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Bulgarien

Situationskarte Bulgarien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.
Situationskarte Bulgarien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.

Bulgarien, das bei Beendung des Russisch-Türkischen Kriegs nach 500-jähriger osmanischer Herrschaft 1878 unabhängig wurde, war anfangs ein Fürstentum, ab 1908 ein Königreich, ab 1946 eine Volksrepublik mit einer am sowjetischen Vorbild orientierten Verfassung. Seit 1989 ist Bulgarien eine Republik. Erst 1911 wurde in Sofia ein Schweizer Konsulat errichtet, das 1936 zur Gesandtschaft und 1963 zur Botschaft erhoben wurde. 1915 erfolgte die Akkreditierung des ersten bulgarischen ausserordentlichen Botschafters in der Schweiz. Seit 1916 besteht in Bern eine bulgarische Gesandtschaft, seit 1963 eine Botschaft.

Der neu errichtete Staat benötigte für den Aufbau von Verwaltung, Infrastruktur und Bildungswesen Fachleute, die vor allem im Ausland ausgebildet wurden, unter anderem an schweizerischen Hochschulen. 1900-1918 wurden von 470 bulgarischen Auslanddissertationen 244 an Schweizer Universitäten angenommen (117 Genf, 46 Lausanne, 40 Zürich, 35 Bern). Daneben wirkten etliche Schweizer in Bulgarien. Alfred Odin wurde 1889 von der bulgarischen Regierung als Deutsch- und Französischlektor an die Hochschule von Sofia berufen. Auf Einladung des Kultusministers kamen 1894 schweizerische Sportlehrer nach Bulgarien, die den bulgarischen Turnverein Junak gründeten, den Jugendsport initiierten und sich während des Balkan- und Ersten Weltkriegs als Frontkorrespondenten für Schweizer Zeitungen (u.a. «Journal de Genève», «Gazette de Lausanne») betätigten. Schweizerische Architekten und Ingenieure gewannen Wettbewerbe für öffentliche Bauvorhaben (u.a. Henri Meyer). 1890 hatten sich erst ca. 20 Schweizer in Bulgarien niedergelassen, deren Zahl bis 1940 auf ca. 180 stieg und nach 1944 auf etwa 20-30 Personen zurückging. In Genf sammelten sich anfangs der 1880er Jahre um den russischen Sozialdemokraten Georgij Walentinowitsch Plechanow bulgarische Studierende, die später zur Entstehung der sozialdemokratischen Partei in Bulgarien beitrugen (u.a. Vasil Petrov Kolarov). Um die Jahrhundertwende waren verschiedene bulgarische Schriftsteller an Schweizer Universitäten immatrikuliert. Ivan Mincov Vazov verarbeitete Eindrücke seiner mehrmaligen Schweizaufenthalte kritisch in seinem schriftstellerischen Werk.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Bulgarien sind stark durch die unterschiedliche industrielle Entwicklung der beiden Länder geprägt. Während die Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den ersten Industriestaaten Europas zählte, war Bulgarien noch Ende des 19. Jahrhundert ein Agrarland. Das erste bulgarische Elektrizitätswerk in Pantcherevo nahe Sofias wurde 1898 von der Maschinenfabrik Oerlikon realisiert und ist noch heute in Betrieb. Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Schweizer Firmen in Bulgarien zu investieren (z.B. Granitoid AG). Sie belegten 1937-1938 den 1., 1995 den 4. Platz (nach Deutschland, Griechenland, Holland) unter den ausländischen Investoren. Die bis zum Ersten Weltkrieg sehr geringen Handelsbeziehungen (Import aus der Schweiz nur 2% des Gesamtimports von Bulgarien) intensivierten sich zu Beginn der 1930er Jahre, womit die Schweiz an die 4. bzw. 5. Stelle der Import- bzw. Exportländer vorrückte. Nach der Machtergreifung der Kommunisten 1944 und der Verstaatlichung der bulgarischen Wirtschaft 1947-1948 erlitt diese Entwicklung einen Einbruch. 1950 trat Bulgarien dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) bei. 1954 wurde ein Handels- und Zahlungsabkommen zwischen Bulgarien und der Schweiz unterzeichnet. Einen neuen Aufschwung bewirkte das Abkommen über den Wirtschaftsverkehr von 1972, wobei die schweizerische Ausfuhr nach Bulgarien deutlich überwog. Während die Schweiz vornehmlich Maschinen und chemische wie pharmazeutische Produkte exportierte, wurden aus Bulgarien vor allem Textilien, landwirtschaftliche Produkte und Maschinen eingeführt. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1989 hatte eine Senkung der Exporte nach der Schweiz zur Folge (1985 33,4 Mio. Franken, 1994 16,3 Mio. Franken). 2000 importierte die Schweiz Güter für 48 Mio. Franken aus Bulgarien und exportierte Waren für 143 Mio. Franken.

Quellen und Literatur

  • H. Röhling, «Internat. wiss. Beziehungen Bulgariens von 1900-18 im Spiegel von Diss.», in 1300 Jahre Bulgarien, hg. von W. Althammer, 1981, 65-82
  • L'amitié bulgaro-suisse, hg. von T. Dimitrov, 1982
  • Hommage à la Suisse: 1291-1991, hg. von T. Dimitrov, 1991
  • A. Michel, «Bulgaria», in UBS Economic Research, März 1995, 1-6
  • Bild und Begegnung, hg. von P. Brang et al., 1996, 167-200
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Zvetelina Staikov: "Bulgarien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003350/2011-03-16/, konsultiert am 28.03.2024.