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Technokratie

Der Begriff Technokratie wurde in den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die von zahlreichen Ingenieuren unterstützte Bewegung der technocrats in den USA geprägt. Als geistesgeschichtliche Strömung lässt sich Technokratie jedoch über den Taylorismus und Claude Henri de Saint-Simon im 19. Jahrhundert bis zu Francis Bacon im frühen 17. Jahrhundert oder sogar noch weiter zurückverfolgen. Die politische Intention dieser Bewegung zielte auf die Abschaffung der Politik und des Preissystems ab, an deren Stelle das Befolgen von Sachgesetzlichkeiten zu treten hätte. Diese ursprüngliche Absicht der fortschrittsgläubigen Anhänger der Technokratie rief heftige Abwehrreaktionen hervor (Fortschritt). So bekämpfte die Kulturkritik nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert diese technokratische Rationalisierungsideale mit grösster Vehemenz: Das drohende Zeitalter der Herrschaft der Maschine schien ihr das gesamte expressive menschliche Vermögen schlechthin vernichten zu können. Technokratische Auffassungen schienen im 19. wie auch im 20. Jahrhundert in der Regel vor allem nach politischen oder wirtschaftlichen Krisen und Katastrophen vermehrten öffentlichen Anklang zu finden, während ihre kulturkritische Bekämpfung verstärkt im Gefolge wirtschaftlichen Wachstums- und Modernisierungsprozesse zu verzeichnen ist. Insbesondere die von Deutschland beeinflusste Kulturkritik in der Deutschschweiz hat nach der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg Forschrittsglauben und positivistisches Wissenschaftsverständnis (Positivismus) zunehmend in Frage gestellt. Die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg ankündigende soziale und politische Krise des schweizerischen Bundesstaats erschütterte das Monopol des Freisinns auf den Anspruch sozialer, politischer und wirtschaftlicher Fortschrittlichkeit. Die Anhänger technokratischer Konzepte hielten in der Zwischenkriegszeit zwar mehrheitlich an ihrer betont unpolitischen Haltung fest, eine Minderheit liess sich indessen auf den Versuch neuer politischer Allianzen auch mit kommunistischen oder rechtsextremen Ideologien ein.

In der Schweiz gewann nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise unter anderem die von Hendrik De Man angeführte technokratisch geprägte Bewegung des Planisme Einfluss. Diese Bewegung erteilte dem orthodoxen Liberalismus wie auch dem orthodoxen Sozialismus und Kommunismus eine Absage und forderte die Verstärkung des Einflusses von Experten und Fachleuten auf politische Entscheidungen. In der Schweiz wurde dieses Gedankengut namentlich in der von der SP lancierten Kriseninitiative wie auch vom Plan der Arbeit aufgegriffen. Diesen Projekten lag die Vision einer wirtschaftlich krisenfreien, politisch und insbesondere auch sozial richtig regulierten Gesellschaft zugrunde. Die starke Technik- und Fortschrittsbegeisterung der 1950er und 1960er Jahre war in vielen europäischen Ländern, so auch in der Schweiz, von einer starken Zunahme wissenschaftlicher Politikberatung begleitet. In den 1970er Jahren gewann eine auch von der Studentenbewegung getragene Kritik an der angeblich verwalteten, technokratisch verformten Gesellschaft wieder vermehrt Einfluss in der Öffentlichkeit. Das 1975 erfolgte Scheitern des neuen Konjunkturartikels der Bundesverfassung am Ständemehr markierte zudem eine wirtschaftspolitische Wende. Die neoliberalen Anhänger einer von technokratischer Planung (Planwirtschaft) und staatlicher Intervention befreiten spontanen Ordnung des Marktes gewannen auch in der Politikberatung ihren verlorenen Einfluss zurück.

Quellen und Literatur

  • P. Morandi, «Die Entstehung eines neuen wirtschafts- und sozialpolit. Leitbildes in der Schweiz der 1930er Jahre und die ordnungspolit. Debatte der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung», in Werkstatt Bundesverfassung, 1998, 197-250
Weblinks

Zitiervorschlag

Pietro Morandi: "Technokratie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.08.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/044246/2012-08-14/, konsultiert am 28.03.2024.