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Geistiges Eigentum

Der Begriff geistiges Eigentum gilt als Oberbegriff und juristisch neutrale Bezeichnung für das Immaterialgüterrecht: Geistiges Eigentum ist die Besitz-, Verfügungs- und Nutzungsgewalt über Geisteswerke, d.h. über unkörperliche (immaterielle) Güter, das Eigentum dagegen über körperliche oder Sachgüter. Unter dem Geistigen sind heute das Urheber-, Patent-, Design-, Sortenschutz- und Markenrecht (Warenmarken) erfasst. Der Ende des 18. Jahrhunderts entstandene Begriff des geistigen Eigentums wurde im 19. Jahrhundert von der deutschen Rechtswissenschaft als unjuristisch abgelehnt und durch Urheberrecht und Immaterialgüterrecht ersetzt, gelangte aber nach 1950 über den im Völkerrecht üblichen englischen Begriff (intellectual property) wieder zu Ehren.

Schutzwürdigkeit kam bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts fast ausschliesslich dem Sacheigentum zu. Am frühesten genoss der Buchdruck einen beschränkten Schutz vor Nachdrucken durch obrigkeitliche Druckprivilegien; geschützt wurde Verleger-, nicht Autoreneigentum. Während in der allerdings nicht in Kraft getretenen Frankfurter Reichsverfassung von 1849 das geistige Eigentum bereits als Grundrecht verankert wurde, begegnete dessen Schutz in der Schweiz weiterhin Widerständen.

Im Vordergrund stand der Schutz des gewerblichen und industriellen geistigen Eigentums – Erfindungs-, Muster- und Modellschutz –, doch scheiterten parlamentarische Motionen und Anträge sowie Versuche, den Schutz der technisch-gewerblichen Erfindungen mit jenem des literarischen und künstlerischen Eigentums gesetzlich (1854) oder in der Bundesverfassung (1874) zu verankern. Promotoren des Erfindungsschutzes waren vor allem die Stickerei- und die Uhrenindustrie, Gegner die chemische und die Textilindustrie. Der gesamtschweizerischen Regelung widersetzten sich die Kantone, die einen Eingriff in ihre Souveränität befürchteten.

Doppelseite aus dem Register des Eidgenössischen Amts für Fabrik- und Handels-Marken für die Jahre 1880-1881, aus Schweizerische Fabrik- und Handels-Marken, Bern 1882, S. 18-19 (Universitätsbibliothek Bern).
Doppelseite aus dem Register des Eidgenössischen Amts für Fabrik- und Handels-Marken für die Jahre 1880-1881, aus Schweizerische Fabrik- und Handels-Marken, Bern 1882, S. 18-19 (Universitätsbibliothek Bern). […]

Erst als der Schutz des industriellen Eigentums ab 1873 zum internationalen Anliegen wurde, kamen die Fronten ins Wanken. Die Schweiz war von Anfang an massgeblich beteiligt und 1883 unter den elf ersten Signatarstaaten der Internationalen Konvention zum Schutze des industriellen Eigentums (Pariser Konvention), die 1884 in Kraft trat, und sie arbeitete an der Schaffung des Copyright-Zeichens (©) zum Schutz des literarischen und künstlerischen Eigentums mit (Berner Konvention 1886). Bei den verschiedenen Revisionen der Bundesverfassung kam dem Bund schrittweise die Gesetzgebung in unterschiedlichen Sparten des geistigen Eigentums zu: 1874 Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst (Artikel 64 alte Bundesverfassung), 1887 Schutz der Muster und Modelle und von Erfindungen, die durch Modelle dargestellt und gewerblich verwertbar sind (Artikel 64 alte Bundesverfassung), 1905 Schutz gewerblich verwertbarer Erfindungen mit Einschluss der Muster und Modelle (Artikel 64 Absatz 1 Lemma 4 alte Bundesverfassung). Die 1969 eingefügte Eigentumsgarantie (Artikel 22ter alte Bundesverfassung) erstreckte sich auch auf geistiges Eigentum wie Muster, Erfindungen, Modelle und Marken. Die geltende Eigentumsgarantie (Artikel 26 Bundesverfassung 1999) verzichtet auf Erläuterungen.

1888 errichtete der Bund das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum mit Sitz in Bern, 1979 umbenannt in Eidgenössisches Bundesamt für Geistiges Eigentum (BAGE), ab 1896 im Justiz- und Polizeidepartement, zur Vorbereitung und Vollziehung der entsprechenden Bundesgesetze und zur Überwachung des Vollzugs von internationalen Verträgen. Die einfachere Reproduzierbarkeit von Geisteswerken, ab den 1990er Jahren vielfach gesteigert durch elektronische Datenverarbeitung (Daten) und Internet, zwangen zu immer umfassenderem Schutz. 1996 wurde das BAGE zur selbstständigen öffentlich-rechtlichen und betriebswirtschaftlich autonomen Anstalt, dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE), umstrukturiert. Dessen Auftrag besteht darin, den Schutz des geistigen Eigentums über das Patent-, Marken-, Design- und Urheberrecht vermehrt auf Bedürfnisse der Wirtschaft auszurichten und die Schweiz bei den internationalen Organisationen zu vertreten. Zum Angebot zählen vielfältige Dienste wie Recherchen, Monitoring, Schulung, Workshops und Datenbanken. Private Verwertungsgesellschaften unter Bundesaufsicht schützen die Urheberrechte und erheben Gebühren für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in der Öffentlichkeit: für musikalische Werke die Suisa (gegründet 1924), für Literatur, Fotografie und bildende Kunst ProLitteris (1974), für audiovisuelle Werke die Suissimage (1981). 1996 richtete die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich ein Nachdiplomstudium für geistiges Eigentum ein.

Aus ihrer internationalen Tätigkeit zum Schutz des geistigen Eigentums erwuchs der Schweiz der Sitz der internationalen Organisation: Die 1893 aus der Fusion von Büros der Pariser und Berner Konvention entstandenen Vereinigten Internationalen Büros zum Schutz des geistigen Eigentums hatten ihren Sitz in Bern. 1960 erfolgte der Umzug nach Genf, 1970 wurden sie aufgrund der entsprechenden internationalen Konvention von 1967 zur Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit 184 Mitgliedstaaten (2008).

Quellen und Literatur

  • Furrer, Alfred (Hg.): Volkswirtschafts-Lexikon der Schweiz. Urproduktion, Handel, Industrie, Verkehr etc., Bd. 1, 1885-1887, S. 572-588, 704-705, 761-765; Bd. 2, 1887-1889, S. 342-355.
  • Reichesberg, Naum (Hg.): Handwörterbuch der Schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 1, 1903, S. 849-857.
  • Bundesamt für Geistiges Eigentum (Hg.): 100 Jahre Bundesamt für geistiges Eigentum, 1888-1988, 1988.
  • Rigamonti, Cyrill P.: Geistiges Eigentum als Begriff und Theorie des Urheberrechts, 2001.
  • Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (Hg.): Das Urheberrecht im digitalen Zeitalter. Highway oder Sackgasse? Fakten und Meinungen, 2006.
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Geistiges Eigentum", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/048078/2021-01-26/, konsultiert am 16.04.2024.