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MailandStadt

Hauptstadt der Lombardei und wirtschaftliches Zentrum der Poebene, wahrscheinlich im 5. oder 4. Jahrhundert v.Chr. von den Insubrern gegründet. Die Beziehungen zwischen Mailand und der Schweiz waren seit jeher intensiv. Die lombardische Hauptstadt fungierte schon immer als Drehscheibe des Personen- und Warenverkehrs von Nord- und Mitteleuropa durch die Schweiz nach Italien und umgekehrt. Seit der Neuzeit ist Mailand auch bevorzugtes Ziel vieler Schweizer Auswanderer; als religiöses und kulturelles Zentrum übt die Stadt vor allem auf die italienische Schweiz einen starken Einfluss aus.

Die Beziehungen zwischen Mailand und dem Gebiet der heutigen Schweiz gehen auf die Römerzeit zurück, als das municipium bzw. die colonia Mailand einen Grossteil des heutigen Kantons Tessin umfasste. In der Spätantike wurde Mailand eine der kaiserlichen Residenzstädte und zum administrativen Zentrum der Diözese Italia Annonaria, der das Tessin und die rätischen Provinzen unterstanden. Die Völkerwanderung (5.-7. Jahrhundert) war für Mailand eine Zeit des Niedergangs. In den folgenden Jahrhunderten behauptete sich die Stadt aber wieder als wirtschaftliches, politisches und religiöses Zentrum; sie erlangte im 12. und 13. Jahrhundert die Oberherrschaft über die anderen lombardischen Städte. Im Spätmittelalter war Mailand Ziel- bzw. Ausgangspunkt der Fernhandelswege über die Pässe Mont-Cenis, Grosser St. Bernhard, Simplon, Gotthard, Lukmanier sowie über die Untere (Splügen, San Bernardino) und die Obere Strasse (Septimer, Julier/Maloja). Dieser Handel stellte eine wichtige Einnahmequelle für die Säumergenossenschaften dar, die sich im 13. und 14. Jahrhundert in den vom Transitverkehr frequentierten Schweizer Alpentälern bildeten. Auf Mailänder Seite kontrollierte die Gesellschaft der Kaufleute den Warenverkehr, indem sie in verschiedenen Orten längs der Handelsrouten Agenten einsetzte.

Die Frage der Weggebühren und Zölle führte häufig zu Streitigkeiten zwischen den eidgenössischen Gebieten und Mailand (Mailänder Kapitulate). Annoni, eines der grössten Mailänder Transportunternehmen, beförderte 1543-1545 Waren für über 170'000 flämische Pfund über Gotthard und Splügen von Antwerpen in die italienischen Städte. Zu den Handelsgütern gehörten Tuch, Wolle, kostbare Stoffe, Fisch, Vieh, Milchprodukte, Reis und Waffen, die in Mailand – einem Produktionszentrum von europäischem Rang – hergestellt wurden. Im 17. Jahrhundert verhalf Kaspar Stockalper vom Thurm dem Transitverkehr über den Simplon zu einem Aufschwung und organisierte einen Postdienst zwischen Genf und Mailand, was ihm Privilegien für den Warentransport einbrachte. Der Bau der Fahrstrassen über den Simplon (1805 fertiggestellt), den San Bernardino (1823), den Splügen (1823) und den Gotthard (1830) sowie vor allem die Inbetriebnahme der Eisenbahntunnels am Gotthard (1882) und Simplon (1906) gaben dem Landverkehr zwischen Mailand und Mittel- und Nordeuropa wieder Auftrieb. Die neuen Basistunnels im Rahmen des NEAT-Projekts verkürzen die Fahrzeit zwischen Mailand und dem Mittelland erheblich. Der Lötschberg-Basistunnel wurde 2007 eröffnet; der Gotthard-Basistunnel soll bis 2016 vollendet werden.

Bis weit ins 19. Jahrhundert suchten viele – teilweise saisonale – Auswanderer aus der italienischen Schweiz in der lombardischen Hauptstadt ihr Auskommen, darunter zahlreiche Wirte, Träger, Kastanienröster, Chocolatiers, Kaffeehausbesitzer und Kaminfeger. Maurer, Kunsthandwerker und Künstler wurden vom Mittelalter an von der Dombauhütte und an anderen Bauwerken beschäftigt. Als die österreichischen Behörden 1853 rund 6000 Tessiner aus dem Lombardo-Venezianischen Königreich auswiesen, flossen die Auswandererströme in andere Richtungen. Ab den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zog Mailand auch Unternehmer aus den Schweizer Regionen nördlich der Alpen an, die anfänglich vor allem im Textil- und Bankensektor tätig waren. Diese Einwanderer gründeten 1850 eine reformierte Gemeinde (seit 1864 eigene Kirche), die 1860 eine internationale Schule für die reformierten Familien von Mailand aufbaute. Daraus entwickelte sich 1919 die heute noch bestehende Schweizer Schule. 1883 konstitutierte sich der Schweizer Verein von Mailand. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Anzahl der Schweizer Unternehmer in Mailand weiter zu; so liess sich zum Beispiel der Verleger Ulrico Hoepli dort nieder. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffneten führende Schweizer Unternehmen wie Brown Boveri, Ciba, Sandoz, Nestlé, Wander und Roche Filialen in Mailand oder erwarben Mehrheitsbeteiligungen an ortsansässigen Firmen. Für die Schweizer Präsenz in Italien wurde Mailand im Lauf des 20. Jahrhunderts immer wichtiger; die 1919 in Genua gegründete Schweizer Handelskammer in Italien wurde 1931 in die lombardische Hauptstadt verlegt.

Die in Mailand ansässigen Schweizer stammten um 1900 vorwiegend aus den deutschsprachigen Kantonen (65%) und Graubünden. Ihre Zahl, fast 5000, entsprach knapp der Hälfte der Schweizer Kolonie in Italien. Nach der Machtergreifung der Faschisten hatten sie unter dem wachsenden Protektionismus und Nationalismus Italiens zu leiden; die Affäre Bassanesi verschärfte 1930 die Spannungen zwischen den beiden Ländern zusätzlich. Der Faschismus stiess aber bei einem Teil der Schweizer auch auf Sympathie. 1934 wurde ein schweizerischer fascio (faschistische Zelle) in Mailand gegründet, was zur Spaltung der Kolonie führte. Die Bundesbehörden reagierten mit der Entsendung des Berufsdiplomaten Charles-Edouard de Bavier und erhoben die Mailänder diplomatische Vertretung 1934 in den Rang eines Generalkonsulats. Trotzdem konnten die Spannungen erst im April 1939 beigelegt werden.

Da 1943 eine Bombe den Sitz des Schweizer Vereins in Mailand zerstört hatte, wurde ein neues Schweizer Zentrum unter der Leitung des Architekten Armin Meili errichtet, das 1952 eingeweiht wurde. Seit 1956 vollständig Eigentum der Eidgenossenschaft, beherbergt es ausser dem Generalkonsulat auch das Schweizer Kulturzentrum, die Schweizer Handelskammer in Italien, Tourismus Schweiz, ein Studio des Radios und Fernsehens der italienischen Schweiz und die Büros verschiedener Schweizer und internationaler Firmen. Mit rund 24'000 Personen ist der Konsularbezirk Mailand heute die drittgrösste Schweizer Kolonie im Ausland überhaupt.

Dank des 1579 gegründeten Collegium Helveticum war Mailand ein bedeutendes Ausbildungszentrum für den katholischen Klerus der Schweiz. Im 18. Jahrhundert bestanden Beziehungen zwischen den Schweizer und Mailänder Aufklärern, wie der Briefwechsel zwischen Cesare Beccaria und der Société des Citoyens von Bern beweist. Letztere prämierte den Gelehrten 1765 für sein Werk "Dei delitti e delle pene", in dem er unter anderem für die Abschaffung der Todesstrafe eintrat. Die in Mailand herausgegebene Zeitschrift "Il Caffè", die von Beccaria und den Brüdern Pietro und Alessandro Verri getragen wurde, erschien teilweise in deutscher Sprache bei Orell Füssli in Zürich. Die Mailänder Aufklärung hatte auch massgeblichen Einfluss auf das kulturelle Leben der italienischen Schweiz; für deren Künstler war die Akademie von Brera eine der wichtigsten Ausbildungsstätten. Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Verbundenheit der Schweiz mit Mailand durch die Eröffnung des Schweizer Kulturzentrums (1997) und die Zusammenarbeit zwischen der Universität der italienischen Schweiz und den Mailänder Hochschulen noch gefestigt. Der Tessiner Architekt Mario Botta erhielt den Auftrag zum Umbau der Scala, den er 2004 abschloss.

Quellen und Literatur

  • L. Mazzucchetti, A. Lohner, Die Schweiz und Italien: Kulturbeziehungen aus zwei Jahrhunderten, 1941
  • Storia di Milano 1-16, 1953-62
  • G. Bonnant et al., Svizzeri in Italia, 1848-1972, 1972
  • F. Glauser, «Der Gotthardtransit von 1500 bis 1660», in SZG 29, 1979, 16-52
  • R. Ceschi, «Bleniesi milanesi», in Col bastone e la bisaccia per le strade d'Europa, 1991, 49-72
  • Scuola svizzera di Milano: 75 anniversario, hg. von R.M. Engeler, 1994
  • M. Cerutti, «Les Suisses d'Italie à l'époque du fascisme», in SQ 28, 2002, 189-226
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Marianne Bauer: "Mailand (Stadt)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.07.2013, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006598/2013-07-18/, konsultiert am 19.03.2024.