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Siechenhäuser

Die Siechenhäuser waren im Mittelalter verbreitete Absonderungsstätten für Aussätzige (Sieche, Feldsieche). Der Aussatz (Lepra) war bis ins 15. Jahrhundert weit verbreitet, doch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung war davon befallen. Aussätzige waren gleichsam inexistent für die Gesellschaft, wurden zwangsweise ausgemeindet und ausserhalb der Siedlungen untergebracht und verpflegt. Ihre Existenz sicherten der jeweilige Bischof und Ortspfarrer, später die Gemeinden. Vom 8. Jahrhundert an entstanden in der Schweiz etwa 195 Siechenhäuser, das erste beim Kloster St. Gallen. Besonders zahlreich waren die Siechenhäuser in der Westschweiz, im Rhone-, Aare- und Rheintal. Auf dem Land bestanden die Anlagen aus mehreren kleinen Hütten, in Stadtnähe vorwiegend aus zweigeschossigen Häusern für 15 bis 20 Personen. Manche Städte hatten zwei oder drei Siechenhäuser. Dazu gehörten auch verschiedene Wirtschaftsgebäude, Kapelle und Friedhof. Bevorzugt war die Lage an Handels- und Pilgerwegen, an Brücken oder bei Richtplätzen.

Bei Verdacht auf Aussatz entschied eine bischöfliche Kommission über die Aufnahme ins Siechenhaus, im Hochmittelalter übernahmen die Städte diese Aufgabe, vom 14. Jahrhundert an wurden beeidigte Medizinalpersonen zu Rate gezogen. Mit dem Eintritt ins Siechenhaus verloren die Betroffenen alle Rechte, waren aber geschützt. Sie mussten sich einer strengen Haus- und Kleiderordnung unterwerfen und ein Warninstrument (Horn, Glocke, Klapper) bei sich tragen. Der Aufenthalt im Siechenhaus konnte 15 bis 20 Jahre dauern, die Geschlechter lebten getrennt, doch Ehepaare durften zusammenbleiben. Nur selten kam es zu einer Heilung und zur Rückkehr in die Gesellschaft. Viele Siechenhäuser verfügten über ein beträchtliches Vermögen aus Stiftungen, Vergabungen, Nachlässen, Wegzöllen und Almosen. Bei bemittelten Kranken waren Einkauf und Mitgift üblich. Für Ortsfremde war der Einkauf teurer. Arme erhielten das Pfrund- und Bettelrecht. Nach dem Rückgang der Lepra im 16. Jahrhundert wurden die Siechenhäuser aufgelöst oder für andere Zwecke genutzt.

Quellen und Literatur

  • F. Bühler, Der Aussatz in der Schweiz, 1902
  • J. Niquille, «La léproserie de Bourguillon», in Ann. frib., 42, 1956, 47-61
  • F. Loew, «La maladière de Neuchâtel», in MN, 1969. 32-37
  • Beitr. zur Gesch. der Lepra, hg. von H.M. Koelbing et al., 1972
  • P. Sutter, "Arme Siechen", 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Ingrid Müller-Landgraf: "Siechenhäuser", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.12.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/028664/2012-12-19/, konsultiert am 28.03.2024.