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Algerien

Situationskarte Algerien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.
Situationskarte Algerien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.

Von Frankreich begünstigt, nahm die schweizerische Auswanderung nach Algerien ab den 1830er Jahren rasch zu. Die mehrheitlich aus den Kantonen Tessin, Aargau, Waadt und Wallis stammenden Auswanderer waren vor allem in Landwirtschaft (insbesondere Tabak- und Rebbau) und Handel tätig. 1852 gründete eine Genfer Gesellschaft eine Kolonie in Sétif (Provinz Constantine). Trotz Bodenkonzessionen und Subventionen von französischer Seite blieb die Situation der Siedler prekär. Das rauhe Klima des nordwestafrikanischen Landes und Anbauschwierigkeiten machten ihnen zu schaffen. Dennoch wirtschafteten einige Weinbauern sehr erfolgreich, so die Familie Borgeaud, deren Vermögen oft als das grösste Algeriens bezeichnet wurde.

Aktionärszertifikat, ausgestellt für den Pfarrer Bourrit von Genf (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Aktionärszertifikat, ausgestellt für den Pfarrer Bourrit von Genf (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann). […]

1842 errichtete die eidgenössische Tagsatzung in Algier ein Konsulat (1958 in ein Generalkonsulat umgewandelt). Später kamen Vize-Konsulate in Oran (1859-1888) und in Philippeville (1870-1904) hinzu. 1859-1886 erhöhte sich die Anzahl der Schweizer von 1734 auf 3404. Aufgrund von Einbürgerungen ging sie in der Folge langsam zurück; 1950 waren es noch ca. 2000, vor allem Bauern, Kaufleute, Angestellte und Arbeiter. Für die gesamte Kolonialzeit sind ausserdem mehrere Hundert Schweizer Fremdenlegionäre hinzuzuzählen. Verschiedene Vereine, insbesondere der 1872 in Algier gegründete Helvetische Wohltätigkeitsverein (Société Hélvetique de Bienfaisance), entwickelten rege Aktivitäten. Bis 1875 waren Baumwollstoffe aus St. Gallen, Uhren, Schmuck, Tabak und Schokolade die wichtigsten nach Algerien exportierten Schweizer Produkte. Später wurden zunehmend auch Käse, Kondensmilch, der bei den Siedlern sehr beliebte Absinth und Maschinen nach Algerien ausgeführt. Zur Entwicklung der Exporte wurde eine Agentur der Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung für Nordafrika in Algier (1937-1965) eingerichtet. In dieser Zeit führte Algerien Wein, Schafe, Früchte und Gemüse in die Schweiz aus.

Der Algerienkrieg (1954-1962) stiess vor allem in der Westschweiz auf Anteilnahme. Einerseits konnten die Anhänger eines französischen Algeriens auf die aktiven Sympathien aus der Schweiz und der in Algerien ansässigen Schweizer zählen, andererseits stand die Schweiz sowohl den Kämpfern für die Unabhängigkeit als auch französische Refraktären und Deserteuren als Aufenthalts- bzw. Durchgangsland offen. Ab November 1960 wurden geheime Kontakte geknüpft, die, von Olivier Long gefördert, zu den Abkommen von Evian und so zur Beendigung des Algerienkriegs (1962) führten. Am 4. Juli 1962 anerkannte der Bundesrat die Unabhängigkeit Algeriens. Seit diesem Datum ist die Schweiz durch einen Botschafter in Algier vertreten. 1963 und 1964 wurden Abkommen zur Förderung von Handel, Lufttransport und Tourismus geschlossen. Durch Erdöl- und Gasimporte begünstigt, stiegen die Schweizer Exporte nach Algerien, insbesondere für Maschinen, Werkzeugmaschinen, medizinische Apparate, pharmazeutische Produkte und Rüstungsgüter. Obwohl Algerien zu einem der wichtigsten Handelspartner der Schweiz in Afrika wurde, beeinträchtigten politische Spannungen die bilateralen Beziehungen: Die unter dem Algerienkrieg und den Verstaatlichungen leidenden Schweizer organisierten sich in einer Interessengruppe und verlangten Entschädigungen (1962 auf 35 Mio. Franken geschätzt), die zu zahlen sich die algerischen Behörden hartnäckig weigerten. Der von Mohammed Khidder, dem ehemaligen Schatzmeister des Front de Libération Nationale (FLN) verwaltete «Schatz des FLN» (mehr als 50 Mio. Franken) war Ursache eines politisch-juristischen Streits, der 1964-1979 dauerte und schliesslich mit der Überführung der Banque Commerciale Arabe an den algerischen Staat beigelegt werden konnte. Angesichts der politischen und sozialen Entwicklung Algeriens zeigte sich die schweizerische Geschäftswelt ihrerseits zurückhaltend. In den 1980er Jahren waren etwa 2000 Algerier in der Schweiz und 400 Schweizer in Algerien registriert; an die Stelle der vor 1962 ansässigen Familien traten zum Teil junge Ingenieure und Techniker. Die schweizerische humanitäre Hilfe beschränkt sich auf einige wenige Aktionen, insbesondere für Erdbebenopfer und sahraouische Flüchtlinge.

Quellen und Literatur

  • EDA, Dok.
  • P. Guichonnet, «Les Valaisans et la colonisation de la Mitidja», in Le Globe 112, 1972, 17-37
  • J. Pous, Henri Dunant l'Algérien ou le mirage colonial, 1979
  • F. Nicod, «L'émigration vaudoise outre-mer dans les années 1850», in Cahiers internationaux d'histoire économique et sociale 1983, 193-225
  • O. Long, Le dossier secret des accords d'Evian, 1988
  • P.-R. Monbaron, «Emigration vaudoise en Algérie au milieu du XIXe siècle», in RHV, 1990, 49-84
  • E. Corbaz, Les origines de la Compagnie genevoise des colonies suisses de Sétif (1853-1858), Liz. Lausanne, 1991
  • C. Lützelschwab, «Des premiers projets de colonies suisses en Algérie à la “Compagnie genevoise des Colonies suisses de Sétif”», in SZG 49, 1999, 470-495
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Marc Perrenoud: "Algerien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.06.2002, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003434/2002-06-13/, konsultiert am 28.03.2024.