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BurgundHerzogtum

Burgund: staatliche Entwicklung 1404-1477
Burgund: staatliche Entwicklung 1404-1477 […]

Im Westen der im Vertrag von Verdun 843 gezogenen Reichsgrenze entstand gegen 900 ein französisches Lehensherzogtum, für dessen Gebiet im 11. Jahrhundert der Name ducatus Burgundiae (erstmals 1075) verwendet wurde. 956-1361 war das Herzogtum Burgund (mit wenigen Unterbrüchen) in der Hand von zwei Seitenlinien der Kapetinger. Im 12. Jahrhundert erfolgte die territoriale Konsolidierung um einen Kern, der die Burgen von Dijon, Beaune, Autun, Avallon, Semur und Châtillon-sur-Seine umfasste. Mit dem Ende der direkten kapetingischen Erbfolge (1361) suchte der französische König Johann II. das Herzogtum Burgund der Krondomäne einzugliedern, übertrug es aber dann auf Druck der burgundischen Stände seinem vierten Sohn, Philipp. Mit diesem begann die Reihe der "grossen Herzöge von Burgund" aus dem Hause Valois: 1363-1404 Philipp der Kühne, 1404-1419 Johann ohne Furcht, 1419-1467 Philipp der Gute, 1467-1477 Karl der Kühne. Ausgehend von der Heirat Philipps des Kühnen mit der Erbtochter Margarete von Flandern (1369) setzte eine umfangreiche Territorialentwicklung ein, die zur Bildung eines "Zwischenreichs" zwischen dem Heiligen Römischen Reich und Frankreich führte. Seine beiden Schwerpunkte waren das feudal geprägte Alt-Burgund und die eher städtisch-bürgerlich bestimmten Niederlande, die bald einmal das wirtschaftliche Übergewicht errangen. Die burgundische Staatsbildung wurde dadurch kompliziert, dass die Herzöge von Burgund einerseits der lehensherrlichen und souveränen Gewalt des französischen Königs unterstanden, andererseits die Territorien östlich der 843 gezogenen Grenzlinie Reichslehen waren. Während in der langen Regierungszeit Philipps des Guten insbesondere die Besitzungen im niederländischen Raum ausgebaut wurden, war es das Ziel der expansiven Politik Karls des Kühnen, die beiden Territorialkomplexe zu vereinigen. An der Einverleibung der elsässischen, oberrheinischen und lothringischen Territorien aber scheiterte Karl trotz anfänglicher Erfolge; er fiel 1477 bei Nancy (Burgunderkriege). Seiner Tochter Maria (1477 Maximilian I., 1482) gelang es in ihrer kurzen Regierungszeit nicht, das von ihren Vorgängern aufgebaute Staatsgebilde zusammenzuhalten. Während der französische König Ludwig XI. das eigentliche Herzogtum Burgund als erledigtes Lehen in den Kronbesitz überführte, gingen die bedeutendsten Besitzungen des Hauses Burgund-Valois an das Haus Habsburg über.

Ausschnitt aus der Verdüre Philipps des Guten mit dem Vollwappen der burgundischen Herzöge (Bernisches Historisches Museum).
Ausschnitt aus der Verdüre Philipps des Guten mit dem Vollwappen der burgundischen Herzöge (Bernisches Historisches Museum). […]

Die Beziehungen der Eidgenossen – vorab der für die Politik im Westen bestimmenden Stadt Bern – zu den Valois-Herzögen waren zunächst unbelastet. Wirtschaftlich spielte der Salzhandel mit der Freigrafschaft Burgund eine Rolle (z.B. 1448 Salzvertrag Berns mit Philipp dem Guten, Eigentümer der Salzwerke von Salins). Der Führungsschicht eidgenössischer Orte bot der burgundische Hof wegen der dort zelebrierten höfisch-ritterlichen Lebensformen (1430 Stiftung des Ordens vom Goldenen Vlies) einen Anziehungspunkt für Bildungsreisen und Pagendienste. Die Übernahme höfischer Kleidertracht durch die ritterliche Oberschicht konnte zu innerstädtischen Standeskonflikten führen (Twingherrenstreit). Die vom burgundischen Hof geförderte Kreuzzugsidee (1453 Fall von Konstantinopel) stiess auch in der Eidgenossenschaft auf Beachtung (z.B. Adrian von Bubenbergs Zug nach Dijon 1455). Im Alten Zürichkrieg liess sich Philipp der Gute durch Kaiser Friedrich III. nicht von seiner neutralen Haltung abbringen. Vom unbelasteten Verhältnis zu Burgund zeugt auch der ehrenvolle Empfang, der Philipp dem Guten 1454 bei seiner Durchreise nach Regensburg in Bern und Zürich geboten wurde. Aus dem sich zuspitzenden Konflikt zwischen Burgund und der französischen Krone suchten sich die eidgenössischen Orte herauszuhalten. So wurden die 500 eidgenössischen Söldner, die dem burgundischen Thronerben im Kampf der Ligue du Bien Public, der grossen Adelsfronde gegen Ludwig XI., 1465 zuliefen, nach ihrer Rückkehr bestraft, und einen Bündnisantrag Karls brachte Bern 1466 zu Fall. Hingegen warb Bern für einen blossen Freundschaftsvertrag mit Burgund, den allerdings im Mai 1467 nur noch Zürich, Freiburg und Solothurn mitunterzeichneten. Neben gegenseitiger Zusicherung neutralen Verhaltens brachte er den eidgenössischen Orten Vergünstigungen für Gewerbe und Handelsverkehr. Die entscheidende Wende erfolgte 1469 mit dem Vertrag von Saint-Omer zwischen Karl dem Kühnen und Herzog Sigmund von Österreich: Mit den österreichischen Pfandlanden am Oberrhein und im Elsass wurde Burgund im Norden direkter Nachbar der Eidgenossen. Im Westen empfanden vorab Bern, Freiburg, Solothurn und Basel die burgundische Politik gegenüber Savoyen (Waadt, Genfer Messe) sowie die Einbindung zahlreicher benachbarter Herrschaftsträger (u.a. Grafen von Aarberg-Valangin, Markgrafen von Hochberg in Neuenburg, Haus Chalon u.a. in Erlach, Grandson, Orbe und Echallens) in einer eigentlichen burgundischen Klientel zunehmend als Bedrohung. Die Intensivierung der Kontakte zur französischen Krone und die Rückendeckung gegenüber Habsburg-Österreich (Ewige Richtung 1474) schufen die Voraussetzung für die kriegerische Auseinandersetzung mit Burgund, die zur Vernichtung des burgundischen Staatswesens führen sollte. Die eidgenössischen Orte vermochten daraus keinen territorialen Gewinn zu schlagen. Jedoch erweiterten Bern, Freiburg und das Wallis auf Kosten burgundischer Parteigänger ihr Staatsgebiet in den Raum der heutigen Westschweiz hinein.

Quellen und Literatur

  • Histoire de la Bourgogne, hg. von J. Richard, 1978 (21988)
  • N. Stein, Burgund und die Eidgenossenschaft z.Z. Karls des Kühnen, 1979
  • LexMA 2, 1066-1087

Zitiervorschlag

Karl F. Wälchli: "Burgund (Herzogtum)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.02.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007281/2005-02-16/, konsultiert am 29.03.2024.