HenriDruey

12.4.1799 Faoug, 29.3.1855 Bern, reformiert, von Faoug. Waadtländer Staatsrat, Vordenker des Radikalismus in seinem Kanton, Vertreter an der eidgenössischen Tagsatzung und Mitglied des ersten Bundesrats.

Porträt von Henri Druey. Öl auf Leinwand von Marc-Louis Arlaud, zwischen 1830 und 1845, 48 x 65,5 cm (Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne, Don du Conseil d'Etat, 1857, Inv. 1050) © Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne.
Porträt von Henri Druey. Öl auf Leinwand von Marc-Louis Arlaud, zwischen 1830 und 1845, 48 x 65,5 cm (Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne, Don du Conseil d'Etat, 1857, Inv. 1050) © Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne. […]

Henri Daniel Druey wurde in Faoug in einer Bauernfamilie geboren, die vom 16. bis Mitte des 18. Jahrhunderts das Meieramt des Dorfes bekleidet hatte. Für eine politische Karriere sprach nur wenig. Seine Eltern Jean-Daniel Druey und Suzanne-Catherine Langel führten die Dorfherberge und hatten sechs Kinder. Druey absolvierte seine Primar- und Sekundarschulausbildung in Faoug, Murten und Avenches. Anschliessend wechselte er ans Loder-Institut in Bern. Es folgte eine Anstellung in einem Notariat in Lucens und der Erwerb eines Fähigkeitsausweises. In Lucens von Pfarrer Henri Piguet ermutigt, trat Druey 1818 in die Akademie von Lausanne ein und erhielt 1820 das Lizenziat in Rechtswissenschaften. Seine Ausbildung vervollständigte er 1820-1824 durch Studien in Rechts- und Geisteswissenschaften an den deutschen Universitäten Tübingen, Heidelberg (Mitglied einer Burschenschaft), Göttingen und Berlin. In Berlin besuchte Druey Vorlesungen von Karl von Savigny sowie im Besonderen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dessen Philosophie einen entscheidenden Einfluss auf sein politisches Denken ausübte. Nach einem Semester in Paris 1824 unternahm er 1825 eine Studienreise nach England und Schottland. Er absolvierte 1826 in Lausanne ein Anwaltspraktikum und eröffnete 1828 nach Erhalt seines Patents eine Kanzlei in Moudon. Druey heiratete 1830 Caroline-Françoise-Louise Burnand, die für legitim erklärte Tochter des Charles-Henri Burnand, des ehemaligen Syndic, Grundbesitzers und Mitglieds einer einflussreichen Familie von Moudon, und der Jeanne-Louise Légeret. Seine Frau, eine Cousine von Charles Burnand, starb 1843; das Paar war kinderlos geblieben.

Porträt von Henri Druey. Reproduktion auf der Grundlage einer alten Fotografie von 1839-1849, 17 x 11 cm (Musée historique de Lausanne, P.1.P.1. Druey Henri.001).
Porträt von Henri Druey. Reproduktion auf der Grundlage einer alten Fotografie von 1839-1849, 17 x 11 cm (Musée historique de Lausanne, P.1.P.1. Druey Henri.001).

Drueys politische Karriere begann 1828 mit der Wahl in den Grossen Rat des Kantons Waadt. Ab 1830 wirkte er als Richter am Berufungsgericht in Lausanne. Nach der liberalen Revolution von 1830 beteiligte er sich als Mitglied des Verfassungsrats an der Ausarbeitung der Verfassung von 1831. Im selben Jahr wurde er in den Waadtländer Staatsrat gewählt (Kantonsregierungen); dieses Amt übte er bis zu seiner Wahl in den Bundesrat 1848 aus. Allmählich entfernte er sich von den Liberalen, denen er ihre Politik des Juste-Milieu vorwarf. Als Vertreter des linken Flügels war Druey dem aufkommenden Radikalismus zugetan und er plädierte für einen starken, auf der Volkssouveränität beruhenden Staat. 1832 wurde er zusammen mit Charles Monnard zum Vertreter in der Tagsatzung ernannt (sowie erneut 1839-1841 und 1845-1847). Druey forderte eine Revision des Bundesvertrags von 1815 durch einen Verfassungsrat und gehörte 1835 zu den Gründern des Schweizerischen Nationalvereins, in dem er grossen Einfluss besass. Obwohl er selbst kein Zentralist war, strebte er eine starke, auf die Bedürfnisse des Landes zugeschnittene Exekutive auf Bundesebene an. Des Weiteren sprach er sich für ein einkammeriges Parlament aus, das eine geeinte Schweiz repräsentieren sollte. Er arbeitete mit den Schweizer Radikalen zusammen und unterstützte politische Flüchtlinge. Ab 1832 machte er den Nouvelliste vaudois, dessen Leitung er 1836 übernahm, zum Sprachrohr des Radikalismus in seinem Kanton. In den Konflikten rund um die Basler Kantonstrennung fungierte Druey 1832-1833 als von der Tagsatzung entsandter Kommissär.

Im Staatsrat beschäftigte er sich insbesondere mit Schulwesen, Strassenverkehr und Rechtspolitik (neues Strafgesetzbuch). Daneben erwies er sich als unermüdlicher Förderer der Versammlungs- und Pressefreiheit. Der Einfluss der Waadtländer Kirche war Druey ein Dorn im Auge; er kämpfte 1838 für die Aufhebung des helvetischen Glaubensbekenntnisses, auf welchem die Autorität der Pfarrer gründete, und postulierte die Vorherrschaft des Staates über eine Volkskirche. Das Waadtländer Kirchengesetz von 1839 war der erste grosse Erfolg des Radikalismus. Ab den 1840er Jahren scheiterten einige seiner Vorstösse im Kantonsparlament, so etwa seine Forderungen nach einer progressiven Einkommenssteuer, die Bekämpfung des Pauperismus durch die Schaffung von staatlichen Werkstätten und die Wahl der Offiziere durch die Truppe.

Henri Druey, 1845. Lithografie, 44,5 x 34,1 cm (Musée historique de Lausanne, I.32 Druey Henri.7).
Henri Druey, 1845. Lithografie, 44,5 x 34,1 cm (Musée historique de Lausanne, I.32 Druey Henri.7). […]

Druey – künftiger Gegner des Sonderbunds – führte zusammen mit Louis-Henri Delarageaz die Waadtländer Revolution vom 14. Februar 1845 gegen die liberale Mehrheit an. Anstoss hierzu war die Weigerung der Liberalen, sich entschieden gegen die Luzerner zu stellen, die den Jesuiten die Sekundarschulbildung überantwortet hatten. In der neuen Regierung scheinbar allmächtig, schaffte es Druey als deren Vorsitzender dennoch nicht, das Recht auf Arbeit und die direkte Demokratie in der Kantonsverfassung zu verankern; Letztere enthielt zwar die Gesetzesinitiative, nicht aber das obligatorische Gesetzesreferendum. Die Absetzung der Pfarrer, die sich geweigert hatten, eine Proklamation zu Gunsten der Verfassungsrevision von der Kanzel zu verlesen, führte 1847 zur Gründung der Freikirche des Kantons Waadt. Zudem enthob Druey die Führung der Akademie, welche dem liberalen Regime anhing, ihrer Pflichten und leitete die Säuberung der Verwaltung und der Justizbehörden.

Als französischsprachiger Sekretär der von der Tagsatzung 1847 eingesetzten Kommission zur Revision des Bundesvertrags musste Druey das Zweikammersystem akzeptieren; er hatte eine aus nur einer Kammer bestehende Legislative vorgeschlagen, die von den eidgenössischen Kreisen gewählt werden sollte (Bundesversammlung). Am 16. November 1848 wurde er im ersten Wahlgang mit 76 Stimmen in den ersten Bundesrat gewählt. Er stand dem Justiz- und Polizeidepartement (1848-1849, 1852), dem Politischen Departement (1850) sowie dem Finanzdepartement (1851, 1853-1855) vor und amtierte 1850 als Bundespräsident. Als Vorsteher des Justizdepartements war er für den Umgang mit den politischen Flüchtlingen der europäischen Revolutionen von 1848 und 1849 zuständig. Obwohl er selbst den Völkerfrühling begrüsste, wies er angesichts des Drucks der europäischen Mächte die aktivsten Revolutionäre wie Giuseppe Mazzini aus und hielt die übrigen von den Grenzkantonen fern. Dieses Vorgehen brachte einige Radikale, darunter James Fazy und Antoine Carteret in Genf, Emil Remigius Frey in Baselland und Jules Eytel in der Waadt, sowie radikal geprägte Kantone gegen Druey und seine Amtskollegen auf. Auch als Befürworter der Gründung einer eidgenössischen Universität oder der Einführung der Weinsteuer bekam er sogleich die Abneigung der Radikalen seines Kantons sowie der Föderalisten zu spüren. Im Politischen Departement, das damals mit dem Bundespräsidium gekoppelt war, sah er sich erneut mit der Flüchtlingsfrage konfrontiert. 1850 unterzeichnete er den Freundschafts- und Handelsvertrag mit den Vereinigten Staaten, welcher die Grundlage für die künftigen Beziehungen zwischen den zwei «Schwesterrepubliken» bildete. Als Vorsteher des Finanzdepartements begleitete er die Anfänge der eidgenössischen Währung und hatte für deren Akzeptanz bei den Kantonen zu sorgen (Franken). 1855 verstarb Druey im Amt an den Folgen eines Schlaganfalls.

Principaux membres et orateurs de la Diète helvétique. Lithographie nach den Daguerreotypien von Jean de Humnicki in Bern, abgedruckt in der L’Illustration. Journal universel vom 30. Oktober 1847 (HLS, Bestand Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte).
Principaux membres et orateurs de la Diète helvétique. Lithographie nach den Daguerreotypien von Jean de Humnicki in Bern, abgedruckt in der L’Illustration. Journal universel vom 30. Oktober 1847 (HLS, Bestand Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte). […]

Druey war der Begründer und zugleich die Galionsfigur des Waadtländer Radikalismus. Er gilt als Staatsmann ersten Ranges, dessen Handeln auf soliden philosophischen Grundlagen beruhte, der sich als Realist aber auch gegenüber Widerständen flexibel zeigte. Von bäuerlicher Herkunft, hielt er wenig vom liberalen Bürgertum und von der alten Aristokratie. Dank seiner Nähe zum Volk wusste er sich dessen Feindseligkeit gegenüber den städtischen Eliten im Laufe seiner Karriere immer wieder zunutze zu machen.

Henri Druey galt als aufbrausend und zeigte gegenüber seinen ehemaligen Feinden (Liberal-Konservative, demissionierte Pfarrer, Besiegte des Sonderbunds) nur wenig Grossmut. Nach der Wahl in den Bundesrat wurde er unter dem Druck seiner Kollegen jedoch in seiner politisch ungezügelten Art gebremst. Sein Pragmatismus fiel besonders bei der Krisenbewältigung mit europäischen Mächten auf (Ausweisung von Flüchtlingen, Nichteinmischung in europäische Angelegenheiten), wobei er nicht selten im Widerspruch zu den eigenen Überzeugungen und denjenigen seiner Unterstützer handelte. Jedoch sorgte dieser politische Realismus auch für die innere und äussere Sicherheit des jungen Bundesstaats. Indem Druey dem Bundesstaat und dessen Behörden grundsätzlich das gleiche Gewicht wie der Freiheit und der Unabhängigkeit der Kantone beimass, gelang es ihm unter Wahrung der Prinzipien des Föderalismus, seine radikalen Überzeugungen umzusetzen.

«Die Ähnlichkeit mit mir ist verblüffend...». Karikatur von Bundesrat Henri Druey von François Bocion. Lithografie, erschienen in La Guêpe, 1851, Nr. 13 (Musée historique de Lausanne).
«Die Ähnlichkeit mit mir ist verblüffend...». Karikatur von Bundesrat Henri Druey von François Bocion. Lithografie, erschienen in La Guêpe, 1851, Nr. 13 (Musée historique de Lausanne). […]

Druey war Ehrenmitglied der Berner (1832) und der Waadtländer (1848) Sektion der Studentenverbindung Helvetia, Ehrendoktor der Universität Bern (1835), Präsident des Organisationskomitees des eidgenössischen Schützenfests in Lausanne (1836) sowie des Eidgenössischen (1836-1837) und des Waadtländer Schützenvereins (1842-1849). Volkstribun und begabter Redner, verband sich in diesem «hegelianischen Wildschwein» – wie  Charles-Augustin Sainte-Beuve ihn bezeichnete – ein hartnäckiger Charakter mit der Denkmethode seines philosophischen Mentors. Während er in der Waadt bei den Radikalen lange Zeit hohes Ansehen genoss, machten ihn die Liberalen für den religiösen Bruch von 1847 verantwortlich. Jean-Louis-Benjamin Leresche widmete ihm 1857 eine erste, jedoch eher gefällige Biografie. Nach dem Übergang seines persönlichen Schrifttums in die Sammlungen der Waadtländer Kantonsbibliothek in Lausanne erschienen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere Werke, darunter jene von Felix Berchtold (1912) und Ernest Deriaz (1920). Weitere Forschungsergebnisse folgten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Standardbiografie von André Lasserre (1960) sowie einer Teiledition von Drueys Korrespondenz (1974-1977).

Quellen und Literatur

  • Druey, Henri: Correspondance, hg. von André Lasserre, Michel Steiner, 3 Bde., 1974-1977.
  • Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne, Lausanne, Henri Druey.
  • Leresche, Jean-Louis-Benjamin: Biographie politique de Henri Druey, 1857.
  • Berchtold, Felix: Bundesrat Daniel Heinrich Druey. Teil 1: 1798-1833, 1912.
  • Deriaz, Ernest: Un homme d’Etat vaudois. Henri Druey, 1799-1855, 1920 (mit Publikationsliste der Artikel im Nouvelliste vaudois).
  • Lasserre, André: Henri Druey. Fondateur du radicalisme vaudois et homme d’Etat suisse, 1799-1855, 1960 (mit Werkverzeichnis und Publikationsliste der Artikel im Nouvelliste vaudois).
  • Arlettaz, Gérald: Libéralisme et société dans le canton de Vaud, 1814-1845, 1980.
  • Bovard, Pierre-André: Le gouvernement vaudois de 1803 à 1962 (récit et portraits), 1982, v.a. S. 31-122.
  • Steiner, Michel: «Henri Druey», in: Altermatt, Urs (Hg.): Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon, 1991, S. 115-120.
  • Meuwly, Olivier: Aux sources du radicalisme. Les origines de la démocratie libérale, 1992, v.a. S. 53-74.
  • Bovard, Pierre-André: Nos Excellences à Berne. D’Henri Druey à Pierre Graber, 1848-1977. Portraits de vingt-quatre conseillers fédéraux romands, 1997, v.a. S. 9-37.
  • Meuwly, Olivier (Hg.): Henri Druey, 1799-1855. Actes du Colloque du 8 octobre 2005, 2007.
  • Meuwly, Olivier; Steiner, Michel: «Henri Druey», in: Altermatt, Urs (Hg.): Das Bundesratslexikon, 2019, S. 44-50.
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Henri Daniel Druey (Taufname)
Lebensdaten ∗︎ 12.4.1799 ✝︎ 29.3.1855

Zitiervorschlag

André Lasserre; David Auberson: "Druey, Henri", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.03.2022, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/004313/2022-03-10/, konsultiert am 19.03.2024.