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Alter

Alter war bis ins frühe 20. Jahrhundert gleichbedeutend mit Invalidität bzw. Infirmität. Jene Menschen galten als alt, deren körperliche und geistige Kräfte schwanden; dabei handelte es sich nicht zwangsläufig um Personen, die ein bestimmtes kalendarisches Alter überschritten hatten. Die Bewertung des Alters war oft ambivalent. Einerseits wurde es mit körperlichem und geistigem Zerfall, Gebrechlichkeit und Nähe zum Tod, andererseits aber auch mit Erfahrung und Weisheit assoziiert (Lebenszyklus).

Die soziale Stellung alter Menschen und die Wahrnehmung des Alters

In römischer Zeit (v.a. während der Republik) wurde die Stellung namentlich alter Haushaltsvorstände durch patriarchale Familienstrukturen (pater familias) gestärkt. Die Ahnenverehrung erhöhte das Prestige der Vorfahren (maiores) gegenüber den Nachkommen (minores). Im Unterschied zur griechischen sind in der römischen Kultur Darstellungen und Skulpturen alter Menschen vergleichsweise häufig, und mit Ciceros "Cato maior de senectute" liegt eine eigentliche Eloge des Alters vor.

Die Völkerwanderung und die damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen liessen Anteil und Ansehen alter, d.h. gebrechlicher Menschen wieder sinken. Entscheidend für die Stellung war primär die Körperkraft im Krieg, während der Wanderschaft, bei Rodungen usw. Mit der Verbreitung und Durchsetzung des Christentums entstand teilweise wieder ein positives, spirituelles Bild des Alters, das vor allem in hagiografischen Beschreibungen zum Ausdruck kam (Alte als geistige Vorbilder oder Vertrauenspersonen). Als Träger kultureller Überlieferung genossen ältere Menschen zum Teil ebenfalls ein Ansehen, wobei im Mittelalter meist nicht das Alter an sich, sondern die Stellung im Generationenverbund (Clanältester, ältestes Familienmitglied) relevant war. Faktisch war das frühe Mittelalter dem Alter gegenüber allerdings weitgehend indifferent, da höchstens 2-3% der Menschen 60-jährig und älter waren. Mit der Ausdifferenzierung der mittelalterlichen Gesellschaft ab dem 11. Jahrhundert (Städtegründungen, Feudalgesellschaft) diversifizierten sich Stellung und Ansehen alter Leute verstärkt nach Stand, Besitz und Wohnort. In dieser Zeit entstanden auch erste Wohltätigkeitseinrichtungen (Armenhäuser, Hospize, Spitäler), die arbeitsunfähige Betagte versorgten.

Medizinisch thematisiert wurde das Alter allerdings erst im späten Mittelalter, wobei der Beginn des Alters im Sinne einsetzenden körperlichen Zerfalls (Seneszenz) sehr unterschiedlich angesetzt wurde (zwischen 35 und 70 Jahren). Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit erhöhte sich zwar der Anteil älterer Menschen, gleichzeitig aber erfuhr der alte Mensch eine Abwertung. Die Betonung von Jugendlichkeit, aber auch die Abwertung der mündlichen Tradition mit dem Durchbruch des Buchdrucks und der Zunahme der Schriftlichkeit verschlechterten namentlich in Mitteleuropa die Stellung älterer Menschen. Mit den Pestzügen und anderen Epidemien geriet das Alter – als Vorstufe des Todes – in den Sog der Todesdarstellungen. Jugend und Alter rückten in die Nähe des Gegensatzes von Leben und Tod. Im 16. und frühen 17. Jahrhundert führten auch die harten kriegerischen Auseinandersetzungen (Religionskriege, Dreissigjähriger Krieg) vielerorts zu einer altenfeindlichen Verrohung der Sitten.

In vielen Gebieten der alten Eidgenossenschaft haben allerdings zwei Entwicklungen die Abwertung und Ausgliederung älterer Menschen im 16. und 17. Jahrhundert gemildert: Zum einen kannte das zünftische Handwerk eine stärkere Hochschätzung älterer Menschen. Dies galt vor allem in Berufen, in denen ältere Meister ihre Erfahrungen zur Geltung bringen konnten (Kunsthandwerke). Zum anderen haben die schweizerischen Reformatoren (namentlich Johannes Calvin) im Rahmen ihrer Aufwertung der väterlichen Gewalt die Tugenden des Alters hervorgehoben. Mit der theozentrischen Begründung des Vateramts wurden gezielte Gegennormen zur Idealisierung der Jugend eingebracht.

Ab dem späten 17. Jahrhundert setzte sich – im Rahmen einer Versittlichung der Gesellschaft (Betonung bürgerlicher Tugenden) – allmählich wieder eine verstärkte Achtung vor den alten Mitmenschen durch. Die Staatsform des Absolutismus stärkte die gesellschaftliche Stellung der Familienväter und der älteren Menschen. Sie gewannen an Autorität und wurden zu Autoritäten. Vater und Alter wurden vom Begriff her teilweise deckungsgleich, und Prinzipien der Anciennität gewannen an Gewicht. Diese Entwicklung gipfelte im 18. Jahrhundert in einer eigentlichen "Inthronisation des Alters". Das zeitgenössische Idealbild des massvoll lebensfreudigen Menschen, der sich weise, genügsam und zufrieden, sanft und sittsam gibt, der die Freuden des Lebens mit Bedacht geniesst, kam den physischen Möglichkeiten der alternden Menschen entgegen. Aufgrund der allmählichen Erhöhung der Lebenserwartung stieg auch das demografische Gewicht der älteren Menschen in den Dörfern und Städten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand eine eigentliche Sozialmedizin vom Altern, wobei erstmals Fragen der Erhöhung der Lebensdauer angesprochen wurden. Erst nach 1760 zeigte sich wiederum eine kritischere Haltung der älteren Generation gegenüber, und eine selbstbewusste Jugend bekannte sich zu jungen, mutigen und lebensvollen Helden, wie sie zum Beispiel 1761 Jean-Jacques Rousseau in seinem Briefroman "Julie ou la Nouvelle Héloïse" darstellte. Die Sturm-und-Drang-Periode sowie die revolutionären Umwälzungen in Frankreich – und die damit einhergehende Gleichsetzung von Jugend und Erneuerung – verstärkten solche Tendenzen.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die Stellung alter Menschen durch die raschen und tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Veränderungen allgemein geschwächt. Der Ansehensverlust des Alters wurde durch medizinische Theorien untermauert, die das Altern einseitig als degenerativen Prozess interpretierten. Auch der Ausbau der schulischen und beruflichen Bildung trug im späten 19. Jahrhundert zum Autoritätsverlust der älteren Generation bei, da die Jungen oftmals besser ausgebildet waren als die Alten. Im 20. Jahrhundert wurden Jugend und Jugendlichkeit zu einem umfassenden gesellschaftlichen Wert, und die Ästhetik des jungen Körpers in Mode und Kultur wurde durch die Massenmedien (Wochenzeitschriften, später Kino, Fernsehen, Werbung) rasch verbreitet. Das Alter wurde entsprechend abgewertet, umso mehr als primär die Defizite des Alters (körperlicher Verfall, kognitive Einbussen, Aufgabe der Erwerbstätigkeit) betont wurden.

Erst seit den 1970er Jahren erfährt dieses Bild des Alters wieder eine Veränderung: Die Defizit-Theorien werden verstärkt in Frage gestellt und die Chancen stärker hervorgehoben. Gleichzeitig ergibt sich eine verstärkte soziale und kulturelle "Verjüngung" der älteren Menschen, die immer mehr Tätigkeiten – wie Reisen, Sport, Weiterbildung, sich modisch kleiden – übernehmen, die früher als Privileg der Jugend galten. Zur verbesserten Wahrnehmung der spezifischen Interessen ihrer Altersgruppe haben sich seit den 1980er Jahren Persönlichkeiten im Seniorenalter vermehrt vereinsmässig organisiert (z.B. 1986 Graue Panther Schweiz, 1990 Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfe-Organisationen der Schweiz, 2001 Schweizerischer Seniorenrat).

Demografisches Gewicht der älteren Bevölkerung im Zeitvergleich

OrtZeitQuotea
Römisches Reich, Gallien, Norditalien 5-7%
Mittel- und Nordeuropa1-520 n.Chr.3%
(Pestzeiten)520-7501-2%
 750-10003%
 1000-13483%
(Pestzeiten)1348-15002%
Wallis1300-14001%
 1400-15003%
Genf (Stadt)1561-16005%
Mettmenstetten16345%
Albisrieden, Zumikon16344%
Zürich (Stadt)16376%
Sulgen17106%
 17228%
Wiesendangen17216%
Ober- und Unterstammheim176410%
Bern (Stadt)176410%
Genf (Stadt)179811%
 181611%
Luzern (Stadt)181210%
Schweiz18608,5%
 19009,2%
 194112,9%
 200020%

a Anteil der 60-jährigen und älteren Personen an der Gesamtbevölkerung

Demografisches Gewicht der älteren Bevölkerung im Zeitvergleich -  Autor

Lebensweise und Haushaltssituation älterer Menschen

Allgemeine Aussagen zur Lebensweise und Haushaltssituation älterer Menschen in früheren Epochen sind kaum möglich. Zum einen sind die Unterschiede je nach Region, sozialer Schicht und Familienverhältnissen ausgeprägt. Zum andern haben die hohen Sterblichkeitsraten früherer Epochen zu einer Vielzahl verschiedenster Familien- und Lebensformen geführt. Ein gemeinsames Aufwachsen von mehr als zwei Generationen war aufgrund der tiefen Lebenserwartung selten. Drei-Generationen-Haushalte bildeten schon aus demografischen Gründen in den Städten wie auf dem Land die Ausnahme und eine oft kurze Übergangsphase zwischen anderen Haushaltsformen. So umfassten 1720 in der Stadt Genf nur 4,6% aller Familienhaushalte mehr als zwei Generationen. Auf dem Land und in späterer Zeit lag der Anteil der Drei-Generationen-Haushalte etwas höher (z.B. Jussy 1822 14,1%). Für die konkrete Lebens- und Haushaltssituation älterer Männer und Frauen waren die Produktions- und Besitzverhältnisse entscheidend. Zu unterscheiden ist deshalb zwischen der Situation auf dem Land und in den Städten.

Demografische Entwicklung der Generationenbeziehungen

JahrMittleres Alter eines erstgeborenen Kindes beim Tod seiner/seines:
 MutterVatersGrossmutteraGrossvatersa
1881/883732102
1920/214136146
1958/6350422514
1991/9255472717

a mütterlicherseits

Demografische Entwicklung der Generationenbeziehungen -  Stuckelberger, Astrid; Höpflinger, François: Vieillissement différentiel, 1996

Situation auf dem Land

Für die Generationenbeziehungen und die Stellung der alten Menschen war die jeweilige Art der Besitzübertragung (Realteilung oder Anerbe) mitentscheidend. Mit dem Erbe als Faustpfand, dem der Hausherr in hohem Masse seine Machtstellung gegenüber seinen Kindern verdankte, vermochte die ältere Generation in gewissem Umfang die eigene Lage im Alter zu steuern (Altersvorsorge). Aufgrund der oft prekären wirtschaftlichen Lage (am Rande der Existenzsicherung) gehörten in bäuerlichen Kreisen Streitigkeiten über die Versorgung der Alten zum Alltag. Der Zeitpunkt der Hofübergabe war in bäuerlichen Kreisen ein ständiger Streitpunkt zwischen den Generationen. Das gemeinsame Zusammenleben erwachsener Kinder und alter Eltern war mehr eine wirtschaftliche Zwangsgemeinschaft, als dass sie idealisierten Bildern über das Leben alter Menschen "im Schosse ihrer Familien" entsprochen hätte. Um den Generationenwechsel zu beschleunigen, wurde im 17. Jahrhundert vermehrt die Institution des Ausgedinges (z.B. in Form des Stöckli) verwendet. Da sie eine Mindestgrösse des Hofs voraussetzte, konzentrierte sich diese Form eines geregelten Rückzugs auf den Altenteil auf Einzelhofregionen mit Anerbenrecht.

Situation in den Städten

Im Vergleich zum Land erlaubte die Stadt eine grössere Unabhängigkeit der Generationen. Die alten Handwerker lebten zwar nicht allein, zumeist aber auch nicht mehr mit ihren Kindern zusammen. Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts standen in den grösseren Städten die meisten älteren Frauen und Männer (mehr als 75%) nachweislich einem eigenen Haushalt vor. Dessen Beibehaltung wurde in den Städten dadurch erleichtert, dass alte Handwerker besonderen Schutz (z.B. Konkurrenzverbote) genossen. Auch für Frauen ergaben sich viele Möglichkeiten, im Alter physisch weniger anspruchsvolle Tätigkeiten auszuüben (Nähen, Spinnen). Der hohe Anteil alter Personen mit selbständiger Haushaltsführung in den Schweizer Städten des 17. und 18. Jahrhunderts hing jedoch auch mit einer restriktiven Niederlassungspolitik zusammen: Für viele Mägde, Knechte, Gesellen usw., die als jugendliche Arbeitskräfte in die Stadt gekommen waren, bedeutete Altern die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr in ihre Herkunftsgemeinde. Die hohe Selbstständigkeit und vergleichsweise privilegierte soziale Lage der städtischen Betagten war Ausdruck einer ungleichgewichtigen Stadt-Land-Beziehung. Mit dem Niedergang des Zunfthandwerks verschlechterten sich im 18. Jahrhundert allerdings die Möglichkeiten zur Führung eines eigenen Haushalts im Alter. Der Anteil alter Haushaltsvorstände sank, demgegenüber stieg der Anteil der betagten Pfründner in den städtischen Spitälern.

Wirtschaftliche Faktoren wie Pauperismus und verstärkte Bedeutung der physischen Körperkraft in der industriellen Produktion führten dazu, dass im 19. Jahrhundert speziell in Unterschichten das Alter nicht nur einen Statusverlust, sondern auch den Verlust des eigenen Haushalts bedeutete. Im frühen 19. Jahrhundert nahm die Zahl älterer Schlafgänger und Untermieter deutlich zu. Zugleich erhöhte sich auch die Zahl älterer Menschen, die aus finanziellen Gründen nicht verwandte Mitbewohner aufnahmen. In einigen Regionen, zum Beispiel in der Innerschweiz, wuchs im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zudem der Anteil älterer Personen, die mit ihren Kindern lebten, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse den Wegzug der Kinder behinderten. Die Kriegs- und Krisenzeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trugen ebenso dazu bei, dass Drei-Generationen-Haushalte relativ häufig waren. Gleichzeitig behinderten sie die Familiengründung, wodurch vergleichsweise viele Betagte aus diesen Generationen ohne Nachkommen blieben.

Feminisierung des Alters im 20. Jahrhundert
Feminisierung des Alters im 20. Jahrhundert […]

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Trend zum selbstständigen Wohnen und Leben der Generationen weiter fort. Die Haushaltsgemeinschaft älterer Frauen und Männer mit ihren (erwachsenen) Kindern wurde erneut seltener, obwohl sich die gemeinsame Lebenszeit der Generationen erheblich ausweitete. Während 1960 noch rund 27% der über 70-Jährigen mit eigenen Kindern zusammenlebten, waren dies 2010 weniger als 5%. Der Anteil allein lebender alter Menschen nahm entsprechend deutlich zu (Singularisierung des Alters). So stieg der Anteil der allein lebenden Frauen im Alter von 75 Jahren und mehr zwischen 1960 und 2010 von 24% auf 51%; etwas weniger ausgeprägt verlief der Trend bei betagten Männern (1960 11%, 2010 22%). Aufgrund der verstärkten geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Lebenserwartung ergab sich zudem eine zunehmende Feminisierung des Alters. Vor allem bei den Hochbetagten nahm der Frauenanteil im Verlauf des 20. Jahrhunderts deutlich zu.

Armut im Alter und Altersfürsorge

Die wirtschaftliche Lage älterer Menschen wurde bis ins 20. Jahrhundert primär durch ihre Arbeitskraft und ihre Besitzverhältnisse bestimmt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war Arbeit "bis ins Grab" für die grosse Mehrheit der Bevölkerung ein unabdingbares Muss. Die ökonomische Sicherheit im Alter hing für die grosse Mehrheit der Bevölkerung von der Fähigkeit ab, im angestammten Beruf weiter arbeiten zu können. Das Alter – definiert als Nachlassen der Arbeitskraft – war somit in vielen Fällen ein entscheidender Faktor für die Verarmung. Alleinstehende Frauen und Alte bildeten seit jeher die traditionellen Armengruppen. So stellten im Jahr 1579 ledige oder verwitwete Frauen in Luzern über 85% der Hilfsbedürftigen, und gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren in Olten zwei Drittel der Fürsorgeempfänger über 55 Jahre alt. Hoch war das Armutsrisiko gerade bei betagten Frauen; 1745-1755 waren mehr als ein Drittel der vom Genfer Hôpital général unterstützten Personen Frauen im Alter von über 60 Jahren.

Erwerbsquote bei der über 60-jährigen Bevölkerung
Erwerbsquote bei der über 60-jährigen Bevölkerung […]

Bis ins 18. Jahrhundert bestand keine spezielle öffentliche Altersfürsorge. Die Zünfte beispielsweise kannten keine Alters-, sondern höchstens eine Invalidenversorgung. Allerdings entstanden erste Wohltätigkeitseinrichtungen (Armenhaus, Hospiz), die häufig arbeitsunfähige Betagte aufnahmen, schon im späten Mittelalter. Die Arbeitsfähigkeit, aber auch die Lebensverhältnisse armer Alter wurden gezielt kontrolliert, und in den Spitälern wurde zwischen bemittelten und unbemittelten Pfründnern unterschieden. Im 16. Jahrhundert kam es auch in der Eidgenossenschaft zu einer Kommunalisierung der Armenfürsorge und der Spitäler, die sich dabei faktisch vielfach in Altersheime verwandelten. Die Unterstützung beschränkte sich immer stärker auf eigene Bürger (Bürgerheime). Die repressiven Massnahmen gegenüber den Armen – wozu viele ältere Frauen und Männer gehörten – nahmen zu (Bettelverbote, Moral- und Verhaltenskodex für Unterstützungsbedürftige). Im 18. Jahrhundert wuchs der Anteil der hospitalisierten Alten vor allem in den Städten. So stieg in Genf der Anteil der im Hôpital général im Alter von über 60 Jahren verstorbenen Personen zwischen 1592 und 1689 von 4,7% auf 10,2%, um 1780 17% zu erreichen.

Ende des 18. Jahrhunderts und im Verlauf des 19. Jahrhunderts spezialisierten sich Spitäler und soziale Einrichtungen stärker auf fest umrissene Aufgaben bzw. Gruppen. So entstanden für verschiedene Gruppen unterschiedliche Einrichtungen (Waisenhäuser, Zuchthäuser, Jugendanstalten, Bürger- und Altersheime). Mit der Entwicklung der Medizin ergab sich – vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – eine verstärkte Trennung von Spital, Pflegeheim und psychiatrischer Anstalt. Die Bürger- und Altersheime wurden nicht selten in abgelegenen Randlagen angesiedelt, womit die Ausgliederung der Betagten verstärkt wurde. Das auch nach der Gründung des Bundesstaats 1848 dominierende Bürgerortsprinzip in der Fürsorge, das erst 1977 definitiv abgeschafft wurde, führte in nicht wenigen Fällen zur (zwangshaften) Umplatzierung alter, invalider Menschen. Von den betagten Heiminsassen wurde weiterhin eine Arbeit – im Rahmen ihrer Möglichkeiten ― verlangt (z.B. Garten-, Küchenarbeit).

Plakat der Pro Senectute, gestaltet von Martin Peikert, 1943 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat der Pro Senectute, gestaltet von Martin Peikert, 1943 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Am hohen Armutsrisiko alter Menschen änderte sich bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wenig. Noch 1920 waren 35% der alten Menschen unterstützungsbedürftig (Pro Senectute). Entsprechend der ungesicherten Altersvorsorge war der Anteil der erwerbstätigen Betagten weiterhin sehr hoch. Die wirtschaftliche Lage der älteren Menschen verbesserte sich erst in der Nachkriegszeit, dank der Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) 1948 und dank besserer beruflicher Vorsorge (Pensionskassen). Armut im Alter ist zwar heute nicht vollständig verschwunden, aber kein Massenphänomen mehr. Mit dem 1966 eingeführten System von Ergänzungsleistungen ist im Prinzip die Existenzsicherung aller Betagten garantiert.

Quellen und Literatur

  • P. Borscheid, Gesch. des Alters 1, 1987
  • M. Mattmüller, Bevölkerungsgesch. der Schweiz, Tl. 1, 2 Bde., 1987
  • G. Minois, History of Old Age, 1989
  • L. Demaitre, «The care and extension of old age in medieval medicine», in Aging and the Aged in Medieval Europe, hg. von M.M. Sheehan, 1990, 3-22
  • J. Ehmer, Sozialgesch. des Alters, 1990
  • I. Cochelin, «In senectute bona», in Les Ages de la Vie au Moyen Age, hg. von H. Dubois, M. Zink, 1992, 119-138
  • Le poids des ans, hg. von G. Heller, 1994
  • A. Perrenoud, «Parents, grand-parents et parenté à Jussy au tournant du XIXe siècle», in Des archives à la mémoire, 1995, 305-323
  • G. Göckenjan, Das Alter würdigen, 2000
  • Das Alter – eine Kulturgesch., hg. von P. Thane, 2005
  • K. Seifert, Chronik Pro Senectute 1917-2007, 2007
Von der Redaktion ergänzt
  • Dirlewanger, Dominique: Les couleurs de la vieillesse. Histoire culturelle des représentations de la vieillesse en Suisse et en France (1940-1990), 2018.
Weblinks

Zitiervorschlag

François Höpflinger: "Alter", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.03.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002826/2015-03-25/, konsultiert am 28.03.2024.