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Astrologie

Die Astrologie (deutsch: Sterndeutung) lehrt die Beeinflussung des menschlichen Schicksals und Charakters durch den Stand der Gestirne. Erstmals im 18. Jahrhundert v.Chr. im Zweistromland belegt, gelangte sie mit den Römern ins Gebiet der heutigen Schweiz, hinterliess aber nur wenige Spuren (Mosaik in Boscéaz, Bronzebecken in Augusta Raurica, Dodekaeder in Genf). Nach dem Untergang des Römischen Reichs geriet die Astrologie weitgehend in Vergessenheit, da auch die zur Positionsberechnung der Planeten erforderlichen astronomischen Kenntnisse verloren gingen (Astronomie). Zudem bekämpfte das Christentum, insbesondere Augustinus, die prognostische Astrologie, welche die Willensfreiheit des Menschen und die Allmacht Gottes in Zweifel zog. Die churrätischen Rechtstexte "Lex Romana Curiensis" und "Capitula Remedii" (um 800) enthalten Bestimmungen gegen die Wahrsagerei, und auch die Luzius-Vita (um 800) sowie weitere frühmittelalterliche Handschriften (z.B. die "Recognitiones Clementis" des 9./10. Jh. in Disentis und St. Gallen) zeugen vom Kampf der Kirche gegen die Astrologie. Trotzdem spielten im frühen Christentum die Gestirne eine Rolle (z.B. Weihnachtsstern).

Vom 11. Jahrhundert an fasste die von den Arabern in Spanien und Sizilien vermittelte Astrologie wieder Fuss in Europa. Sie verbreitete sich bis ins Spätmittelalter in allen Gesellschaftsschichten und stieg zur anerkannten Wissenschaft auf. Ihre Blüte erreichte sie zur Zeit des Humanismus, wiewohl von zahlreichen Humanisten (z.B. Pamphilus Gengenbach) in Weissagungsparodien karikiert. Drei bedeutende Vertreter der astrologischen Medizin, die einzelne Körperteile mit Gestirnen in Verbindung brachte (Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogie), stammten aus der Schweiz: Conrad Heingarter ("Defensio astrologica", 1488), Paracelsus und Leonhard Thurneysen.

Die Reformatoren waren sich in der Beurteilung der Astrologie nicht einig: Zwingli, Calvin und Vadian lehnten die prognostische Astrologie ab, Philipp Melanchthon neigte ihr zu. Kurz vor 1500 fand die Astrologie ihren Weg in die gedruckten Kalender (Almanache), welche die Bauern zur Feldarbeit anleiteten (sogenannte Praktik oder Brattig) und anzeigten, wann zu Ader gelassen werden sollte. Dabei war die Konstellation der fünf damals bekannten Planeten, der Sonne und des Mondes bestimmend. Mit dem Anbruch des wissenschaftlichen Zeitalters im 17. Jahrhundert ging die enge Verbindung zwischen Astrologie, Astronomie und Mathematik verloren. Zudem bekämpften die reformierte und die katholische Kirche zunehmend die Astrologie als Aberglaube, besonders die Nativitätsprognose. Im 18. Jahrhundert wurde die Astrologie von den Aufklärern vollends in den Untergrund abgedrängt, obwohl sich noch immer angesehene Astronomen mit ihr beschäftigten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwand die Astrologie, gegen den Widerstand der Leserschaft, aus den Kalendern, lebte aber in einigen Bauernregeln weiter. Um 1900 war sie in der Schweiz weitgehend bedeutungslos.

Die durch den Ersten Weltkrieg und die Wirtschaftsdepression hervorgerufene Sinnkrise liess die tot geglaubte Astrologie wieder aufleben. Sie hatte im Gegensatz zur alten, auf die praktische Feldarbeit ausgerichteten Astrologie ihre Wurzeln nicht in der Landbevölkerung, sondern in den urbanen, esoterischen Bewegungen der Jahrhundertwende (z.B. Rosenkreuzer) und war stark psychologisch geprägt. Pioniere dieser Astrologie waren Karl Ernst Krafft, der Anthroposoph Rudolf Steiner, der Schriftsteller Alfred Fankhauser sowie Carl Gustav Jung (Prinzip der Synchronizität). Von den 1930er Jahren an entstanden in der Schweiz astrologische Beratungsstellen, Verlage und Zeitschriften (so die 1933 von Fankhauser gegründete Zeitschrift "Trigon"). Nach dem Zweiten Weltkrieg drang die Astrologie in immer breitere Volkskreise ein (Neue religiöse Bewegungen, Esoterik). Auftrieb erhielt sie insbesondere durch die in den späten 1960er Jahren aufgekommene New-Age-Bewegung. 1982 glaubten rund die Hälfte von 1000 Befragten an Einflüsse der Gestirne auf ihr Leben. Die Kirchen bekämpften anfänglich die Astrologie als Glaubensersatz, akzeptierten sie aber schliesslich als psychologische Lebenshilfe.

Quellen und Literatur

  • A. Gattlen, «Zur Gesch. der astrolog. Praktik in den Walliser Kal. des 18. und 19. Jh.», in SAVk 51, 1955, 49-60
  • W. Koch, «Melanchthon, Zwingli und die Astrologie», in 39. Kosmolog. Jb., 1968, 13-32
  • LexMA 1, 1135-1145
  • TRE 4, 277-315
  • E. Derendinger, Die Beziehungen des Menschen zum Übernatürlichen in bern. Kal. des 16. bis 20. Jh., 1985
  • S. Pfister, Parodien astrolog.-prophet. Schrifttums 1470-1590, 1990
Weblinks

Zitiervorschlag

Marco Jorio: "Astrologie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.10.2001. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008254/2001-10-21/, konsultiert am 29.03.2024.