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MartignyGemeinde

Politische Gemeinde des Kantons Wallis, Bezirk Martigny, entstanden aus den Zusammenschlüssen mit La Bâtiaz 1956 und Martigny-Bourg 1964, 2021 mit Charrat fusioniert. Die Stadt, die auf dem Schwemmland der Dranse am Rhoneknie liegt, entwickelte sich am Ausgangspunkt zu den Pässen nach Italien (Grosser St. Bernhard) und Frankreich (Col de la Forclaz). Nach 1018 Martiniacum, deutsch früher Martinach. 1850 2545 Einwohner; 1900 3550; 1950 5915; 1970 10'478; 2000 14'361; 2010 15'746; 2020 17'980 (Martigny-Bourg: 1850 1076 Einwohner; 1900 1298; 1950 1863, 1960 2354. Martigny-Ville: 1850 1066 Einwohner; 1900 1827; 1950 3487; 1960 5239).

Martigny (Gemeinde): Situationskarte 2021 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2021 HLS.
Martigny (Gemeinde): Situationskarte 2021 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2021 HLS.

Die heutige Gemeinde liegt an der Stelle der ehemaligen gallischen Siedlung Octodurus und des Forum Claudii Vallensium, des Hauptorts der römischen civitas Vallensium (Civitas). Über Martignys frühmittelalterliche Entwicklung ist nichts bekannt. Der Ort gehörte zur bischöflichen Kastlanei Martigny, die sich 1351 unter den Schutz des Hauses Savoyen stellte. Nach der Eroberung des Unterwallis durch die sieben Zenden 1475 wurde die Kastlanei der Landvogtei Saint-Maurice angegliedert. Die Gemeinde Martigny erhielt 1338 vom Bischof von Sitten und 1399 vom Grafen von Savoyen Freiheiten. Sie konnte ihre lokalen Behörden, die Syndics, deren Funktion 1798 erlosch, selbst wählen, nicht aber die Richter, da die Gerichtsbarkeit weiterhin in den Händen des Bischofs lag.

Während des Zweiten Koalitionskriegs beherbergte der Ort 1800 Napoleon Bonaparte und die Italienarmee. 1840-1847 bildete Martigny den Schauplatz der Konfrontationen zwischen der liberal-radikalen Bewegung Junge Schweiz (Radikale) und der konservativen Vereinigung Alte Schweiz (Katholisch-Konservative). Die Schlacht am Trient, in der die Junge Schweiz unterlag, fand am 21. Mai 1844 wenige Kilometer von Martigny entfernt statt. Am folgenden Tag marschierte der Truppenkommandant der Alten Schweiz in die Stadt ein. Die Emanzipation der Viertel der ehemaligen Grossgemeinde geschah unter dem Druck liberaler Ideen. Das Viertel La Ville, das sich fortan Martigny-Ville nannte, wurde 1835 selbstständige Gemeinde, ihm folgten 1836 Charrat, 1841 Le Bourg (Martigny-Bourg) und La Combe (Martigny-Combe), von dem sich La Bâtiaz 1845 und Trient 1899 abspalteten. Die Bürger dieser sechs neuen Gemeinden unterstanden weiterhin derselben Burgergemeinde. Die Fusionen 1956, 1964 und 2021 sind Ausdruck einer im 20. und 21. Jahrhundert entgegengesetzten Gemeindeentwicklung.

Die Poststation in Martigny um 1835. Kolorierte Aquatinta von Franz Grundmann (Museum für Kommunikation, Bern).
Die Poststation in Martigny um 1835. Kolorierte Aquatinta von Franz Grundmann (Museum für Kommunikation, Bern). […]

Martigny ist die Bastion des Unterwalliser Freisinns in einem mehrheitlich konservativen Kanton. Während der Legislatur 2005-2008 zählte der Gemeinderat neun Mitglieder (sechs Freisinnige, zwei Christdemokraten und einen Sozialdemokraten), der Generalrat (Legislative) 66 Mitglieder (37 Freisinnige, 19 Christdemokraten und 10 Sozialdemokraten) und der Burgerrat fünf Mitglieder (vier Freisinnige und einen Christdemokraten). Ein Conseil mixte aus den Vertretern der Gemeinden Martigny und Martigny-Combe verwaltet den gemeinsamen Friedhof. Martigny-Bourg besass zwei Rathäuser, das eine war ein Renaissancebau, das andere wurde 1842 errichtet. Jenes von Martigny-Ville (1866 gebaut) ist zum Rathaus von Martigny geworden.

Der erste Bischof des Wallis, Theodul oder Theodor, wählte 381 Octodurus zum Residenzort. Seine Nachfolger verlegten den Bischofssitz nach Sitten, wo sie sich 585 definitiv niederliessen. 1163 trat der Bischof von Sitten die Kirche von Martigny, die vermutlich an der Stelle der ursprünglichen Kathedrale steht, an das Priorat Mont-Joux (Grosser St. Bernhard) ab. Sie wurde 1177 Maria und 1420 Notre-Dame-des-Champs (heutiges Patrozinium) geweiht. Die karolingische Kirche wurde in romanischer Zeit und im Barock (1645-1687) umgebaut. Den Gottesdienst versahen die Augustiner Chorherren des Grossen St. Bernhard, deren Propstsitz (16. Jh., Neubau 1753) an die Kirche angrenzt, die bis heute Mutterkirche der Pfarrei geblieben ist. Mehrere Gotteshäuser sind ihr unterstellt: die vom Rektorat von Le Bourg betreute Kapelle und Kirche Saint-Michel, die Pilgerkapelle Notre-Dame de Compassion in La Bâtiaz (1595), die 1869 erbaute und seit 2007 von der orthodoxen Pfarrei benutzte Kapelle in Le Guercet sowie die Kapelle Notre-Dame-des-Neiges in Chemin (um 1900). Die Kapelle von Trient wurde 1868 Pfarrkirche. Die Reformierten bildeten ihre Kirchgemeinde 1939, nachdem sie 1932 eine Kirche gebaut hatten.

Während Jahrhunderten waren sowohl Martigny-Bourg wie Martigny-Ville ökonomisch weitgehend auf Landwirtschaft und Rebbau ausgerichtet. Rund zehn Wasserräder lieferten im 18. Jahrhundert, etwa vierzig im 19. Jahrhundert die Energie für den Betrieb von Mühlen, Schmieden und Gerbereien. 1847 wurde der Meunière genannte Monneresse-Kanal gebaut. 1830 leitete die Stadt ihr Wasser vom Mont Tiercelin herbei. Führten Dranse und Rhone Hochwasser, wurde die Stadt oft von Überschwemmungen heimgesucht, besonders stark 1595 und 1818. Dank der Rhonekorrektion gewann Martigny Land für Gemüsekulturen und Obstbau. Die 1889 gegründete Destillerie Morand liess ihren Branntwein aus Williamsbirnen unter dem Namen Williamine als Marke eintragen. Martigny-Bourg besass ab 1392 ein Markt- und Messerecht. Martigny-Ville erlebte mit dem Anschluss ans Eisenbahnnetz einen wirtschaftlichen Aufschwung: 1878 erhielt die Stadt eine Station an der Simplonlinie, 1906 bzw. 1910 den Kopfbahnhof der Eisenbahnlinien Martigny-Châtelard-Chamonix und Martigny-Orsières, die 1953 um die Strecke Martigny-Sembrancher-Le Châble verlängert wurde. Die Betreiber schlossen sich 2000 zu den Transports de Martigny et Régions (TMR) zusammen. Das Tram, das ab 1906 den Bahnhof von Martigny mit Le Bourg verband, wurde 1957 durch einen Busbetrieb ersetzt. Die Stadt profitierte auch von der 1981 gebauten Autobahn A9 mit Ausfahrt zum Grossen St. Bernhard. Ende des 20. Jahrhunderts nahm die Beschäftigung im Dienstleistungssektor zu, als sich mehrere Unternehmen in Martigny ansiedelten: 1987 das Centre de recherches énergétiques et municipales (Crem), 1991 das Institut Dalle Molle d'intelligence artificielle perceptive, das eng mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Lausanne zusammenarbeitet, und 1985 das Centre du Réseau des bibliothèques cantonales et universitaires (Rero). Die Ortschaft zählt zwei Kongresszentren, das Centre d'expositions et de réunions de Martigny (Cerm, 1977) und das Centre du Parc (1998).

Plakat einer Ausstellung der «Médiathèque Valais – Image et Son», gestaltet von Marie-Antoinette Gorret, 2001 (Mediathek Wallis, Martigny).
Plakat einer Ausstellung der «Médiathèque Valais – Image et Son», gestaltet von Marie-Antoinette Gorret, 2001 (Mediathek Wallis, Martigny). […]

Kultureller Anziehungspunkt ist die 1978 gegründete Fondation Pierre Gianadda, deren Gebäude um einen gallorömischen Umgangstempel herum errichtet wurden und die ein gallorömisches Museum, ein Automobilmuseum, Ausstellungsräume sowie einen Skulpturenpark beherbergen. Die Ausstellungszentren Le Manoir und Fondation Louis Moret zeigen zeitgenössische Kunst, Architektur und Design. Die Fondation Claude Bellanger, ein Dokumentations- und Recherchezentrum für die Presse, wurde 1984 von der Schriftstellerin Christine Arnothy, der Frau des französischen Historikers Claude Bellanger, errichtet. Die 1987 eröffnete Mediathek Wallis sammelt und erschliesst audiovisuelle Medien des Kantons Wallis. Neben einer Primar- und Sekundarschule verfügt die Stadt über eine höhere Handelsschule mit einer Abteilung für sportlich und künstlerisch begabte Schülerinnen und Schüler sowie über die Berufsschule des Unterwallis. Die kulturelle Ausstrahlung von Martigny weist weit über die Kantonsgrenzen hinaus.

Quellen und Literatur

  • Farquet, Philippe: Martigny. Chroniques, sites et histoire, 1953.
  • Lehner, Hans-Jörg; Wiblé, François et al.: Restauration de l'église paroissiale de Martigny. Les vestiges archéologiques, la restauration de l'édifice et des œuvres d'art, 1990-1993, 1993.
  • Morand, Edouard: Martigny, 1940-1990. Ce demi-siècle où tout a changé, 1993.
  • Pelet, Paul-Louis: A la force de l'eau. Les turbines de bois du Valais, 1998, S. 12.
Complété par la rédaction
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Normdateien
GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
nach 1018: Martiniacum
Endonyme/Exonyme
Martinach (deutsch nicht mehr gebräuchlich)

Zitiervorschlag

Albano Hugon: "Martigny (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.08.2021, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002732/2021-08-13/, konsultiert am 19.03.2024.