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Monte Verità

Im Herbst 1900 gründete eine Gruppe um Henri Oedenkoven, Ida Hofmann und Gusto Gräser auf der Monescia, einem Hügel bei Ascona, eine lebensreformerische Kolonie (Lebensreformbewegung), der sie den Namen Monte Verità gaben. Zu ihren Anliegen gehörte ein strenger Vegetarismus, die Naturheilkunde, die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Genossenschaftswesen. Bald schon wandelten sie den Monte Verità in ein vegetarisches Naturheilsanatorium um. Mit Rohkosternährung, sogenannten Lichtluftkuren und Sonnenbädern sollten die Gäste, die in Lichtlufthütten untergebracht waren, zu einem «naturgemässen» Leben geführt werden. Die Gäste blieben durchschnittlich eineinhalb Monate auf dem Monte Verità und partizipierten als frühe Alternativtouristen an einem viel beschriebenen Zentrum eines alternativen Lebensstils (unter ihnen Erich Mühsam, Hermann Hesse, Franziska zu Reventlow). Durch den Monte Verità nahm der Tourismus in Ascona einen Aufschwung, was sich unter anderem in der Eröffnung von Hotels und Pensionen und in gesteigerten Gästezahlen ausdrückte. Die hauptsächlich deutschsprachigen Zuwanderer integrierten sich in Ascona nur wenig, obschon sie mit den Einheimischen durch gemeinsame ökonomische Interessen verbunden waren. 1920 verliessen Hofmann und Oedenkoven den Monte Verità und wanderten über Spanien nach Brasilien aus.

Während der Zeit ihrer Leitung wurde der Monte Verità zu einem der wichtigsten Entstehungsorte des modernen Ausdruckstanzes (Ballett). 1913-1919 war auf dem Monte Verità die von Rudolf von Laban geleitete Sommerschule für Bewegungskunst untergebracht. Ihr Ziel bestand in einer «ganzheitlichen» Schulung, zu der sowohl der Tanz, der Gesang und das Sprechen wie auch die Mitarbeit im Sanatoriumsbetrieb gehörten. Unter den internen Vorführungen, an denen unter anderem die Tänzerinnen Mary Wigman, Suzanne Perrottet, Berthe Trümpy und Katja Wulff teilnahmen, ist besonders das 1917 aufgeführte Tanzdrama «Sang an die Sonne» nach einem Text von Otto Borngräber erwähnenswert.

Rudolf von Labans Tanzgruppe am Ufer des Langensees bei Ascona, 1914. Glas-Diapositiv von Johann Adam Meisenbach (Kunsthaus Zürich, Nachlass Suzanne Perrottet).
Rudolf von Labans Tanzgruppe am Ufer des Langensees bei Ascona, 1914. Glas-Diapositiv von Johann Adam Meisenbach (Kunsthaus Zürich, Nachlass Suzanne Perrottet). […]

1923 wurde der Monte Verità an die Künstler Werner Ackermann (Pseudonym Robert Landmann), Hugo Wilkens und Max Bethke verkauft, die ihn teilweise in eine expressionistische Künstlerkolonie umwandelten. Maskenfeste und vielerlei künstlerische Aktivitäten machten den Monte Verità zu einem Anziehungspunkt für die künstlerische Avantgarde. Doch finanzielle Schwierigkeiten beendeten schon nach zwei Jahren das Vorhaben.

1925 kaufte Eduard von der Heydt, der Bankier Kaiser Wilhelms II., den Monte Verità und wandelte ihn in ein Kurhotel der oberen Preisklasse um. 1928 liess er von Emil Fahrenkamp an der Stelle des alten Zentralhauses ein Hotel im Bauhausstil errichten. In ihm und dem grossen Park wurde von der Heydts umfangreiche moderne Kunstsammlung und die Sammlung aussereuropäischer Kunstgegenstände ausgestellt. Beim Tod des Bankiers 1964 fiel der Monte Verità testamentarisch an den Kanton Tessin. Mit der Ausstellung von Harald Szeemann 1978 über die Geschichte des Monte Verità wurde er einer grösseren Öffentlichkeit zum Begriff für ein frühes Aussteigertum.

Seit 1989 besteht auf dem Monte Verità das von der Gemeinde Ascona, dem Kanton Tessin und der ETH Zürich getragene Centro Stefano Franscini, das zu natur- und geisteswissenschaftlichen Themen Kongresse und Symposien durchführt. Die 1992 vom Tessiner Architekten Livio Vacchini erstellten Erweiterungen des Hotels durch ein 140 Plätze umfassendes Restaurant und einen unterirdischen Hörsaal haben die Umwandlung in ein Kongresszentrum begünstigt.

Quellen und Literatur

  • Monte Verità, hg. von H. Szeeman, 1978
  • Sinnsuche und Sonnenbad, hg. von A. Schwab, C. Lafranchi, 2001
  • A. Schwab, Monte Verità, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Schwab: "Monte Verità", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.11.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027825/2009-11-17/, konsultiert am 28.03.2024.