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Art brut

Der Begriff Art brut (unverbildete Kunst) wurde 1945 vom französischen Maler Jean Dubuffet geprägt. Er bezeichnet Werke von Menschen ohne Bildung, die am Rande der Gesellschaft oder in einer psychiatrischen Klinik leben. Diese Werke, die nichts mit dem Gebiet der herkömmlichen Kunst zu tun haben und von reinen Autodidakten stammen, entspringen figurativen Systemen und individuellen Vorstellungswelten, die oft eigentümlich und verwirrend sind.

Dubuffet, der mit anderen französischen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg von der Schweizerischen Verkehrszentrale zu einer Reise in die Schweiz eingeladen wurde, entdeckte in der Westschweiz die Werke von Louis Soutter und Aloïse sowie in der Sammlung des Psychiaters Walter Morgenthaler die Arbeiten von Adolf Wölfli und Heinrich Anton Müller. Morgenthaler hatte eine Sammlung mit mehreren tausend Kreationen schizophrener Künstler angelegt, die in die bernische psychiatrische Klinik Waldau eingewiesen waren. Dubuffet begann diese Werke vom Rande der institutionalisierten Kultur zu sammeln.

1947 gründete Dubuffet das Foyer de l'Art brut in Paris, später die Compagnie de l'Art brut, der auch André Breton und Jean Paulhan angehörten. Die Sammlung wuchs; es wurden Ausstellungen über neu entdeckte Werke wie die von Jeanne Tripier, Auguste Forestier oder Miguel Hernandez organisiert. Seit 1964 erscheint regelmässig die Zeitschrift "L'Art Brut", die unter anderem Monografien über die wichtigsten Kunstschaffenden enthält. 1951-1962 befand sich die Sammlung, die sich stetig, vor allem durch europäische Beiträge, vergrösserte, in East Hampton bei New York. Dubuffet beabsichtigte, ihr einen öffentlichen Status zu verschaffen und dachte diesbezüglich erneut an die Schweiz, wo sie entstanden war. In Verhandlungen mit den Behörden der Stadt Lausanne und ihrem Stadtpräsidenten Georges-André Chevallaz wurde eine Schenkung vereinbart. Im Februar 1976 wurde die Collection de l'Art brut an ihrem neuen Bestimmungsort eröffnet, dem Château de Beaulieu, einem herrschaftlichen Stadthaus aus dem 18. Jahrhundert. Um die Sammlung nicht in einer Art "Museumsfriedhof" abzuschliessen, wurde mit Dubuffets Einverständnis beschlossen, sie durch Wechselausstellungen zu bereichern und zu beleben. Dank bedeutenden Erwerbungen und Schenkungen (u.a. Werke von Carlo, Vojislav Jakic, Reinhold Metz, Josef Wittlich, Johann Hauser, August Walla, Hans Krüsi) hat sich die Sammlung, die zum Zeitpunkt der Schenkung 5000 Werke umfasste, bis in die 1990er Jahre versechsfacht. Die Art-brut-Sammlung der 1988 gegründeten Stiftung für schweizerische naive Kunst und Art brut befindet sich im "Museum im Lagerhaus" in St. Gallen.

Quellen und Literatur

  • Collection de l'Art brut, Lausanne
  • Mus. im Lagerhaus, St. Gallen
  • Stiftung Psychiatrie-Mus. Bern, Ostermundigen
  • L'Art brut, 1-, 1964-
  • M. Thévoz, L'Art brut, 1975
  • M. Thévoz, Collection de l'Art brut, 2001
Weblinks

Zitiervorschlag

Michel Thévoz: "Art brut", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.10.2001, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/042190/2001-10-17/, konsultiert am 29.03.2024.