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ThunGemeinde

Ansicht der Stadt vom Belvedere auf dem Jakobshübeli aus. Kolorierte Lithografie von Eugène Cicéri, nach einer Fotografie von Friedrich von Martens, veröffentlicht in der grafischen Sammlung La Suisse, la Savoie et le Tyrol, 1864 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Ansicht der Stadt vom Belvedere auf dem Jakobshübeli aus. Kolorierte Lithografie von Eugène Cicéri, nach einer Fotografie von Friedrich von Martens, veröffentlicht in der grafischen Sammlung La Suisse, la Savoie et le Tyrol, 1864 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Verwaltungskreis Thun, am Ausfluss der Aare aus dem Thunersee und am Fuss des Schlossbergs. Thun umfasst seit 1913 Goldiwil und seit 1920 auch Strättligen. 1133 Tuno, französisch Thoune, italienisch früher Thuno.

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Thuna

JahrAnfang 15. Jh.1764179818181836
Einwohnerca. 1 4001 4141 5661 9362 646
      
Jahr18501870b18881900191019301950197019902000
Einwohner6 0197 2908 28610 21312 17316 52424 15736 52338 21140 377
Anteil an Kantonsbevölkerung1,5%1,6%1,7%1,9%2,1%2,6%3,3%4,1%4,1%4,2%
Sprache          
Deutsch  8 1549 95111 80515 97923 10533 56634 94436 551
Französisch  91180227378697682427399
Italienisch  13551071142731 663895728
Andere  28273453826121 9452 699
Religion, Konfession          
Protestantisch5 8977 0768 0389 76211 54015 37221 77430 82529 42628 120
Katholischc1212362334175379682 1505 3255 3145 852
Andere161534961842333733 4716 405
davon jüdischen Glaubens  426273534222217
davon islamischen Glaubens       163071 365
davon ohne Zugehörigkeitd       1781 0932 765
Nationalität          
Schweizer5 8667 0348 0079 90411 69316 06023 66733 66234 93235 315
Ausländer1532842793094804644902 8613 2795 062

a Angaben 1850-2000 gemäss Gebietsstand 2000

b Einwohner: Wohnbevölkerung; Religion, Nationalität: ortsanwesende Bevölkerung

c 1888-1930 einschliesslich der Christkatholiken; ab 1950 römisch-katholisch

d zu keiner Konfession oder religiösen Gruppe gehörig

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Thun -  Autor; eidgenössische Volkszählungen

Vorrömische und römische Zeit

Die Schwemmlandebene von Kander, Aare und Zulg hat viele archäologische Zeugnisse geliefert. Neben jungsteinzeitlichen Siedlungsfunden im Stadtgebiet handelt es sich vor allem um ein knappes Dutzend frühbronzezeitlicher Gräber (frühes 2. Jt. v.Chr.). Das 1829 am Renzenbühl entdeckte Grab einer hochrangigen Persönlichkeit enthielt eines der reichhaltigsten frühbronzezeitlichen Beigabenensembles Europas, so unter anderem sechs Halsreife, einen Dolch sowie die mit Goldstiften besetzte Klinge einer Streitaxt. In Wiler entdeckte reiche Schmuckgehänge aus rund 1500 maritimen Schneckengehäusen gelangten wahrscheinlich aus dem Mittelmeerraum und über die Walliser Alpen nach Thun. Weitere Funde an verschiedenen Orten stammen aus der späten Bronzezeit (9. Jh. v.Chr.) und der Eisenzeit (4. Jh. v.Chr.). An der Fernstrasse Richtung Berner Oberland lag das römerzeitliche Heiligtum bei Allmendingen am Rand der Thuner Allmend. Es bestand aus mehreren einfachen Tempelgebäuden (fanum) in einem eingefriedeten Sakralbezirk. Neben Göttern in römischer Gestalt (z.B. Jupiter) wurde auch einheimischen Muttergottheiten (Matres) gehuldigt. Davon zeugen Votive und Statuetten aus Metall, Keramik und Marmor sowie rund 1700 Münzen. Von besonderer Bedeutung ist die inschriftlich bezeugte Verehrung von Alpengöttinnen (Alpes). Zahlreiche Kalksteinfragmente von lebensgrossen Statuen stellen Gottheiten und Donatoren dar.

Im Stadtgebiet selbst fehlen bis heute Spuren einer römischen Siedlung. Vereinzelte Münzen und Ziegel wurden unter anderem beim Berntor, bei der Lauenen und bei Hinter der Burg entdeckt, ein Münzschatz mit 2400 Antoninianen beim Hortingut. Die Frage, wo sich der vermutete vicus Dunum befand, ist noch offen.

Thun im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Stadtgründung und -verfassung

Im Frühmittelalter bestanden beidseits des Aareübergangs Siedlungen und auf dem Schlossberg eine Burganlage und eine Kirche. Älteste Teile der Stadtbefestigung stammen aus dem 12. Jahrhundert. Ein Brückenzoll wird 1261 erstmals erwähnt. Ebenfalls im 12. Jahrhundert treten Freiherren von Thun als Zeugen auf, wobei es sich dabei wohl um Lehensträger, nicht um die Stadtgründer handelt. Die Herzöge von Zähringen erweiterten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Zusammenhang mit ihrer nach Süden orientierten Territorialpolitik die Stadt und erbauten um 1190 das heutige Schloss (Decke des Rittersaals auf 1199 dendrodatiert). 1218 erbten die Grafen von Kyburg Stadt und Schloss von den Zähringern. Um 1250 erstreckte sich die Unterstadt vom Rathausplatz bis zum Berntor. Hartmann V. von Kyburg erteilte Thun 1256 einen Freiheitsbrief und 1264 erhielt die Stadt von Gräfin Elisabeth eine Handfeste. Nachdem Thun 1273 an das Haus Neu-Kyburg gekommen war, befreite Eberhard I. von Habsburg-Laufenburg 1277 die Stadt bis auf 50 Pfund von sämtlichen Steuern. 1315 wird die Stadterweiterung auf der linken Aareseite als «neue Neuenstadt im Bistum Lausanne» erwähnt. Mit diesem Stadtteil, dem Bälliz, erreichte Thun seine bis ins 19. Jahrhundert gültige Ausdehnung. Nach dem Morgartenkrieg schlossen die Thuner 1317 selbstständig Friedensverträge mit den Waldstätten ab. Eberhard II. von Neu-Kyburg, der 1322 seinen Bruder Hartmann II. im Schloss Thun ermordet hatte, verkaufte 1323 die Herrschaftsrechte Thuns und des Äusseren Amts an Bern, um die Stadt vor dem Zugriff Habsburgs zu retten, erhielt sie aber als Lehen wieder zurück. 1363 verpfändeten die Neu-Kyburger ihre Rechte an Österreich. 1375 erwarb Bern das Lehensrecht der Stadt (Landstädte), nach dem Burgdorferkrieg 1384 übernahm es sie endgültig.

Südansicht von Stadt und Schloss Thun. Aquatinta von Jean-François Janinet nach einem Gemälde von Caspar Wolf gedruckt 1785 durch Rudolf Hentzy in den Vues remarquables des montagnes de la Suisse (Privatsammlung).
Südansicht von Stadt und Schloss Thun. Aquatinta von Jean-François Janinet nach einem Gemälde von Caspar Wolf gedruckt 1785 durch Rudolf Hentzy in den Vues remarquables des montagnes de la Suisse (Privatsammlung).

Das Stadtgericht, auch Grafschaft genannt, war durch die Stadtmauern begrenzt und reichte im Westen bis zum ursprünglichen Kanderlauf. Im Stadtgericht besass Thun die niedere und hohe Gerichtsbarkeit, ab 1358 auch die Blutgerichtsbarkeit. Ab 1366 unterstand das Burgernziel, ein ausserhalb der Stadtmauern gelegener Friedensbezirk, ebenfalls dem Stadtgericht. Gericht gehalten wurde ursprünglich vor dem Freienhof, später im Rathaus. Das Hochgericht befand sich unterhalb der Stadt zwischen Allmend und Aare. Ab 1375 setzte Bern den Schultheissen ein, ab 1384 besass es alle Herrschaftsrechte, beliess aber der Stadt die lokale Selbstverwaltung. Die Hoch- und die Blutgerichtsbarkeit wurden von der Stadt und dem Schultheissen gemeinsam ausgeübt. Im Richtungsbrief von 1402 bestätigte Bern Thun seine bisherigen Rechte. Die älteste Stadtsatzung stammt von 1535.

Die Stadtbehörde bestand aus einem Kleinen Rat von zwölf Mitgliedern und einem Grossen Rat, den sogenannten Burgern, mit 60, ab 1764 40 Mitgliedern. Den Vorsitz in beiden Räten führte der Schultheiss, der bei Abwesenheit von einem der beiden Venner – vor 1437 Burgermeister oder Statthalter genannt – vertreten wurde. Die wichtigsten städtischen Ämter waren der Seckelmeister, der Siechenvogt und der Spitalvogt. Letzterer verwaltete auch die Herrschaften des Spitals, Uetendorf und Uttigen.

1376 wurden 23 angesehene Thuner Ausburger der Stadt Bern. Die Stadt nahm 1576-1678 330 neue Burger und 1751-1775 acht Familien ins Burgerrecht auf; in der Zwischenzeit und erneut 1776-1813 war das Burgerrecht geschlossen. Im Heer zogen die Thuner unter eigenem Banner mit den Bernern aus.

Wirtschaft und Verkehr

Wegen seiner verkehrsgeografisch günstigen Lage am See und an der 1766-1772 neu angelegten Landstrasse von Bern ins Oberland war Thun ein wichtiger regionaler Marktort (Stadt Thun und Umgebung, Berner Oberland) mit Wochenmarkt und drei Jahrmärkten (Mai-, Herbst- und Kalte-Markt) sowie ein Lande- und Umschlagplatz im Schiffs- und Flössereiverkehr. Die Lände für grosse Schiffe (Böcke genannt) lag am Seeausfluss bei der Ziegelhütte, jene für kleine beim Freienhof, der Sust. Hier fand das Umladen von der Strasse auf das Schiff statt. Für die Stadt bestimmte Ware kam ins Kaufhaus zur Verzollung und Lagerung, in dem auch die Gebühren für die Benützung der öffentlichen Waage erhoben wurden. Bis 1757 hatte Thun eigene Masse und Gewichte, dann übernahm es jene von Bern. Die Aufsicht über den See und die Seeschifffahrt, verbunden mit der Seegerichtsbarkeit, oblag dem Thuner Schultheissen. Die bernische Obrigkeit reglementierte die Flösserei und den Schiffsverkehr auf dem See und der Aare.

In Thun gab es keine eigentlichen Zünfte, sondern die Gesellschaften zu Oberherren, Niederherren, Bällizer, Metzgern und Pfistern. In den Stuben der Gesellschaften versammelten sich auch die Meister und Gesellen der Handwerke. So nannten sich die Niederherren nach Aufnahme des Schmiedehandwerks neu zu Schmieden und die Bällizer zu Schuhmachern. Den Gesellschaften waren städtische Aufgaben wie das Feuerlöschwesen, die Marktwache sowie die Reisgeldverwaltung und Kontrolle der Militärausrüstung übertragen. Die für alle Handwerke einheitliche Ordnungen wurden von der Stadt erlassen.

Die Handwerker produzierten kaum Exportware, sondern Güter für den täglichen Bedarf von Stadt, Region und Transitverkehr, und betrieben nebenbei Landwirtschaft mit Rebbau. Der Stadt gehörte ausser der Allmend grosser Alp- und Waldbesitz, unter anderem in Goldiwil, Heiligenschwendi, Heimberg, Uetendorf, Längenbühl und im Diemtigtal. Die wichtigsten Rebberge lagen an der Lauenen und im Ried. Zu Thuns Grossgewerbe zählten Ziegeleien und Mühlen. In Hofstetten liess Bern neben der 1437 erstmals erwähnten Ziegelhütte, die ein Stadtlehen war, 1642 und 1760 zwei weitere Ziegelhütten erstellen. Eine Zeit lang bestand in Hofstetten auch eine Glashütte (Glas). Die Mühlen – allesamt Mannlehen – lagen mitten in der Stadt an der Aare. Sie wurden jedoch wie die Sägerei, Schleiferei, Bläue, Walke, Reibe, Stampfe und Ölmühle nach der Ableitung der Kander in den Thunersee 1714 (Gewässerkorrektionen) wegen der erhöhten Wassermengen und der ungenügenden Abflussverhältnisse unbrauchbar. Darauf musste Bern die Wasserwerke erwerben, den Abfluss des Thunersees durch den Ausbau des Stadtgrabens zu einem zweiten Aarearm und durch den Bau von Schleusen verbessern sowie die Betriebe sanieren (Stauwerke). Sie wurden dann verpachtet und später verkauft.

Der Krise des Handwerks Ende des 17. Jahrhunderts begegnete der bernische Kommerzienrat mit der Einführung der Seidenraupenzucht 1692 und der Ansiedlung von Textilbetrieben. Zwischen 1694 und dem ausgehenden 18. Jahrhundert waren verschiedene Manufakturen aktiv.

Kirchen- und Schulwesen

Das Schiff der heutigen Stadtkirche wurde 1738 gebaut, der Turm datiert um 1320-1330. Vorgängerkirchen mit Mauritiuspatrozinium reichen ins 10./11. Jahrhundert zurück. Die ersten bekannten Inhaber des Kirchensatzes waren die Kyburger. Sie übergaben ihn 1265-1271 dem Kloster Interlaken, das bis zur Reformation das kirchliche Leben der Stadtpfarrei bestimmte. Diese Tatsache erklärt wohl auch, weshalb Thun keine Klöster besitzt. Da die Aare die Bistumsgrenze bildete, gehörten die Stadtkirche und die rechtsseitigen Stadteile zum Bistum Konstanz, die linksseitigen zu Lausanne und zur Pfarrei Scherzligen. In der Reformation gingen die Patronatsrechte 1528 an Bern über.

Von mehreren Kapellen ist nur die ehemalige Beinhauskapelle bei der Stadtkirche erhalten. Nach der Reformation umgebaut, dient sie seit 1822 als Sigristenhaus. Gestützt auf 1348-1350 erfolgte Vergabungen richtete die Stadt ihr Spital am Rathausplatz ein. 1352 wird eine Kapelle beim Spital erwähnt. Imer von Zeiningen stiftete 1431 in seinem Haus an der Sinne das Obere Spital. Um 1490 wurden die beiden Spitäler im Haus am Rathausplatz zusammengelegt (1793-1797 Neubau, der nicht mehr als Spital genutzt wurde). Das ausserhalb der Stadt an der Landstrasse nach Bern gelegene Siechenhaus (13. Jh., 1518 Neubau) mit einer Jakobskapelle von 1444 ist 1335/40 erstmals belegt. An seiner Stelle kam 1770 das Waisenhaus zu stehen, das 1806-1930 als Burgerspital diente und seit 1931 als Burgerheim genutzt wird.

1226 wird ein Schulmeister der Lateinschule erwähnt. Die Deutsche Schule wurde 1629 in eine Knaben- und eine Mädchenschule aufgeteilt. Die Kinder der Hintersassen besuchten die Schule in Hofstetten, bis 1809 für sie eine Gemeindeschule im Bälliz eingerichtet wurde.

Thun im 19. und 20. Jahrhundert

Politische Entwicklung seit 1798

In der Helvetische Republik gingen die Aufgaben der ehemaligen Stadtverwaltung an die Munizipalität Thun und die Verwaltungskammer des helvetischen Kantons Oberland über. Thun wurde Hauptort und Regierungssitz des neuen Kantons, der aber schon 1802 wieder mit Bern vereinigt wurde. Gleichzeitig lösten ein Kleine Stadtrat mit 13 Mitgliedern aus den fünf Gesellschaften und ein 40-köpfiger Grosser Stadtrat, die beide unter der Leitung der Venner tagten, die helvetische Stadtverwaltung wieder ab. Mit der Schaffung der Einwohnergemeinde 1831 trat eine neue Stadtverfassung in Kraft. Die Gemeindeversammlung wurde 1919 durch einen Stadtrat (Legislative) mit 30 (seit 1920 40) Mitgliedern ersetzt. Der Gemeinderat (Exekutive) zählte sieben (seit 2001 fünf) Mitglieder (Gemeindebehörden). Die Vermögensausscheidung zwischen Einwohner- und Burgergemeinde erfolgte 1862. Von 1831 bis 2009 war Thun Hauptort des gleichnamigen Bezirks.

1913 wurde Goldiwil auf Antrag der Bewohner Nid dem Wald (Lauenen, Hofstetten, Ried) eingemeindet, während der Teil Ob dem Wald auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch eine selbstständige Schulgemeinde bildete. 1920 schloss sich Strättligen aus wirtschaftlichen Gründen der Stadt an. Die Burgergemeinden Thun und Strättligen blieben jedoch eigenständig, während sich die fünf evangelisch-reformierten Kirchgemeinden Stadt, Strättligen, Goldiwil, Schwendibach, Lerchenfeld und Paroisse française zu einer Gesamtkirchgemeinde vereinten. Zu dieser zählten die Kirchen Allmendingen (1995), Chapelle romande (1951), Gwatt (1956), Goldiwil (1950), Johannes (1967), Lerchenfeld (1951), Markus (1922 bzw. 1967), Scherzligen (erwähnt 762, erhaltene Mauern aus dem 10./12. Jh.), Schönau (1958) und die Stadtkirche (älteste Mauern aus dem 10. Jh.). Seit 1917 existiert eine selbstständige katholische Pfarrei, seit 1940 eine Kirchgemeinde mit den beiden Pfarreien St. Marien (Kirche von 1892, Neubau 1951-1953) und St. Martin (Kirche von 1969-1971). Die christkatholische Kirchgemeinde mit der Kirche von 1946 (ehemalige Englische Kirche von 1840) umfasst die Verwaltungskreise des Oberlandes und Thuns sowie elf politische Gemeinden des Verwaltungskreises Bern-Mittelland.

Fremdenverkehr

Wer zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Berner Oberland bereiste, startete meistens von Thun aus. Mit dem Göttibachbad 1805, der Schwäbisallee 1813-1828, der Ziegenmolkenkuranstalt 1818, dem Jakobshübeli-Pavillon 1819 und dem Rigipanorama 1825 entstanden in der Stadt erste touristische Einrichtungen. In Basel warb ab 1814 Marquard Wochers Panorama von Thun. In den 1830er Jahren setzte der Bau von Hotels und Pensionen ein, so mit den Hotels Falken 1830, Bellevue mit Ländtehaus und Du Parc 1831-1840. Um 1825 wurde die Pension Baumgarten eröffnet (ab 1899 Hotel Baumgarten-Viktoria), 1839 die Pension Bellerive und 1858 die Pension Itten (Gastgewerbe). Eine zweite Bauwelle geriet wegen der Wirtschaftskrise der 1870er Jahre ins Stocken: Das Seefeld wurde zwar ab 1870 erschlossen, doch das 1862 projektierte Touristenquartier kam nicht zustande. Stattdessen wurden Villen gebaut und das geplante Luxushotel, der Thunerhof, auf der gegenüberliegenden Aareseite errichtet und 1875 eröffnet. Ausdruck des wirtschaftlichen Aufschwungs ab den 1890er Jahren waren die Eröffnung des Verkehrsbüros am Rathausplatz 1892, die Gründung des Verkehrsvereins 1894, der Bau des Kursaals 1896 sowie der Hotels Beau-Rivage 1905 und National 1910. Das Ausbleiben der Touristen mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte der traditionellen Hotellerie zu, die seit den 1920er Jahren vor allem vom Passantenverkehr lebte. Dies zwang die Stadt 1942 zum Kauf der Hotels Thunerhof, Bellevue und Du Parc. Das Bellevue wurde weiterhin als Hotel geführt, in den Thunerhof zog unter anderem die Stadtverwaltung ein, das Du Parc wurde zur Festungswachtkaserne. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erholte sich die Hotellerie und es wurden die Hotels Freienhof 1958, Elite 1963, Krone 1972, Holiday 1972, Alpha Sommerheim 1987 und Seepark 1989 gebaut.

Mit der Entwicklung des Fremdenverkehrs ging der Ausbau der Verkehrswege und -mittel einher. Als Erstes wurden die Hauptstrassen und das Postkutschenangebot Richtung Bern (1766-1772), Westamt (1810), Simmental (1822) und Steffisburg (1853-1855) ausgebaut. Gegen Widerstände der traditionellen Schifffahrt führten die Brüder Knechtenhofer 1835 die Dampfschifffahrt ein. Grössere Auswirkungen zeitigte der Bau der Bahnlinie Bern-Thun (1859) mit dem Bahnhof vor der Allmendbrücke. Es folgten 1861 die Verlängerung der Bahn bis Scherzligen mit direktem Schiffsanschluss, 1893 die Eröffnung der Thunersee-, 1899 der Burgdorf-Thunbahn und 1902 der Gürbetalbahn sowie 1913 der Trambahn Steffisburg-Thun-Interlaken. Die neuen Linien einschliesslich der Lötschbergbahnstrecke (1913 Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn BLS) erforderten die Neuanlage des Bahnhofs Thun, der 1923 nach langer Diskussion am heutigen Standort in Nachbarschaft zum neuen Hafen am Schiffskanal (1926) gebaut wurde. Die Zunahme des motorisierten Verkehrs ab 1960 und der Anschluss an die Autobahn A6 1971 führten zum Bau von Strassen, Umfahrungen und Parkhäusern im Zentrum. Der 1915 angelegte Militärflugplatz dient seit 1956 als privater Zivilflugplatz (Flugplätze).

Waffenplatz und eidgenössische Betriebe

1819 nahm die Eidgenössische Militärschule in Thun ihre Tätigkeit auf mit Kursen für die Kader von Artillerie und Genie, ab 1828 auch für Generalstabsoffiziere sowie die Kader von Infanterie, Kavallerie und Scharfschützen. Als Kaserne diente das ehemalige Kornhaus im Bälliz, als Theoriesaal das Salzmagazin beim Freienhof. 1826-1852 wurden in Thun sechs eidgenössische Übungslager durchgeführt. 1841 erwarb der Bund grosse Teile der Allmend als Übungsgelände (Waffenplätze). Die Eidgenössische Pferderegieanstalt wurde 1850 in der 1841 und 1846 durch die Burgergemeinde für das Militär erstellten Reitschule untergebracht und 1891 in den Schwäbis verlegt. 1863-1864 errichtete der Bund eine neue Kaserne am Rand der Allmend. 1921 nahm der Armee-Motorfahrzeugpark den Betrieb auf. 1938 erbaute die Stadt die Dufourkaserne, 1974-1989 entstanden die grossen Ausbildungsanlagen für die Mechanisierten und Leichten Truppen. Der Waffenplatz, früher Hauptausbildungsstätte der Artillerie, beherbergte zu Beginn des 21. Jahrhunderts das grösste Armeelogistik-Center der Schweiz, das Kommando Lehrverband Logistik (Truppenhandwerkerausbildung, Truppenkoch- und Küchenchefausbildung, Kompetenzzentrum Fahrausbildung der Armee), das Kompetenzzentrum C4ISTAR (u.a. Führungsinformationssystem des Heers), das Kompetenzzentrum für Kampfmittelbeseitigung und humanitäre Minenräumung sowie einen Teil der Fachausbildung für die ABC-Truppen. Der Waffenplatz Thun ist der älteste und bedeutendste der Schweiz.

Die Errichtung der Kaserne, eines Feuerwerk-Laboratoriums einer mechanischen Reparaturwerkstätte und eines Eidgenössischen Zeughauses leiteten einen wirtschaftlichen Aufschwung ein: Die Betriebe, 1872 in Eidgenössische Munitionsfabrik und Eidgenössische Konstruktionswerkstätte umbenannt (seit 1999 Ruag), entwickelten sich zu den wichtigsten Arbeitgebern der Region. Sie stellten vor allem Geschütze und Panzer, 1915-1943 auch Flugzeuge her. 2011 beschäftigten die militärischen Kommandostellen und das Armeelogistik-Center 1050 Personen, die Armasuisse und die Ruag zusammen 1020, auf dem Waffenplatz angesiedelte private Firmen weitere rund 1100.

Bis nach 1880 prägte das Kleingewerbe die städtische Wirtschaft. 1826 wurde die Amtsersparniskasse (heute AEK Bank 1826) gegründet, 1861 der Handels- und Industrieverein, 1878 der Handwerkerverein und der Kaufmännische Verein. Thun war 1872-1875 Sitz der eidgenössische Milchversuchsstation. Die 1890 von Eduard Johann Hoffmann eröffnete Kartonagefabrik (heute Hoffmann Neopac) und die 1895 gegründete Metallwerke von Gustav Selve (Selve) wandelten sich von Zulieferern der Militärbetriebe zu Spezialisten der Verpackungsindustrie bzw. der Buntmetall-Halbzeugfabrikation (Betrieb 1993 eingestellt). 1911-2010 produzierte die Fabrik von Walter Gerber nach einem eigenen Verfahren Schmelzkäse. Neue Betriebe vor allem der Metall- und Maschinenbranche siedelten sich nach dem Ersten Weltkrieg an (1919 und 1943 Maschinen-, 1924 Turmuhren-, 1925 Uhrensteinfabrik). Dennoch verfügte Thun 2005 im Dienstleistungbereich über ein grösseres Arbeitsplatzangebot als im Industriesektor.

Stadtentwicklung

Stadtentwicklung von Thun 1850-2016
Stadtentwicklung von Thun 1850-2016 […]

Der Wandel von der mittelalterlichen zur modernen Stadt setzte mit der Öffnung Thuns nach aussen ein: Ab 1807 wurden die Stadttore abgebrochen und ab 1843 die Brücken erneuert. Hofstetten, ein ehemaliges Gewerbe- und Hafenquartier, richtete sich ab 1834 auf den Tourismus aus. Erste Aussenquartiere entstanden nahe der Kaserne und längs der Ausfallstrassen (Mittlere Strasse, Länggasse). Der Schwerpunkt des Wohnungsbaus lag in den 1950er Jahren im Westquartier und verlagerte sich nach 1960 nach Strättligen (Dürrenast, Neufeld). Ab den 1970er Jahren wurden in unmittelbarer Stadtnähe die Grossüberbauungen Burgzentrum, Aarezentrum und ab 2000 Aarefeld/Manorplatz sowie Gaswerk- und Selveareal erstellt. Die Industrie siedelte sich zuerst in der Nähe des Waffenplatzes und alten Bahnhofs an der Allmend- und Scheibenstrasse, dann im Westquartier an, später im Raum Gwatt, Schoren und Allmendingen. Städtebauliche Akzente setzten Schulhäuser, Kirchen und Einkaufszentren. Die städtische Infrastruktur wurde hauptsächlich nach 1850 angelegt: 1891-1892 Post im Bälliz, 1981-1982 Neubauten des Telefonhauptamts und Postbetriebszentrums, 1862 Gaswerk (1981 stillgelegt), 1981 Gasverbund und Anschluss an Erdgasnetz, ab 1870 Wasserversorgung, 1896 Elektrizitätswerk mit Ausbau 1962 als Aarewerk.

Soziale und kulturelle Aufgaben

Viehmarkt vor der Stadtmauer von Thun, um 1935. Fotografie von Paul Senn (Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Bern) © Gottfried Keller-Stiftung.
Viehmarkt vor der Stadtmauer von Thun, um 1935. Fotografie von Paul Senn (Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Bern) © Gottfried Keller-Stiftung. […]

Das Wachstum trug der Stadt zahlreiche Aufgaben im sozialen und kulturellen Bereich ein. Regional konzipiert sind einige grössere Institutionen, vor allem das Regionalspital (gegründet 1855 als Notfallstube, ab 1873 Bezirksspital, 1960-1965 und 1983-1987 Neubauten, seit 2002 Spital Simmental-Thun-Saanenland STS AG) sowie private und städtische Altersheime (1970-1975 Sonnmatt, 1975 Falken, 1984 Martinzentrum, 2008 Hohmadpark) und das 1959 gegründete Schweizerische Wohn- und Arbeitsheim für körperlich Schwerbehinderte mit Eingliederungsstätte im Gwatt. Regionale Aufgaben übernahm Thun auch im Schulwesen mit Progymnasium (1838) und Gymnasium (1953), Gewerbeschule (1859 als Handwerkerschule gegründet, Gewerblich Industrielle Berufsfachschule), Mädchensekundarschule (1869-1880), Kaufmännische Schule (1895, heute Wirtschaftsschule), staatliches Seminar (1918-2000), Musikschule (1973) und Handelsmittelschule (1980). Die Gemeinde Thun zählte 2011 13 Primar- und vier Oberstufenschulen. Kulturelle Institutionen mit Vereins- und privater Trägerschaft waren bzw. sind der Männerchor (1829), das Collegium musicum (1668-1863), die Allgemeine Orchestergesellschaft (1942) und die Schlosskonzerte (1968). Die Kunstgesellschaft (1922) und lokale Theatergruppen organisieren Theateraufführungen, im Schadausaal (KKThun) und im Kleintheater Alte Öle werden Gastspiele dargeboten. Thun besitzt mehrere Museen, darunter das Schlossmuseum (1888), das Städtische Kunstmuseum im Thunerhof (1948), das Gastronomiemuseum im Schloss Schadau (1988) und das Thun-Panorama von Marquard Wocher im Schadaupark (1961), ausserdem die Stadtbibliothek (1785) und zwei Archive, das Burgerarchiv im Rathaus und das Stadtarchiv im Verwaltungsgebäude an der Industriestrasse. Zu den ältesten Vereinen zählen die Stadtschützen (erwähnt 1535), der Turnverein (1839), die Sektion Blümlisalp (1874) des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) und der Fussballclub (1898). Das Strandbad in der Lachen wurde 1923, das Fussballstadion Lachen 1951 und beim Autobahnanschluss Thun Süd die Arena Thun 2011 eröffnet, ferner bestehen seit 1959 die Kunsteisbahn und seit 1969 die zentrale Schiessanlage Guntelsey. Zum Thuner Brauchtum gehört im Herbst der Ausschiesset des Kadettenkorps und der Schützengesellschaften, an dem der Fulehung auftritt, ein Narr mit Teufelsmaske. Einen Höhepunkt bildet das Gesslerschiessen der bereits im 16. Jahrhundert erwähnten Knabenarmbrustschützen, denen heute auch Armbrustschützinnen angehören.

Quellen und Literatur

  • Haas, Hugo: Die Entwicklung der Stadt Thun. Beiträge zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie der Stadt Thun, 1926.
  • Bernischer Lehrerverein Thun; Heimatkundekommission (Hg.): Das Amt Thun. Eine Heimatkunde, 1943.
  • Schwab; Hanni; Michel, Franz et al.: Ur- und Frühgeschichte der Gemeinde Thun, 1964.
  • Krebser, Markus; Küffer, Peter: Mein liebes Thun. Ein Rundgang vor hundert Jahren, 1980 (19994).
  • KüfferPeter: Thun. Geschichtliche Zusammenfassung von einst bis heute, 1981.
  • Hochuli, Stefan; Niffeler, Urs; Rychner, Valentin: Bronzezeit, 1998 (Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter, 3).
  • Dubler, Anne-Marie: Die Region Thun-Oberhofen auf ihrem Weg in den bernischen Staat (1384-1803), 2004 (Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 66/2).
  • Martin-Kilcher, Stefanie; Schatzmann, Regula et al. (Hg.): Das römische Heiligtum von Thun-Allmendingen, die Regio Lindensis und die Alpen, 2009 (Schriften des Bernischen Historischen Museums, 9).
  • Stadtverwaltung Thun (Hg.): Thun – die Stadt, 2011 (Ausgabe für 2011-2015, erscheint ca. alle 4 Jahre).
Von der Redaktion ergänzt
  • Bähler, Anna; Egli, Anita; Lüthi, Christian (Hg.): Thuner Stadtgeschichte 1798-2018. Attraktive Stadt, regionales Zentrum, nationaler Waffenplatz, 2018.
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
1133: Tuno
Endonyme/Exonyme
Thoune (französisch)
Thun (deutsch)
Thuno (italienisch nicht mehr gebräuchlich)

Zitiervorschlag

Felix Müller (Bern); Peter Küffer: "Thun (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000541/2013-12-18/, konsultiert am 28.03.2024.