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Eidgenössisches Recht

Unter eidgenössischem Recht werden die in der alten Eidgenossenschaft entwickelten Rechtssätze verstanden, welche für alle oder für eine Mehrzahl der eidgenössischen Orte Gültigkeit hatten. Sie wurden in den Bundesbriefen festgeschrieben, von Schiedsgerichten gewohnheitsrechtlich entwickelt oder von der Tagsatzung pragmatisch gehandhabt; das vermittelnde schiedsgerichtliche Prinzip stand dabei im Vordergrund (Eidgenössische Vermittlung). Zum eidgenössischen Recht zählen auch die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit mit dem Ausland geschlossenen Allianzen. Das eidgenössische Recht ist daher Vertragsrecht mit ausschliesslicher Bindung der Vertragspartner. 1798 wurde das eidgenössische Recht vom unitarischen helvetischen Recht (Helvetische Republik) vorübergehend verdrängt und 1848 vom Bundesrecht abgelöst. Seit wann der Begriff eidgenössisches Recht verwendet wird, ist unklar.

Im Innerschweizer Raum wird eidgenössisches Recht nachweislich erstmals im Bundesbrief von 1291 gesetzt: Der Rechtsweg sollte durch die Ächtung von Mord, Brandstiftung, Raub und privater Pfändung die Fehde als Mittel für die Durchsetzung privater Ansprüche ersetzen. Die materiell-rechtlichen Verbote ergänzten die Eidgenossen mit Geboten bezüglich der Bestellung des Gerichts, des Untersuchungsverfahrens und der Rechtskraft der Urteile.

Die eidgenössische Tagsatzung vermittelt in einem Konflikt. Illustration aus der Luzerner Chronik (1513) von Diebold Schilling (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung, Eigentum Korporation Luzern).
Die eidgenössische Tagsatzung vermittelt in einem Konflikt. Illustration aus der Luzerner Chronik (1513) von Diebold Schilling (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung, Eigentum Korporation Luzern). […]

Nach der Schlacht am Morgarten 1315 wurde der Bundesbrief um die Bestimmung ergänzt, kein Bündnispartner dürfe ohne die Zustimmung der andern ein vertragliches Verhältnis mit Dritten eingehen. Die Verpfändung von Gütern an Fremde wurde bewilligungspflichtig. Zudem sollten Differenzen zwischen den Bündnispartnern fortan nur noch im geregelten Schiedsverfahren bereinigt werden. Der Einbezug Luzerns 1332 erstreckte den Wirkungskreis des eidgenössischen Rechts erstmals auf eine Stadt, auch wenn diese vorläufig unter habsburgischer Herrschaft blieb. 1351-1353 wurden der Friedensbezirk und Hilfskreis bei Bedrohung auf Zürich, Glarus, Zug und Bern ausgedehnt. In den inhaltlich ähnlichen Bündnissen wird erstmals eine Tagung erwähnt, auf der Beschlüsse über kriegerische Aktivitäten gefasst werden; bei Streit unter den Vertragspartnern wird der schiedsgerichtliche Mehrheitsentscheid eingeführt. Das Verbot des geistlichen Gerichts bei gewöhnlichen Forderungsklagen und Gerichtsstandbestimmungen stärkten die regional-zivile Organisation gegenüber der kirchlich-fremden zusätzlich.

Weitere Fortschritte machte die Rechtseinheit 1370 mit dem Pfaffenbrief, der erstmals der Eydgnosschaft als «Land» Quasi-Rechtspersönlichkeit zusprach und deswegen staatsrechtlich als Verfassungsakt gewertet wird. Insbesondere den Anspruch auf kirchliche Gerichtsbarkeit drängte er weiter zurück. Die gesamteidgenössische verbindliche Gesetzgebung blieb allerdings in den Ansätzen stecken, wurde in der Folge auf Einzelaspekte begrenzt und dadurch oft wirkungslos. So hielt der Sempacherbrief von 1393 die Obrigkeiten an, private Fehden ihrer Untertanen gegen Auswärtige zu unterbinden. Weil dieses Verbot ungenügend beachtet wurde, musste es im Stanser Verkommnis von 1481 bekräftigt und durch ein allgemeines Verbot der Aufwiegelung ergänzt werden. Gegen den Willen der Städte behinderte dieses Verkommnis die stärkere Zentralisierung des Bundesgeflechts, sicherte dafür aber die einzelörtliche Autoritäts- und Rechtsentwicklung ab. Weitere Versuche, eidgenössische Regelungen zu erwirken, folgten: So zielte der Pensionenbrief von 1503 auf eine Bewilligungspflicht aller Söldnerwerbungen. Dieses Unterfangen scheiterte an Zürich, das diese Vereinbarung nicht mittrug. Ebensowenig liess sich die in Reaktion auf die Reformation anfänglich angestrebte Einheit des Glaubensbekenntnisses für das Bundesgebiet realisieren. Die beiden Kappeler Landfrieden von 1529 und 1531 (Landfriedensbünde) erhoben die Zuständigkeit der Orte in Religionsfragen zum Prinzip. Am Gegensatz der Bekenntnisse scheiterte das im 17. Jahrhundert verfolgte Projekt einer gesamteidgenössischen Landesverteidigung (Defensionalordnungen). Im 18. Jahrhundert überlagerten diverse Sonderabmachungen zwischen den Ständen das schwache und wenig entwicklungsfähige eidgenössische Recht. Zudem legten die Kanzleien der einzelnen Stände zur Sicherung der Kenntnis des komplexen Systems früh eigene Rechtssammlungen an, zum Beispiel im Weissen Buch von Sarnen 1309-1607.

Aus dem Schiedsverfahren entwickelte sich die Tagsatzung als Zentrum des bündischen Zusammenlebens, allerdings ohne dauerhafte legislatorische Funktion. Ihre Praxis richtete sich nach der Gewohnheit. Beschlüsse erforderten in der Regel Einstimmigkeit. Erst nachdem 1415 der Aargau und die Freien Ämter angegliedert waren, wurde das Prinzip des Mehrheitsentscheids für die Verwaltung der gemeinen Herrschaften eingeführt. Allerdings blieb den Ständen selbst bei einstimmig gefassten Beschlüssen deren Vollzug anheimgestellt.

Auf ähnlichen Motiven wie die Eidgenossenschaft der Waldstätte beruhten die Bundesschlüsse im Raum Graubünden. Die ab dem 14. Jahrhundert entstehenden Zusammenschlüsse im Gotteshausbund, im Oberen oder Grauen Bund und im Zehngerichtenbund gaben sich 1524 einen einheitlichen Bundesvertrag, gelobten sich gegenseitige Hilfe und ordneten die Rechtspflege. Mit dem Kesselbrief, dem Dreisieglerbrief von 1574 und der Reforma von 1603 kreierten sie für ihr Gebiet ähnlich beeidetes Recht, wie es in der Eidgenossenschaft galt.

Quellen und Literatur

  • EA
  • ASHR
  • H.C. Peyer, Verfassungsgesch. der alten Schweiz, 1978
  • P. Blickle, «Friede und Verfassung», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 1, 1990, 15-202
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Steiner: "Eidgenössisches Recht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.08.2004. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027302/2004-08-27/, konsultiert am 28.03.2024.