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Gemeindezusammenschluss

Die Verbindung von Dörfern und Weilern zu einem gemeindlichen Verwaltungsgebiet lässt sich in der Schweiz seit dem Mittelalter beobachten. Zahlreiche politische Gemeinden sind – wie etwa in Obwalden, im Tessin und in der Waadt – noch heute im Innern nach ursprünglichen Fraktionen gegliedert. Daneben finden sich herrschaftsorganisatorische Zusammenfassungen. So vereinigte Bern 1542 Bogis und Bossey, Zürich im 17. Jahrhundert Wangen und Brüttisellen. Ein formeller Gemeindezusammenschluss setzt jedoch eine rechtlich strukturierte Gemeindeordnung voraus, die erstmals in der Helvetik mit dem Gesetz über die Munizipalitäten gegeben war.

Flugschrift, 36 Seiten, herausgegeben vom Aktionskomitee für die Eingemeindung, Zürich 1929 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).
Flugschrift, 36 Seiten, herausgegeben vom Aktionskomitee für die Eingemeindung, Zürich 1929 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).

Unter Gemeindezusammenschluss wird erstens die Fusion von Gemeinden verstanden. Selbstständige Gemeinden verbinden sich mit ihrem Gebiet, ihrer Bevölkerung und ihrer Organisation zu einer neuen Gemeinde. 1850-1990 verschwanden durch Fusion 250 Gemeinden, wobei Bern (mit 36 Fusionen), Thurgau (35), Freiburg (30), Zürich (29), Graubünden (27), Tessin (20) und Aargau (19) die höchsten Zahlen aufwiesen. 1850 gab es in der Schweiz 3205 Gemeinden, 1900 3164, 1950 3101, 1990 2955, 2003 2840. Besonders in der jüngsten Zeit hat die Zahl der Gemeinden stark abgenommen. Die Zahl der jährlichen Fusionen verringerte sich vorerst nach 1950 mit den Gemeindeverbänden. Doch der Zusammenschluss von Kleingemeinden, die verwaltungstechnisch wie finanziell zunehmend von ihren Aufgaben überfordert sind, wird seit der Jahrtausendwende erneut angestrebt, namentlich in den Kantonen Luzern, Tessin, Freiburg und Solothurn. Als Minimalgrösse wird eine Einwohnerzahl von 2500 (Freiburg) bis 3000 Einwohner (Luzern, Tessin) pro Gemeinde erachtet. Widerstand erwächst den projektierten Zusammenschlüssen vor allem wegen des Verlustes an Autonomie und aus lokalpatriotischen Gründen. Dass sich eine Gemeinde in zwei oder mehrere neue teilt, kommt auch vor, aber selten. Arosa trennte sich 1851 von Davos (Ausgemeindung), und Bolligen wurde 1983 in Ostermundigen, Ittigen und Bolligen aufgeteilt.

Gemeindezusammenschluss bezeichnet zweitens die Eingemeindung, den Anschluss von Gemeinden an eine Zentrumsgemeinde, die alle Rechte und Pflichten übernimmt. Ein solches Vorgehen drängte sich vor allem ab 1900 mit der Entstehung von städtischen Agglomerationen auf, so etwa in Zürich (1893, 1934), Biel (1900, 1917, 1919), Basel (1908), Bern (1919) und Genf (1931). 2004 erfolgte als jüngste grössere Eingemeindung die Vereinigung sieben umliegender Gemeinden mit Lugano.

Gemeindezusammenschluss meint drittens eine strukturelle Organisationsbereinigung. Verschiedene Gemeindetypen, die auf gleichem Gebiet unterschiedliche Funktionen erfüllen – etwa als politische Gemeinde, Schulgemeinde oder Zivilgemeinde –, werden durch Zusammenlegung bzw. Eingliederung in die aufgabenstärkere Gemeinden vereinheitlicht. Die grösste derartige Operation fand im Kanton Thurgau statt, wo der historische Gemeindedualismus durch die politische Einheitsgemeinde abgelöst worden ist. Anstelle von 35 Einheits- sowie 38 Munizipalgemeinden mit 144 Ortsgemeinden bestehen seit 2000 nur noch 80 politische Gemeinden, die kulturell, geografisch und wirtschaftlich eine Einheit bilden und alle anfallenden Aufgaben erfüllen müssen.

Quellen und Literatur

  • H. Geser, Die Schweizer Gem. im Kräftefeld des gesellschaftl. und polit.-administrativen Wandels, 1996
  • R. Steiner, Kooperationen und Fusionen der Gem. in der Schweiz, 1999
  • P. Corminbœuf, Die Politik der Gemeindefusionen im Kt. Freiburg, 2000
  • A. Ladner, Gemeindereformen zwischen Handlungsfähigkeit und Legitimation, 2000
  • H. Lei, Die Gemeindereorganisation der Neunzigerjahre im Thurgau, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Steiner: "Gemeindezusammenschluss", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007971/2006-11-23/, konsultiert am 19.03.2024.