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Agglomeration

Eine städtische Agglomeration besteht aus einer Gruppe von Gemeinden, die mit einer Stadt als dem Zentrum einer Region besonders enge, vor allem wirtschaftliche Beziehungen pflegen. Die Verflechtung wird besonders deutlich im täglichen Pendler-Verkehr zwischen den Vorortsgemeinden und dem städtischen Zentrum. Der Begriff Agglomeration tauchte gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der fortschreitenden Urbanisierung und der frühen Entwicklung des städtischen öffentlichen Verkehrs auf. In der schweizerischen Statistik erschien er 1880, fand aber kaum Widerhall. Erst das Aufkommen des Automobils in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sowie Neuorientierungen auf den Gebieten Städtebau, Raumplanung und Wohnungspolitik (z.B. räumliche Entmischung von Funktionen durch Schaffung von Wohn-, Industrie- und Dienstleistungszonen) regten die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Agglomeration an. Erstmals 1930 wurde in der Schweiz, auf Grund eines Abkommens zwischen dem späteren Bundesamt für Statistik und den bedeutendsten Städten, die Agglomeration durch folgende Merkmale systematisch umschrieben: baulicher Zusammenhang zwischen der Kern- und den Vorortsgemeinden, nicht mehr als 20% Anteil der im 1. Sektor Tätigen und ihrer Angehörigen an der Wohnbevölkerung, mindestens ein Drittel erwerbstätige Pendler aus den Vororts- in die Kerngemeinden. Ein anderer Ansatz, die Beziehungen zwischen Zentrums- und Vorortsgemeinden zu regeln, war die Eingemeindung (Gemeindezusammenschluss), die 1893 und 1934 in Zürich, 1922 in Winterthur und 1931 in Genf, insgesamt aber nur selten zur Anwendung kam.

Mit der Zunahme des Individualverkehrs in der Nachkriegszeit wuchsen auch die Agglomerationen. Ab den 1970er Jahren förderten auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie die Veränderungen der Beschäftigungsstruktur – Tertiarisierung im Zentrum, Ausbau des 2. und 3. Sektors in den Vororten – den Suburbanisierungsprozess. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, wurde die Definition 1980 von Grund auf neu gefasst: Das Schwergewicht liegt nun auf dem funktionalen Charakter der Agglomeration, d.h. den Beziehungen zwischen den Agglomerationsgemeinden und ihrer Kernzone, die aus einer oder zwei Städten bestehen kann.

In den letzten Jahrzehnten entstanden auch grenzüberschreitende Agglomerationen, zum Beispiel die von Basel, Genf und Como-Chiasso-Mendrisio. Zudem grenzen nun die Agglomerationen im Mittelland – von Olten bis Winterthur –, längs des Genfersees und im Tessin aneinander und bilden grosse, mehrpolige städtische Regionen mit intensiver Pendlerverflechtung. Deshalb kamen in der Schweiz Begriffe ins Gespräch wie städtische Verdichtungsräume oder Metropolitanräume, welche die jüngste Entwicklung im Urbanisierungsprozess besser fassen als der Begriff der Agglomeration, einer einpoligen Region. So wurden nach der eidgenössischen Volkszählung von 1990 neue Begriffe eingeführt, wie die internationale Agglomeration, die Kernzone mit räumlich getrennten Polen oder der Metropolitanraum, der mehrere Agglomerationen umfasst.

Mit dem Wachstum der Agglomerationen haben sich Probleme der Zusammenarbeit zwischen den Vororts- und der städtischen Zentrumsgemeinden in allen lokalpolitischen Bereichen ergeben, insbesondere bei den Finanzen und der Raumplanung, zum Beispiel hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur, der Abfallentsorgung und des Finanzausgleichs. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden diese Probleme unter den Begriffen Spillover und geografische Externalitäten abgehandelt. Sie haben sich durch den demografischen und wirtschaftlichen Suburbanisierungsprozess verschärft. Darum wird auf regionaler und kantonaler Ebene häufig nach neuen Institutionen zur Förderung der überkommunalen Zusammenarbeit gerufen. Dieser entstehen aber Schwierigkeiten, nicht mangels Institutionen oder vertraglicher Lösungen, sondern weil der Wille zur Zusammenarbeit bei den lokalen Behörden oft fehlt. Deshalb wurde im Kanton Freiburg 1996 in pionierhafter Weise ein Gesetz verabschiedet, das die Bildung von Agglomerationen regelt. Die Zahl der Agglomerationen in der Schweiz hat sich 1930-1990 von 16 auf 48 verdreifacht, die Zahl der Gemeinden, die jede Agglomeration durchschnittlich umfasst, von 4,6 auf 16,5 fast vervierfacht. 1930 lebte weniger als ein Drittel der Bevölkerung in einer Agglomeration, 1990 mehr als zwei Drittel.

Quellen und Literatur

  • I.D. Löwinger, Stadt und Land in der Statistik, 1970
  • Die Volkswirtschaft, 1972, Nr. 4, 211-220
  • A. Rossi, La décentralisation urbaine en Suisse, 1983
  • M. Schuler, Abgrenzung der Agglomerationsräume in der Schweiz 1980, 1984
  • Städte und Agglomerationen, 1985
  • D. Arn, U. Friederich, Gemeindeverbindungen in der Agglomeration, 1994
  • M. Schuler, Die Raumgliederungen der Schweiz, 1994 (dt. und franz. 21997)
Weblinks

Zitiervorschlag

Angelo Rossi: "Agglomeration", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.06.2002, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007880/2002-06-12/, konsultiert am 29.03.2024.