de fr it

GreyerzGrafschaft, Bezirk

Die vom 12. Jahrhundert an bezeugte Grafschaft Greyerz wurde 1555 zwischen Bern und Freiburg aufgeteilt. Es entstanden die bernische Vogtei Saanen und die freiburgische Vogtei Greyerz, die bis 1798 bzw. 1814 existierten. Die Vogtei Greyerz wurde später zum gleichnamigen Bezirk des Kantons Freiburg. 1798-1848 umfasste dieser wechselnde Teile des Freiburger Saanetales. Seit 1848 besteht er aus dem Saanetal von Montbovon bis zum unteren Ende des Greyerzersees (Pont-la-Ville, Le Bry). 2000 zählte der Bezirk Greyerz 38'070 Einwohner in 40 Gemeinden (498 km2); 1850 waren es 17'162. Bis 1848 war die Gemeinde Greyerz Bezirkshauptort, seither ist es Bulle. Im Bezirk Greyerz (französisch La Gruyère) wird, ausser in der deutschsprachigen Gemeinde Jaun (französisch Bellegarde), französisch gesprochen.

Ausschnitt aus der 1578 entstandenen Karte des Standes Bern von Thomas Schöpf in einer Kopie von Alfred Weitzel, die 1916 in Freiburg erschien (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Ausschnitt aus der 1578 entstandenen Karte des Standes Bern von Thomas Schöpf in einer Kopie von Alfred Weitzel, die 1916 in Freiburg erschien (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Frühgeschichte, Grafschaft und Vogtei

Archäologische Einzelfunde stammen aus dem Paläolithikum, eine grössere Funddichte auch in höheren Lagen liegt aber erst für die Bronzezeit vor. Aus römischer und frühmittelalterlicher Zeit sind relativ viele Siedlungsspuren bzw. Gräberfelder erhalten (z.B. Tempel bei Riaz, Vicus bei Marsens, Villa bei Vuippens). In das von da an romanischsprachige Gebiet drang im Hochmittelalter vom Simmental her die deutsche Sprache vor (nach Jaun und ins Saanenland).

Die vermutlichen Vorfahren der Grafen von Greyerz treten 1115 als Grafen von Ogo in der Pancarta von Rougemont auf, die Schenkungen an das in der Zeit zwischen 1073 und 1085 gegründete Cluniazenserpriorat Rougemont bestätigte. Wahrscheinlich residierten die Grafen damals noch in Château-d'Œx. Erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts erscheinen sie unter dem Namen Greyerz (1144 Willelmus comes de Grueria), möglicherweise nach einer Verlegung ihrer Residenz an den Ort namens Greyerz. Die Grafschaft Greyerz umfasste damals das gesamte obere Saanetal von Gsteig bis nach Broc und La Tour-de-Trême und bildete somit eine fast geschlossene Herrschaft; allerdings gelangte Albeuve 1200 in den Besitz des Domkapitels Lausanne. In waldreichem und voralpinem Gebiet gelegen, war die Grafschaft eine Rodungsherrschaft. Diesem Umstand verdankte sie wahrscheinlich ihre relative Unabhängigkeit, selbst nachdem sich Rudolf III. (Graf 1226-1270) 1244 unter die Lehenshoheit Graf Peters II. von Savoyen begeben hatte. Bis 1536 war Greyerz savoyisches Lehen. La Tour-de-Trême war ab 1310 Lehen des Bischofs von Lausanne. Zu den Besitzungen der Grafen von Greyerz gehörten auch verstreute Güter und Rechte, zum Beispiel im mittleren Saanetal bis nach Hauterive und am Genfersee. Die Grafschaft war aufgeteilt in die drei Kastlaneien Greyerz, Montsalvens und Vanel mit ihren gleichnamigen Burgen. Die Kastlaneien besassen ein Niedergericht und ein eigenes Banner (d.h. militärisches Aufgebot). Château-d'Œx und La Tour-de-Trême galten zunächst nicht als gleichwertige Kastlaneien.

Die Grafen von Greyerz standen 1281-1349 in den Konflikten mit den Städten Bern und Freiburg wiederholt auf der Seite des unterlegenen Adels. Im Krieg gegen Habsburg und Freiburg 1281-1283 wurde die Burg Montsalvens als savoyische Festung von den Freiburgern besetzt. Im Grüningenkrieg (guerre d'Everdes) 1349 wurde unter anderem La Tour-de-Trême zerstört, als die Grafen von Greyerz versuchten, Othon d'Everdes gegen Freiburg und Bern zu unterstützen. Um 1370 entbrannten Grenzstreitigkeiten in den Berggebieten zwischen der Grafschaft und den Bischöfen von Sitten und Lausanne.

Im Verlauf des 14. Jahrhunderts näherten sich die Grafen von Greyerz und die Gemeinden der Landschaft den Städten Freiburg und Bern an. Peter III. (Graf 1307-1342) trat vor 1331 in das Freiburger Burgrecht, das seine Nachfolger regelmässig erneuerten. 1401 schloss Rudolf IV. (Graf 1366-1403) in seinem Namen und demjenigen von Saanen und den Gemeinden des Pays-d'Enhaut mit Bern einen Burgrechtsvertrag ab, der ebenfalls immer wieder erneuert wurde. Die Gemeinden beschworen im 15. Jahrhundert auch selbstständig Burgrechtsverträge mit Freiburg und Bern. Unabhängig von diesen Verträgen blieb Greyerz unter der Hoheit Savoyens. Als Anton (Graf 1404-1433) als Minderjähriger die Grafschaft übernahm, setzten die Savoyer Verwalter in Greyerz ein. Diese missbilligten die Burgrechtsverträge der Gemeinden Saanen und Château-d'Œx mit Bern, worauf Bern die beiden Burgen Vanel (bei Rougemont) und Château-d'Œx besetzte. Im Friedensvertrag von 1407 gab Bern die geschleiften Burgen zurück, Saanen und Château-d'Œx blieben im Burgrecht mit Bern. In den Burgunderkriegen gestattete Graf Franz I. unter bernischer Kriegsdrohung den Durchmarsch eidgenössischer Truppen und den Einsatz von Greyerzer Truppen in der Waadt. Sein Sohn Ludwig I. (Graf 1475-1492) vermittelte 1476 am Friedenskongress von Freiburg.

Durch eine geschickte Familienpolitik gelang es den Grafen von Greyerz, ihren Besitz im 14. und 15. Jahrhundert vor allem in der Waadt zu erweitern (u.a. um die Herrschaften Palézieux, Oron und Aubonne). Wegen finanzieller Schwierigkeiten verkauften die Grafen später mehrere der dazugewonnenen Herrschaften: Die Herrschaft Aigremont gelangte 1501-1502 aus der Hand der Nebenlinie Greyerz-Aigremont an Bern; die 1474 erworbene Herrschaft Jaun verkauften die Greyerzer 1504 und die 1454 erworbene Herrschaft Corbières mit Charmey 1553 an Freiburg (verpfändet ab 1543). Aus Finanznot wandte Graf Michael 1552 das bereits 1396 vom König verliehene Münzrecht an, obwohl Bern und Freiburg dagegen Einspruch erhoben hatten.

Nach 1528 führte der Umstand, dass sich Greyerz gegen die Reformation aussprach, zu Spannungen mit Bern. Für die greyerzischen Herrschaften in der Waadt wurde Bern 1536 Lehnsherr. Diese Herrschaften nahmen 1539 die Reformation an und gelangten 1555 durch Kauf an Bern. In der ehemals bischöflichen Gemeinde Albeuve wurde 1536 die Stadt Freiburg Lehnsherrin, im ebenfalls zuvor bischöflichen La Tour-de-Trême gelang es den Freiburgern 1536 hingegen nicht, den Lehenseid an sich zu ziehen. 1548 anerkannte die Eidgenossenschaft die Grafschaft Greyerz als zugewandten Ort. 1549 übergab Graf Michael deren Verwaltung einem 24-köpfigen Rat, dem sogenannten Staatsrat oder Rat von Greyerz. Aufgrund der Verschuldung des Grafen sprach die eidgenössische Tagsatzung 1554 den Konkurs der Grafschaft aus, Freiburg und Bern teilten sie 1555 unter sich auf. Die Gemeinden Saanen, Rougemont, Château-d'Œx und Rossinière gingen an Bern, der Rest der Grafschaft Greyerz wurde freiburgische Vogtei.

Ab dem 14. Jahrhundert erkauften sich einzelne Gemeinden von den Grafen bestimmte Rechte. So löste sich Saanen 1312 von den jährlichen Korn- und Käseabgaben. Ab 1342 durfte die Gemeinde Greyerz das Ohmgeld (Verbrauchs- und Umsatzsteuer) erheben. 1388 und 1397 kauften sich die Landgemeinden von den Sterbefallabgaben los. Die Stadt Greyerz bestellte ab 1434 einen Rat (ab 1455 zwei Räte) unter dem Vorsitz eines Stellvertreters des Grafen (ab 1555 Freiburgs). Die Grafen bestätigten ab 1397 regelmässig die Freiheiten und Rechte der Gemeinde Greyerz, später auch diejenigen der anderen Gemeinden. Die Rechtsprechung kannte zunächst zwei Instanzen, nämlich den Kastlan und den Grafen, in der Vogtei Greyerz ab 1555 dann nur noch den freiburgischen Vogt. 1555 bestätigten Bern und Freiburg die Rechte ihrer neuen Vogteien. In Kriminalfällen war von da an eine Ratifizierung der Verurteilung durch die Regierung nötig. In der Vogtei Greyerz wurde das geltende Recht 1587 im "Coutumier de Gruyère" festgehalten; von den 265 Artikeln entsprachen 200 dem Recht von Moudon. Dieses Recht blieb bis zur Einführung des Freiburger Zivilrechts in Kraft.

Während des Bauernkriegs 1653 verweigerten Bürger aus der Vogtei Greyerz die Entrichtung von Abgaben, und die Regierung besetzte wegen des Aufruhrs das Schloss Greyerz. 1663 versuchten sich die Greyerzer der Verstaatlichung des Käsehandels zu widersetzen, aus dem die Regierung ein Regal gemacht hatte. Im Chenaux-Handel rückte 1781 ein vorwiegend greyerzisches Bauernheer nach Posieux vor und wurde dort von Freiburger und Berner Truppen in die Flucht geschlagen. Ihr Anführer Pierre-Nicolas Chenaux kam um. Anlass dieses Aufstandes war eine Verwaltungsreform, in der unter anderem einzelne Prozessionen und Feiertage verboten wurden und die Kartause La Valsainte aufgehoben worden war.

Ein Markt wird in Greyerz im Zuge seiner vorläufigen Aufhebung 1195/1196 erstmals erwähnt. Die Zwergstädtchen der Grafschaft – Greyerz, La Tour-de-Trême, Montsalvens, Château-d'Œx – erlangten nie grössere wirtschaftliche Bedeutung. Die ländlichen Gebiete waren hingegen im 14. Jahrhundert relativ dicht besiedelt. Schafzucht und Ackerbau dominierten. Erst ab dem späten 14. Jahrhundert wurde die Milch- und Alpwirtschaft intensiviert. Im 18. Jahrhundert wurde schliesslich der Ackerbau wegen des ansteigenden Käsepreises fast vollständig aufgegeben. Vom landwirtschaftlichen Aufschwung profitierten vor allem lokale Adlige sowie Freiburger Patrizier und Bürger, die ab dem 17. Jahrhundert in Greyerzer Alpgründe investierten.

Kirchlich gehörte die Grafschaft Greyerz während des Mittelalters zum Dekanat Ogoz und umfasste 1228 die Pfarreien Albeuve, Broc, Château-d'Œx, Grandvillard, Rougemont und Saanen. 1254 wurde Greyerz dank der Vermittlung des bischöflichen Kanzlers Wilhelm von Greyerz aus dem Sprengel von Bulle gelöst. Willelmeta von Grandson (Gräfin von Greyerz) und Peter III. (Graf 1304-1342) gründeten 1307 die Kartause La Part-Dieu. In Broc war die Pfarrkirche zugleich die Kirche des Benediktinerpriorats St. Otmar, das rechtlich 1513, de facto aber erst 1577 dem Kapitel St. Niklaus in Freiburg inkorporiert wurde. Auch Rougemont war sowohl Pfarr- als auch Prioratskirche. Dieses Priorat wurde nach dem Übergang an Bern 1555 aufgehoben. 1665 entsprach das Dekanat Greyerz territorial der Vogtei. Von 1578 bis 1786 wurden in der Vogtei Greyerz sechs Pfarreien neu gegründet.

Der Bezirk im 19. und 20. Jahrhundert

Bereits am 29. Januar 1798 sagte sich Greyerz mit anderen Vogteien (v.a. jenen, die vor 1536 zum Waadtland gehörten) von der freiburgischen Herrschaft los (Sarine et Broye), doch fand Freiburg rasch in seine Vorrangsstellung zurück. Im gleichen Jahr wurden die freiburgischen Vogteien als Bezirke neu geordnet. Zum Bezirk Greyerz gehörten neu auch Jaun und Teile der Herrschaft Corbières; Hauptort blieb die Gemeinde Greyerz. 1803 kamen Charmey und Albeuve hinzu, dafür fielen La Tour-de-Trême und Jaun weg. 1802 widersetzten sich die Greyerzer der Einführung von Steuern, 1814 der Wiederherstellung der Rechte des Patriziats. Die Liberalen waren damals in Greyerz die stärkste politische Partei; der Bezirk ist bis heute ein Zentrum des Freiburger Freisinns. 1830 und 1847 erhoben sich Einwohner von Greyerz gegen die Freiburger Regierung. Mit der neuen Verfassung 1848 wurde Greyerz Bezirk des Kantons Freiburg mit dem Hauptort Bulle. Anfänglich hiess er Bergbezirk; seine Grenzen sind bis heute gleich geblieben. Die Kartause La Part-Dieu wurde 1848 aufgehoben. Eine neue Heimat fanden die Kartäuser von La Part-Dieu 1863 in der Kartause La Valsainte, die 1778 aufgehoben worden war. Nach 1848 entstanden einzelne lokale Zeitungen. Die Pflege der Greyerzer Kultur und Folklore wurde ab dem späten 19. Jahrhundert intensiv gefördert.

Die ehemaligen Lagerhallen der Fromage Gruyère SA in der Rue du Moléson in Bulle. Fotografie von Simon Glasson, 1924 (Musée gruérien, Bulle).
Die ehemaligen Lagerhallen der Fromage Gruyère SA in der Rue du Moléson in Bulle. Fotografie von Simon Glasson, 1924 (Musée gruérien, Bulle). […]

Im frühen 19. Jahrhundert versuchte die Freiburger Regierung wegen Versorgungsproblemen den Ackerbau zu stärken. Die Käseproduktion verlagerte sich ins Flachland, der Käsepreis sank. In der Folge waren viele Bauern auf einen Erwerb aus der Heimarbeit, unter anderem der Strohflechterei, angewiesen oder wanderten aus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten sich einzelne Bergbaubetriebe (Kohle, Marmor, Gips) im Bezirk Greyerz zu etablieren. Mit dem Bau der Eisenbahnlinien nach Bulle 1868, Montbovon 1903-1905 und Broc 1912 entwickelten sich vor allem in der Region von Bulle Tourismus, Viehzucht und Industrie. Der Tourismus und das Interesse an der Volkskunst haben auch die Pflege milchwirtschaftlichen Brauchtums gefördert, vor allem der Alpaufzüge (Poya) und ihrer Darstellungen, die heute Inbegriff des kulturellen Erbes der Region sind. Neben der Holzindustrie liess sich früh – nicht zuletzt wegen der Milchproduktion – die Lebensmittelindustrie nieder (1875 Kondensmilchfabrik in Epagny, 1898 Schokoladefabrik Cailler in Broc, 1914 Milchpulverfabrik Guigoz in Vuadens). 1893 wurde die Elektrizität in Bulle eingeführt, worauf sich verschiedene mechanische Werkstätten in und um Bulle ansiedelten. Die Freiburgischen Elektrizitätswerke bauten die Stauwehre von Montsalvens (1921), Rossens (1948 Greyerzer See) und Lessoc (1973). Der Tourismus, gefördert ab den 1880er Jahren, erfuhr 1962-1963 mit dem Bau von Luftseilbahnen in Charmey und am Moléson einen erheblichen Ausbau. Mit der Eröffnung der Autobahn Freiburg-Bulle-Lausanne 1981 erlebte vor allem Bulle einen wirtschaftlichen Aufschwung. Greyerz arbeitet besonders im Gesundheitswesen mit dem Bezirk Glane zusammen.

Arbeitsschluss in der Schokoladenfabrik Cailler in Broc. Fotografie von Simon Glasson, um 1935 (Musée gruérien, Bulle).
Arbeitsschluss in der Schokoladenfabrik Cailler in Broc. Fotografie von Simon Glasson, um 1935 (Musée gruérien, Bulle). […]

Quellen und Literatur

  • J.-J. Hisely, Histoire du Comté de Gruyère, 3 Bde., 1851-57
  • GeschFR
  • N. Morard, «Origine et développement de l'économie alpestre en Gruyère», in Le patrimoine alpestre de la Gruyère, 1992, 7-15
  • N. Morard, «Les comtes de Gruyère», in Les pays romands au Moyen Age, hg. von A. Paravicini Bagliani et al., 1997, 199-210
  • P. Vallélian, L'identité de la Gruyère à travers la presse politique régionale (1882-1933), 1997
  • A. Boschetti, «Pro remedio anime nostre. Die Seelgeräte der Gf. von Greyerz von 1307 bis 1433», in FGB 76, 1999, 7-51
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Adriano Boschetti-Maradi: "Greyerz (Grafschaft, Bezirk)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008148/2013-12-10/, konsultiert am 29.03.2024.