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GustaveAdor

23.12.1845 Cologny, 31.3.1928 Genf, reformiert, von Genf. Sohn des Louis, Direktors einer privaten Handelsbank, und der Constance geborene Paccard. Enkel von David-Marc Paccard. Alice Perdonnet, Tochter des Gustave, Bankiers, Enkelin von Vincent Perdonnet. Das Philologie- und Rechtsstudium an der Genfer Akademie schloss Gustave Ador 1868 als lic. iur. und Anwalt ab. 1874 wurde er für die unabhängige Liste der liberal-konservativen Rechten, die sich wenig später als Demokratische Partei konstituierte, in den Genfer Grossen Rat gewählt. 1876 nicht wiedergewählt, errang er 1878 erneut einen Sitz im Grossen Rat, dem er dann bis 1915 angehörte. 1879-1880 sass Ador für kurze Zeit im Genfer Staatsrat, wurde 1885 wieder in die Kantonsregierung gewählt und blieb bis 1897 im Amt. Seine Partei spielte damals eine wichtige Rolle, und Ador hat diese Regierungsphase entscheidend geprägt. Gegen den Autoritarismus der Radikalen wurden die demokratischen Rechte ausgebaut und 1892 das Proporzwahlsystem eingeführt. Als Vorsteher des Finanzdepartements galt Gustave Ador als guter Kenner seiner Materie und setzte eine Sparpolitik durch. Der liberale Staatsmann zeichnete sich jedoch vor allem auf Bundesebene aus.

Gustave Ador an der fünften Versammlung des Völkerbunds von 1924 zur friedlichen Beilegung internationaler Konflikte. Zeichnung von Oscar Lazar (Bibliothèque de Genève).
Gustave Ador an der fünften Versammlung des Völkerbunds von 1924 zur friedlichen Beilegung internationaler Konflikte. Zeichnung von Oscar Lazar (Bibliothèque de Genève).

1878-1880 war Ador Ständerat, 1889-1917 Nationalrat. Seine Amtszeit wurde 1902 durch die sogenannte Affäre Ador kurz unterbrochen: Als Kommissar der Schweiz an der Weltausstellung 1900 in Paris war ihm das Band eines Grossoffiziers der Ehrenlegion verliehen worden. Dies schien manchen Leuten gegen die Bundesverfassung zu verstossen, die die Annahme von Auszeichnungen verbietet. Ador musste zurücktreten, wurde aber im selben Jahr wiedergewählt. Einen Namen machte er sich vor allem durch seine internationalen Aktivitäten. 1870 wurde er Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, 1910 als Nachfolger eines Mitgründers, Gustave Moynier, dessen Präsident. Auf seine Initiative hin wurde 1914 die Internationale Zentralstelle für Kriegsgefangene ins Leben gerufen. Ador war mehrmals nahegelegt worden, für den Bundesrat zu kandidieren, was er aus politischer Weitsicht stets abgelehnt hatte. Da er einer Minderheitsfraktion angehörte, bedurfte er für die Wahl der Unterstützung der Regierungsparteien. Aussergewöhnliche Umstände (Rücktritt von Arthur Hoffmann) ermöglichten 1917 seine Wahl. Man hoffte, dass er das Vertrauen des Auslands wiederherstellen und die Ausweitung der Spannungen im Inland verhindern könnte. Ador wurde somit von der Bundesversammlung im Juni 1917 nicht als Parteipolitiker gewählt. Der 72-jährige Bundesrat entwickelte während seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit eine ausserordentliche diplomatische Aktivität. Die politischen und sozialen Umwälzungen bei Kriegsende veranlassten die Schweiz zu einer neuen aussenpolitischen Ausrichtung und in deren Folge zum Beitritt zum Völkerbund. Die vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson verfochtenen Ideale überzeugten Ador derart, dass er sich entgegen allen schweizerischen politischen Traditionen persönlich dafür einsetzte, dass sich die Schweiz am Aufbau des Friedens beteiligte. Als Bundespräsident reiste er Anfang 1919 zweimal nach Paris, um an der Friedenskonferenz mit den Staatschefs der Alliierten zusammenzutreffen. Dank seiner Beharrlichkeit wurde Genf Sitz des Völkerbunds; zudem erreichte er die Anerkennung des besonderen Neutralitätsstatus der Schweiz, was Voraussetzung für ihre Beteiligung an der neuen Organisation war. Ende 1919 trat Ador aus dem Bundesrat zurück. Er übte noch verschiedene Mandate im Auftrag des Völkerbunds aus und blieb bis zu seinem Tod Präsident des IKRK. Gustave Ador ist einer der wenigen Schweizer Staatsmänner, die auch internationale Bedeutung erlangten. Obschon man ihm seine Sympathie für die Alliierten vorwerfen kann, steht fest, dass sein internationaler Ruf der Schweiz in den schwierigen Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg von grossem Nutzen war.

Quellen und Literatur

  • F. Barbey, Un homme d'état suisse, 1945 (Nachdr. 1995)
  • Altermatt, Bundesräte, 333-338
  • Gustave Ador, 1845-1928, hg. von R. Durand, 1996
Weblinks
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VIAF

Zitiervorschlag

François Walter: "Ador, Gustave", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.06.2002, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003848/2002-06-12/, konsultiert am 19.03.2024.