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RobertGrimm

Robert Grimm (links) in der kriegswirtschaftlichen Administration im Gespräch mit einem Beamten. Fotografie von Theo Frey, um 1944 (Schweizerische Nationalbibliothek, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Frey).
Robert Grimm (links) in der kriegswirtschaftlichen Administration im Gespräch mit einem Beamten. Fotografie von Theo Frey, um 1944 (Schweizerische Nationalbibliothek, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Frey).

16.4.1881 Wald (ZH), 8.3.1958 Bern, reformiert, später konfessionslos, von Hinwil und Bern. Sohn des Albert, Fabrikschlossers, und der Louise geborene Kunz, Weberin. 1) 1908 Rosa Reichesberg geborene Schlain (->), aus Odessa, 2) 1919 Jenny Kuhn, Tochter des Gustav Adolf, Arztes. Robert Grimm besuchte die Sekundarschule und machte 1895-1898 eine Buchdruckerlehre in Oerlikon. Als Typograf und Maschinenmeister begab er sich auf die Handwerkswanderschaft in der Schweiz, in Deutschland (1905-1906 in Berlin), Frankreich, Österreich und Italien. 1906-1909 arbeitete er als Sekretär des Arbeiterbundes Basel und parallel dazu 1907-1909 als erster Sekretär des Verbandes der Handels- und Transportarbeiter, den er mitgegründet hatte. 1909-1918 wirkte er als Chefredaktor der "Berner Tagwacht". Im Nebenamt versah er 1939-1946 die Leitung der Sektion Kraft und Wärme innerhalb der kriegswirtschaftlichen Administration. 1946-1953 war er Direktor der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS).

1907-1909 sass Grimm im Grossrat von Basel-Stadt, 1909-1918 im Berner Stadtrat, 1910-1938 im Berner Grossrat, 1911-1919 und 1920-1955 im Nationalrat (für Zürich, ab 1920 Bern, 1926 als Vizepräsident nicht zum Präsidenten gewählt, 1946 Präsident), wo über 100 parlamentarische Vorstösse seine Handschrift trugen. 1918-1938 amtete er als Berner Gemeinderat (Direktor der industriellen Betriebe) und 1938-1946 als erster sozialdemokratischer Regierungsrat (Bau- und Eisenbahnwesen). Ab 1899 gehörte er dem Typographenbund und der Sozialdemokratischen Partei (SP) an. 1911-1943 präsidierte er die SP des Kantons Bern (in der Geschäftsleitung bis 1958), 1915-1917 und 1919-1936 war er in der Geschäftsleitung der SP Schweiz und 1936-1945 hatte er das Fraktionspräsidium inne. Er sass im Verwaltungsrat verschiedener Transport- und Kraftwerkunternehmungen sowie im Verwaltungsrat diverser Verkehrsverbände.

Neben Herman Greulich war Grimm die markanteste und zugleich umstrittenste Persönlichkeit der schweizerischen Arbeiterbewegung. Ausgehend von den Frühsozialisten rezipierte er das Gedankengut von Karl Marx und sorgte mit seiner Schrift über den Massenstreik 1906 für erstes Aufsehen. 1912 vertrat er die SPS-Führung im Zürcher Generalstreik, 1907, 1910 und 1912 die Partei an den Kongressen der Zweiten Internationale, wo er ab 1912 dem Internationalen Sozialistischen Büro angehörte. Nach deren Zerfall infolge der Burgfriedenspolitik von 1914 organisierte er 1915 bzw. 1916 die Konferenzen von Zimmerwald und Kiental, auf der sich die sozialistischen Kriegsgegner trafen (Zimmerwalder Bewegung, Kientaler Konferenz). Zu Lenin hatte er ideologisch und persönlich ein gespanntes Verhältnis. Grimm gewann in der sich radikalisierenden Arbeiterschaft an Gewicht, erlitt aber wegen der Grimm-Hoffmann-Affäre 1917 vorübergehend einen Rückschlag. Bereits Anfang 1918 stand er mit dem von ihm ins Leben gerufenen Oltener Aktionskomitee wieder im Zentrum der schweizerischen Politik. Als dessen Präsident verfasste er 1918 den Aufruf zum Landesstreik und übernahm den Vorsitz der Streikleitung. Die deswegen von einem Militärgericht über ihn verhängte sechsmonatige Gefängnisstrafe nutzte er zur Niederschrift seiner "Geschichte der Schweiz in ihren Klassenkämpfen". 1920 lehnte die SPS unter seinem Einfluss den Beitritt zur Dritten Internationale ab, blieb aber in ihrem von Grimm verfassten neuen Parteiprogramm dem Klassenkampf treu. Die Integration in das politische System der Schweiz erfolgte erst in der reformistischen Programmrevision von 1935 unter dem Eindruck der faschistischen Bedrohung; am Bekenntnis zur Demokratie und zur Landesverteidigung hatte Grimm wiederum massgeblichen Anteil. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte er sich gegen die völlige Eingliederung in die bürgerliche Front des Kalten Krieges. Mit seiner weiterhin marxistisch geprägten Kritik am Kapitalismus und an der Politik der USA isolierte er sich politisch und geriet in den Verdacht, ein Krypto-Kommunist zu sein.

In seinen eigenen Reihen galt Robert Grimm als selbstbewusst, ehrgeizig, autoritär und nicht frei von Widersprüchen. Das Bürgertum sah in ihm lange bloss den Revolutionär und Antimilitaristen, erst später den Arbeitersohn mit proletarischem Klassenbewusstsein, der sich über einen pragmatischen Umgang mit den marxistischen Prinzipien zum Sozialdemokraten und Staatsmann entwickelte.

Quellen und Literatur

  • Teilnachlässe in: BAR, Internat. Institut für Sozialgesch., Amsterdam, und Sozarch
  • Robert Grimm, hg. von O. Kunz et al., 1958, (mit Werkverz.)
  • W. Gautschi, Der Landesstreik 1918, 1968
  • C. Voigt, Robert Grimm, 1980
  • O. Scheiben, Krise und Integration, 1987
  • A. McCarthy, Robert Grimm, 1989
  • B. Degen, «Robert Grimm (1881-1958)», in Lebensbilder europ. Sozialdemokraten des 20. Jh., hg. von O. Dankelmann, 1995, 187-201
  • C. Arni, «Robert Grimms Befreiungsschlag», in Traverse, 2000, H. 1, 109-124
  • Robert Grimm, hg. von B. Degen et al., 2012
Weblinks
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VIAF

Zitiervorschlag

Peter Stettler: "Grimm, Robert", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.11.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/004516/2017-11-23/, konsultiert am 19.03.2024.