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Bayern

Bayerisch-schweizerische Grenzen 18.-20. Jahrhundert
Bayerisch-schweizerische Grenzen 18.-20. Jahrhundert […]

Vor 1800 bestanden zwischen der Eidgenossenschaft und dem Herzogtum bzw. ab 1623 dem Kurfürstentum Bayern nur punktuelle Beziehungen. So gelangte zum Beispiel 1309 Unterwalden in den Genuss der Reichsunmittelbarkeit, weil Ludwig von Bayern im Thronkampf mit Friedrich dem Schönen den Waldstätten ihre Freiheiten ohne genaue Prüfung summarisch bestätigte. Bayrische Herzöge vermittelten mehrfach in Konflikten, an denen die Eidgenossenschaft beteiligt war, so 1461 nach der Eroberung des Thurgaus beim Frieden von Konstanz, 1468 bei der Beendigung des Waldshuterkriegs und 1474 beim Abschluss der Ewigen Richtung mit Sigismund von Habsburg. Im ausgehenden 15. Jahrhundert hatten Eidgenossen und das Herzogtum Bayern zeitweise gemeinsame Interessen, weil die Ansprüche der Wittelsbacher Herzöge auf österreichische Besitzungen am Rhein ein Gegengewicht zum habsburgischen Einfluss darstellten und der Schwäbische Bund sich auch gegen das Haus Wittelsbach richtete. Nachdem die eidgenössischen Orte 1488 noch eine Aussöhnung zwischen dem Herzog von Bayern und dem Schwäbischen Bund gesucht hatten, schlossen sie 1491 mit Bayern ein Bündnis auf fünf Jahre, das eine Söldnerwerbung Bayerns in eidgenössischem Gebiet sowie eine erleichterte Salzeinfuhr aus Bayern vorsah. Verhandlungen über ein Hilfsbündnis zerschlugen sich nach 1500. Nach der Glaubensspaltung reduzierten sich die politischen Beziehungen auf seltene Kontakte, zum Beispiel der katholischen Orte zu Bayern als Haupt der 1609 von Maximilian I. von Bayern gegründeten Katholischen Liga oder im Spanischen Erbfolgekrieg bei Verhandlungen um die eidgenössische Neutralität und den Schutz des rechten Rheinufers.

Nach 1800 intensivierten sich die Beziehungen zwischen Bayern und der Schweiz. Bayern profitierte von Napoleons Deutschland-Politik, welche die sogenannten Mittelstaaten gegenüber Preussen und Österreich aufzuwerten suchte. Für Gebietsverluste westlich des Rheins wurden ihm jene vorher mehrheitlich reichsunmittelbare Territorien in Franken und in Schwaben zugeteilt, die neben Altbayern bis heute zum Freistaat gehören. Nach der Schlacht bei Austerlitz erhielt der Kurfürst von Bayern im französisch-bayrischen Vertrag von Brünn (10. Dezember 1805) unter anderem Vorarlberg und Lindau sowie im Frieden von Pressburg (25./26. Dezember 1805) Tirol und wurde damit für ein Jahrzehnt direkter Nachbar der Schweiz. Am 1. Januar 1806 wurde Bayern, mit dem die Schweiz seit 1803 ständige diplomatische Beziehungen pflegte, nach dem Willen Napoleons ein Königreich. Auf eine Stärkung der Mittelstaaten zielte auch das am 16. Januar 1806 von Frankreich, Bayern, Italien, Baden und Württemberg geschlossene Geheimbündnis, dem auch die Schweiz hätte beitreten sollen; es wurde aber wegen Misshelligkeiten unter den Vertragspartnern nie ratifiziert. 1814 musste Bayern Vorarlberg und Tirol an Österreich zurückerstatten. Die einzige Möglichkeit, von eidgenössischem direkt auf bayrisches Territorium zu gelangen, war fortan die Schifffahrt über den Bodensee zum Hafen von Lindau. Am Wiener Kongress setzte sich Erbprinz Ludwig von Bayern vergeblich für einen Bund ein, der alle deutschsprachigen Länder, damit auch die Schweiz, umfassen sollte. Nach seiner Thronbesteigung als König Ludwig I. 1825 verschlechterten sich die Beziehungen zur Schweiz. Den Prinzipien Fürst Metternichs folgend, schwenkte Ludwig auf die schweizfeindliche Politik Österreichs und Preussens ein und schloss sich den Protesten dieser Mächte sowohl gegen die Teilung Basels 1833 wie auch gegen den Savoyerzug 1834 an. Bayern unterstützte auch eine Protestnote Österreichs, Preussens und des Grossherzogtums Baden an die Schweiz nach einem Bankett republikanisch gesinnter Arbeiter im Juli 1834 in Bern und berief seinen Gesandten zurück. Am 1. Januar 1835, dem Tag, an dem Bern Vorort wurde, stellte Bayern mit anderen Mächten Garantieforderungen. Da die Antwort unbefriedigend ausfiel, kehrte der Gesandte nicht nach Bern zurück, und bayrischen Arbeitern wurde die Einreise in die Schweiz untersagt. Erst als Bern das Bankett offiziell missbilligte und versöhnliche Schritte bei der bayrischen Regierung unternommen hatte, entspannten sich die Beziehungen. Neben verschiedenen Verträgen, die vor allem die Schifffahrt und Fischerei auf dem Bodensee betrafen, ratifizierten alle Kantone 1822 ein Abkommen über die Niederlassungsfreiheit und 1847 ein Auslieferungsabkommen. Dennoch verbesserten sich die Beziehungen erst, nachdem Ludwig I. im März 1848 abgedankt und sein Sohn Maximilian II., ein gemässigter Liberaler, den Thron bestiegen hatte. Mehrere Revolutionäre, die in der Schweiz Zuflucht gefunden hatten, darunter auch Johann Philipp Becker, kehrten nach Bayern zurück. Nicht ohne Besorgnis verfolgte man in der Schweiz die preussischen Siege über Bayern und Österreich 1866 und als deren Folge die Annäherung und das Schutz- und Trutzbündnis zwischen Bayern und Preussen. Von 1867 an nahm die schweizerische Botschaft in Berlin auch die Schweizer Interessen in Bayern wahr. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und Frankreich im Sommer 1870 vertrat der schweizerische Minister in Paris die Interessen Bayerns. Die schweizerische Besorgnis nahm zu, als Bayern 1871, unter Wahrung einer grossen Autonomie, in das Deutsche Reich eintrat. Obgleich die Aussenpolitik nach 1871 grundsätzlich Reichssache war, unterhielt Bayern bis zum Ende des Ersten Weltkriegs einen Gesandten in Bern, der sich vor allem mit konsularischen Angelegenheiten befasste.

Spendenaufruf der Ostschweizerischen Grenzlandhilfe 1946 (Staatsarchiv St. Gallen, A 013/06.1).
Spendenaufruf der Ostschweizerischen Grenzlandhilfe 1946 (Staatsarchiv St. Gallen, A 013/06.1). […]

Nach der Revolution von 1918 und dem Sturz der Monarchie fand König Ludwig III. in der Schweiz vorläufig Asyl. Schweizerische Organisationen ermöglichten nach dem Ersten und später auch nach dem Zweiten Weltkrieg bayrischen Kindern Erholungsaufenthalte in ihrem Land und leisteten Bayern Lebensmittelhilfe. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 fanden mehrere bayrische Flüchtlinge Aufnahme in der Schweiz, darunter der ehemalige Landtags- und Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner, der im September 1945 Ministerpräsident des Landes wurde. Hoegners Vorstellungen für eine bayrische Verfassung waren vom schweizerischen Bundesstaatsmodell beeinflusst; eine besondere Rolle spielte dabei der Staatsrechtler Hans Nawiasky, der damals in St. Gallen lehrte und später auch als Sachverständiger an der Ausarbeitung der bayrischen Verfassung mitwirkte. Seit 1972 arbeitet das Bundesland Bayern in der Arge Alp sowie in der Bodenseekonferenz mit Kantonen der Ost- und Südschweiz zusammen.

Bedeutsamer als die politischen Beziehungen waren die ökonomischen und kulturellen; diese betrafen allerdings bis Ende der frühen Neuzeit vor allem reichsfreie Städte im süddeutschen Raum, die erst im frühen 19. Jahrhundert zum bayrischen Territorium geschlagen wurden. Im 14. Jahrhundert gewann der Handelsweg durch das schweizerische Mittelland für die Markt- und Messestädte von Nürnberg und Augsburg bis nach Genf und Lyon wie für die Handelsgesellschaften (Ravensburger Gesellschaft, Diesbach-Watt-Gesellschaft) an Bedeutung, weshalb sich zum Beispiel Nürnberg und St. Gallen 1387 gegenseitige Zollpräferenzen zusicherten. An der im Spätmittelalter einsetzenden Leinen- und Barchentproduktion hatten der süddeutsche, heute bayrische Raum und die Nordschweiz gleichermassen Anteil wie an der textilen Protoindustrie im 18. Jahrhundert, in welcher sowohl Allgäuer Garnspinner für Ostschweizer Verlagskaufleute wie auch Appenzeller Heimarbeiter für süddeutsche Verleger arbeiteten. Von den Zuwanderern in den vom Dreissigjährigen Krieg geschädigten süddeutschen Raum stammten zahlreiche aus der Schweiz, unter anderem als "Schweizer" bezeichnete Melker und Käser. Salz aus Bayern wurde bereits im Spätmittelalter über den Bodensee importiert. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts exportierten die Salinen von Reichenhall ca. zwei Drittel des gewonnenen Salzes in die Deutschschweiz. Im 19. Jahrhundert führte die Schweiz vor allem Stickereiwaren, Uhren und Wein aus, Salz, Eisen und Industrieprodukte aus Bayern ein. Mit der Donauschifffahrt (Donau), dem Lindauer Hafen und später dem Bahnnetz war Bayern ein wichtiges Transitland für den schweizerischen Warenverkehr von und nach Österreich und Ungarn. Desgleichen spielte der Banken- und Finanzplatz Augsburg jetzt eine wichtige Rolle für die Deutschschweiz. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern durch die protektionistische Politik Bayerns behindert, das unter anderem 1817 die Zollsätze massiv erhöhte und einen Handelsvertrag mit der Schweiz ablehnte. Die Lage besserte sich erst 1834 mit dem Beitritt Bayerns zum Deutschen Zollverein. Im 19. Jahrhundert gründeten zahlreiche Schweizer Industrielle Unternehmen in Bayern, dessen Schweizer Kolonie vor 1914 nach der österreichischen und der italienischen die drittstärkste war. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Bayern einen starken Aufschwung, besonders in den Bereichen Landwirtschaft, Industrie und Banken. Die Schweiz wurde nach Österreich, Italien und Frankreich zum viertwichtigsten Abnehmer bayrischer Waren.

Aufriss der Fassade der Theatinerkirche in München, mit zwei Vorschlägen für die Gestaltung der Türme. Zeichnung von Enrico Zuccalli, um 1676/1678 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Plansammlung 8299).
Aufriss der Fassade der Theatinerkirche in München, mit zwei Vorschlägen für die Gestaltung der Türme. Zeichnung von Enrico Zuccalli, um 1676/1678 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Plansammlung 8299). […]

In der Barockzeit wirkten sowohl Bündner Baumeister und Stuckateure in Süddeutschland (z.B. Jakob Engel in Eichstätt) wie auch Künstler des bayrischen Spätbarocks in der Schweiz (z.B. Gebrüder Asam in Einsiedeln). Die verschiedenen Universitäten in Bayern, ganz besonders aber München, zogen zahlreiche Schweizer Studenten und Professoren an. Vor dem Ersten Weltkrieg galt die bayrische Hauptstadt vor allem für Deutschschweizer Künstler als eine der herausragenden Kulturmetropolen. Auf religiösem Gebiet strahlten die süddeutschen Zentren Dillingen an der Donau, Eichstätt sowie im 15. Jahrhundert Kastl in die Schweiz aus, in welcher auch die katholische Aufklärung Impulse aus Bayern empfing. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen viele katholische Schweizer unter dem Einfluss des Regensburger Bischofs Johann Michael Sailer, des "Erneuerers der Theologie". Ebenfalls in dieser Zeit bereiste Bischof Ignaz Albert von Riegg, der König Ludwig I. hinsichtlich des Wiederaufbaus des Klosterlebens beriet, die Schweiz, um Novizen für die Benediktinerklöster zu werben.

Quellen und Literatur

  • H.-W. Langen, Der Einfluss der schweiz. Verfassungszustände auf die bayer. Verfassung, 1949
  • Hb. der bayer. Gesch., hg. von M. Spindler, 4 Bde., 1967-88 (31995-)
Weblinks
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GND

Zitiervorschlag

Jean-Jacques Langendorf: "Bayern", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.11.2009, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006619/2009-11-04/, konsultiert am 28.03.2024.