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Lehrerseminar

In der Schweiz waren Lehrerseminare, französisch Ecoles normales, italienisch Scuole magistrali Schulen auf der Sekundarstufe II zur Ausbildung von Primar- und Vorschullehrkräften (Lehrer). Sie boten eine einphasige Ausbildung an, die auf die Integration von fachlichem, theoretischem und berufspraktischem Wissen setzte. Die Bezeichnung Lehrerseminar geht auf das Seminarium praeceptorum (wörtlich: Pflanzstätte für Unterweiser) zurück, eine 1695 von August Hermann Francke in Halle gegründete Lehrerbildungsanstalt.

Lehrerseminar Münchenbuchsee. Lithografie von F. Kräuchli, 1850 (Burgerbibliothek Bern).
Lehrerseminar Münchenbuchsee. Lithografie von F. Kräuchli, 1850 (Burgerbibliothek Bern). […]

Ein Bedürfnis nach Lehrerbildung kam in der Schweiz erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts auf, als infolge einer intensivierten Volksbildung mehr Lehrkräfte benötigt wurden (Primarschule). Bereits 1716 hatte der Mathematiker Johann Bernoulli in Basel ein Lehrerseminar gründen wollen, was jedoch misslang. In der Lausanner Schule für armengenössige Kinder, die 1726 gegründet worden war, wurden ab 1757 Schulmeister ausgebildet. 1761 stellten Martin von Planta und 1772 Nicolas de Luce ihre Erziehungsinstitute in Haldenstein bzw. in der Abtei Bellelay in den Dienst der Lehrerbildung. Unter dem Einfluss des österreichischen Schulreformers Johann Ignaz Felbiger wurde 1779 im Kloster St. Urban von Abt Benedikt Pfyffer eine Musterschule eingerichtet, woraus 1780-1785 das erste Lehrerseminar der Schweiz entstand, das von Pater Nivard Krauer geleitet wurde. 1799-1805 wurde die Lehrtätigkeit am Seminar St. Urban wieder aufgenommen. Diese Schule galt bei der Gründung der Lehrerbildungsstätte in Solothurn (1782) als Vorbild. In der Helvetik setzte sich Philipp Albert Stapfer für die Schaffung eines schweizerischen Lehrerseminars ein. Die Idee konnte unter anderem wegen Geldmangels nicht umgesetzt werden.

Mit der Mediationsakte (1803) geriet das Schulwesen wieder unter kantonale Hoheit, weshalb es sich unterschiedlich entwickelte. In den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts blieb es bei Vorläufern des späteren Ausbildungsmodells: Berufsanwärter liessen sich von amtierenden Lehrern instruieren, besuchten Kurse und monatliche Lehrerkonferenzen und bildeten sich in Lesevereinen weiter. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es in den Kantonen Luzern (1810), Basel (1820) und Aargau (1822) Lehrerseminare, die nebst dem dreijährigen Ausbildungsgang für männliche Anwärter auch Fortbildung für bereits unterrichtende Lehrkräfte anboten. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden besuchten angehende Lehrer die Kantonsschule in Trogen, wo sie Methodikunterricht von Hermann Krüsi erhielten.

Die Gründung der ersten staatlichen Lehrerseminare fällt in die Epoche der Regeneration der 1830er Jahre. Mit der Einführung des Schulobligatoriums in vielen Kantonen stieg die Zahl der Schüler und damit die Nachfrage nach Lehrkräften. 1832 wurde das staatliche Lehrerseminar in Küsnacht (ZH) gegründet, 1833 das deutsche Lehrerseminar in Bern sowie die Lehrerseminare Kreuzlingen und Lausanne, 1837 das staatliche Seminar für den französischsprachigen Berner Jura in Pruntrut, 1852 das Lehrerseminar von Chur, 1856 die Lehrerseminare Seewen (SZ) – später Rickenbach (SZ) – und Rorschach, 1857 Solothurn, 1859 im aufgehobenen Kloster das Lehrerseminar Hauterive, 1873 jenes in Pollegio, welches 1878 (1881 für Frauen) nach Locarno verlegt wurde, sowie 1875 das Lehrerseminar in Sitten. Zur Ausbildung von Frauen wurde das erste Seminar 1837 in Lausanne ins Leben gerufen. Die zweite Ausbildungsstätte für Frauen wurde 1838 in Niederbipp eröffnet und übersiedelte im Jahr darauf nach Hindelbank. Ebenfalls der Ausbildung von Lehrerinnen dienten die Lehrerseminare in Delsberg (1846), Sitten (1848) und Aarau (1873). Besondere Seminarklassen für Töchter führten zudem die Einwohner-Mädchenschule in Bern (1836), die Mädchensekundarschule Freiburg (1850), die Höhere Töchterschule in Zürich (1876) und die Höhere Töchterschule Luzern (1905). Staatliche Seminare öffneten sich später auch der koedukativen Lehrerausbildung, so etwa Küsnacht 1874 und Kreuzlingen 1907. Beide Konfessionen reagierten Mitte des 19. Jahrhunderts auf staatliche Initiativen mit der Gründung eigener privater Ausbildungsstätten, die geschlechtergetrennt geführt wurden. Katholische Lehrerseminare – von Ordensleuten geleitet – entstanden 1830 in Baldegg, 1850 in Menzingen (Bernarda), 1853 in Brig (St. Ursula), 1860 in Ingenbohl, 1872 in Zug (St. Michael), 1873 (St. Ursula) und 1880 (Sacre-Cœur) in Freiburg, 1884 in Bellinzona (Santa Maria) und 1904 in Cham (Heiligkreuz). Reformierte Lehrerseminare nahmen in Schiers (1837), an der Neuen Mädchenschule Bern (1851), am Seminar Muristalden in Bern (1854) sowie in Zürich-Unterstrass (1869) ihren Betrieb auf. In einigen Kantonen bildeten sich Lehrerseminare als Abteilungen der Kantonsschulen (Gymnasien), so in Schaffhausen (1826, 1851), Neuenburg (1867) und Genf (1872).

Ein Professionalisierungsschub Ende des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass die Kantone Bern, Zürich und Waadt die fünfjährige Ausbildungszeit an ihren Lehrerseminaren in ein dreijähriges Unter- und ein zweijähriges Oberseminar teilten. Mit der Gründung des Instituts Jean-Jacques Rousseau in Genf entstand die erste nicht-seminaristische Lehrerausbildung in der Schweiz. Ende der 1930er Jahre existierten 45 Lehrerseminare, 27 staatliche und 18 private, darunter 21 staatliche und neun private Seminare oder Seminarabteilungen für Frauen. Die Dauer der Ausbildungszeit betrug – auf neun Schuljahren Volksschule aufbauend – zumeist vier Jahre, in den Kantonen Tessin und Neuenburg nur drei Jahre, im Kanton Luzern fünf (wovon ein Jahr Vorkurs). 1950 gab es in der Schweiz noch 43 Lehrerseminare, 1998 49. An den meisten Lehrerseminaren wurde die Ausbildungszeit in den 1980er Jahren auf fünf bzw. sechs Jahre erhöht (für Hauswirtschaftslehrkräfte und Kindergärtnerinnen vier bzw. drei Jahre). Ende der 1980er Jahre zeichnete sich die Tendenz ab, die Primarlehrerausbildung auf die Tertiärstufe zu verlegen. Im Kanton Zürich erfolgte die Umwandlung der Seminare in sogenannte Lehramtsschulen (ohne eidgenössische Matur). Im Zuge der Reform der höheren Bildung entstanden in den 1990er Jahren aus den Lehrerseminaren zum Teil Gymnasien mit musischem Profil, andere wurden zu Pädagogischen Hochschulen (Fachhochschulen) umgestaltet.

Quellen und Literatur

  • J.J. Schlegel, Die schweiz. Lehrerbildungsanstalten, 1873
  • W. Brenner, Die Lehrerseminare der Schweiz, 1941
  • F. Rossi, Storia della scuola ticinese, 1959
  • P.-Y. Favez, Une école pour l'école, 1983
  • H. Badertscher, Hb. zur Grundausbildung der Lehrerinnen und Lehrer in der Schweiz, 1993
  • H.-U. Grunder, Seminarreform und Reformpädagogik, 1993
  • Histoire de l'Université de Neuchâtel 2, 1994, 16-17, 298-302
  • D. Périsset Bagnoud, Vocation: régent, institutrice: jeux et enjeux autour des écoles normales du Valais romand (1846-1994), 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans-Ulrich Grunder: "Lehrerseminar", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.08.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/028711/2012-08-09/, konsultiert am 29.03.2024.