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Religionswissenschaft

Der Begriff Religionswissenschaft bezeichnet die wissenschaftliche Erforschung von als Religionen oder religiöse Traditionen klassifizierten sozio-kulturellen Symbolsystemen. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war für das meist philologisch-historisch, oft komparatistisch angelegte Fach, das sich in Europa vom ausgehenden 19. Jahrhundert an als eigenständige akademische Disziplin gewöhnlich an philosophisch-historischen Fakultäten etablierte, die Bezeichnung Religionsgeschichte geläufiger. In Forschung und Lehre standen die altorientalische, griechische und römische Religion, sogenannte Weltreligionen wie Buddhismus, Hinduismus, Judentum oder Islam sowie Stammesreligionen (Afrika, Ozeanien, Sibirien) im Vordergrund. Daneben entwickelte sich eine sozialwissenschaftliche Religionsforschung, die wesentlich zur Ausbildung der Disziplinen Religionsethnologie, Religionssoziologie und Religionspsychologie beitrug. Sie gewann im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen wie Säkularisierung, Migration und Globalisierung an Bedeutung und wird zunehmend als Teil der Religionswissenschaft verstanden.

An der Universität Genf wurde 1873 an der Faculté des Lettres der weltweit erste Lehrstuhl für Religionswissenschaft (Histoire des religions et étude des systèmes sociaux) eingerichtet (Théophile Droz). 1928 wechselte das Fach an die reformierte theologische Fakultät, seit 1965 ist es als Histoire des religions antiques wieder Teil der Faculté des Lettres. An der Universität Zürich war allgemeine Religionsgeschichte seit 1860 Bestandteil der reformierten theologischen Fakultät; erst 1980 wurde ein eigener Lehrstuhl errichtet (Fritz Stolz). Seit 2006 besteht ein eigenes religionswissenschaftliches Seminar. Auch an der Universität Bern wurde Religionsgeschichte von den 1960er Jahren an zunächst an der reformierten theologischen Fakultät gelehrt. Das 1992 gegründete interfakultäre Institut für Religionswissenschaft wurde 2006 an die philosophisch-historische Fakultät überführt; im Gegenzug richtete die theologische Fakultät einen eigenen Studiengang Religious Studies ein. An der Universität Lausanne wurde das Fach 1976 vorerst als Sciences religieuses im Rahmen der reformierten theologischen Fakultät eingeführt (Carl-Albert Keller). An dem 1990 in Verbindung mit der Faculté des Lettres gegründeten Département interfacultaire d'histoire et de sciences des religions war dann ein breites Spektrum von Disziplinen beteiligt. 1999 entstanden das soziologisch ausgerichtete Observatoire des religions en Suisse und eine eigene Abteilung für Religionswissenschaft an der theologischen Fakultät. Letztere heisst seit 2005 Faculté de théologie et de sciences des religions. Seit 2006 verfügt auch die Universität Basel, an der Religionswissenschaft lange Zeit als Teil der Altertumswissenschaften studiert wurde, über ein eigenes Ordinariat für Religionswissenschaft an der theologischen Fakultät, mit dem seit 2008 ein bifakultäres Departement Religionswissenschaft verbunden ist.

In Freiburg ist die Religionswissenschaft aus der an der katholischen theologischen Fakultät gelehrten Missionswissenschaft hervorgegangen, für das ab 1944 ein von Professoren des Dominikanerordens geleitetes Institut bestand. Seit 2007 gibt es an der philosophischen und an der theologischen Fakultät je eine Professur. In Luzern wurde an der katholischen theologischen Fakultät 1984 eine zunächst stark vom kirchlichen Umfeld (z.B. Bethlehem Mission Immensee) geprägte Professur eingerichtet, die 1993 mit der Gründung der universitären Hochschule an die Fakultät II (Geisteswissenschaften, seit 2007 kultur- und sozialwissenschaftliche Fakultät) überging.

Der Überblick zeigt, dass die Entwicklung der Religionswissenschaft in der Schweiz bis zum Ende des 20. Jahrhunderts stark durch konfessionell bedingte institutionelle Rahmenbedingungen geprägt wurde, die kultur- und sozialwissenschaftliche Entwicklung des Fachdiskurses im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts aber zu Spannungen zwischen der Religionswissenschaft und der Theologie führte. Diese sind nur teilweise epistemologisch-theoretischer Natur, ebenso sind sie durch den sich wandelnden gesellschaftlichen Kontext und Probleme der Mittelverteilung bedingt.

1977 wurde die Schweizerische Gesellschaft für Religionswissenschaft (SGR; 2009 ca. 230 Mitglieder) ins Leben gerufen. Sie gab ab 1995 die Schriftenreihe «Studia religiosa Helvetica» heraus (Jahrbuch, 11 Bde., 1995-2005; Series Altera, 9 Bde., 1995-2004), die 2010 durch die neue Reihe «CULTuREL» ersetzt wurde. Die im Rahmen der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie (SGS) seit 1969 bestehende Association suisse des sociologues de la religion wurde 2004 aufgelöst und in ein Forschungskomitee überführt, dem religionssoziologisch interessierte Mitglieder der SGS und der SGR angehören.

Quellen und Literatur

  • F. Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, 1988 (32001)
  • P. Borgeaud, «L'histoire des religions à Genève, origines et métamorphoses», in Asdiwal 1, 2006, 13-22
  • «Religionswissenschaft», in Bull. - Vereinigung der Schweiz. Hochschuldozierenden, 2010, Nr. 1 (Themenh.)
Weblinks

Zitiervorschlag

Christoph Uehlinger: "Religionswissenschaft", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/042197/2011-12-23/, konsultiert am 29.03.2024.