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Herzogenbuchsee

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Verwaltungskreis Oberaargau. Die wichtigste Gemeinde des ehemaligen Amtsbezirks Wangen liegt im Önztal und umfasst das gleichnamige Dorf, den ehemaligen Weiler Holz und seit 2008 auch Oberönz. 886 Puhsa, 1220 Buchse; zur Unterscheidung von Münchenbuchsee erstmals 1301 Herzogenbuchze. 1764 481 Einwohner; 1850 1525; 1900 2533; 1950 3790; 2000 5338.

Die Erstürmung des Kirchhofs durch die Berner im Gümmenenkrieg 1332. Kolorierte Federzeichnung in der Chronik von Benedikt Tschachtlan, 1470 (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Ms. A 120, S. 128).
Die Erstürmung des Kirchhofs durch die Berner im Gümmenenkrieg 1332. Kolorierte Federzeichnung in der Chronik von Benedikt Tschachtlan, 1470 (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Ms. A 120, S. 128). […]

Im früh besiedelten Raum Herzogenbuchsee dominieren neben neolithischen (Löli) und eventuell bronzezeitlichen Einzelfunden (Dorf) sowie hallstattzeitlichen Tumuli (Ober-/Unterwald) vor allem die römischen Überreste: Ein Gutshof mit Mosaiken lag auf dem Kirchbühl, eine Tuffstein-Wasserleitung wurde im Bereich Friedhof/Kappelifeld entdeckt, und Einzelfunde und Münzen stammen aus den Fluren Sandacker, Rechenberg sowie Biblis. 886 gehörte Herzogenbuchsee zur Herrschaft der Adalgoz-Sippe, die dort im Tausch Güter von der Abtei St. Gallen erwarb. Im 11. Jahrhundert war es Teil des Oberaargauer Besitzes der Grafen von Rheinfelden; Agnes, Tochter Rudolfs von Rheinfelden und Gattin Herzog Berchtolds II. von Zähringen, schenkte der Benediktinerabtei St. Peter im Schwarzwald um 1093 Güter und Rechte in Herzogenbuchsee und im Önztal. Weiterer Besitz kam von den Zähringern nach 1218 an die Kyburger (Amt Gutisberg). Unter Kyburg-Habsburg entstand ein eigenes Amt Herzogenbuchsee mit hohen und niederen Gerichten, das von einem kyburgischen Beamten (1264 Minister, 1372-1383 Schultheiss) – ab 1313/1363 als österreichisches Lehen – verwaltet wurde. Die Kirche (vormals vermutlich eine Kirchenburg, 1128 erwähnt), der Kirchhof und eine kleine stadtartige Niederlassung waren mit Mauern und Graben befestigt; die Anlage diente der Dorfbevölkerung im Gümmenenkrieg (1331-1333), Guglerkrieg (1375) und letztmals im Bauernkrieg (1653) als Zuflucht. Durch die Verschuldung der Kyburger kam Herzogenbuchsee 1356-1375 als Pfand an die Grafen von Neuenburg-Nidau und nach deren Aussterben 1375 an die Familie von Grünenberg. Mit der Landgrafschaft Burgund erwarb Bern 1406 von Kyburg auch den hof ze Buchsi als kyburgisches Sondergericht. Nach der Ablösung des Pfandes der Herren von Grünenberg liess Bern 1407 auf einem Landtag in Herzogenbuchsee das Recht des Hofgerichts kodifizieren. Die Grund- und Gerichtsherrschaft Herzogenbuchsee umfasste Herzogenbuchsee, Ober- sowie Niederönz, Röthenbach, Heimenhausen und Wanzwil; in Blutgerichtsfällen war das Hofgericht Herzogenbuchsee zuständig für die Städtchen Huttwil und Wangen sowie für Ursenbach. Schliesslich unterstellte Bern Herzogenbuchsee hochgerichtlich der Landvogtei Wangen, die es zur Organisation seines oberaargauischen Besitzes neu geschaffen hatte.

Die Kirche Herzogenbuchsee (886 indirekt bezeugt, Martinspatrozinium, Bau von 1728 mit mindestens drei Vorgängerbauten über römischer Villa aus dem 2. und 3. Jh.) gelangte um 1108 mit der Güterschenkung an die Abtei St. Peter, die in Herzogenbuchsee eine Propstei errichtete. Kastvögte waren die Zähringer, nach 1218 die Grafen von Kyburg bzw. deren Pfandinhaber, seit 1406 Bern. Die Propstei war kein Kloster, sondern ein geistliches, administratives und gerichtliches Zentrum mit angegliedertem Meierhof. Dem Propst, einem Mönch aus St. Peter, und dem diesem unterstellten Leutpriester oblag die Betreuung der Grosspfarrei, der bis 1528 auch die solothurnischen Gemeinden Aeschi, Burg, Bolken und Etzikofen sowie bis 1549 das bernische Rütschelen angehörten. Ihm unterstand ausserdem die Leitung des Meierhofs mit Rechten eines Freihofs und damit die Verwaltung des Grundbesitzes und der Kirchensätze in Herzogenbuchsee, Seeberg und Huttwil. Dem 1363 erstmals erwähnten Dinghofgericht des Propstes, der als Gerichtsherr im Frühling und Herbst seine Zinsleute aufbot, hatte Kyburg auch die Niedergerichte zugelegt. Der Meierhof mit der 1220 genannten Marienkapelle und dem Gerichtsplatz lag im Raum Gemeindehaus/Kornhaus. An Hochgerichts- und Landtagen hatte der Propst die Hochgerichtsherren zu verpflegen. Die Propstei stand im 15. Jahrhundert im Burgrecht mit Solothurn und Bern. Als Bern 1527 alle Klöster bevogtete, gab es auch der Propstei Herzogenbuchsee einen weltlichen Verwalter und überliess das Niedergericht dem Landvogt von Wangen. Nach der Säkularisation 1528 verwaltete ein bernischer Schaffner den Güterbesitz bis zur Übernahme durch die Landvogtei Wangen. 1557 entschädigte Bern St. Peter für die säkularisierten Güter und Rechte sowie die Kirchensätze von Herzogenbuchsee, Seeberg und Huttwil. Die grosse Kirchgemeinde Herzogenbuchsee, die mit Berken, Bettenhausen, Bollodingen, Graben, Heimenhausen, Hermiswil, Inkwil, Nieder- sowie Oberönz, Ochlenberg, Röthenbach, Thörigen und Wanzwil noch 13 andere Einwohnergemeinden umfasst, erhielt 1861, 1954, 1968 drei zusätzliche Pfarrstellen. 1953-1954 erfolgte der Bau der katholischen Kirche im Heimenhausenfeld.

Der ehemalige Hauptsitz der Schuhfabrik Hug & Co. an der Lagerstrasse, erbaut 1925 von Architekt Ernst Bützberger, fotografiert im Oktober 1968 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Graphische Sammlung).
Der ehemalige Hauptsitz der Schuhfabrik Hug & Co. an der Lagerstrasse, erbaut 1925 von Architekt Ernst Bützberger, fotografiert im Oktober 1968 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Graphische Sammlung). […]

Das Zelgdorf Herzogenbuchsee war einer der dörflichen Marktorte im spätmittelalterlichen Staat Bern; neben dem Wochenmarkt wurden vier Jahrmärkte abgehalten. Den Ackerbau flankierten somit früh regionales Handwerk und Gewerbe (Gasthöfe, Schmiede, Schlosserei, Färberei, Krämerei). Eine Dorfordnung ersetzte 1533 das Recht des Dinghofs aus dem 14. Jahrhundert. Dank seiner zentralen Lage wurde Herzogenbuchsee im Bauernkrieg von 1653 Treffpunkt der Aufständischen. Bei Herzogenbuchsee besiegten dann bernische Truppen unter General Sigmund von Erlach Reste von Niklaus Leuenbergers Bauernheer; das Gefecht forderte unter Bauern und Bewohnern Herzogenbuchsees etwa 40 Tote, das Dorf ging in Flammen auf. Der Gefechtsplan von Ingenieur Johann Willading (1654) gibt eine gute Vorstellung der damaligen Siedlung. Von den Gebäuden im fast gänzlich umschlossenen "Städtli", dem Bereich um Dorfplatz und Kirchgasse, überdauerten das ehemalige staatliche Kornhaus (1581-1582 erbaut anstelle der Marienkapelle und des Gerichtsplatzes; heute Museum, Gemeindebibliothek), das Gemeindehaus (Standort des ehemaligen Priorats; 1753-1755 erstelltes Doppelpfarrhaus) sowie die Gasthöfe Sonne und Kreuz (errichtet im 18. Jahrhundert). Im Verkehrsknotenpunkt Herzogenbuchsee mit Zollstelle stiess die neue, 1756-1764 erstellte Landstrasse von Bern in den Aargau auf den Handelsweg von Basel über Aarwangen nach Bern; die alte Landstrasse streifte Herzogenbuchsee im Süden. Nach Eröffnung der Bahnlinien Olten-Bern (1857) und Herzogenbuchsee-Solothurn-Biel (1857; seit 1992 Busverkehr) war Herzogenbuchsee bis zum Bau der Gäubahn 1876 Drehscheibe zwischen Bern und dem Jura. Dies löste eine starke Bautätigkeit im neuen Bahnhofsquartier aus, in dem sich mehrere, teils neu gegründete Unternehmen niederliessen (Käsehandel, Seidenbandwebereien mit Verlags- und Fabrikbetrieb, Schuhfabrik). 1880 wurde der Handwerker- und Gewerbeverein ins Leben gerufen. Den Strukturwandel vom gewerblich-bäuerlichen zum Industrie- und Dienstleistungsort kennzeichneten die Eröffnungen einer Maschinenbaufabrik 1903, einer Konstruktionswerkstätte 1933, eines Apparatebauunternehmens 1943, einer Schokoladenfabrik 1947 sowie einer Likörfabrik nach 1950. In den Industriequartieren Heimenhausenfeld und Hofmatt siedelten sich nach 1960 neue Firmen an; heute sind Futtermittel-, Obstverwertungs- sowie Maschinenindustrie die grössten Arbeitgeber. Als Marktort verfügt Herzogenbuchsee über Waren-, Schlachtvieh-, Obst- und Gemüsemärkte. Dank dem vielfältigen Arbeitsplatzangebot auch in der Baubranche, im Bankensektor, im Handel und im starken Gewerbe zieht Herzogenbuchsee vor allem seit den 1960er Jahren Zuzüger und Zupendler an, was die Schaffung von neuen Quartieren (Farnsberg 1946, Burgerland 1964, Bleikematt 1980, Zubacker 1981, Oberönzfeld 1993) und den Ausbau der kommunalen Infrastruktur seit den 1950er Jahren bedingte (u.a. Schulhausbauten 1956, 1966; Gasversorgung 1982; Abwasseranlagen 1992). Ursprünglich war Herzogenbuchsee Schulort für die ganze Kirchgemeinde, bis die "aussern" Gemeinden zwischen 1645 und 1720 eigene Schulen eröffneten. Neue regionale Aufgaben übernahm Herzogenbuchsee mit der 1835 gegründeten Sekundar- (Schulverband mit 14 Gemeinden) und der Berufsschule, der ersten bernischen Haushaltungsschule (Annex des ersten alkoholfreien Gasthauses, 1890 gegründet), dem Therapie- und Rehabilitationszentrum Wysshölzli (1892 bzw. 1932 gegründet), dem Bezirksspital (1905 bzw. 1925; Neubau 1971, ab 2000 Teil der Spital Region Oberaargau), dem Altersheim (1980; anstelle des Altersasyls) und den Erholungsanlagen (Frei- und Hallenbad 1975-1976). Die 1857 gegründete, politisch einflussreiche "Buchsi-Zeitung" war unter ihrem Redaktor Ulrich Dürrenmatt 1880-1908 über die Region hinaus angesehen. Das kulturelle Angebot im Dorf (Konzerte, Theater, Ausstellungen) und das Vereinsleben sind aussergewöhnlich reich.

Quellen und Literatur

  • Planaufnahme der Siedlung von 1654 durch Johann Willading (ZBZ-GS)
  • SSRQ BE II/2
  • K.H. Flatt, Errichtung der bern. Landeshoheit über den Oberaargau, 1969
  • H. Henzi, Das Ende des Bauernkrieges 1653 in Herzogenbuchsee, 1975
  • H. Henzi, Die Kirche der Bergpredigt, 1978
  • W. Aerni, «125 Jahre Eisenbahn in Herzogenbuchsee, 1857-1982», in Jb. des Oberaargaus 25, 1982, 197-238
  • H. Henzi et al., Herzogenbuchsee, 1985
  • HS III/1, 751-761
  • A.-M. Dubler, «Die Region Oberaargau», in Jb. des Oberaargaus 44, 2001, 74-114
Von der Redaktion ergänzt
Weblinks
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GND

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Herzogenbuchsee", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.09.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000565/2016-09-19/, konsultiert am 19.03.2024.