de fr it

BülachGemeinde

Politische Gemeinde des Kantons Zürich, Hauptort des gleichnamigen Bezirks. Regionalzentrum im Zürcher Unterland mit landstädtischem Kern und dem Dorf Niederflachs im unteren Glatttal sowie den bäuerlich geprägten Weilern Heimgarten am Rinsberg, Eschenmosen (seit 1919, vorher Teil der Gemeinde Winkel) und Nussbaumen am Dettenberg. 811 Pulacha. Das südlich von Bülach gelegene Bachenbülach wurde 1849 selbstständige Gemeinde. Bülach liegt am alten Verkehrsweg von Zürich über Kloten nach Eglisau. Im Spätmittelalter weniger als 500 Einwohner; 16.-18. Jahrhundert ca. 1000; 1836 1278; 1850 1545; 1900 2175; 1920 3239; 1950 4634; 1970 11043; 2000 13999.

Almandinscheibenfibel mit dreizeiliger Runeninschrift auf der Rückseite, gefunden in einem Frauengrab in Bülach aus dem 6. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Almandinscheibenfibel mit dreizeiliger Runeninschrift auf der Rückseite, gefunden in einem Frauengrab in Bülach aus dem 6. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).

Spätbronzezeitliche Brandgruben wurden 1980 in der Schwerzgrueb entdeckt. Grabhügel der späten Hallstattzeit mit Waffen-, Schmuck- und Gerätebeigaben im Höhragen- und Hardwald sowie latènezeitliche Gräber auf der Herti und in der Kiesgrube Drei Könige sind Funde des 19. Jahrhunderts. Römische Münzen, Eisenwerkzeuge und Bronzeobjekte wurden in der nicht sicher datierten Wehranlage Mangoldsburg nordwestlich der Stadt gefunden. Erste Spuren einer Dorfbildung stammen aus dem 6. und frühen 7. Jahrhundert: In der Nähe des Stadtkerns wurden 1919-1923 alemannische Gräberfelder mit archäologisch bedeutenden Funden ausgegraben. Eine geschlossene Dorfsiedlung bildete sich im Hochmittelalter, und bereits im 13. Jahrhundert war die ovale Stadtanlage von Mauern umgeben. Dreimal wurde der Ort durch schwere Brände weitgehend zerstört (1386, 1444, 1506), die ersten beiden Male im Rahmen des Sempacher- bzw. des Alten Zürichkriegs. Die Stadttore wurden 1838 und 1840 abgebrochen. Im Westen, Norden und Osten der Stadt sind Teile der Stadtmauer erhalten. Bis 1376 unterstand Bülach der Vogtei der Freiherren von Tengen, die auch über ausgedehnte grundherrliche Rechte verfügten. Tengener Ministerialen von Bülach sind im 13. Jahrhundert nachgewiesen. Die Übernahme der Vogtei durch Herzog Leopold III. von Österreich war 1384 mit der Verleihung des Stadtrechts nach Vorbild des Winterthurer Stadtrechts von 1264 verbunden. 1409 wurde Bülach an Zürich verpfändet und fiel 1419 endgültig an die Stadt. Ab 1412 gemeinsam mit Bachenbülach, Niederflachs und Nussbaumen zürcherische Obervogtei, blieb Bülach bis zur helvetischen Revolution eine beschränkte politische Autonomie (Schultheissenamt und Bürgerversammlung). Ausdruck davon ist das 1672-1673 neu errichtete Rathaus.

Die älteste Saalkirche mit der 1968 in der reformierten Kirche entdeckten Begräbnisstätte einer alemannischen Adligen (Stifterin?) datiert aus dem 7. Jahrhundert. Die 811 erwähnte Kirche St. Laurentius stand zu diesem Zeitpunkt in unbestimmter Beziehung zum Kloster St. Gallen. Um 1188 war sie mit den Kollaturrechten im Besitz der Freiherren von Tengen, die sie erst 1463 an Zürich veräusserten. Das heutige Kirchengebäude stammt aus den Jahren 1508-1514, mehrere Umbauten von Schiff und Turm fanden im 17. und 19. Jahrhundert statt (letzte Renovation 1969-1970). In der Reformationszeit wurde die Region und Bülach selber zu einem wichtigen Stützpunkt des Täufertums, das von der reformierten Zürcher Obrigkeit gewaltsam unterdrückt wurde. Im 19. Jahrhundert kam es zu religiösen Auseinandersetzungen, als um 1820 die Neugläubigen (eine Gruppe der pietistischen Erweckungsbewegung) und 1835 die Neutäufer mit ihren Versammlungsstunden begannen. Ab 1864 wurden in Bülach methodistische Versammlungen abgehalten, 1881 die Freie Gemeinde (heute Baptistenkirche) gegründet. Zur reformierten Kirchgemeinde Bülach gehören heute Bachenbülach, Hochfelden, Höri und Winkel. Der erste nachreformatorische katholische Gottesdienst im Zürcher Unterland wurde 1882 im Gasthof Rössli in Bülach abgehalten. Die katholische Kirche wurde 1902 geweiht. 1943 konstituierte sich die katholische Kirchgemeinde Bülach.

Das Zürcher Unterland war traditionelles Ackerbaugebiet. Über eigene Zelgensysteme verfügten bis ins 18. Jahrhundert Bülach, Niederflachs, Eschenmosen und Nussbaumen. Daneben gewann nach konjunkturellen Wechseln die Viehwirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung (regelmässige Viehmärkte). Reben wuchsen spätestens ab dem 16. Jahrhundert an den Hängen des Dettenbergs. Aufgrund des Stadtrechts war Bülach zugleich Marktort (Verkaufsordnung von 1450) für die agrarischen Produkte des näheren Umlandes. Mit der Ablösung von Zehnten und Grundlasten wurde 1810 begonnen; der Loskauf dauerte bis 1867. Bedeutende landwirtschaftliche Ausstellungen fanden 1851 und 1907 statt. 1918 wurde die Landwirtschaftliche Schule eröffnet. Ausgedehnte Gemeindewälder tragen seit dem Spätmittelalter zu Bülachs Wohlstand bei. Bereits im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit bestanden zahlreiche Gewerbe- und Handwerksbetriebe. 1801 sind 101 Gewerbepatente verzeichnet, 1850 zählte man ca. 150 Handwerker nebst 20 Händlern. Besonders verbreitet war die Kleiderfabrikation (Schuhmacher, Schneider, Hutmacher). Heute zählt der Gewerbeverein rund 250 Mitglieder.

Plakat für Einmachgläser, gestaltet 1938 von Peter Birkhäuser (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für Einmachgläser, gestaltet 1938 von Peter Birkhäuser (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Die Industrialisierung setzte in Bülach verglichen mit dem übrigen Unterland früh ein. Die erste mechanische Spinnerei mit 850 Spindeln und 25 Beschäftigten entstand 1819 in der Obermühle. Versuche mit der Tuchweberei und der Seidenweberei Mitte des 19. Jahrhunderts scheiterten. Andere bedeutende Industriebetriebe siedelten sich erst um die Jahrhundertwende in Bülach an. 1890-1891 wurde das Glaswerk gebaut; die Glasfabrik Vetropack AG war bis 2001 im Verbund mit den Glaswerken Saint-Prex und Wauwil das grösste Glasverpackungsunternehmen der Schweiz. 1917 nahm die Giesserei der Gebrüder Sulzer AG in Bülach ihren Betrieb auf. Weitere mittelgrosse Industriebetriebe sind im Motoren-, Stahl-, Apparate- und Maschinenbau sowie in der Computerbranche tätig. 1990 waren gut 1% der in Bülach Erwerbstätigen im 1. Sektor beschäftigt, 34% arbeiteten im 2. und 65% im 3. Sektor. Die von der Nordostbahn erstellten Linien der Bülach-Regensberg-Bahn (Oerlikon-Bülach, Oerlikon-Dielsdorf) wurden 1865 in Betrieb genommen. Das Projekt einer Bahnlinie Winterthur-Koblenz führte zu einer längeren Auseinandersetzung um die Streckenführung (sogenannter Dettenbergkrieg). 1893 wurde die Strecke Bülach-Schaffhausen eröffnet. Die zunehmenden Bedürfnisse des Privatverkehrs veränderten nach 1970 das Ortsbild wesentlich (Hochleistungsstrasse nach Kloten, Umfahrungsstrassen).

1884 wurde die erste Wasserversorgung von Privathäusern in Betrieb genommen. Die erste Kanalisationsverordnung stammt aus dem Jahr 1910 (Anschlusspflicht 1934). Seit 1957 ist eine Kläranlage in Betrieb. Da das Grundwasser aus dem Glattbecken den heutigen Wasserbedarf nicht mehr deckt, besteht ein Projekt, aus dem Rafzerfeld mit Rheinuferfiltrat angereichertes Fremdwasser zu beziehen. Die 1967 errichtete Kehrichtverbrennungsanlage (KEZU) wurde aus umweltpolitischen Gründen 1975 wieder geschlossen. Das 1887 errichtete Krankenasyl verfügte über zwölf Betten. Ein Neubau, finanziert vor allem durch John Brunner (Brunnerstift), konnte 1901 bezogen werden. Seit 1937 besteht das Kreisspital Bülach. Die Errichtung einer Mittelschule wurde 1956 erstmals im Kantonsparlament angeregt; der Schulbetrieb der Kantonsschule Zürcher Unterland konnte schliesslich 1972 aufgenommen werden. Die Berufsschule ging aus der Sonntags- oder Gewerbeschule (1860) hervor, sie bezog 1982 ein eigenes Schulhaus. Der Bau des bestehenden Waffenplatzes wurde 1909 beschlossen. Auf Initiative der 1818 gegründeten Lesegesellschaft entstanden 1849 das liberale, später demokratische "Wochenblatt für die Bezirke Bülach und Regensberg" (Vorgänger des "Zürcher Unterländers" 1949) und 1866 der wiederum liberale "Bülacher Volksfreund" (Vorgänger des "Neuen Bülacher Tagblatts" 1957). Weitere Schwerpunkte im kulturellen Wirken der Lesegesellschaft sind die Gründung des Landwirtschaftlichen Vereins 1867, die Herausgabe der "Bülacher Neujahrsblätter" (ab 1930), die Einrichtung der Gemeindebibliothek (1940 öffentlich) und des Sigristenkellers als permanenten Ausstellungs- und Theaterraum, die Förderung der Lokalgeschichtsforschung sowie der Unterhalt des 1984 eröffneten Ortsmuseums. Heute hat Bülach über 150 Vereine. In der Helvetik verlor Bülach 1802 vorübergehend den Stadtstatus, wurde jedoch 1831 als Bezirkshauptort wieder Verwaltungszentrum. 1974 ersetzten ein Stadtparlament (Grosser Gemeinderat mit 36 Mitgliedern) und ein Stadtrat (Exekutive mit neun Mitgliedern) die traditionelle Gemeindeversammlung.

Blattkopf der ersten Nummer des Bülacher Volksfreundes, 20. Juni 1866 (Privatsammlung).
Blattkopf der ersten Nummer des Bülacher Volksfreundes, 20. Juni 1866 (Privatsammlung).

Quellen und Literatur

  • W. Hildebrandt, Bülach, 1967 (21985)
  • K. Moser, «Bülach», in Zürcher Chronik, 1988, Nr. 3, 117-121
Von der Redaktion ergänzt
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Thomas Hanimann: "Bülach (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.09.2004. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000041/2004-09-01/, konsultiert am 29.03.2024.