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RheinauGemeinde

Ansicht des Städtchens von Westen. Gouache eines unbekannten Künstlers, um 1820 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Ansicht des Städtchens von Westen. Gouache eines unbekannten Künstlers, um 1820 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Politische Gemeinde des Kantons Zürich, Bezirk Andelfingen. Landstädtchen, bis 1803 dem gleichnamigen Kloster unterstehend, am Rhein ca. 6 km unterhalb der Stadt Schaffhausen in einer Flussschlinge gelegen. 1241 ante portam ville, que dicitur Rinowe. 1467 ca. 50 Haushalte; 1528 ca. 112; 1834 604 Einwohner; 1850 716; 1900 1454; 1950 2313; 2000 1645.

Ur- und Frühgeschichte

Als bislang älteste Funde aus Rheinau gelten einige mesolithische oder neolithische Silices. Ein Randleistenbeil aus dem Rheinschotter sowie Keramik- und Sichelfragmente von der Halbinsel Au stammen aus der Mittelbronzezeit (1500-1300 v.Chr.). Späthallstattzeitliche Keramik (ca. 600 v.Chr.) fand man im Süden Rheinaus. Im Kleinen Wurzelacker trat 1899 ein Frauengrab der Stufe Latène B (380-250 v.Chr.) zutage. Der sogenannte Keltenwall weist einen spätbronzezeitlichen Kernwall mit Graben und Berme (Absatz) auf (C-14-Datum 1133-892 v.Chr.); er wurde in der Latènezeit deutlich vergrössert und mit einer steinernen Frontmauer bzw. mit einem hölzernen Pfostenrahmenwerk im Innern gesichert. Er bildete mit seinem rechtsrheinischen Gegenstück auf der Halbinsel Schwaben in der deutschen Gemeinde Altenburg die Begrenzung eines spätlatènezeitlichen Doppeloppidums (150-15 v.Chr.). Luftbilder zeigen zahlreiche Gebäudestrukturen, Gruben, Palisaden und Wege. Bei Ausgrabungen fand sich unter anderem der Werkplatz eines Feinschmieds. Die Masse der Funde besteht aus lokal gefertigter Keramik (z.T. mit Bemalung, Kammstrich, Eindruckzier), Importkeramik (Amphoren, Tafelgeschirr), Eisen-, Bronze-, Glas- und Knochenobjekten (Schmuck, Gefässe, Beschläge, Waffen, Werkzeuge) sowie zahlreichen Münzen (v.a. Silberquinare); tönerne Tüpfelplatten belegen die lokale Münzherstellung. Verschiedene Stücke bezeugen einen Fernhandel. Unter den Tierknochen (Schwein, Rind, Schaf/Ziege, Huhn, Fische) fallen diejenigen eines Schosshündchens auf. Die Funde von der Au setzen etwas später ein als diejenigen auf der deutschen Rheinseite (zweites bis drittes Viertel des 1. Jh. v.Chr.). Wachtürme des spätrömischen Rheinlimes sind bei Köpferplatz-Strickboden und Mannhausen nachgewiesen; jüngst wurden auch mehrere frühmittelalterliche Grubenhäuser (7.-9. Jahrhundert) in den Arealen Au und Heerenwis entdeckt.

Mittelalter und Neuzeit

Das Kloster Rheinau wurde vor 858 gegründet. Die hochmittelalterliche Siedlungstätigkeit vollzog sich auf einem Gebiet, das vom Rhein sowie von einer Stadtmauer (1241 erwähnt) an der Stelle des Keltenwalls geschützt wurde. Siedlungskerne waren der Brückenkopf (Brücke 1247 erwähnt) bei der Klosterinsel, die Oberstadt mit der Bergkirche sowie ein "unterer" Stadtteil. Auf Geheiss des Grafen Rudolf von Habsburg-Laufenburg, dem Vogt des Städtchens, mussten die Bewohner des unteren Stadtteils in die Oberstadt ziehen. Die archäologische Ausgrabung Rheinau-Austrasse (1996-1997) wies innerhalb des Siedlungsgebiets von Rheinau eine Teilwüstung bzw. den Abbruch von massiven Steinbauten nach, die wohl zum unteren Stadtteil gehört hatten. Die Bürgerschaft von Rheinau ist 1241 bezeugt, ein Schultheiss 1243. Fischer sind ab 1259 genannt. Ein Wochenmarkt ist 1332 belegt.

Die Stadt unterstand dem Kloster Rheinau. Die Blutgerichtsbarkeit wurde allerdings von den Schirmvögten des Klosters bzw. ab 1460 vom eidgenössischen Landvogt im Thurgau ausgeübt. Die übrigen hoch- und niedergerichtlichen Aufgaben teilten sich das Abteigericht und das von der Abtei abhängige Schultheissengericht der Stadtgemeinde. 1466 zog die Stadt mit Hilfe der Eidgenossen den Brückenzoll an sich, der Abt des Klosters genoss aber Zollfreiheit. 1563 gab die Stadt Brücke und Brückenzoll dem Kloster wieder zurück. Der verstärkte herrschaftliche Zugriff führte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Spannungen zwischen dem Städtchen und dem Kloster. Das Kloster setzte zwar vor der Tagsatzung der acht Orte in Prozessen 1736 und 1746-1747 auch dank Bestechung der Richter seine Herrschaftsansprüche durch, blieb aber in der Folge bei der Mehrheit der Stadtbewohner unbeliebt. Die Aufhebung des Klosters 1862 erfolgte unter anderem aufgrund lokaler Konflikte.

Auf der Klosterinsel lag die 1167 geweihte Pfarrkirche St. Felix und Regula (Neubau 1752, Abbruch 1864), in erhöhter Position innerhalb der Rheinschleife die Pfarrkirche St. Nikolaus (1243 erwähnt, 1296 ins Kloster Rheinau inkorporiert), für die sich die Bezeichnung Bergkirche einbürgerte. Im Zusammenhang mit dem Häuserabbruch in der Stadt mussten die Kirchgenossen der Felix- und Regulakirche ins Pfarreigebiet der Bergkirche ziehen (1298 erwähnt). Die Bürger von Rheinau nahmen mehrheitlich die Reformation an, doch nach 1531 setzte eine Rekatholisierung ein. Die reformierten Einwohner wurden der Kirchgemeinde Marthalen (seit 1980 Kirchgemeinde Ellikon-Rheinau) zugeteilt. Ein Ausgleich zwischen Reformierten und Katholiken wurde in längeren Verhandlungen 1608-1638 erreicht, welche die paritätische Nutzung der Bergkirche möglich machten. 1880 zählte man in Rheinau 47% Katholiken und 53% Reformierte.

1803 kam Rheinau zum Kanton Zürich. Nachdem die Franzosen die Rheinbrücke 1799 hatten zerstören lassen, wurde 1804 eine gedeckte Holzbrücke errichtet, über die der Grenzverkehr nach Deutschland erfolgte. Gemäss der eidgenössischen Volkszählung von 1850 waren ca. 50-60 Personen in der Landwirtschaft und rund 40 Personen im Handwerk beschäftigt. In der Klosterwirtschaft arbeiteten 41 Personen. Nach der Aufhebung des Klosters errichtete der Kanton Zürich 1867 eine psychiatrische Pflegeanstalt (1901 erweitert und teilweise nach Neurheinau verlegt, ab 1965 Kantonale Psychiatrische Klinik Rheinau, seit 2004 Psychiatriezentrum Rheinau, ab 2007 mit forensischer Sicherheitsstation). Die 1897 eröffnete Bahnstation Altenburg-Rheinau an der Bahnlinie Eglisau-Schaffhausen liegt auf deutschem Gebiet. 1944 und 1947 konzessionierte die Eidgenossenschaft bzw. das Landratsamt Waldshut das Elektrizitätswerk Rheinau. Natur- und Heimatschutzkreise erzwangen wegen des Rückstaus ins Rheinfallbecken und der massiven landschaftlichen Eingriffe mit der sogenannten Rheinauinitiative einen Baustopp. In der eidgenössischen Volksabstimmung erlitten die Initianten aber 1954 eine deutliche Niederlage; das Kraftwerk nahm 1956 den Betrieb auf. Das Dorf Rheinau selbst wurde durch die harten Auseinandersetzungen gespalten und lehnte unter anderem aufgrund des Drucks der Elektrizitätswirtschaft die Initiative ab. Wegen Klinik und Kraftwerk ist der Dienstleistungssektor in Rheinau am stärksten vertreten (2005 91%).

Quellen und Literatur

  • E. Schäppi, Der Kampf ums Kraftwerk Rheinau 1951-1954, 1978
  • K. Wanner, Siedlungen, Kontinuität und Wüstungen im nördl. Kt. Zürich (9.-15. Jh.), 1984, 108-116
  • S. Keller, Rheinaubuch 2000, 2000
  • P. Nagy et al., «Rheinau», in ArS 27, 2004, 6-15
  • S. Schreyer, «Das spätkelt. Doppel-Oppidum von Altenburg (D) – Rheinau ZH», in Colloquium Turicense, 2005, 137-154
  • S. Aregger, «Städtchen, Kloster und Eidgenossen im 18. Jh.», in ZTb 2007, 2006, 175-207
  • M. Roth, R.-Heerenwis: früh- und hochma. Siedlungsspuren, 2008
Von der Redaktion ergänzt
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Gisela Nagy-Braun; Martin Illi: "Rheinau (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000032/2011-12-23/, konsultiert am 19.03.2024.