost von Silenen, Parteigänger Frankreichs, im Val d' Ossola gegen Mailand betriebene Expansion 1484-1494 erfolglos geblieben.

Regalieninvestitur

Zum Schutz des Territoriums vor Savoyen beriefen sich die Fürstbischöfe von Sitten auf die Reichsunmittelbarkeit von 1032, die König Heinrich IV. 1079 Bischof Ermenfried, seinem späteren Kanzler für Burgund, bekräftigte (Investiturstreit). Eine weitere Bestätigung erfolgte 1189, als König Heinrich VI. Bischof Wilhelm die Regalien verlieh, deren Investitur Graf Humbert III. von Savoyen an sich gerissen hatte. Die Herzöge von Zähringen, die seit 1156 als wichtigste Vertreter der Reichsgewalt im Rahmen der Reichsvogtei in Burgund die Regalieninvestitur in den Diözesen Genf, Lausanne und Sitten ausübten, konnten offenbar nichts gegen die Savoyer ausrichten. Zähringische Ansprüche auf die Grafschaft Wallis hatten die Truppen von Bischof Landrich von Mont zudem 1211 in der historisch umstrittenen Schlacht bei Ulrichen erfolgreich abgewehrt.

Vorderseite eines silbernen Doppeltalers von 1501, Durchmesser 46,3 mm, geprägt von Bischof Matthäus Schiner (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Vorderseite eines silbernen Doppeltalers von 1501, Durchmesser 46,3 mm, geprägt von Bischof Matthäus Schiner (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]
Rückseite eines silbernen Doppeltalers von 1501, Durchmesser 46,3 mm, geprägt von Bischof Matthäus Schiner (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Rückseite eines silbernen Doppeltalers von 1501, Durchmesser 46,3 mm, geprägt von Bischof Matthäus Schiner (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

Während die Fürstbischöfe gegenüber den Zähringern ihre Eigenständigkeit behaupteten, mussten sie 1224 und 1233 die Überordnung Savoyens und dessen Recht auf die Regalieninvestitur anerkennen und damit eine Einmischung der Grafen von Savoyen bei der Wahl des Fürstbischofs in Kauf nehmen. 1293 erreichte Bischof Boniface de Challant unter Berufung auf die sogenannte Carolina, die vermeintliche Schenkung Karls des Grossen an Bischof Theodul, von Savoyen die Anerkennung der bischöflichen Regalien im Bistum, d.h. bis zur Eau-Froide bei Villeneuve (VD). Symbolischen Ausdruck fand die vom Kaiser empfangene Investitur unter Bischof Philippe de Chambarlhac (1338-1342), der als erster Fürstbischof von Sitten das Regalienschwert im Siegel führte. Seine Nachfolger nahmen die Regalien weiterhin von den Savoyern entgegen. Erst Bischof Walter Supersaxo gelang es 1477 in Rückbesinnung auf die rudolfinische Schenkung und die Carolina, die bischöfliche Landesherrschaft auf Dauer zu festigen und ideologisch zu untermauern. Nach dem Frieden von Basel 1499 trugen die Bischöfe von Sitten weiterhin den Titel eines Reichsfürsten, zahlten aber keine Beiträge mehr an das Reich, sodass sich das Verhältnis zwischen Sitten und dem Reich auf Beziehungen symbolischer Art beschränkte.

Gerichtsbarkeit und Verwaltung

Als Landesherr war der Bischof von Sitten grösster Grundherr und oberster weltlicher Richter der Grafschaft Wallis. Das bischöfliche Tafelgut (mensa episcopalis) wird in Güterverzeichnissen vom 11. bis 13. Jahrhundert immer deutlicher fassbar. Es konsolidierte sich unter anderem zwischen 1138 und 1148 um die Höfe Leuk und Naters. Zum Tafelgut gehörten ausser den Domänen im savoyischen Bistumsteil (Massongex, Martigny, Chamoson, Saint-Pierre-de-Clages, Ardon und Magnot) vorübergehend auch Güter zwischen Vevey und Villeneuve (Montreux), im Berner Oberland (Alpen Gurnigel, Engstligen und Felsenburg sowie die Feste Mülinen im Kandertal) und im Aostatal (u.a. Valle d'Ayas). Seine naturräumliche territoriale Einheit erlangte das von Allodial- und savoyischem Lehensbesitz des Lokaladels durchsetzte Tafelgut erst im 14. und 15. Jahrhundert, vor allem nach dem Kauf der Güter der vom Turn 1376 und der Eingliederung des Erbes der von Raron (Herrschaft Anniviers) infolge des Asperlinhandels 1460-1482. Gegenüber dem Besitz der Abtei Saint-Maurice und jenem des Domkapitels (v.a. im Mittelwallis) nahmen sich die Grundherrschaften der Benediktinerpriorate Ayent-Granges, Lutry (Vionnaz) und Port-Valais sowie des Klosters Abondance (Saint-Gingolph) bescheiden aus.

Die weltliche Gerichtsbarkeit und die Verwaltung der an Adlige und abgabepflichtige Bauern verliehenen bischöflichen Domänen waren Beamten übertragen. Hoch- und Niedergericht übte zunächst der Grossviztum von Sitten anstelle des 1005-1054 erwähnten bischöflichen advocatus allein aus. Ab 1235 sind mehrere Vizedominate nachgewiesen. Räumlich lehnten sie sich den Grosspfarreien (Leuk, Raron, Naters, Visp, Ernen, Münster im Oberwallis) an, deren Zentren teilweise durch Burgen befestigt waren, die auch als Bischofsresidenzen dienten. An der Seite des Viztums (vicedominus) werden ab dem 13. Jahrhundert die mit niedergerichtlichen Befugnissen ausgestatteten Meier (maior) und die administrativ-polizeilichen Ämter der Weibel (salterus) und Mechtrale (mistralis) erwähnt. Die Erblichkeit der Ämter und die Verschmelzung der richterlichen Kompetenzen von Viztum und Meier beeinträchtigten ab dem 14. Jahrhundert die Gerichtsbarkeit der Fürstbischöfe und wurden nach savoyischem Muster mit der zentralistischen Institution der Kastlanei bekämpft. Die kleinräumigen Gerichtsbarkeiten des Domkapitels und die sogenannten Freigerichte (liberae jurisdictiones), von freien Bauern erworbene, ehemalige allodiale Gerichtsherrschaften, traten im Spätmittelalter in Konkurrenz zur bischöflichen Landesherrschaft. Einzelne dieser Gerichte, wie zum Beispiel das Freigericht Holz, überdauerten als parastaatliche Gebilde ohne politischen Einfluss bis 1798, während andere im 16. Jahrhundert in der Zendenorganisation aufgingen, welche die mittelalterliche Territorialverwaltung ersetzte.

Der Untergang des Fürstbistums

Mächtigste Verbündete nach aussen und grösste innenpolitische Rivalen der Fürstbischöfe waren ab dem Spätmittelalter die sieben Zenden. Ihr rascher Aufstieg nach dem Raronhandel (1415-1420) und den Burgunderkriegen (1475-1476) schwächte die Fürstbischöfe: 1435 rangen die Zenden dem Fürstbischof eine Landes- und Gerichtsverfassung ab, die wie die 1446 mit Waffengewalt erzwungenen Artikel von Naters demokratisch gefärbt war. 1487 nutzten die Zenden die militärische Niederlage von Bischof Jost von Silenen im Val d'Ossola für eine für den Walliser Landrat günstige Wahlkapitulation. Versuche der Bischöfe Walter Supersaxo und Matthäus Schiner, im Rahmen der Neuaufzeichnung des Walliser Gewohnheitsrechts auch ihre Herrschaft in den Landrechten von 1475 und 1514 gesetzlich zu festigen, scheiterten. 1571 gelang zwar die verfassungsmässige Verankerung; die weltlichen Rechte des Fürstbischofs waren da als Folge der politisch und konfessionell gespaltenen Landschaft nach Schiner, der als Sachwalter von Papst und Kaiser wie keiner nach ihm die reichsfürstliche Stellung verkörpert hatte, aber faktisch bereits zugunsten der Zenden ausgehöhlt. Schiners Nachfolger, deren Beziehung zum fernen Reich sich auf seltene Besuche der Reichstage beschränkte, wurden während der konfessionellen Richtungskämpfe (1524-1613) vom Landrat in die Defensive gedrängt. Als Fälschung abgelehnt, stiess besonders die Carolina als Ursprung der fürstbischöflichen Rechte Anfang des 17. Jahrhunderts bei den Zenden auf erbitterten Widerstand. Der dem Fürstbischof und dem Domkapitel 1613 aufgezwungene und 1634 von diesen bestätigte Verzicht auf die Carolina bedeutete die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt, von Kirche und Staat und reduzierte die politische Rolle des Fürstbischofs auf Ehrenrechte (Vorsitz und Stimme im Landrat). Bis zur Helvetischen Verfassung 1798 trug der Bischof von Sitten zwar noch den Titel eines Reichsfürsten, faktisch setzte sich aber bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Zendendemokratie durch.

Quellen und Literatur

  • A. Fibicher, Walliser Gesch. 2, 1987; 3/1, 1993
  • Vallesia 54, 1999
  • HS I/5 (mit Bibl.)
  • P. Curdy et al., Histoire du Valais, 4 Bde., 2002
  • C. Schnyder, Reformation und Demokratie im Wallis (1524-1613), 2002

Zitiervorschlag

Gregor Zenhäusern: "Sitten (Fürstbistum)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.09.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008560/2014-09-25/, konsultiert am 28.03.2024.