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Kurdistan

Kurdistan ist das Siedlungsgebiet der Kurden im Nahen Osten, das die Grenzregion der Türkei (Ost- und Südostanatolien), Irans, Iraks und Nordsyriens umfasst. Das Volk der Kurden zählt gegen 30 Mio. Menschen, die eine indoeuropäische Sprache (Hauptdialekte sind Kurmandschi und Sorani) sprechen und mehrheitlich sunnitische Muslime sind. Im 19. Jahrhundert kam die Schweiz über Mission und humanitäre Hilfe mit Kurdistan in Berührung, ab Ende des 19. Jahrhunderts durch das kurdische Exil und seit den 1960er Jahren über die Einwanderung und Flucht von Kurden. Aus keiner anderen Region der Welt haben Menschen in so ungebrochener Kontinuität in der Schweiz politisches Exil gesucht. Fluchtgründe waren die Verfolgung wegen oppositioneller Aktivitäten gegen Sultan Abdulhamid II. und die antikurdischen Regime der postosmanischen Nationalstaaten. Ausserdem kamen Kurden zu Bildungszwecken in die Schweiz.

Die Basler Mission veröffentlichte 1837 einen Bericht über Kurdistan, verzichtete aber darauf, dort eine Mission aufzubauen. Erst die grossen Massaker der Osmanen an den Armeniern 1895 riefen eine schweizerische Präsenz im medizinischen und erzieherischen Bereich auf den Plan, die auch Kurden zugute kam. Diakon Jakob Künzler lernte in Urfa Kurdisch und berichtete in der Schweiz über die Kurden. In Verbindung mit der armenischen und jungtürkischen Opposition gegen Sultan Abdulhamid II. bildete sich Ende des 19. Jahrhunderts eine kurdische Elitediaspora in Genf. Hier gab Abdurrahman Bedirhan einige Nummern der ersten kurdischsprachigen Zeitschrift "Kürdistan" (1898-1899) heraus. Studenten aus der Familie des kurdischen Paschas Cemil aus Diyarbakir gründeten 1912 in Lausanne den kurdischen Studentenverein Hêvi. Nachdem den Kurden 1920 im Vertrag von Sèvres (abgeschlossen zwischen den Alliierten und der türkischen Regierung) noch das Recht auf Selbstbestimmung zugebilligt worden war, legten die Türkei sowie England, Frankreich und Italien dann aber im Vertrag von Lausanne 1923 die Teilung Kurdistans fest, dessen anatolischen, irakischen und syrischen Teil (nicht jedoch der iranische Teil) vorher zum Osmanischen Reich gehört hatten. Nuri Dersimi richtete im Namen der Stammesführer der türkischen Provinz Tuncelli wegen der dramatischen Unterdrückung der Kurden einen Appell an den Völkerbund in Genf. Sein Aufruf blieb unbeantwortet. Kurdische Studenten, darunter Noureddine Zaza und Ismet Chérif Vanly, gründeten 1949 in Lausanne die Association des étudiants kurdes en Europe. Im Zuge der Arbeitsmigration aus der Türkei kamen nach 1961 auch bäuerliche Kurden ohne Schulbildung in die Schweiz. Der türkische Militärputsch von 1980, die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem türkischen Staat sowie Saddam Husseins Angriffe im Nordirak verstärkten die kurdische Fluchtbewegung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebten rund 40'000 Menschen mit kurdischen Wurzeln in der Schweiz.

Quellen und Literatur

  • H. Hörnle, E. Schneider, «Untersuchungsreise durch Kurdistan», in Mag. für die neuste Gesch. der evang. Missions- und Bibelgesellschaften, 1837, 459-499
  • H. Hörnle, «Kurze Beschreibung des Kurdenvolkes», in Mag. für die neuste Gesch. der evang. Missions- und Bibelgesellschaften, 1837, 499-514
  • N. Zaza, Ma vie de Kurde ou le cri du peuple kurde, 1982 (21993)
  • H.-L. Kieser, «"Birader Yakup", ein "Arzt ohne Grenzen" in Urfa, und seine Wahlverwandtschaft mit den Kurden (1899-1922)», in Kurd. Stud. 1, 2001, H. 1, 91-120
Weblinks
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GND

Zitiervorschlag

Hans-Lukas Kieser: "Kurdistan", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.11.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/041672/2008-11-06/, konsultiert am 28.03.2024.