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Archäologie

Die Archäologie ist keineswegs nur eine historische Hilfswissenschaft, sondern eine der wichtigsten Disziplinen der Geschichtsforschung. Indem sie die materiellen Überreste, die sie durch Ausgrabungen zutage fördert, unter Beizug von anderen (z.B. Schrift- und Bild-)Quellen und Disziplinen (Naturwissenschaft, Anthropologie) untersucht, hat sie die Geschichte im weitesten Sinne zum Gegenstand. Durch die Bodenforschung und die Untersuchung der Landschaft bringt sie zum Vorschein, was aus dem kollektiven Gedächtnis hätte verschwinden können. Wie alle Humanwissenschaften kann sie nicht vollkommen objektiv und vorurteilsfrei sein: Da sie von Vorwissen, Beurteilungsmassstäben, Denkweisen und Lehrmeinungen abhängt, kann sie nur durch das verzerrende Prisma der Gegenwart ihren Untersuchungsgegenstand zum Sprechen bringen und so versuchen, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Seit jeher interessiert sich der Mensch für die Generationen, die vor ihm gelebt haben, und für die materiellen Spuren, die sie hinterlassen haben. Die Suche nach Altertümern hat eine lange Tradition voller farbiger wie auch dramatischer Ereignisse, und die Zielsetzung der Archäologie (der Begriff wird bereits von Platon verwendet) wechselte mit den Zeiten, Lehren und Personen. Heute geht es vor allem darum, die Geschichte der Menschheit (Chronologie, Gesellschaft, Religionen, Denkweisen, Wirtschaft, Techniken, Künste) und ihrer Umwelt (Klima, Landschaft, Flora, Fauna) besser kennenzulernen, der Vergangenheit einen Sinn zu geben und die Orte der Erinnerung soweit wie möglich zu erhalten, damit wir unsere Wurzeln finden und der Gegenwart die ihr angemessene Tiefe vermitteln können. Doch Schatzgräberei, Plünderungen und verbotener Antiquitätenhandel, der Vorrang prestigeträchtiger Kunstwerke oder Denkmäler, politische und ideologische Beweggründe sowie nationalistische Irrungen sind noch längst nicht Vergangenheit. Die Archäologie der geschichtlichen Zeiten (die ihre Ursprünge in der Renaissance hat und anfangs eng mit der Philologie und der Kunstgeschichte verbunden war) und die Archäologie der vorgeschichtlichen Epochen (die seit ihren Anfängen naturwissenschaftlichen Methoden viel zu verdanken hat) haben sich allmählich angenähert, ohne dabei ihre Eigenheiten aufzugeben. Sie bilden zusammen am Ende des 20. Jahrhunderts eine voll anerkannte historische Wissenschaft, die neue und gewinnträchtige Wege eröffnen und unsere Sicht der Vergangenheit zuweilen entscheidend verändern kann. Die Mittelalter-Archäologie wiederum kann – auch wenn sie denselben Methoden wie die beiden vorgenannten Fachrichtungen verpflichtet ist – vermehrt auf schriftliche oder bildliche Quellen zurückgreifen. Da sie sich häufig auf Kunstdenkmäler erstreckt, ist die fachliche Abgrenzung zur Kunstgeschichte unscharf.

Von den Ursprüngen zur Verwissenschaftlichung

Die erste Erwähnung von in der Schweiz entdeckten Altertümern findet sich in der um 1440 verfassten Chronik von Königsfelden, die vom 810 gemachten Fund eines Mosaiks, «heidnischen Münzen» und einer Wasserleitung berichtet, die wahrscheinlich das Legionslager Vindonissa versorgt hatte. Die Ruinen von Augusta Raurica wurden ab 1488 in den Werken zahlreicher Humanisten erwähnt, beschrieben und sogar bildlich dargestellt. Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen nördlich der Alpen wurden dort 1582-1584 auf Initiative von Basilius Amerbach dem Jüngeren, Professor für römisches Recht in Basel, durchgeführt. Obwohl die Historische Gesellschaft zu Basel ab 1839 Untersuchungen durchführte, setzten systematische Ausgrabungen erst 1878 ein.

Ruinen in Augusta Raurica. Zeichnung aus der Chronik Zirkel der Eidgenossenschaft von Andreas Ryff, 1597 (Musée historique de Mulhouse; Fotografie Christian Kempf, Colmar).
Ruinen in Augusta Raurica. Zeichnung aus der Chronik Zirkel der Eidgenossenschaft von Andreas Ryff, 1597 (Musée historique de Mulhouse; Fotografie Christian Kempf, Colmar).

Auch das Interesse an Aventicum ging von den Humanisten des 16. Jahrhunderts aus, wie Johannes Stumpf, Aegidius Tschudi oder Sebastian Münster. Auf Anregung der Berner Obrigkeit erstellten David Fornerod 1747 und Erasmus Ritter ab 1783 ein Verzeichnis der Ruinen und einen Plan der antiken Stadt. Das Römermuseum in Avenches (bis 1837 Musée Vespasien genannt) wurde 1824 ins Leben gerufen. Der erste Konservator, François-Rodolphe de Dompierre, ein echter Verfechter des Kulturgüterschutzes, noch bevor es diesen Begriff überhaupt gab, schlug vor, regelmässig Ausgrabungen durchzuführen. Doch erst 1885, im Gründungsjahr der Stiftung Pro Aventico, begann die systematische Erforschung der Stätte.

Vom 17. Jahrhundert an wurden immer mehr Altertümer in der Schweiz entdeckt und zahlreiche Studien darüber verfasst. Neben der Römerzeit, die immer noch an erster Stelle stand, rückte das Mittelalter bei einigen Gelehrten in den Vordergrund: zum Beispiel bei Johann Jakob Breitinger in Zürich, Emanuel Büchel in Basel, Léonard Baulacre und Jean Senebier in Genf. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts waren allerdings auf der Suche nach Gebeinen von Märtyrern Ausgrabungen in der Umgebung von Kirchen unternommen worden. Anfang des 19. Jahrhunderts erschienen das bedeutende Werk von Franz Ludwig Haller, Helvetien unter den Römern (1811-1812) sowie die ersten geografischen, statistischen und historischen Lexika der Kantone Waadt von Louis Levade (1824) und Freiburg von Franz Kuenlin (1832).

Das Jahr 1832 wurde zum Markstein der Archäologie: Nach der zufälligen Entdeckung von zwei Hügelgräbern in der Gegend von Zürich gründete Ferdinand Keller die Antiquarische Gesellschaft in Zürich, die es sich zur Aufgabe machte, Überreste aller Epochen zu untersuchen, und die Reihe Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich herausgab, um die Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Das Beispiel machte Schule: Verschiedenenorts wurden historische und archäologische Vereinigungen gegründet: 1837 die Société d'histoire de la Suisse romande, 1838 die Société d'histoire et d'archéologie de Genève, 1840 der Historische Verein des Kantons Freiburg, 1841 die Allgemeine Geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz (AGGS), 1842 die Antiquarische Gesellschaft Basel, die aus der Historischen Gesellschaft zu Basel hervorging, 1846 der Historische Verein des Kantons Bern, 1864 die Société d'histoire et d'archéologie du canton de Neuchâtel (Historische Vereine). Von da an erschienen zahlreiche Werke, von denen hier die Sammlung Recueil d'antiquités suisses (1855) Gustav von Bonstettens und die archäologischen Karten der Kantone Waadt (1874) und Freiburg (1878) erwähnt seien. 1841 veröffentlichte Frédéric Troyon, der Begründer der vergleichenden Archäologie, in für seine Zeit beispielhafter Weise den Ausgrabungsbefund des Gräberfelds Bel-Air, das als Erstes in der Schweiz systematisch erforscht wurde. 1845 erkannte er, dass die Gräber burgundischen Ursprungs waren: Damit wurde erstmals eine frühmittelalterliche Nekropole chronologisch korrekt bestimmt. Ebenfalls auf dem Gebiet der Mittelalter-Archäologie veröffentlichte Jacob Burckhardt 1838 seine Bemerkungen über schweizerische Kathedralen und der Genfer Architekt Jean-Daniel Blavignac 1853 seine Histoire de l'architecture sacrée du IVe au Xe siècle dans les anciens évêchés de Genève, Lausanne et Sion, einen der ersten Beiträge zur mittelalterlichen Bauarchäologie, der ein weitläufiges Gebiet abdeckte.

Forschungen im Genfersee 1854. Aquarellierte Zeichnung aus dem Urgeschichte-Kurs von Adolf von Morlot (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).
Forschungen im Genfersee 1854. Aquarellierte Zeichnung aus dem Urgeschichte-Kurs von Adolf von Morlot (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen). […]

1854 wurden bei Bauarbeiten in Obermeilen am Ufer des Zürichsees bei ungewohnt niederem Wasserstand Überreste einer Pfahlbaustation mit zahlreichen, aus der Kreideschicht des Sees herausragenden Pfählen gefunden. Ferdinand Keller, der sofort informiert wurde, erfasste die ausserordentliche Bedeutung dieser Entdeckung, die dazu beitragen sollte, die Abfolge der prähistorischen Epochen zu klären – bis dahin wurde alles, was vor der Römerzeit lag, vom Neolithikum bis zur Latènezeit, als helvetisch oder keltohelvetisch eingestuft. Keller verfasste noch im selben Jahr einen ersten Pfahlbaubericht, in dem er die gefundenen Überreste prähistorischen Pfahlbauten zuordnete, die lange vor den Keltohelvetiern entstanden waren. Diese Entdeckung und die Arbeiten Kellers, die den Grundstoff für das idyllische Bild der Pfahlbauer lieferten, erregten in ganz Europa Aufsehen. Die Schweizer Seen wurden Gegenstand eingehender Studien, und bald weitete sich die Forschung auf Europa aus. Das von Almanachen und Schulbüchern verbreitete Bild der Pfahlbauten war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts sehr populär und bot Gelegenheit, gleichzeitig mit der Vulgarisierung der Archäologie das Nationalgefühl zu stärken: Als Reaktion auf die mythische Verklärung der Alpen im Ancien Régime wurden die mittelländischen Pfahlbauten zum Symbol für Öffnung, Fortschritt und sozialen Wohlstand. 1857 legte Friedrich Schwab die Station La Tène am Neuenburgersee frei, die den Reichtum der keltischen Zivilisation in der jüngeren Eisenzeit deutlich machte und dieser den Namen gab (Latènezeit). Edouard Desor, der 1858 eine Mitteilung zu dieser Entdeckung vorlegte, war der Erste, der 1865 die Unterteilung der Eisenzeit in Hallstatt- und Latènezeit vorschlug, die von Jakob Heierli in seiner Urgeschichte der Schweiz (1901) aufgenommen und bald allgemein verwendet wurde. 1898-1916 machte die Archäologie der Latènezeit mit der Untersuchung der Gräberfelder im Schweizer Mittelland erhebliche Fortschritte. Der Waadtländer Albert Naef (später der erste Kantonsarchäologe in der Schweiz) erforschte 1901-1903 beispielhaft das Gräberfeld Vevey-En Crédeilles. Im Grabungsbericht schlug er als einer der Ersten eine systematische Chronologie der Gräber vor. Sein damaliger Assistent, David Viollier, erwarb später internationalen Ruf. Er veröffentlichte 1916 sein Hauptwerk Les Sépultures du second âge du Fer sur le Plateau suisse. Die Ausgrabungen auf dem bisher grössten Gräberfeld in der Schweiz, Münsingen-Rain, unter der Leitung von Jakob Wiedmer und die rasche Veröffentlichung der Ergebnisse 1907 verfeinerten die Chronologie. Für die früheren Epochen sind zu erwähnen: die Entdeckung und Erforschung der Stätten des Jungpaläolithikums im Kanton Schaffhausen (Kesslerloch und Freudental), die Erkundungen Emil Bächlers in den Alpen ab 1903, welche die Präsenz des Menschen im Moustérien bewiesen, die Entdeckung erster Spuren aus dem Mesolithikum in der Schweiz bei Le Locle 1926 durch Paul Vouga, der gerade die Ausgrabung in Auvernier durchgeführt hatte und die erste Chronologie des Neolithikums in Westeuropa vorschlug. Die Mittelalter-Archäologie entwickelte sich mit der Untersuchung von frühmittelalterlichen Friedhöfen und mit Massnahmen zum Schutz von Kunstdenkmälern weiter (Johann Rudolf Rahn, Albert Naef).

Der Aufschwung der Archäologie und das Bedürfnis, die historischen Denkmäler zu erhalten, fanden ihren Ausdruck in der Schaffung oder Vergrösserung von Museen: Die waadtländische Antikensammlung kam in das Musée cantonal d'archéologie et d'histoire (1818-1820), das 1904-1905 ins Palais de Rumine umgesiedelt wurde. Das Römermuseum in Avenches wurde 1838 Eigentum des Kantons Waadt. Das Historische Museum Basel wurde 1856 eröffnet, das Bernische Historische Museum 1881. Das Musée d'art et d'histoire in Genf entstand 1910 durch Zusammenlegung mehrerer Museen. Das 1898 eröffnete Schweizerische Landesmuseum (SLM), das den Schutz des nationalen Erbes ungeachtet kantonaler Sonderinteressen zu gewährleisten hat, sammelt und zeigt Schweizer Antiquitäten aus allen prähistorischen und historischen Zeiten. Bevor die «nationale» Archäologie in den Universitäten Einzug hielt, spielte es eine wichtige Rolle in der archäologischen Forschung, sowohl im Gelände wie auch im Labor. Seit seiner Einweihung 2001 ist das Laténium in Hauterive (NE), das einen Überblick über 50'000 Jahre Menschheitsgeschichte bietet, das grösste Archäologie-Museum der Schweiz. Die 1907 gegründete Schweizerische Gesellschaft für Urgeschichte (seit 1966 Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, SGUF; seit 2006 Archäologie Schweiz, AS), die dem Bedürfnis entsprang, die Arbeiten der Fachleute zusammenzufassen und zu koordinieren und ihnen mehr Gehör bei den Behörden zu verschaffen, trug zur Verbreitung der Kenntnisse unter den Gelehrten wie auch in der Öffentlichkeit bei. Nach der klassischen Archäologie, die erstmals 1815 in Genf gelehrt wurde, etablierte sich die «nationale» Archäologie nach und nach an den Universitäten Neuenburg 1910, Genf 1914, Lausanne 1915, Bern 1917, Zürich 1934 und Basel 1961. Im Lauf der Zeit schufen die Kantone gesetzliche Grundlagen, welche die archäologische Forschung und den Kulturgüterschutz, insbesondere die Erhaltung von historischen Denkmälern, regelten. So unterstellte der Neuenburger Staatsrat 1878, um den durch die künstliche Absenkung von Neuenburger-, Bieler- und Murtensee ausgelösten Ansturm auf die Altertümer zu bremsen, Ausgrabungen und das Sammeln von Antiken an den Seeufern einer Bewilligungspflicht, und der Kanton Waadt erliess als Erster in der Schweiz 1898 ein Gesetz zur Erhaltung von Kunstdenkmälern und -gegenständen von besonderem historischen oder künstlerischen Interesse.

Entwicklung und Organisation der Archäologie in der Schweiz

Die Zunahme von Hoch- und Tiefbauarbeiten in der Nachkriegskonjunktur führte bald dazu, dass sich die Archäologie im Versuch, oft grundlegende Aspekte unserer Geschichte zu dokumentieren, fast ausschliesslich auf Notgrabungen beschränken musste. Gleichzeitig erfuhr das Fach tiefgreifende Veränderungen: Die Boden- und die Unterwasser-Archäologie machten methodische Fortschritte in der Erfassung (Fotogrammetrie, Informatik) und Deutung (Modellbildung, Ethnoarchäologie). Grossflächige Grabungen im Boden und unter Wasser erlaubten die Erkundung nicht mehr nur isolierter Einheiten, sondern ganzer Fundkomplexe, Gehöftgruppen oder Gräberfelder. Restaurierungen gingen bauarchäologische Untersuchungen von den Fundamenten bis zum Dach (Mauerwerk, Mörtel, Putz, Balkenwerk) voraus. Das Konzept der einzelnen Fundstätte wurde abgelöst von dem des Umfelds und der Landschaft. Die Datierungsmöglichkeiten verbesserten sich insbesondere dank der Dendrochronologie (die das Fälldatum auf das Jahr, bestenfalls sogar auf die Jahreszeit genau bestimmen kann) und der C14-Methode (zur Altersbestimmung von bis zu 40'000 Jahre alten organischen Substanzen, selbst in Mengen von nur einem Milligramm). Physikalisch-chemische Analysen und Hilfswissenschaften (Sedimentologie, Palynologie, Archäozoologie, Paläoanthropologie) erleichterten die Identifizierung von Materialien und Techniken. All diese Faktoren haben so manche Chronologie und Konzeption in Frage gestellt und unsere Sicht der Vergangenheit umgestaltet. Begriffe wie Kultur, Volk, Bruch und Kontinuität wurden überdacht. Die präventive Archäologie wurde durch die Erstellung von Fundinventaren und archäologischen Karten mit Hilfe von Archivunterlagen und Prospektionsverfahren (Luftaufnahmen, Bodenwiderstandsmessung, Protonenmagnetometer, Georadar, Aufsammlungen, Bohrungen, Kernbohrungen, maschinelle Sondierung) ausgebaut. Zusammen mit einer angemessenen Gesetzgebung, die eine bessere Koordination zwischen den archäologischen Diensten und den Raumplanungsämtern erlaubt, hat dies dazu geführt, dass sensible Gebiete bestimmt wurden, in denen Bauarbeiten untersagt oder mit der Auflage verknüpft sind, archäologische Untersuchungen zuzulassen und Überreste zu erhalten.

Schematische Darstellung der Dendrochronologie © 1998 HLS und Laurent Auberson, Atelier d'archéologie médiévale, Moudon.
Schematische Darstellung der Dendrochronologie © 1998 HLS und Laurent Auberson, Atelier d'archéologie médiévale, Moudon. […]

Seit 1907 spricht Artikel 724 des Zivilgesetzbuchs den Kantonen das Eigentum an beweglichen Kulturgütern zu, die von anerkanntem wissenschaftlichen Wert sind. Für unbewegliche Überreste hingegen gelten die Bestimmungen über das Grundeigentum: Um sie zu schützen, muss der Kanton sie unter Denkmalschutz stellen oder durch Kauf bzw. Enteignung erwerben. Die Verantwortung für archäologische Grabungen und die Erhaltung von Kulturgütern auf ihrem Gebiet liegt somit bei den Kantonen. Deshalb haben seit 1958 die meisten Kantone neue Rechtsvorschriften erlassen und archäologische Dienste eingerichtet, um die Inventarisierung, präventive Schutzmassnahmen und bei Bedarf die Erforschung der Stätten zu gewährleisten. 1970 wurde der Verband Schweizerischer Kantonsarchäologen gegründet, der sich namentlich für die Anerkennung des Fachs, verbesserte Gesetze, die Berufsbildung der Grabungstechniker (die akademische Ausbildung erfolgt an den Universitäten) und die interkantonale sowie internationale Zusammenarbeit einsetzt. Der Bund subventioniert auf Antrag der Kantone Grabungs- oder Restaurationsarbeiten über die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD), die dem Bundesamt für Kultur untersteht und in ihrer Tätigkeit durch eine Gruppe von Experten und Beratern unterstützt wird. Der Bau der Nationalstrassen seit den 1960er Jahren bot Anlass, die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für Strassenbau und den Archäologen festzulegen, um die Erhaltung bzw. die wissenschaftliche Erforschung der durch Bauarbeiten bedrohten Stätten zu gewährleisten. Ein Bundesbeschluss von 1961 legt die Aufgabenteilung fest: Für Prospektionen, Ausgrabungen und wissenschaftliche Geländeaufnahmen ist der Bund zuständig, während die Kantone für die Veröffentlichung der Ergebnisse und die Konservierung der Objekte sorgen. Eine 1960 gegründete und 2012 aufgelöste Archäologische Zentralstelle für den Nationalstrassenbau, die sich aus Vertretern der SGUF und des Bundesamtes für Strassenbau zusammensetzte, förderte die Zusammenarbeit zwischen Archäologen und Raumplanern (2011 richtete das Bundesamt für Strassen eine Fachstelle Archäologie ein). So wurden 1960-1991 395 Mio. Franken in die archäologische Forschung auf Nationalstrassenbaustellen investiert, ein bescheidener Anteil von 2,75‰ an den gesamten Baukosten. Dem steht ein beträchtlicher Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnissen über sämtliche prähistorischen und historischen Zeiträume gegenüber. Die zweite Juragewässerkorrektion führte 1961-1965 ebenfalls zu einer Reihe von Ausgrabungen, die von der SGUF überwacht wurden und die Erforschung zahlreicher Stätten ermöglichten, namentlich der keltischen Brücke von Cornaux und der römischen Brücke von Le Rondet.

Auch die Mittelalter-Archäologie hat seit den 1960er Jahren einen Aufschwung erlebt, der zahlreichen Kirchenrestaurationen zugute kam. Das Interesse galt auch frühmittelalterlichen Gräberfeldern, Burgen und städtischen Siedlungen, in jüngerer Zeit überdies Dörfern und Wüstungen. Alltagsgegenstände, auch solche aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, fanden ebenfalls vermehrt Beachtung.

Ausgewählte archäologische Untersuchungen der Schweiz im Ausland 1949-1998
Ausgewählte archäologische Untersuchungen der Schweiz im Ausland 1949-1998 […]

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es in den meisten Kantonen einen archäologischen Dienst, eine angemessene Gesetzgebung und eine Zeitschrift oder Reihe zur Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Die ausschliesslich Fachleuten übertragenen Grabungen werden entweder von den Archäologischen Diensten selbst oder von Beauftragten, Universitäten, freischaffenden Archäologen oder Privatfirmen durchgeführt. Finanziert werden die Arbeiten im Rahmen des Nationalstrassenbaus vom Bund, ansonsten von den Kantonen, unter Umständen unterstützt mit von der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege ausgerichteten Bundessubventionen oder Beiträgen des Schweizerischen Nationalfonds. Für die bereits auf der Grabungsstätte beginnende Konservierung und Restaurierung von Fundgegenständen sind in den meisten Museen Labors errichtet oder ausgebaut worden. Überdies besitzen die ETH Zürich und die ETH Lausanne spezialisierte technische Labors für die Analyse der Materialien. Neben der AS, die zwei Zeitschriften (Jahrbuch Archäologie Schweiz, Archäologie der Schweiz), Monografien, die Résumés zur Archäologie der Schweiz und archäologische Führer herausgibt, gewähren zahlreiche Gesellschaften und Stiftungen (Pro Augusta Raurica, Pro Aventico, Pro Lousonna, Pro Octoduro, Pro Vindonissa, Pro Vistiliaco) finanzielle Unterstützung für die Arbeiten und ihre Veröffentlichung. In vielen Kantonen tragen regionale Zirkel mit Vorträgen, Kursen, Grabungsbesichtigungen und Exkursionen dazu bei, das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken. Die Fachleute kommen in nach Forschungsperioden eingeteilten Arbeitsgemeinschaften zusammen: Arbeitsgemeinschaft für die Urgeschichtsforschung der Schweiz, Arbeitsgemeinschaft für die provinzialrömische Forschung in der Schweiz, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Archäologie des Mittelalters, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klassische Archäologie. Das Hochschulfach Archäologie wird an sieben Universitäten gelehrt, wobei an allen zwar klassische Archäologie unterrichtet wird, nicht aber Archäologie der Ur- und Frühgeschichte (nur in Basel, Bern, Genf, Neuenburg und Zürich), provinzialrömische Archäologie (nur in Basel, Bern und Lausanne) und Mittelalter-Archäologie (nur in Zürich). Ein eidgenössisch anerkannter Fachausweis für Grabungstechniker wird seit 1989 vom Verband Schweizerischer Kantonsarchäologen zusammen mit der Vereinigung des archäologisch-technischen Grabungspersonals ausgestellt. Die Aufwertung der archäologischen Stätten durch Rundgänge (Augst, Avenches, Kaiseraugst, Lausanne-Vidy, Martigny, Neuchâtel-Hauterive, Windisch, Krypten von Saint-Pierre und Saint-Gervais in Genf) oder durch Museen, die in die Überreste integriert sind (Lausanne-Vidy, Martigny, Nyon), durch Ausstellungen, Werkstätten, Exkursionen und Grabungsführungen sowie die Pflege der Beziehungen zu den Schulen tragen dazu bei, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für den Wert des archäologischen Kulturguts und die Gefahren, die ihm drohen, zu wecken und zu entwickeln. Ausgrabungen und Forschungen im Ausland, die von den Universitäten, dem Schweizerischen Nationalfonds oder von Stiftungen wie der Schweizerischen Archäologischen Schule in Griechenland (einzige ständige Vertretung im Ausland, Grabungsstätte Eretria auf der Insel Euböa) oder der Stiftung Schweiz-Liechtenstein für archäologische Forschung im Ausland finanziert werden, finden regelmässig in Ägypten, Ecuador, Frankreich, Griechenland, Italien, im Sudan, in Jordanien und in Syrien statt.

In Zukunft dürften die methodischen Fortschritte, zum Beispiel die Verfeinerung der Erfassungs- und Untersuchungsverfahren (Archäografie, Archäometrie), Datenbanken, mehrdimensionale statistische Methoden und Anwendungen der künstlichen Intelligenz den Archäologen immer genauere und leistungsfähigere Werkzeuge in die Hand geben und ihnen ermöglichen, mehr Zeit für die historische Interpretation, ihre eigentliche Aufgabe, aufzuwenden (vorausgesetzt, dass trotz Mechanisierung und Informationsvielfalt die Fähigkeit, eine Auswahl zu treffen, zu beobachten und zu hinterfragen, erhalten bleibt und der Blick aufs Ganze nicht verstellt wird). Die bisher eher vernachlässigte Industriearchäologie dürfte sich in Richtung einer durch die Ethnoarchäologie unterstützten Reflexion über soziokulturelle Systeme entwickeln. Die Archäologie wird mit der Zeit sicher eine wichtigere Rolle beim Schutz und bei der Würdigung von Kulturgut spielen. Sie wird zeigen müssen, dass das alltägliche Leben früher nicht nur aufsehenerregend war und dass geschichtsträchtige Bauwerke oder von den Menschen über lange Zeit geprägte Landschaften als Quellen für das kollektive Gedächtnis und als Wissensobjekte der politischen und finanziellen Unterstützung der ganzen Gemeinschaft bedürfen. Ohne ein verbreitetes Wissen um den Wert des archäologischen Kulturerbes und um die ihm drohenden Gefahren wird die Erhaltung von Spuren der Vergangenheit nie mehr sein als ein verzweifelter Versuch.

Quellen und Literatur

  • H. Schwab, Die Vergangenheit des Seelandes in neuem Licht, 1973
  • Encyclopédie illustrée du pays de Vaud 6, 1976, 154-161
  • M.R. Sauter, Suisse préhistorique, des origines aux Helvètes, 1977
  • «125 Jahre Pfahlbauforschung», in Archäologie der Schweiz 2, 1979, 1-64 (Sondernummer)
  • 20 Jahre Archäologie und Nationalstrassenbau, 1981
  • «Archäologie der Schweiz gestern, heute, morgen», in Archäologie der Schweiz 5, 1982, 31-168 (Sondernummer)
  • D. Tuor-Clerc, «Sauve qui peut Aventicum», in Bulletin de l'Association Pro Aventico 28, 1984, 7-34
  • H.R. Sennhauser, «EKD und Archäologie  des Mittelalters», in Unsere Kunstdenkmäler 38, 1987, 33-36
  • W. Drack, R. Fellmann, Die Römer in der Schweiz, 1988
  • G. Kaenel, Recherches sur la période de La Tène en Suisse occidentale 50, 1990
  • «Die Helvetier und ihre Nachbarn», in Archäologie der Schweiz 14, 1991, 1-168 (Sondernummer)
  • Eingriffe in den historischen Baubestand, 1992
  • Die Geschichtlichkeit des Denkmals im Restaurierungsprozess, 1993
  • Denkmalpflege und Planung, 1994
  • D. Paunier, «L'archéologie, pour quoi faire?», in Genava, Neue Folge 42, 1994, 13-15
  • D. Ripoll, «Nos ancêtres les lacustres», in Genava, Neue Folge 42, 1994, 203-218
  • N. Tissot, «A qui appartiennent les trouvailles archéologiques», in Helvetia archaeologica 26, 1995, 63-72
  • P. Ducrey, La politique archéologique suisse hors des frontières nationales ou les limites de l'initiative individuelle, 1998
  • M.-A. Kaeser, A la recherche du passé vaudois, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Daniel Paunier: "Archäologie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.08.2019, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008253/2019-08-26/, konsultiert am 29.03.2024.