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Rechtsradikalismus

In einem allgemeinen Verständnis umfasst der Rechtsradikalismus Vertreter ausserparlamentarischer Bewegungen, Nationalisten, Mitglieder fremdenfeindlicher Organisationen, Antisemiten und Anhänger autoritärer Regimes. Die Bezeichnung extrême-droite bezog sich ursprünglich auf die Abgeordneten, die im französischen Parlament rechts aussen sassen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollte die nationalistische Rechte das Individuum vom liberalen Streben nach Materialismus befreien und wieder in eine von äusseren Einflüssen gereinigte Gemeinschaft einbinden. Zunächst propagierten Künstler- und Intellektuellenkreise nationalistische Ideen, die auf antimodernistische, antikapitalistische, antidemokratische und antisozialistische Vorstellungen zurückgriffen. Ab 1919 radikalisierte sich die nationalistische und militaristische Rechte. Sie unterteilte sich in zwei Strömungen: Die eine bewegte sich am Rand der traditionellen bürgerlichen Parteien (Konservatismus) und trachtete nach der Erneuerung des Staats, indem sie dem Parlamentarismus den Korporativismus entgegensetzte. Die andere orientierte sich am Faschismus: Neben dem Antidemokratismus, der Ablehnung des angelsächsischen Kapitalismus und dem Antikommunismus zeichnete sie sich durch rassistische Theorien, einen Autoritarismus, der die Forderung nach einer Führerfigur und einem starken Staat umfasste, sowie durch ihre Gewaltbereitschaft aus. Verstärkend kam ein militanter Antisemitismus hinzu. Als Antwort auf die Krise in der Zwischenkriegszeit propagierte die extreme Rechte die Selbstbesinnung auf eine nostalgisch verklärte Volksgemeinschaft, in der gesellschaftliche Harmonie mittels Achtung vor der Nation und ethnischer Homogenität erreicht werden sollte.

Wahlplakat der Nationalen Front von Richard Doelker, 1935 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Wahlplakat der Nationalen Front von Richard Doelker, 1935 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

In der Schweiz fasste der Rechtsradikalismus nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Fuss, und zwar zuerst in Genf mit der Union patriotique. Danach entstanden überall rechtsbürgerliche Vereine, deren wichtigster der Schweizerische Vaterländische Verband war. Zwischen 1925 und 1944 kamen ca. 40 Organisationen mit faschistischen Programmen auf: In der Westschweiz und im Tessin orientierten sie sich am italienischen Faschismus, in der Deutschschweiz am deutschen Nationalsozialismus. Die erste Gruppierung war die 1925 gegründete Heimatwehr, die bis 1936 Bestand hatte, am wichtigsten war die 1930-1940 aktive Nationale Front mit bis zu 5000 Mitgliedern. Im sogenannten Frontenfrühling von 1933 breitete sich das faschistische Gedankengut weiter aus (Frontenbewegung). Der Wahlerfolg der Fronten blieb auf Bundesebene jedoch schwach. Nur ein von der Union nationale aufgestellter Kandidat wurde 1935 in Genf gewählt, wobei er sich später wieder von dieser trennte. Auf kantonaler Ebene hatten die Fronten mehr Erfolg und es gelang ihnen der Einzug in einige Gemeinde- und Kantonsparlamente (Stadt Zürich, Schaffhausen, St. Gallen, Bern). Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg schlossen sie gelegentlich Allianzen mit Rechtsparteien, beispielsweise in Genf. 1940 gingen einige Fronten in der Nationalen Bewegung der Schweiz auf, die aber bald darauf verboten wurde.

Nach dem Krieg vertraten nur mehr einige Splittergruppen faschistische Ideen. Die 1951 gegründete Gruppierung Nouvel Ordre Européen gab diesen Stimmen eine erste lose Organisation. Erst als in den spannungsreichen 1960er Jahren Kritik an der Konsumwut im demokratischen Wohlfahrtsstaat laut wurde, fanden die Rechtsextremen eine neue Anhängerschaft. Neben den Altfaschisten lassen sich mehrere Strömungen unterscheiden: Seit 1972 setzt die in Anlehnung an ähnliche Bewegungen in Frankreich und Deutschland gebildete Neue Rechte dank des Zuspruchs verschiedener Kreise und Vereine eher auf kultureller Ebene Akzente. Für einen nationalrevolutionären, antiamerikanischen und antikapitalistischen Kurs steht die Neue Front, aus der die Coordination nationale, die Nationalrevolutionäre Partei und die Bewegung Troisième Voie hervorgingen. Die Fronten der 1980er Jahre, deren bekannteste Gruppierung die Patriotische Front war, kämpften zum Teil mit Gewaltakten gegen Einwanderer. Die Negationisten oder Revisionisten stellen den Holocaust in Frage. Den gewalttätigen, in der Regel wenig strukturierten Skinhead-Gruppen gehören mehrheitlich junge Menschen, häufig Minderjährige, an. Sie dominieren das rechtsextreme Milieu und rekrutieren ihre Anhänger vor allem in der Deutschschweiz. Ihre Zahl stieg von weniger als 500 Mitgliedern 1995, auf 600 bis 700 1999 und ca. 1200 im Jahr 2008. Sie erregten mit Angriffen gegen Asylbewerberunterkünfte Aufmerksamkeit. Die in kantonalen Parlamenten oder im Nationalrat vertretenen rechtsextremen Parteien, etwa die Genfer Vigilance oder die Schweizer Demokraten, deren Programme fremdenfeindliche Ideen enthalten (Fremdenfeindlichkeit), weisen stark schwankende Wahlergebnisse auf.

Quellen und Literatur

  • B. Glaus, Die Nationale Front, 1969
  • W. Wolf, Faschismus in der Schweiz, 1969
  • R. Joseph, L'Union nationale, 1932-1939, 1975
  • U. Altermatt, L'estremismo di destra in Svizzera, 1987
  • C. Cantini, Les ultras, 1992
  • H.U. Jost, Die reaktionäre Avantgarde, 1992
  • Rechtsextremismus in der Schweiz, hg. von U. Altermatt, H. Kriesi, 1995
  • D. Skenderovic, The Radical Right in Switzerland, 2009
Weblinks

Zitiervorschlag

Olivier Meuwly: "Rechtsradikalismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.05.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027495/2011-05-19/, konsultiert am 19.04.2024.