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Antikommunismus

Der Begriff Antikommunismus ist untrennbar mit dem Terminus Kommunismus verbunden, doch suggeriert das antinomische Paar eine falsche Symmetrie. Während sich der Begriff Kommunismus meist auf eine relativ klar umrissene Weltanschauung und Programmatik sowie, vorab im 20. Jahrhundert, auf eine Reihe hochgradig strukturierter politischer Organisationen bezieht, ist der Terminus Antikommunismus diffuser: Weder umschreibt er eine eindeutig definierte Ideologie und Zielsetzung, noch bezieht er sich stets auf eine oder mehrere genau bestimmbare Organisationen. Als Abwehrkraft und Abwehrhaltung gegen den Kommunismus ist er zwar Reaktion auf diesen, doch stand er nie zwingend in direktem Verhältnis zur Stärke seines Gegners. Denn beim Antikommunismus handelt es sich gleichermassen um eine Einstellung wie um eine Vorstellung: Einerseits ist Antikommunismus Ausdruck einer (rechts-)bürgerlichen Gesinnung, die gesellschaftliche Grundwerte wie Familie, Staat, Privateigentum, Religion und Patriotismus als gefährdet erlebt. Andererseits ist er ― über das bürgerliche Lager hinaus bis in die Sozialdemokratie und Gewerkschaften hinein ― Deutung der «Welt». Diese Deutung überschätzt jedoch die vermeintliche Gefahr systematisch, da sie auf der Idee einer kommunistischen Verschwörung gründet, die den politischen Mythen zuzurechnen ist.

Obwohl der bürgerliche Antikommunismus in erster Linie ideologisch motiviert war, der sozialdemokratisch-gewerkschaftliche hingegen eher die Methoden der schweizerischen und sowjetischen Kommunisten kritisierte, sahen in ihm beide eine politische Gefahr und reagierten mit Verbotsmassnahmen bzw. Ausschlussverfahren. Der militante rechtsbürgerliche Antikommunismus griff zudem vor allem in den Jahren nach dem Landesstreik mit dem Aufbau von Bürgerwehren zum bewaffneten Selbstschutz.

Bürgerlicherseits wurde die grossteils irrationale Angst vor der Subversivität des Kommunismus auch bewusst für den Aufbau von in der politischen Auseinandersetzung mächtigen Feindbildern instrumentalisiert, die der inneren Stabilisierung dienten. Ein solches Beispiel liefert der fliessende Übergang zwischen Antikommunismus und Antisozialismus. Zweck ist die Diskreditierung des Gegners, indem dessen Forderungen als kommunistisch gebrandmarkt werden. Die Praxis der Amalgamierung aller (linken) oppositionellen Haltungen wirkte auch als Einschüchterungsinstrument gegen die Arbeiterbewegung insgesamt und als gesellschaftliche Marginalisierung der Arbeiterschaft. Besonders zur Zeit des Kalten Krieges aber konnte sich Antikommunismus, wenn es geboten erschien, sehr wohl als differenzierungsfähig erweisen, indem gewisse, als genügend integriert angesehene sozialdemokratische Politiker und Gewerkschafter von einer Stigmatisierung ausgenommen wurden. Immer jedoch ging es darum, kommunistischen Auffassungen im demokratischen Staat jegliche Legitimität abzusprechen, indem sie als tendenziell illegal gekennzeichnet und demzufolge quasi präventiv kriminalisiert wurden. Diese Taktik blieb gerade in Bezug auf die Schweizer Sozialdemokratie nicht ohne Erfolg (Sozialdemokratische Partei). Zum Teil schon in den 1920er und 1930er Jahren, dann vor allem in den 1950er Jahren grenzte sich diese deutlich und manchmal auch virulent gegen den Kommunismus ab, wobei der Antikommunismus die durch die Konkurrenzsituation und die unterschiedlichen Auffassungen bestehenden Differenzen verschärfte und emotionalisierte. So schlossen Gewerkschaften nach dem Ersten Weltkrieg Kommunisten aus und erliessen nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zugangsverbot für Mitglieder der Partei der Arbeit (PdA) zu gewerkschaftlichen Funktionen.

Antikommunismus erscheint daher als vieldeutiger, kontextabhängiger Begriff. Von Anfang an zeitigte er jedoch konkrete Auswirkungen auf strafrechtlicher und staatschützerischer Ebene. Die erste Manifestation in der Schweiz fand 1843 statt, als der Begriff Kommunismus noch nicht endgültig geprägt war. Der Zürcher Regierungsrat Johann Caspar Bluntschli liess den messianistischen Frühsozialisten Wilhelm Weitling verhaften und machte dessen «kommunistischen» Ideen den Prozess. Konservative richteten den Kommunismusvorwurf auch gegen linke Radikale, etwa gegen den Berner Regierungsrat Johann Rudolf Schneider oder Bundesrat Henri Druey. 1889 dotierte sich die Eidgenossenschaft dank der Ernennung eines Bundesanwalts mit den Mitteln einer zentralen polizeilichen Überwachungsinstanz (Bundesanwaltschaft).

In den folgenden Jahrzehnten verschob sich das Feindbild. Bis zum Ersten Weltkrieg galt vornehmlich der Anarchismus als Gefahr für die bestehende Ordnung. Nach der kommunistischen Machtergreifung in Russland formierten sich die Grundzüge des bis in die 1930er Jahre dominierenden Musters des Antibolschewismus. In den anschliessenden Jahrzehnten bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 erfolgte der Übergang zum Antikommunismus: Das periodisch heraufbeschworene Angstgefühl kristallisierte sich um die Vorstellung einer akuten oder schleichenden Gefahr aus dem Osten, sei es durch eine von aussen kommende Invasion, sei es durch eine im Innern angezettelte, aber von aussen gesteuerte Subversion. Die Virulenz des Antikommunismus war dabei meist weniger abhängig von einer real existierenden Bedrohung als von symbolmächtigen politischen Ereignissen, welche die mit dem Feindbild verknüpften Befürchtungen nährten. Auslöser und immer wieder beschworener Referenzpunkt auch der Geschichtsschreibung war der Landesstreik von 1918. Weitere Schlüsselmomente situieren sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und den ersten Kriegsjahren sowie in der Ära des Kalten Krieges, mit Höhepunkten 1948 nach der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei, 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes und schliesslich in abgeschwächter Form 1968 nach der sowjetischen Intervention gegen den Prager Frühling und dem Auftreten der Neuen Linken, die sich zum Teil auf den historischen Kommunismus bezog.

Abwehrmassnahmen gegen den Kommunismus finden sich sowohl auf staatlicher wie auf privater, rechtsbürgerlicher Ebene. Während Erstere vor allem rechtlich und polizeilich vorging, zeigte sich Letztere nicht nur propagandistisch und teilweise paramilitärisch, etwa in Bürgerwehren tätig, sondern sekundierte die offiziellen Staatsschutz-Massnahmen durch inoffizielle, je nach Konjunktur mehr oder weniger intensive Überwachungspraktiken und politische Nachrichtendienste. Die De-facto-Arbeitsteilung zwischen staatlichen und privaten Stellen wurde durch deren jahrzehntelange kommunikative Vernetzung parallelisiert. Derart unterhielt der 1919 von Eugen Bircher gegründete Schweizerische Vaterländische Verband (SVV) bis zu seiner Auflösung 1947 über direkte wie indirekte Kanäle einen Informationsaustausch mit der politischen Polizei. Eine enge Zusammenarbeit bestand auch zwischen dem 1948 aus der Taufe gehobenen Schweizerischen Aufklärungsdienst, einer überparteilichen Nachfolgeorganisation von Heer und Haus, und der Bundespolizei. Zum politischen Skandal kam es 1976, als publik wurde, dass die vom Zürcher Freisinnigen Ernst Cincera geleitete Informationsgruppe Schweiz Behörden und private Unternehmen mit Auskünften über «Subversive» versorgte, unter die nicht nur Kommunisten, sondern alle «Linken», d.h. alle, die den politischen Status quo in Frage stellten, subsumiert wurden. Vor allem in der Zwischenkriegszeit wirkte der organisierte Antikommunismus auch grenzübergreifend; so gab es seitens des SVV, aber auch der 1924 gegründeten Entente internationale contre la IIIe Internationale ― nach dem Gründer Théodore Aubert besser als Liga Aubert bekannt ― oder der vom ehemaligen Bundesrat Jean-Marie Musy geführten Action nationale suisse contre le communisme eine gewisse Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich.

Die Wirksamkeit der zahlreichen und wechselnden antikommunistischen Gruppierungen seit 1918 ist zwar nur schwer zu fassen, da ein grosser Teil ihrer Aktivitäten in eine politische Grauzone fällt, doch lässt sich ihnen zumindest auf rechtlicher Ebene ein gewisser Erfolg bescheinigen. Insbesondere in den 1930er und in den ersten Kriegsjahren wurden die von antikommunistischen Vereinigungen lange geforderten Verbotsmassnahmen gegen kommunistische Organisationen teils kantonal (Neuenburg und Genf 1937, Waadt 1938) und 1940 auch eidgenössisch durchgeführt. Dieses Ergebnis war nicht nur der guten gesellschaftlichen und politischen Integration ihrer führenden Leute zu verdanken, sondern auch der breiten Verankerung antikommunistischer Haltungen und Überzeugungen bis auf höchste Staatsebenen. Ausdruck davon sind die mehrmals unternommenen Versuche, ein Ordnungsgesetz einzuführen. Ein Paradebeispiel bildet der auf diesem Gebiet äusserst aktive Jean-Marie Musy, der schon zu seiner Bundesratszeit ein Anstellungs- und Arbeitsverbot für Kommunisten in der Bundesverwaltung erwirkte (1932). Auch 1950 wurde eine Direktive verabschiedet, welche die Entlassung von Bundesangestellten, die einer kommunistischen Organisation angehörten, vorsah. Sie blieb bis 1990 in Kraft. Das Ausmass der Angst vor kommunistischer Subversion und deren Konsequenzen auf Ebene des Schweizer Staatsschutzes zeigte sich 1989 in der sogenannten Fichenaffäre, als die Öffentlichkeit dank des Berichts der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) erfuhr, dass nicht nur Hunderttausende bei der Bundesanwaltschaft verzeichnet waren, sondern auch, dass etwa 10'000 als politisch «gefährlich» eingestufte Bürgerinnen und Bürger im Krisen- oder Kriegsfall hätten interniert werden sollen.

Quellen und Literatur

  • J.C. Bluntschli, Die Kommunisten in der Schweiz, nach den bei Weitling vorgefundenen Papieren, 1843
  • M. Müller, Die Entwicklung der Bundespolizei und ihre heutige Organisation, 1949
  • Gruner, Arbeiter
  • I. Zellweger, Die strafrechtl. Beschränkungen der polit. Meinungsäusserungsfreiheit, 1975
  • J. Frischknecht et al., Die unheiml. Patrioten, 1979
  • H.B. Kunz, Weltrevolution und Völkerbund, 1981
  • J. Haefelin, Wilhelm Weitling, 1986
  • Gruner, Arbeiterschaft
  • J.-D. Blanc et al., Schnüffelstaat Schweiz, 1990
  • U.P. Engeler, Grosser Bruder Schweiz, 1990
  • H.U. Jost et al., Cent ans de police politique en Suisse, 1992
  • G. Kreis, Staatsschutz in der Schweiz, 1993
  • B. Studer, Sous l'oeil de Moscou, 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Brigitte Studer: "Antikommunismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.03.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027836/2009-03-23/, konsultiert am 29.03.2024.